TE Vfgh Erkenntnis 1989/11/30 WI-2/89

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Veröffentlicht am 30.11.1989
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0300 Landtagswahl

Norm

B-VG Art1
B-VG Art101
B-VG Art141 Abs1 litb / Landesregierung
Krnt Landtags-GeschäftsO §§63-68
Krnt L-VG 1974 Art26 Abs4
Krnt L-VG 1974 Art43

Leitsatz

Der Anfechtung der Wahl der Kärntner Landesregierung wird nichtstattgegeben; weiter Gestaltungsfreiraum für das die Organisation desLandes regelnde Landesverfassungsrecht durch die Bundesverfassung;Bestellungsregelung als Verhältniswahlsystem in Form derFraktionswahl in Einklang mit Art101 B-VG; kein Verstoß gegen dasdemokratische Prinzip

Spruch

Der Wahlanfechtung wird nicht stattgegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Am 12. März 1989 fand die mit Verordnung der Kärntner Landesregierung vom 20. Dezember 1988, LGBl. 71/1988, ausgeschriebene Wahl des Kärntner Landtages statt.

Von den 352.866 abgegebenen gültigen Stimmen - 9.047 wurden als ungültig gewertet - entfielen auf die wahlwerbenden Parteien

   Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ)   162.147 Stimmen,

   Österreichische Volkspartei (ÖVP)          74.054 Stimmen,

   Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)    102.322 Stimmen,

   Vereinte Grüne Österreichs und

   Unabhängige (VGÖ-GRÜNE)                     5.601 Stimmen,

   Anderes Kärnten - Drugacna Koroska,

   Grüne Alternative (Grüne), KEL,

   Bewegung gegen Schultrennung (GRÜNE-ZELENI) 5.976 Stimmen,

   Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ)     2.155 Stimmen,

   Liste Parteiloser Kandidaten (LPK)            611 Stimmen.

Die 36 zu vergebenden Mandate (Art7 der Landesverfassung für das Land Kärnten - L-VG, LGBl. 190/1974 idF LGBl. 48/1979) wurden nach Durchführung des ersten und zweiten Ermittlungsverfahrens (§§81 ff Krnt. LWO, LGBl. 191/1974 idF LGBl. 76/1988) auf die wahlwerbenden Parteien wie folgt verteilt:

SPÖ 17 Mandate,

ÖVP 8 Mandate,

FPÖ 11 Mandate.

(Verlautbarung der Landeswahlbehörde für das Land Kärnten vom 20. März 1989).

1.1.2. Der neu gewählte Landtag trat am 21. April 1989 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Die Wahl der Landesregierung, und zwar des Landeshauptmannes, des Ersten und des Zweiten Landeshauptmann-Stellvertreters und der vier Landesräte (Art40 Abs1 und Art41 Abs1 L-VG) sowie der sieben Ersatzmitglieder (Art43 Abs4 L-VG) fand erst in der zweiten Landtagssitzung am 30. Mai 1989 statt.

Aus dem Stenographischen Protokoll der zweiten Sitzung des Kärntner Landtages (der 26. Gesetzgebungsperiode) vom 30. Mai 1989 sowie der Sitzungsniederschrift vom selben Tag geht der folgende, für das vorliegende Wahlanfechtungsverfahren relevante und von den Anfechtungswerbern nicht in Zweifel gezogene Sachverhalt hervor:

