TE Vwgh Erkenntnis 1994/8/18 94/16/0013

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Veröffentlicht am 18.08.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
19/05 Menschenrechte;
22/02 Zivilprozessordnung;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §11;
BAO §116 Abs1;
FinStrG §53;
MRK Art6 Abs1;
VwRallg;
ZPO §268;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Fellner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peternell, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 30. April 1993, Zl. GA 14-2/Sch-195/1/93, betreffend Haftung gemäß § 11 BAO für eine Zollschuld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 24. September 1987, GZ 12a Vr 870/87, Hv 16/87-113, wegen des Verbrechens gemäß §§ 12 StGB und 12 SGG sowie wegen des Vergehens des Schmuggels gemäß §§ 11, 35 Abs. 1 FinStrG schuldig gesprochen. Der Spruch des (nach Zurückweisung einer vom Beschwerdeführer erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde durch den OGH mit Urteil des OLG Wien vom 3. März 1988, Zl. 26 Bl 47/88 bestätigten) Urteiles lautet auszugsweise:

"F ist schuldig, er hat in Wien ...

II

dadurch dazu beigetragen, daß die genannten Personen eingangsabgabenpflichtige Waren, nämlich 129,16 kg Cannabisharz zu einem zollrechtlichen Verkürzungsbetrag von S 2,265.067,30 unter Verletzung einer zollrechtlichen Stellungs- oder Erklärungspflicht dem Zollverfahren entzogen."

Daraufhin zog das Zollamt Wien den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 13. Mai 1992 unter Bezugnahme auf die strafgerichtliche Verurteilung gemäß § 11 BAO zur Haftung heran, und zwar (wie aus dem dem Bescheid angeschlossenen Berechnungsblatt näher ersichtlich ist) für einen Gesamtbetrag von S 2,650.673,--.

Dagegen berief der Beschwerdeführer unter anderem mit der Begründung, der Haftungsbetrag sei unrichtig berechnet.

Gegen die abweisliche Berufungsvorentscheidung des Zollamtes Wien (worin die Berechnung des Haftungsbetrages näher dargelegt wurde) beantragte der Beschwerdeführer fristgerecht die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Die belangte Behörde wies die Berufung als unbegründet ab und vertrat nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens die Auffassung, daß im Urteil des Strafgerichtes hinsichtlich des Verkürzungsbetrages ein offenbarer Schreib- bzw. Rechenfehler vorliege; richtigerweise habe der Beschwerdeführer für einen Betrag von S 2,650.673,-- zu haften, dessen Berechnung die belangte Behörde in der Folge näher darlegte. Für Schreib- und Rechenfehler bestünde keine Bindungswirkung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten verletzt "nur für die Haftung hinsichtlich solcher Steuer-, Zoll- und Abgabenbeträge herangezogen zu werden, die in einem ordentlichen Verwaltungsverfahren, bei dem mir sowohl das Parteiengehör gewährt wurde, als auch meine Beweisanträge berücksichtigt wurden, festgestellt wurde, nur für gesetzmäßig berechnete Einfuhrumsatzsteuer zu haften, nur entsprechend der tatsächlichen Beteiligung an einer Straftat für daraus entspringende Abgabenschulden zur Haftung herangezogen zu werden."

Der Bundesminister für Finanzen legte die Verwaltungsakten und die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift vor, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 11 BAO haften bei vorsätzlichen Finanzvergehen rechtskräfig verurteilte Täter und andere an der Tat Beteiligte, wenn sie nicht selbst abgabepflichtig sind, für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden.

Nach ständiger hg. Judikatur (die auch nach der Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof weiterhin aufrechterhalten wird, vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1992, Zl. 91/16/0132) entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, auf denen sein Spruch beruht, wozu jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen zusammensetzt. Ein vom bindenden Strafurteil abweichendes Abgabenverfahren würde zu Lasten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Durchbrechung der materiellen Rechtskraft und einer unzulässigen Kontrolle der Organe der Rechtsprechung durch die Verwaltung gleichkommen (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 26. Mai 1993, Zl. 90/13/0155;

9. Dezember 1992, Zl. 90/13/0281; 22. November 1984, Zlen. 84/16/0179, 0180, Slg. N.F. 5935/F, und vom 27. Oktober 1983, Zl. 83/16/0104, Slg. N.F. 5823/F, u.v.a.);

die Bindungswirkung erstreckt sich auf die vom Gericht festgestellten und durch den Spruch gedeckten Tatsachen (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 7. Mai 1990, Zl. 88/15/0044), wobei die Bindung selbst dann besteht, wenn die maßgebliche Entscheidung rechtswidrig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. März 1963, Zl. 380/62).

Nur dann, wenn (anders als im Beschwerdefall) der Betrag der hinterzogenen Abgaben der Höhe nach im Strafurteil nicht durch den Spruch bestimmt sondern lediglich in den Entscheidungsgründen genannt ist, besteht daran keine Bindung (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 1986, Zl. 86/16/0155, Slg. N.F. 6157/F, u.a.).

Im vorliegenden Fall aber war die belangte Behörde an den im Spruch des Strafurteiles ausdrücklich genannten Verkürzungsbetrag von S 2,265.067,30 ungeachtet des Umstandes gebunden, daß diesem Betrag allenfalls ein sogenannter Schreib- oder Rechenfehler zugrunde liegt, und zwar solange keine (allenfalls mögliche) Berichtigung des Strafurteiles gemäß § 270 Abs. 4 StPO erfolgt, wobei zur Problematik, inwieweit und wie lange gerichtliche Strafurteile überhaupt einer Berichtigung zugänglich sind, auf die Ausführungen bei Foregger-Kodek, MKK StPO5, Anm. IX zu § 270 StPO sowie auf die Entscheidungen des OGH SSt. 47/50; JUS Extra 1989/St 248 und ÖJZ-LSK 1987/17 verwiesen wird.

Indem die belangte Behörde ungeachtet des Umstandes, daß der Spruch des rechtskräftigen Strafurteiles dem Beschwerdeführer einen Verkürzungsbetrag von nur S 2,265.067,30 anlastet, davon zu Lasten des Beschwerdeführers abwich, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu seiner Aufhebung führen muß. Ein Eingehen auf die übrigen Beschwerdeargumente war daher entbehrlich.

Mit Rücksicht auf die durch die oben zitierte hg. Rechtsprechung klargstellte Rechtslage konnte die Entscheidung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994160013.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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