TE Vwgh Erkenntnis 1993/3/22 92/10/0138

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Veröffentlicht am 22.03.1993
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §52;
EGVG Art9 Abs1 Z1;
EGVG Art9 Abs1 Z2;
VStG §3 Abs1;
VStG §3 Abs2;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 92/10/0139

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerden des A in H, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg 1. (zu Zl. 92/10/0138) vom 14. Mai 1992, Zl. St-9025/91, und 2. (zu Zl. 92/10/0139) vom 14. Mai 1992, Zl. St-9025/1/91, jeweils betreffend Übertretungen nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 und 2 EGVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 23.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

A.

I. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 14. Mai 1992, Zl. St-9025/1991, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 29. November 1990 um ca. 14.35 Uhr in S, Unterführung rechter Brückenkopf der N-Brücke, a) durch ein Verhalten, welches geeignet gewesen sei, Ärgernis zu erregen, die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört, weil er mit einem Polizeibeamten unter heftigem Gestikulieren laut geschrieben habe und b) ungeachtet vorausgegangener Abmahnung durch ein Organ der öffentlichen Aufsicht, welches sich in rechtmäßiger Ausübung seines Dienstes befunden habe, sich ungestüm benommen, weil er dem Polizeibeamten unter heftigem Gestikulieren mit den Worten "Na warte nur, du Bürscherl, dir werde ich es schon noch zeigen. Wir werden uns vor Gericht wiedersehen und dann mache ich dich fertig" beschimpft habe, wobei sein aggressives Verhalten jenes Maß weit überstiegen habe, welches ihm als Abwehr vermeintlichen Unrechts zuzubilligen gewesen sei.

Der Beschwerdeführer habe hiedurch Verwaltungsübertretungen

a) nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG und b) Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG begangen. Es wurden zwei Geldstrafen (S 500,-- und S 1.000,--) verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zur hg.

Zl. 92/10/0138 protokollierte Beschwerde.

II. Mit dem weiteren im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 14. Mai 1992, Zl. St-9025/1/91, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 20. November 1990 um ca. 9.20 Uhr in S, Unterführung des rechten Brückenkopfes der N-Brücke, a) durch ein Verhalten, welches geeignet gewesen sei, Ärgernis zu erregen, die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört, weil er mit zwei Polizisten unter heftigem Gestikulieren lautstark "Idiotenstaat", "... habt ihr nichts anderes zu tun ..." etc. geschrieen habe und

b) sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung durch ein Organ der öffentlichen Aufsicht, welches sich in rechtmäßiger Ausübung seines Dienstes befunden habe, dadurch ungestüm benommen habe, daß er zwei Beamte unter heftigem Gestikulieren mit den Worten "Schikane", "Idioten", "Beamtenstaat" beschimpft habe, wobei sein aggressives Verhalten weit über eine ihm zuzubilligende Abwehr gegen ein vermeintliches Unrecht hinausgegangen sei.

Der Beschwerdeführer habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach a) Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG und b) Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG begangen. Es wurden zwei Geldstrafen (S 500,-- und S 700,--) verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu hg.

Zl. 92/10/0139 protokollierte Beschwerde.

III. Der Beschwerdeführer bringt in beiden Beschwerden im wesentlichen vor, er sei zum Zeitpunkt der Begehung der ihm angelasteten Verwaltungsübertretungen schuldunfähig gewesen. Die belangte Behörde habe es unterlassen, die von ihm hiefür angebotenen Beweise einzuholen. Er lege diese daher im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in Gegenschriften die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

B.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, beide Beschwerde wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden und hat über sie erwogen:

Nach § 3 Abs. 1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewußtseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.

Nach § 3 Abs. 2 leg. cit. ist es als mildender Umstand bei Bemessung der Strafe zu berücksichtigen, wenn die Fähigkeit zur Zeit der Tat aus einem dieser Gründe in hohem Grade vermindert war.