Nach der Wahl und Angelobung Dris. Jörg Haider zum Landeshauptmann - auf Dr. Haider waren 19 von 36 gültigen Stimmen entfallen - kam es zur Wahl des Ersten und Zweiten Landeshauptmann-Stellvertreters. Dazu hatten die SPÖ und die FPÖ - da kein Parteienübereinkommen iSd Art43 Abs2 erster Satz L-VG bestand und die Wahl der beiden Landeshauptmann-Stellvertreter also nach dem Verhältniswahlrecht vor sich gehen mußte - Wahlvorschläge eingebracht, und zwar die SPÖ - entsprechend ihrer Stimmenstärke (Art43 Abs2 letzter Satz L-VG) - für die Stelle des Ersten Landeshauptmann-Stellvertreters (lautend auf Dr. Peter Ambrozy) und die FPÖ für die Stelle des Zweiten Landeshauptmann-Stellvertreters (lautend auf Dr. Christof Zernatto). Die Abstimmung über die beiden Wahlvorschläge erbrachte 17 Stimmen für den Vorschlag der SPÖ und 19 für den der FPÖ; damit waren kraft Art43 Abs2 L-VG iZm §§65 Abs4 und 68 Abs2 des Gesetzes vom 19. Dezember 1974 über die Geschäftsordnung des Kärntner Landtages (GO), LGBl. 39/1975 idF vor der Novelle LGBl. 58/1989, Dr. Peter Ambrozy (mit 17 Stimmen) zum Ersten und Dr. Christof Zernatto (mit 19 Stimmen) zum Zweiten Landeshauptmann-Stellvertreter gewählt. Im Anschluß daran fand die Wahl der übrigen vier Landesregierungsmitglieder (Landesräte) sowie der sieben Ersatzmitglieder der Landesregierung statt, indem der Landtag über die zuvor von der SPÖ (für drei Landesräte und vier Ersatzmitglieder), der ÖVP (für einen Landesrat und ein Ersatzmitglied) und der FPÖ (für zwei Ersatzmitglieder) dem Landtagspräsidenten überreichten Wahlvorschläge einzeln abstimmte:

Den drei Parteien war nämlich nach Art43 Abs3 L-VG iVm §65 Abs3 GO das Recht auf Erstattung von Wahlvorschlägen für die Wahl der vier Landesräte und der sieben Ersatzmitglieder zugekommen, wobei - gemäß dem Verhältnis der bei der Landtagswahl erhaltenen Stimmen und nach Einrechnung der bereits gewählten Regierungsmitglieder (Landeshauptmann und die beiden Landeshauptmann-Stellvertreter) in die den Parteien zustehenden Quoten - die SPÖ das Vorschlagsrecht für drei Landesräte und vier Ersatzmitglieder, die ÖVP für einen Landesrat und ein Ersatzmitglied und die FPÖ für zwei Ersatzmitglieder ausübten. Bei den Abstimmungen entfielen 17 (gültige) Stimmen auf den Vorschlag der SPÖ, 18 auf den der ÖVP, 19 auf den der FPÖ. Damit waren - aufgrund der Berechnungsregel des Art43 Abs3 L-VG iZm §§65 und 68 GO - die in den Wahlvorschlägen genannten Personen, und zwar die Landtagsabgeordneten Max Rauscher, Herbert Schiller, Dr. Josef Koschat (jeweils auf Vorschlag der SPÖ) sowie Johann Ramsbacher (auf Vorschlag der ÖVP) zu Landesräten und die Landtagsabgeordneten Gerhard Hausenblas, Dkfm. Dr. Erwein Paska, Franz Prettner, Siegfried Penz (jeweils auf Vorschlag der SPÖ), Georg Wurmitzer (auf Vorschlag der ÖVP), Dipl.Ing. Jörg Freunschlag sowie Karl Koffler (beide auf Vorschlag der FPÖ) zu Ersatzmitgliedern, gewählt.

1.2.1. Mit der vorliegenden, am 27. Juni 1989 beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten und auf Art141 Abs1 litb B-VG gestützten Wahlanfechtungsschrift begehren vier Abgeordnete des neu gewählten Kärntner Landtages, und zwar Rainhard Gaugg, Fritz Schretter, Dr. Herwig Hofer und Leo Uster, die Aufhebung und Nichtigerklärung der "am 30. Mai 1989 erfolgten Wahlen in die Kärntner Landesregierung in Ansehung der beiden Landeshauptmann-Stellvertreter, der vier Mitglieder der Landesregierung und der insgesamt sieben Ersatzmitglieder" wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens, und zwar wegen Anwendung (bundes-)verfassungswidriger landesgesetzlicher Bestimmungen im Zuge dieser Wahlakte.

