TE Vfgh Erkenntnis 1991/10/10 V220/90, V221/90, V222/90, V223/90

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Veröffentlicht am 10.10.1991
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Index

50 Gewerberecht
50/05 Kammern der gewerblichen Wirtschaft

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsmaßstab
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litb
Umlagenbeschlüsse der Landesgremien Oberösterreich des Einzelhandels mit Lebens- und Genußmitteln v 12.09.88, des Parfümeriewarenhandels v 31.08.88, des Handels mit Büchern. Kunstblättern. Musikalien. Zeitungen und Zeitschriften v 20.09.88 sowie der Landesinnung Oberösterreich der Fleischer v 14.07.88
HandelskammerG §9 Abs1
HandelskammerG §11 Abs4 lita
HandelskammerG §29 Abs3
HandelskammerG §57a Abs3

Leitsatz

Abweisung des Antrages des VwGH auf Aufhebung von Umlagenbeschlüssen verschiedener Fachgruppen; keine Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der seinerzeitigen Konstituierung von seit Jahrzehnten von der Staatspraxis anerkannten Verwaltungsträgern

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Verwaltungsgerichtshof stellt aus Anlaß der bei ihm zu den Zlen. 90/04/0030, 0031 anhängigen Beschwerden mit Beschluß vom 19. Juni 1990, Zlen. A91/90, A92/90, gemäß Art139 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag,

a) den am 12. September 1988 vom Landesgremium Oberösterreich des Einzelhandels mit Lebens- und Genußmitteln gefaßten und im Mitteilungsblatt der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Oberösterreich "Kammernachrichten" vom 23. Dezember 1988, Folge 51, Seite 26, kundgemachten Umlagenbeschluß,

b) den am 31. August 1988 vom Landesgremium Oberösterreich des Parfümeriewarenhandels gefaßten und in diesem Mitteilungsblatt vom 23. Dezember 1988, Folge 51, Seite 27, kundgemachten Umlagenbeschluß,

c) den am 14. Juli 1988 von der Landesinnung Oberösterreich der Fleischer gefaßten und in diesem Mitteilungsblatt vom 25. November 1988, Folge 47, Seite 23, kundgemachten Umlagenbeschluß sowie

d) den am 20. September 1988 vom Landesgremium Oberösterreich des Handels mit Büchern, Kunstblättern, Musikalien, Zeitungen und Zeitschriften gefaßten und in diesem Mitteilungsblatt vom 23. Dezember 1988, Folge 51, Seite 26, kundgemachten Umlagenbeschluß als gesetzwidrig aufzuheben.

Die mittels Beschwerden vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheide der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, die Anlaß für den Antrag des Verwaltungsgerichtshofes sind, verpflichten die Beschwerdeführer zur Entrichtung der Grundumlage 1989 und beruhen auf Umlagenbeschlüssen der gemäß §57a Abs3 HKG zu deren Erlassung zuständigen Fachgruppen (Landesgremium Oberösterreich des Einzelhandels mit Lebens- und Genußmitteln, Landesgremium Oberösterreich des Parfümeriewarenhandels, Landesgremium Oberösterreich des Handels mit Büchern, Kunstblättern, Musikalien, Zeitungen und Zeitschriften und Landesinnung Oberösterreich der Fleischer). Der Verwaltungsgerichtshof ist der Meinung, daß die "auf der Rechtsstufe einer Verordnung stehenden Umlagenbeschlüsse nicht dem Gesetz gemäß zustande kamen" und daß sie dem Tatbestand der "Erlassung von einer unzuständigen Behörde" des Art139 Abs3 litb B-VG zu unterstellen seien, weil die Fachgruppen, welche die aus diesem Grund angefochtenen Umlagenbeschlüsse erließen, "nicht dem Gesetz entsprechend errichtet" worden seien.