Der Beschwerdeführer hat in einem Nachtrag zu seinen Berufungen gegen die erstinstanzlichen Straferkenntnisse geltend gemacht, er sei zum Zeitpunkt der Begehung der ihm angelasteten Übertretungen schuldunfähig gewesen. Zum Beweis verwies er auf fünf in Verfahren vor dem Landesgericht Salzburg bzw. dem Bezirksgericht Salzburg erstattete ärztliche Gutachten verschiedener Gutachter und beantragte die Einholung dieser Gutachten bzw. der entsprechenden Akten, deren Geschäftszahl er jeweils bekanntgab. Weiters verwies er auf einen der Geschäftszahl nach bestimmten Akt des Amtes der Salzburger Landesregierung und beantragte seine eigene Einvernahme, bei der er dann Atteste eines Dr. M zur Einsichtnahme vorlegen werde. Sollte die Berufungsbehörde die bekämpften Straferkenntnisse nicht aufheben, erkläre er sich damit einverstanden, bei Kostenersatz eine neuerliche Untersuchung vornehmen zu lassen.

Die belangte Behörde ist auf dieses Beweisanbot nicht eingegangen. Sie hat zur Frage der Schuldunfähigkeit in der Begründung ihrer Bescheide lediglich ausgeführt, aus den ergänzenden Berufungsausführungen des Beschwerdeführers, wonach er zur Tatzeit nicht "schuldverantwortlich" gewesen sei, könne für ihn nichts gewonnen werden. Aus dem Akteninhalt sei kein Hinweis ersichtlich, daß bei ihm zum Zeitpunkt der Tat eine Bewußtseinsstörung vorhanden gewesen sei bzw. die Diskretionsfähigkeit oder die Dispositionsfähigkeit gefehlt habe. Es habe daher die Anforderung der vom Beschwerdeführer zitierten ärztlichen Gutachten bzw. eine neuerliche amtsärztliche Untersuchung unterbleiben können.

Von den vom Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten, von ihm bereits im Verwaltungsverfahren angebotenen ärztlichen Gutachten spricht jenes vom 18. Jänner 1984 davon, daß der Beschwerdeführer aus psychiatrischer Sicht als zurechnungsunfähig zu bezeichnen sei, da er infolge einer Geisteskrankheit nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu begreifen. In einem Gutachten vom 13. November 1984 ist davon die Rede, daß der Beschwerdeführer wegen einer psychischen Krankheit behindert sei. Seine Anpassungsfähigkeit an die sozialen Anforderungen der Gesellschaft sei auffällig geschwächt. In einem weiteren Gutachten vom 17. März 1986 ist davon die Rede, daß der Beschwerdeführer paranoid-querulatorische Züge aufweise, die seine Kritik- und Urteilsfähigkeit in bestimmten Lebensbereichen (vor allem hinsichtlich der Führung von Prozessen) weitgehend zu beeinträchtigen schienen. Ein Gutachten vom 13. Mai 1987 spricht davon, daß sich in der Zwischenzeit seine psychischen Auffälligkeiten gebessert hätten, wenngleich noch immer querulatorische Züge bestünden. Eine nervenärztliche Bestätigung (vom 14. Juli 1992) des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M - eine Vorlage eines Attestes dieses Arztes hatte der Beschwerdeführer in der Berufung angekündigt - bestätigt dem Beschwerdeführer unverändert eine hochgradige neurotische Persönlichkeitsstörung mit Anpassungsschwierigkeiten und Kontrollverlust in Konfliktsituationen; diese Reaktionsweise könne den Grad einer psychischen Erkrankung erreichen. Bei der Beurteilung der Straffälligkeit sollte dieser Umstand berücksichtigt werden.

Wäre die belangte Behörde - wozu sie auf Grund des konkreten Vorbringens in der Berufung verpflichtet gewesen wäre - auf das Beweisanbot des Beschwerdeführers eingegangen, hätte sich herausgestellt, daß zumindest Zweifel an der (vollen) Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers im Hinblick auf die ihm angelasteten Verwaltungsübertretungen bestand. Diese hätten erforderlichenfalls durch ein auf den Tatzeitpunkt abgestelltes fachärztliches Gutachten geklärt werden müssen. Aus der Aussage der amtsärztlichen Sachverständigen im Verfahren vor der Bezirkshauptmannschaft ist diesbezüglich nichts zu entnehmen.

Wäre die belangte Behörde auf das Beweisanbot des Beschwerdeführers eingegangen, hätte sie zu einem anderen Bescheid kommen können.

Aus den angeführten Gründen erweisen sich die angefochtenen Bescheide als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben waren.

Der Ausspruch über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992100138.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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