1.2.2. Der Präsident des Kärntner Landtages als höchste Wahlbehörde (vgl. VfSlg. 4169/1972, 6277/1970; VfGH 18.3.1988 WI-9/87) legte die (Wahl-)Akten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er für die Abweisung der Wahlanfechtung eintrat.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Wahlanfechtung erwogen:

2.1. Gemäß Art141 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über Anfechtungen von Wahlen in die Landesregierung, somit auch über die Anfechtung der Wahl einzelner Landesregierungsmitglieder und Ersatzmitglieder (s. VfSlg. 6277/1970).

Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung ua. auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden. Sie bedarf gemäß §67 Abs2 Satz 1 VerfGG 1953 eines Antrages von einem Zehntel der Mitglieder des Landtages (d.s. hier: vier), mindestens aber von zwei Mitgliedern.

Kraft §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht werden. Weder das L-VG noch die GO oder andere Rechtsvorschriften richten einen derartigen, zunächst zu durchlaufenden Instanzenzug ein.

Demnach steht die unmittelbare Anfechtung der Wahl der Landesregierung, und folglich auch von einzelnen Mitgliedern und Ersatzmitgliedern der Landesregierung, beim Verfassungsgerichtshof binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens offen.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.

2.2. Die Anfechtungswerber hängen im wesentlichen der Rechtsmeinung an, daß die Bestimmungen der Art26 Abs4, 43 Abs2 und 3 L-VG und der §§63 bis 68 der GO deshalb verfassungswidrig seien, weil sie dem demokratischen Prinzip (Art1 B-VG) und dem Gebot der Wahl der Landesregierung durch den Landtag nach Art101 Abs1 B-VG widersprächen. Ein vom Landtag nicht mehr beeinflußbarer "Durchgriff" der Wahlentscheidung des Landesvolks auf die Zusammensetzung der Landesregierung sei untersagt. Zwar sähen die Vorschriften des Art43 Abs2 und 3 L-VG iVm §65 Abs3 der GO die Verteilung der Mandate in der Landesregierung nach dem Verhältniswahlrecht vor, doch finde eine Wahl in Wahrheit nicht statt, sei doch nach geltender Rechtslage die Zusammensetzung der Regierung mit dem Ergebnis der Landtagswahl untrennbar verknüpft und durch das Entsendungsrecht der mandatsstärksten Parteien vorausbestimmt. Dem Landtag obliege nur mehr die "Absegnung" der von den entsendungsberechtigten Parteien vorgeschlagenen Kandidaten (für die Regierungssitze); außerdem verhindere das Kärntner Bestellungssystem die Bildung einer Parteienkoalition, die eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Landesregierung zum Ziel habe.

2.3.1. Kraft der Vorschrift des §63 der GO gelten die Bestimmungen des 8. Abschnittes (der GO) für die Wahl des Landeshauptmannes, der Landeshauptmann-Stellvertreter und der Landesräte, soweit Art43 L-VG nicht anderes bestimmt. Art43 Abs1 L-VG verlangt für die Wahl des Landeshauptmannes einen Mehrheitsbeschluß des Landtages. Für die Wahl der Landeshauptmann-Stellvertreter (sofern sich die drei stärksten im Landtag vertretenen Parteien nicht auf eine Mehrheitswahl einigen) und für die Wahl der übrigen Landesräte sieht dieser Artikel in seinen Abs2 und 3 jedoch eine "Wahl nach dem Verhältniswahlrecht" vor. Art43 Abs3 L-VG legt dazu fest, daß die "Mandate der