Wie der Verwaltungsgerichtshof ausführt, beschloß der Vorstand der Handelskammer Oberösterreich in seiner Sitzung vom 7. Mai 1947, "das Präsidium zur Errichtung von Fachgruppen zu ermächtigen, die im Sinne der Fachgruppenordnung notwendig sein werden" (Seite 22 des Protokolls über die 2. Sitzung des Vorstandes der Kammer). Das Präsidium beschloß sodann in seiner Sitzung vom 19. September 1947 die Errichtung unter anderem sämtlicher für den Bereich der Sektion Handel in der Fachgruppenordnung genannten Fachgruppen (Seiten 3, 4 des Protokolls über die 11. Präsidialsitzung).

Nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes fehlte es einerseits dem Vorstand der Handelskammer Oberösterreich kraft des ausdrücklich gesetzten Zuständigkeitsvorbehaltes zugunsten der Vollversammlung in §11 Abs4 lita HKG an der Zuständigkeit, die Errichtung von Fachgruppen zu beschließen; auch fehlte es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes mangels Erfüllung der Erfordernisse des §9 Abs1, zweiter Satz HKG an einer gesetzlichen Grundlage, diese Entscheidung an das Präsidium zu delegieren. Andererseits biete die dem Verwaltungsgerichtshof vorliegende Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft den in §29 Abs3, vorletzter Satz, zweiter Halbsatz HKG als kumulatives Element der Errichtung einer Fachgruppe geforderten Bestätigungsbeschluß gefaßt hätte.

2. Das Landesgremium Oberösterreich des Einzelhandels mit Lebens- und Genußmitteln, das Landesgremium Oberösterreich des Parfümeriewarenhandels, die Landesinnung Oberösterreich der Fleischer und das Landesgremium Oberösterreich des Handels mit Büchern, Kunstblättern, Musikalien, Zeitungen und Zeitschriften beantragen in ihren übereinstimmenden Äußerungen, den Antrag des Verwaltungsgerichtshofes als unbegründet abzuweisen. Der Meinung dieser Fachgruppen zufolge bestimmt "das Handelskammergesetz ... zur Beschlußfassung über die Errichtung von Fachgruppen den Vorstand der Landeskammer", wobei sich "aus §9 Abs1 HKG ergibt ..., daß dem Präsidium bei besonderer Dringlichkeit die Entscheidung gegen nachträgliche Kenntnisnahme durch das zuständige Organ zusteht". Ein Bestätigungsbeschluß der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft sei im Zusammenhang mit der Errichtung von Fachgruppen "im Zeitpunkt der Beschlußfassung durch den Vorstand bzw. das Präsidium der Kammer Oberösterreich ... nicht vorgesehen" gewesen. Erst "die am 16. Oktober 1947 unter BGBl. Nr. 223/1947 kundgemachte Fachgruppenordnung hat in ihrem §2 Abs2 vorgesehen, daß die Errichtung von Fachgruppen der Bestätigung durch die Bundeskammer bedürfe". Diese Bestimmung wurde durch die 4. HKG-Novelle, BGBl. 208/1969, in den §29 Abs3 HKG übernommen. Im Zeitpunkt des Beschlusses des Präsidiums der Kammer Oberösterreich auf Errichtung der Fachgruppen, d.w. der 19. September 1947, war sohin "die Einholung eines Bestätigungsbeschlusses der Bundeskammer durch keine Norm vorgeschrieben".

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Da der Verwaltungsgerichtshof zweifelsohne die zitierten Umlagenbeschlüsse bei seiner Entscheidung über die Beschwerden gegen die Vorschreibung der Grundumlagen anzuwenden hat und diese Umlagenbeschlüsse Verordnungen im Sinne des Art139 Abs1 B-VG bilden (vgl. VfSlg. 5872/1968) und weil auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes zulässig.

2. Er ist jedoch in der Sache nicht begründet.

Die rechtlichen Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes gelten weder den Umlagenbeschlüssen als solchen, deren Aufhebung er beantragt, noch ihrem Zustandekommen, noch der Zuständigkeit der Organe der Fachgruppen (Gremialausschüsse bzw. Landesinnungsausschuß), die die Beschlüsse gefaßt haben.

Die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes gründen vielmehr ausschließlich auf dem - behaupteten - Umstand, daß die Fachgruppen selbst nicht dem Gesetz entsprechend errichtet worden seien.

