TE Vwgh Erkenntnis 1994/3/24 92/18/0108

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Veröffentlicht am 24.03.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AAV §85 Abs3;
AAV §86 Abs1;
AAV §86 Abs3;
AAV §86 Abs4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des M in H, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 19. Februar 1992, Zl. VII/2a-V-1008/83/84-92, betreffend Bestrafung wegen Übertretungen der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 19. Februar 1992 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe es als zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer näher genannten Gesellschaft m.b.H. zu verantworten, daß in zwei bestimmt bezeichneten Filialen dieses Unternehmens in Niederösterreich am 29. November bzw. am 3. Dezember 1990 die Sitzzelle der Abortanlage in unmittelbarer Verbindung mit den Umkleideräumen für die Arbeitnehmer gestanden sei und die Garderobekasten im Vorraum der Sitzzelle aufgestellt gewesen seien, obwohl Abortanlagen nicht mit Arbeitsräumen sowie mit Räumen zum Aufenthalt während der Arbeitspausen und mit Umkleideräumen in unmittelbarer Verbindung stehen dürften. Über den Beschwerdeführer wurden deshalb wegen zwei Übertretungen des § 85 Abs. 3 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) gemäß § 31 Abs. 2 lit. p Arbeitnehmerschutzgesetz Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.

In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe sich damit verantwortet, daß Umkleideräume in den Filialen nicht vorhanden seien und die Aufstellung von Garderobekasten im Vorraum des WC"s nicht rechtswidrig sei. Diese Verantwortung könne den Beschwerdeführer nicht entlasten, weil § 85 Abs. 3 AAV bestimme, wie der Vorraum einer Abortanlage beschaffen sein müsse. Es sei ausdrücklich verboten, diese Räume zum Zwecke des Aufenthaltes oder als Umkleideräume zu verwenden. Die Aufstellung von Garderobekasten in diesem Raum bedinge aber, daß sich die Arbeitnehmer zum Zweck des Umkleidens dort aufhalten müßten. Aus dem Umstand, daß der Beschwerdeführer nicht verpflichtet gewesen sei, eigene Umkleideräume einzurichten, sei keineswegs abzuleiten, daß das Aufstellen von Garderobekasten im Vorraum der Abortanlage erlaubt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 85 Abs. 3 AAV müssen Abortanlagen ausreichend beleucht- und lüftbar eingerichtet sein und dürfen mit Arbeitsräumen sowie mit Räumen zum Aufenthalt während der Arbeitspausen und Umkleideräumen nicht unmittelbar in Verbindung stehen; sie müssen von diesen durch direkt ins Freie entlüftbare oder mechanisch entlüftbare Vorräume getrennt sein. In Vorräumen von Abortzellen muß eine Waschgelegenheit vorhanden sein, sofern sich eine solche nicht in unmittelbarer Nähe der Abortanlage befindet.

Gemäß § 86 Abs. 1 AAV ist jedem Arbeitnehmer zur Aufbewahrung und zur Sicherung gegen Wegnahme seiner Straßen-, Arbeits- und Schutzkleidung ein ausreichend großer, luftiger und versperrbarer Kasten zur Verfügung zu stellen, in dem die Kleidung gegen Einwirkungen, wie Nässe, Staub, Rauch, Dämpfe oder Gerüche, geschützt ist.

Zufolge § 86 Abs. 3 AAV müssen Kasten nach Möglichkeit in besonderen Umkleideräumen aufgestellt sein. In Betrieben, in denen die Straßen- oder Arbeitskleidung in den Arbeitsräumen Einwirkungen nach Abs. 1 oder einer Verschmutzung erfahrungsgemäß nicht ausgesetzt ist, wie in Banken, Versicherungsanstalten, anderen Verwaltungsstellen oder sonstigen Bürobetrieben, können diese Kasten auch in Büroräumen aufgestellt werden.

Gemäß § 86 Abs. 4 AAV muß Vorsorge getroffen sein, daß die Arbeitnehmer nach Geschlecht getrennt Gelegenheit zum Umkleiden haben. In Betrieben, in denen regelmäßig mehr als zwölf Arbeitnehmer beschäftigt werden, und in den Fällen des § 84 Abs. 5 erster Satz müssen Umkleideräume vorhanden sein. Für Männer und Frauen sind getrennte Umkleideräume (Abteile) zur Verfügung zu stellen, sofern mindestens fünf Arbeitnehmer dem anderen Geschlecht angehören als die übrigen Arbeitnehmer.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit Recht gegen die Auffassung der belangten Behörde, bei den Vorräumen der Abortzellen habe es sich um Umkleideräume gehandelt. Der Beschwerdeführer hat das Vorhandensein von Umkleideräumen bestritten. Die belangte Behörde hat hingegen einen Verstoß gegen § 85 Abs. 3 AAV deshalb angenommen, weil die Aufstellung von Garderobekasten in diesen Räumen bedinge, daß sich die Arbeitnehmer zum Zwecke des Umkleidens dort aufhalten müßten. Dieser Schluß ist insbesondere im Hinblick auf die Systematik der AAV nicht zwingend. § 86 Abs. 1 AAV bestimmt nämlich, daß für jeden Arbeitnehmer ein dieser Vorschrift entsprechender Kasten zur Verfügung zu stellen ist, wobei § 86 Abs. 3 AAV vorschreibt, daß die Kasten NACH MÖGLICHKEIT in besonderen Umkleideräumen aufgestellt sein müssen. § 86 Abs. 4 AAV ordnet schließlich an, ab welcher Betriebsgröße Umkleideräume vorhanden sein müssen. Die Verordnung kennt somit Betriebe, in denen für die Arbeitnehmer Kasten, nicht aber Umkleideräume vorhanden sind, das heißt, daß nicht jeder Raum, in dem sich ein Kasten im Sinne des § 86 Abs. 1 AAV befindet, damit bereits zum Umkleideraum wird.

Die belangte Behörde, die ausschließlich wegen des Vorhandenseins der Garderobekasten angenommen hat, daß es sich bei den Vorräumen der Abortzellen um Umkleideräume gehandelt habe, hat somit die Rechtslage verkannt.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1992180108.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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