Landesräte . . . auf die im Landtag vertretenen Parteien nach dem

Verhältniswahlrecht aufgeteilt" werden. Die im Landtag vertretenen Parteien haben gemäß §65 Abs4 der GO nach Maßgabe der ihnen zustehenden (Landesregierungs-)Mandate dem Landtagspräsidenten Wahlvorschläge zu überreichen, die von mehr als der Hälfte ihrer Mitglieder unterschrieben sein müssen (s. auch Art43 Abs3 Satz 2 L-VG). Diese Wahlvorschläge haben soviele Namen von Wahlwerbern zu enthalten, als der im Landtag vertretenen Partei an zu wählenden Personen nach dem Verhältniswahlrecht zukommen (§65 Abs4 Satz 2 GO und Art43 Abs3 Satz 3 L-VG). Für jedes zustehende Mandat darf gemäß §65 Abs4 dritter Satz der GO nur ein Vorschlag eingebracht werden. Für den Wahlakt bestimmen §68 Abs2 der GO und Art43 Abs3 letzter Satz L-VG, daß nur jene Stimmen gültig sind, die unzweideutig "auf einen ordnungsgemäßen Wahlvorschlag" entfallen. Dabei gilt gemäß §68 Abs2 Satz 2 GO als gewählt, "wer mindestens so viele gültige Stimmen erhält, als der Wahlvorschlag, der seiner Wahl zugrunde liegt, Unterschriften aufweisen muß."

Das bedeutet, daß die (Landtags-)Mehrheit die personelle Zusammensetzung der Landesregierung (mit Ausnahme des Landeshauptmanns) insoweit nicht beeinflussen kann, als eine vorschlagsberechtigte Landtagsminderheit (Fraktion) ihre Kandidaten genügend unterstützt.

2.3.2. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, daß die in der Anfechtungsschrift in Zweifel gezogenen Rechtsvorschriften aus den von den Anfechtungswerbern ins Treffen geführten Gründen verfassungsrechtlich bedenklich sind.

Zu verweisen ist zunächst auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 18. März 1988, WI-9/87, in dem es ua. wörtlich heißt:

"Das B-VG hat für die Länder zunächst die Bedeutung, daß es nicht nur die Grundzüge der Organisation des Bundes bildet, sondern auch die dem Wesen eines Bundesstaates gemäße Aufteilung der staatlichen Funktionen auf den Bund (als Oberstaat) und die Länder (als Gliedstaaten) regelt und überdies die verfassungsrechtlichen Grundzüge der Organisation der Länder selbst enthält (VfSlg. 5676/1968). Die Autonomie des Landes-Verfassungsgesetzgebers ist daher zwar nicht völlig unbegrenzt; die ihm gesetzten Grenzen sind aber sehr weit gezogen - vgl. VfSlg. 5676/1968 (zur relativen Verfassungsautonomie vgl. zB Koja, Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer, 1967, 17 ff; Novak, Bundes-Verfassungsgesetz und Landesverfassungsrecht, in: Schambeck (Hrsg.), Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, 1980, 111 ff, (mwH); Pernthaler, Die Verfassungsautonomie der österreichischen Bundesländer, JBl. 1986, 477). Landes-Verfassungsgesetze dürfen nur in Bindung an diese im B-VG festgeschriebene Grundlage erlassen werden. Sie dürfen nichts anordnen, was mit dem B-VG unvereinbar ist (vgl. Art99 Abs1 B-VG, s. ferner VfSlg. 258/1924, 3134/1956, 3314/1958, 5676/1968), und unterliegen darum auch der verfassungsgerichtlichen Prüfung auf ihre Übereinstimmung mit der Bundesverfassung gemäß Art140 B-VG (vgl. VfSlg. 3969/1961, 5676/1968 ua.).

Für die Zusammensetzung und Bildung der Landesregierungen legt nun das B-VG folgende Grundsätze fest: Die Landesregierung besteht aus dem Landeshauptmann, der erforderlichen Zahl von Stellvertretern und weiteren Mitgliedern (Art101 Abs3 B-VG). Sie ist vom Landtag 'zu wählen' (Art101 Abs1 B-VG); ihre Mitglieder müssen nicht dem Landtag angehören, doch kann in die Landesregierung nur gewählt werden, wer zum Landtag wählbar ist (Art101 Abs2 B-VG).