Gleichgültig ob die Bedenken zutreffen, wird dadurch jedenfalls die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umlagenbeschlüsse, insbesondere auch die Zuständigkeit der Behörden, die diese Umlagenbeschlüsse erlassen haben, nicht berührt. Der Verfassungsgerichtshof verneint in ständiger Judikatur (VfSlg. 9751/1983, 10816/1986, 11394/1987; VfGH 16.6.1989, G15/89) die Möglichkeit der Überprüfung von Gemeindestrukturänderungsgesetzen in Verfahren, welche die Rechtmäßigkeit von Akten betreffen, die von Organen der durch jene Gesetze konstituierten Gemeinden erlassen werden (VfSlg. 9751/1983; VfGH 16.6.1989, G15/89) oder die den Bestand jener Gemeinden vom Sachverhalt her zur Voraussetzung haben (VfSlg. 10816/1986, 11394/1987). Er hat es ausgeschlossen, in jenen Verfahren Bestimmungen, aus denen sich der Bestand und die Grenzen von Gemeinden ergeben, im Sinne des Art140 Abs1 B-VG anzuwenden. Bei Akten, die an den Bestand der Gemeinden als Rechtsträger anknüpfen, ist es nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 11394/1987) nicht notwendig, "hiebei irgendwelche Überlegungen über die rechtlichen Grundlagen der Gemeindestruktur anzustellen, insbesondere nicht, wie und weshalb sich diese so entwickelt hat, wie sie klar und eindeutig für die Landes- und die Gemeindeorgane erkennbar ist". In seinem Beschluß vom 16.6.1989, G15/89, hat er den "Zusammenhang" zwischen der Existenz (und den Grenzen) der Gemeinden und konkreten Verwaltungsverfahren, die von den Gemeindeorganen durchgeführt werden, als "derart weit" bezeichnet, daß die die Gemeinden konstituierenden Rechtsvorschriften offenkundig nicht präjudiziell seien.

Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß der in seiner bisherigen Judikatur lediglich für Gemeinden ausgesprochene Rechtsgedanke auf alle Verwaltungsträger übertragen werden muß, soll nicht eine dem rechtsstaatlichen Prinzip abträgliche Rechtsunsicherheit dadurch eintreten, daß bei jedem, von einem Verwaltungsorgan erlassenen Akt auch die Rechtmäßigkeit der Konstituierung des Verwaltungsträgers, für den das Verwaltungsorgan tätig wird, in Frage gestellt werden kann. Dies muß umsomehr dann gelten, wenn Verwaltungsträger, wie die in Rede stehenden Fachgruppen (Landesgremium Oberösterreich des Einzelhandels mit Lebens- und Genußmitteln, Landesgremium Oberösterreich des Parfümeriewarenhandels, Landesgremium Oberösterreich des Handels mit Büchern, Kunstblättern, Musikalien, Zeitungen und Zeitschriften und Landesinnung Oberösterreich der Fleischer), von deren Bestand die Staatspraxis seit Jahrzehnten unbestritten ausgegangen ist, unter Bedingungen, wie sie in der unmittelbaren Nachkriegszeit bestanden, errichtet werden mußten (vgl. auch VfSlg. 1827/1949). Er hält es daher für unzulässig, die Rechtmäßigkeit von Akten eines Verwaltungsträgers auch im Hinblick darauf zu überprüfen, ob die Errichtung des Verwaltungsträgers selbst seinerzeit in jeder Beziehung rechtmäßig verlaufen ist. Insbesondere wird auch die Zuständigkeit der einen Bescheid oder eine Verordnung erlassenden Verwaltungsbehörde durch eine - behauptete - Rechtswidrigkeit der Vorgänge bei der Errichtung des - ebenfalls an sich zuständigen - Verwaltungsträgers nicht berührt.