Damit ist der bundesverfassungsgesetzliche Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich die Landes-Verfassungsgesetzgebung - im hier maßgebenden Fragenbereich - bewegen darf (s. dazu Kelsen-Froehlich-Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, 1922, 203). Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 5676/1968 aussprach, hat sich das B-VG auf die Aufstellung ganz allgemein gehaltener Grundzüge beschränkt und die nähere Ausführung den Verfassungen der Gliedstaaten überantwortet (vgl. Adamovich-Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3, 162):

Über die Zahl der Mitglieder der einzelnen Landesregierungen und die Art ihrer Wahl sagt das B-VG also nichts aus. Zur Regelung all dieser Fragen ist somit der (jeweilige) Landes-Verfassungsgesetzgeber zuständig und es ist den Ländern dabei 'völlig freie Hand gelassen' (VfSlg. 5676/1968; zustimmend Novak, aaO, 130; s. hiezu auch: Adamovich (sen.), Zur Frage der verfassungsmäßigen Organisation der Landesverwaltung in Österreich, Zeitschrift für Verwaltung, 3. Jg. 1923, 33 ff). Auch eine landesverfassungsgesetzliche Regelung, aus der sich ergibt, daß der Landtag bei der Art der Wahl der Mitglieder der Landesregierung über Art101 B-VG hinaus nicht gebunden sei, stünde - nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 5676/1968, 6277/1970) - mit den im B-VG festgelegten Grundzügen im Einklang, doch ist hier dem Landes-Verfassungsgesetzgeber nach dem schon Gesagten eine nähere Determinierung keineswegs verwehrt. Freilich muß jede derartige konkrete gesetzliche Regelung der Willensbildung des Landtages dem demokratischen Prinzip der Bundesverfassung entsprechen und in sich gleichheitsgemäß, d.h. sachlich gerechtfertigt sein, also dem - auch den Gesetzgeber verpflichtenden - allgemeinen Gebot des Art7 Abs1 B-VG iVm Art2 StGG standhalten (vgl. VfSlg. 5811/1968, S 646); sie darf auch sonst die bundesverfassungsgesetzlich gezogenen Grenzen nicht

verletzen. . .

Vorschriften über die Wahl der Mitglieder der Landesregierung (zu denen auch der Landeshauptmann zählt - Art101 Abs3 B-VG) sind - als die Organisation des Landes regelnde Normen - typisch materielles Landesverfassungsrecht und sollen in der Landesverfassung (Art99 B-VG) enthalten sein. Gerade hiefür räumt

die Bundesverfassung . . . einen besonders weiten

Gestaltungsfreiraum ein. Dies ist schon damit erklärbar, daß es für einen demokratischen Bundesstaat von existenzieller Bedeutung ist, daß die Gliedstaaten durch ihre - unmittelbar demokratisch legitimierten - Parlamente (mit besonderem Präsenz- und Konsensquorum - Art99 Abs2 B-VG) ihre Organisation weitestgehend - ohne durch vom Oberstaat gesetzte Normen beschränkt zu sein - selbständig regeln können. Die Verfassungsautonomie der Länder ist nur insofern relativiert, als die Bundesverfassung ausdrücklich Schranken enthält (vgl. zB Adamovich-Funk, aaO, 10, 128, 192 und die dort zitierte Judikatur des

Verfassungsgerichtshofes). . .

(Es) ist auch der Landes-Verfassungsgesetzgeber an die allgemeinen bundesverfassungsgesetzlichen Gebote, etwa an den Gleichheitsgrundsatz (Art7 Abs 1 B-VG und Art2 StGG) und das sich daraus ergebende Sachlichkeitsgebot sowie an das demokratische Prinzip, wie es in den Regelungen des B-VG seinen Ausdruck gefunden hat, gebunden. Die durch diese Gebote statuierten Schranken sind im Sinne eines möglichst weiten Freiraumes auszulegen (vgl. VfSlg. 5676/1968, S 114). Die Frage, wie der Landeshauptmann und die übrigen Mitglieder der Landesregierung zu wählen sind, ist weitestgehend eine rechtspolitische; für ihre Lösung setzen das Gleichheitsgebot und das demokratische Prinzip nur insofern Schranken, als nicht sachlich unbegründbare oder mit dem demokratischen Grundsatz unvereinbare Regelungen getroffen werden

(dürfen) . . . "

Der Verfassungsgerichtshof hält an dieser Rechtsauffassung fest. Desgleichen an der im selben Erkenntnis dargelegten Meinung, daß dem Landes-Verfassungsgesetzgeber bei Regelung der Wahl des Landeshauptmannes und - wie im Blick auf den zur Entscheidung stehenden Rechtsfall beizufügen bleibt - der übrigen Mitglieder der Landesregierung ein bestimmtes Wahlsystem nicht vorgegeben ist:

Doch folgt aus dem demokratischen Baugesetz der Bundesverfassung, daß nur ein dem demokratischen Prinzip entsprechendes Wahlrecht der Repräsentativorgane, das sich am Verhältniswahlrecht oder am Mehrheitswahlrecht oder am Konkordanzprinzip orientiert oder das sich als Mischform dieser Systeme erweist, bundesverfassungsrechtlich unbedenklich ist.

Die auf Grund der Kärntner Landesverfassung und der Landtagsgeschäftsordnung bestehende Bestellungsregelung stellt sich als Verhältniswahlsystem in Form der sog. "Fraktionswahl" dar, das die dem Landes-Verfassungsgesetzgeber in dieser Frage besonders weit gesteckten Grenzen iS des - einleitend zitierten und auszugsweise wiedergegebenen - Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 18. März 1988, WI-9/87, nicht überschreitet, eine Rechtsmeinung, für die sich unterstützend anführen läßt, daß auch schon in der zur Zeit der Entstehung des B-VG 1920 geltenden Landesverfassung für Kärnten (ArtVIII des LGBl. 20/1919) ein, wenn auch ausgeprägteres Verhältniswahlsystem zur Kreation der Mitglieder der Landesregierung (des Landesrates) vorgeschrieben war.

Steht das von den Anfechtungswerbern bedenklich erachtete Bestellungssystem aber - wie dargetan - mit Art101 B-VG im Einklang, kann es in der hier gegebenen Konstellation auch nicht dem demokratischen Prinzip nach Art1 B-VG widersprechen.

2.3.3. Was die in der Anfechtungsschrift aufgeworfene Frage der Koalitionsbildung anlangt, so ist der Landes-Verfassungsgesetzgeber bundesverfassungsgesetzlich nicht verpflichtet, für die Wahl der Regierung eine Wahlkoalition mehrerer im Landtag vertretenen Parteien zu gestatten. Die von den Anfechtungswerbern angestrebte Repräsentation der Landtagsmehrheit auch in der Landesregierung hätte - kraft geltenden Rechts - durch eine Wahlkoalition bei der Landtagswahl erreicht werden können (vgl. dazu Art117 Abs5 B-VG über die Bestellung des Gemeindevorstands: Die Gemeindevorstandssitze werden nur auf jene im Gemeinderat vertretenen Parteien (Gemeinderatsfraktionen) - proportional - verteilt, die als solche aus der Gemeinderatswahl hervorgingen; der Zusammenschluß mehrerer dieser im Gemeinderat repräsentierten Parteien für die Verteilung der Gemeindevorstandsstellen zu einer neuen, gelegentlichen Wahlpartei ist unzulässig (Putschögl, in:

Fröhler-Oberndorfer, Das österreichische Gemeinderecht, Abschnitt 3.6.3.2.1.)).

2.3.4. Zusammenfassend ergibt sich, daß der Verfassungsgerichtshof die von den Anfechtunsgwerbern vorgebrachten Bedenken ob der Bundesverfassungsmäßigkeit der hier in Rede stehenden, die Wahl der Landesregierung regelnden landes-(verfassungs-)gesetzlichen Vorschriften nicht teilt.

2.4.1. Da die geltend gemachten Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens (: Anwendung bundesverfassungswidriger Landes-(verfassungs-)gesetze) demnach nicht vorliegen und der Verfassungsgerichtshof eine Wahl nur innerhalb der durch die Anfechtungserklärung gezogenen Schranken zu überprüfen hat (s. VfGH 15.6.1988 WI-6/87), war der Wahlanfechtung nicht stattzugeben.

2.4.2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Wahlen, demokratisches Grundprinzip, Grundprinzipien der Verfassung,Wahlkoalition, Fraktionswahlrecht, Bundesstaat, Landesverfassung,VfGH / Wahlanfechtung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:WI2.1989

Zuletzt aktualisiert am

13.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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