Daß die Fachgruppen, also hier das Landesgremium Oberösterreich des Einzelhandels mit Lebens- und Genußmitteln, das Landesgremium Oberösterreich des Parfümeriewarenhandels, das Landesgremium Oberösterreich des Handels mit Büchern, Kunstblättern, Musikalien, Zeitungen und Zeitschriften und die Landesinnung Oberösterreich der Fleischer, deren Ausschüsse die angefochtenen Umlagenbeschlüsse erließen, überhaupt rechtlich existent wurden, ist nicht zweifelhaft und wird vom Verwaltungsgerichtshof auch nicht bestritten; hätte sich doch anders seine Anfechtung der Umlagenbeschlüsse von vornherein erübrigt. Der Rechtsbestand der konkreten Fachgruppen ist schon deshalb nicht zweifelhaft, weil unabhängig von den, diese Fachgruppen konstituierenden Akten der Landeskammer (wie sie im Antrag des Verwaltungsgerichtshofes zutreffend geschildert und oben unter I. 1. wiedergegeben wurden) in der Stammfassung der Handelskammerwahlordnung, BGBl. 11/1950, im Anhang ausdrücklich von der Existenz der betreffenden Fachgruppen (wenn auch unter den Bezeichnungen "Kleinhandel mit Lebens- und Genußmitteln", "Handel mit Parfümerien, Wasch- und Haushaltsartikeln", "Handel mit Büchern, Musikalien, Zeitungen und Zeitschriften" und "Fleischhauer und Fleischselcher") ausgegangen wird. Darüber hinaus wurde auch durch die Gewerberechtsnovelle 1952, BGBl. 179, bewirkt, daß an die Stelle der in der Gewerbeordnung 1859 und im Kundmachungspatent zur Gewerbeordnung 1859 genannten öffentlich-rechtlichen Einrichtungen "die nunmehr bestehenden (- sohin als vordem zum Gutteil bereits als bestehend vorausgesetzten (Einfügung vom Verfassungsgerichtshof) -) öffentlich-rechtlichen Körperschaften zu treten" haben (ArtXXXIV). Darunter waren, wie sich auch aus VfSlg. 2500/1953, Seite 137, ergibt, die "bestehenden" Fachgruppen im Sinne des Handelskammergesetzes, BGBl. 182/1946, zu verstehen. Auch die Organe dieser Fachgruppen wurden mehrfach in demokratischen Wahlen bestellt, ohne daß einer dieser Wahlvorgänge mit der Behauptung angefochten worden wäre, die betreffenden Fachgruppen seien rechtswidrig errichtet worden (vgl. zur streitabschneidenden Wirkung der Nichtanfechtung von Wahlen grundsätzlich VfSlg. 7607/1975, Seite 601).

Im übrigen scheint es dem Verfassungsgerichtshof nicht unwesentlich, darauf hinzuweisen, daß die im Antrag des Verwaltungsgerichtshofes geforderte Vorgangsweise bei der Errichtung von Fachgruppen - vorerst - in der Stammfassung der Fachgruppenordnung, BGBl. 223/1947, die erst nach dem 16. Oktober 1947 in Kraft trat, und sodann in der 4. Handelskammergesetz-Novelle 1969, BGBl. 208, in welcher der vom Verwaltungsgerichtshof wiedergegebene Rechtszustand hergestellt wurde, geregelt wurde. Die Errichtung von Fachgruppen vor Erlassung der genannten Normen stützte sich sohin - wie im vorliegenden Fall - ausschließlich auf das Handelskammergesetz, BGBl. 182/1946, das diesbezüglich weder eine besondere Zuständigkeitsvorschrift enthielt noch ein besonderes Verfahren anordnete.

Der Verfassungsgerichtshof teilt sohin die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der von diesem angefochtenen Umlagenbeschlüsse nicht.

Der Antrag war sohin abzuweisen.

3. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nicht-öffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

Handelskammern, VfGH / Prüfungsmaßstab, Verordnungserlassung, Nichtigkeit absolute, Behördenzuständigkeit, Verwaltungsorgan, Rechtsstaatsprinzip, Verwaltungsträger Konstituierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:V220.1990

Dokumentnummer

JFT_10088990_90V00220_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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