TE Vfgh Erkenntnis 1993/3/18 B930/92, B1620/92, B1751/92, B1820/92

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Veröffentlicht am 18.03.1993
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Index

96 Straßenbau
96/01 Bundesstraßengesetz 1971

Norm

StGG Art5
BStG 1971 §3
BStG 1971 §17
BStG 1971 §7a

Leitsatz

Denkunmögliche Anwendung der Enteignungsvorschriften des BStG 1971 durch Enteignung von Grundstücken für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen im Zuge des Ausbaues der B 146 Ennstal Straße; Denkunmöglichkeit der Verwirklichung naturschutzrechtlicher Auflagen auf der Grundlage bundesstraßenrechtlicher Enteignungsregelungen

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführerin zu B930/92, E C, ist durch den Spruchteil 2. des angefochtenen Bescheides im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

2. Der Beschwerdeführer zu B1620/92, A R, ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums insoweit verletzt worden, als dadurch 9 930 m2 des Grundstücks 1202/3, EZ 36, KG Wörschach, für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen enteignet wurden.

3. Die Beschwerdeführer zu B1751/92, P und J S, sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums insoweit verletzt worden, als dadurch 35 288 m2 der Grundstücke 1819/1, 1821, 404, KG Ketten, 1206/3, 1207/1, 1207/3, 1209 und 1208, KG Wörschach, für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen enteignet wurden.

4. Die Beschwerdeführer zu B1820/92, J und J K, sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums insoweit verletzt worden, als dadurch 10 765 m2 des Grundstücks 1299, EZ 289, KG Wörschach, für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen enteignet wurden.

Insoweit werden die angefochtenen Bescheide aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit jeweils S 15.000,- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

II. Im übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt. Die Beschwerden werden insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführer sind Eigentümer von Grundstücken, die vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten als der kraft Devolution gemäß §73 AVG zuständigen Behörde gemäß den §§17 bis 20 des Bundesstraßengesetzes 1971 (BStG 1971) für den Ausbau der B 146 Ennstal Straße sowie für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen enteignet wurden.

Der zu B930/92 angefochtene Bescheid lautet demgemäß in seinem Spruchteil 2.:

"Dem vom Vertreter der Republik Österreich - BStV gestellten Antrag auf Ausdehnung der Enteignung auf die zwischen der verordneten Trasse und der Enns gelegenen Grundflächen und zwar Gst.-Nr. 637/24, EZ 117, KG Stainach, 1.130 m2 und Gst.-Nr. 673/18, 1290 m2, KG Aigen, (jeweils Restflächen), wird insoweit stattgegeben, als diese Grundeinlösen für die Erfüllung der von der Naturschutzbehörde beim Amt der stmk. Landesregierung, mit Bescheid vom 18.2.1988, Zl. 6-375/IV Bu 92/53-1988, vorgeschriebenen Auflagen erforderlich sind."

Auch in den zu B1620/92 und B1751/92 angefochtenen Enteignungsbescheiden ergibt sich der genaue Umfang der für "landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen" enteigneten Grundstücksteile aus dem Wortlaut des jeweiligen Bescheidspruchs, bei dem zu B1820/92 angefochtenen Enteignungsbescheid aus dessen Spruch in Zusammenhalt mit dem beiliegenden Grundeinlösungsplan sowie dem "Grundstücksverzeichnis für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen" des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung vom 21. September 1990.

In ihren gegen die Enteignungsbescheide gerichteten Beschwerden gemäß Art144 B-VG machen die Beschwerdeführer die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, Unverletzlichkeit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz sowie - vereinzelt (B930/92) - die Verletzung von Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung (BGBl. 599/1990) sowie wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§4 Abs1 BStG 1971) geltend.

2. Die Beschwerdeführer begründen die behaupteten Rechtsverletzungen im wesentlichen wie folgt:

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sei insbesondere deswegen verletzt, da die "gesetzlichen Voraussetzungen der Devolution im Sinn des §73 Abs2 AVG" nicht vorlägen: Der Enteignungsantrag des Landeshauptmannes von Steiermark (Bundesstraßenverwaltung) sei durch den Landeshauptmann von Steiermark (Bundesstraßenbehörde) unerledigt geblieben. Der Landeshauptmann von Steiermark beantragte daraufhin gemäß §73 Abs2 AVG wegen der ausschließlich im Verschulden der Behörde erster Instanz gelegenen Säumigkeit die Übertragung der Zuständigkeit für die weitere Durchführung des Verfahrens an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, der diese Zuständigkeit als Devolutionsbehörde wahrnahm.

Mit dieser Vorgangsweise werde nach dem Vorbringen der Beschwerdeführer der "Regelungszweck des §73 Abs2 AVG" verkannt, da diese Bestimmung der von einer Säumigkeit der zuständigen Behörde unschuldig betroffenen Partei einen Rechtsbehelf verschaffen solle, nicht aber "einem - wenn auch im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung tätigen - monokratischen Organ (LHvStmk) wegen Säumigkeit der ihm unterstellten weisungsgebundenen Organwalter". Ebenso sei der Enteignungsantrag erst in der mündlichen Verhandlung (auf die für die landschaftspflegerischen Begleitmaßnahmen benötigten Grundstücksteile) ausgedehnt worden. Insoweit fehle es an der Säumigkeit der Behörde erster Instanz und an einem Devolutionsantrag, somit an der Zuständigkeit des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten.

Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums erachten sich die Beschwerdeführer dadurch verletzt, daß im Spruch der angefochtenen Bescheide nicht erkennbar sei, welche konkreten Flächen von der Enteignung betroffen seien.

    Neben dieser Unbestimmtheit habe auch die Enteignung für Zwecke

einer landschaftspflegerischen Begleitplanung keine gesetzliche

Grundlage. "§17 BStG rechtfertigt die Enteignung für die

Herstellung, Erhaltung und Umgestaltung von Bundesstraßen samt den

zugehörigen baulichen Anlagen. Die für landschaftspflegerische

Begleitmaßnahmen beanspruchten Flächen sind gemäß §3 BStG nicht

Bestandteil der Bundesstraße. Insbesondere kann die

landschaftspflegerische Begleitplanung ... nicht als 'Anlage zum

Schutz der Nachbarn' im Sinn des §3 BStG qualifiziert werden." Es

beruht nach Ansicht der Beschwerdeführer "auf einer Verkennung der

Rechtslage, den bundesgesetzlich festgelegten Enteignungszweck im

Wege einer extensiven Gesetzesinterpretation ... so zu erweitern,

daß der Enteignungswerber jedenfalls in die Lage versetzt wird, diversen bescheidmäßigen Auflagen, die im Landesrecht begründet sind, entsprechen zu können".

Die Verwirklichung des der Enteignung zugrundeliegenden Projekts, der Umlegung der Trasse der B 146 Ennstal Straße, liegt nach Ansicht der Beschwerdeführer auch nicht im öffentlichen Interesse. Die Trasse sei hinsichtlich der Verkehrssicherheit, des Nachbarschutzes, der Umweltverträglichkeit und der Wirtschaftlichkeit weder zweckmäßig noch den Bestimmungen der §§4 und 7 BStG 1971 entsprechend.

Die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit vor dem Gesetz begründen die Beschwerdeführer mit der Verletzung verfahrensrechtlicher Bestimmungen im Zuge der Auflegung der Verzeichnisse und Grundeinlösungspläne, der mündlichen Verhandlung, der Ausdehnung des Enteignungsantrages in der mündlichen Verhandlung ohne vorangehende Kundmachung und ohne entsprechenden Hinweis in der Ladung sowie mit der Verletzung des Parteiengehörs im Zuge der mündlichen Verhandlung. Die angefochtenen Bescheide seien daher wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage und gehäufter Verfahrensmängel willkürlich und damit verfassungswidrig.

Die Verletzung von Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung begründet die Beschwerdeführerin zu B930/92 damit, daß die Trassenverordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 7. September 1990, BGBl. 599/1990, gesetzwidrig sei, "weil sie den Planungszielen des §4 Abs1 BStG zuwiderläuft, insbesondere den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, der Umweltverträglichkeit, der Verkehrssicherheit und des Schutzes der Nachbarn vor Beeinträchtigungen". Überdies sei die der genannten Trassenverordnung zugrundeliegende Bestimmung des §4 Abs1 BStG 1971 verfassungswidrig, da sie zum Teil nicht ausreichend bestimmt ist, um dem Legalitätsprinzip zu entsprechen, und auf die Verwirklichung einander kontradiktorisch gegenüberstehender Planungsziele abstellt.

3. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten als belangte Behörde sowie der Bund/Bundesstraßenverwaltung als beteiligte Partei beantragen in ihren - im wesentlichen gleichlautenden - Gegenschriften die Abweisung der Beschwerden.

Zur behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird ausgeführt, daß §73 AVG auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden sei.

Zur Ausdehnung des Enteignungsantrags anläßlich der Enteignungsverhandlung wird festgestellt, daß §19 BStG 1971 das Verbot einer solchen Ausdehnung bzw. die Bindung an eine bestimmte Frist (vor Schluß der Verhandlung) nicht zu entnehmen sei, im übrigen aber bereits dem ursprünglichen Enteignungsantrag nicht nur ein Grundstücksverzeichnis für die Straßenanlage, sondern auch ein Grundstücksverzeichnis für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen sowie zwei entsprechende Grundeinlösungspläne beigelegt waren.

Zur gesetzlichen Grundlage der Enteignung zu Zwecken von landschaftspflegerischen Begleitmaßnahmen wird unter Hinweis auf den gesetzlichen Auftrag des Straßenbaues (VwGH 11.10.1990, Z90/06/0091) und die Bindung an die Verordnung über die Festlegung der Trasse der B 146 Ennstal Straße ausgeführt, daß auch die Enteignung für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen für die Herstellung der neuen Straße im Sinne des §17 BStG 1971 notwendig war. Die Aufzählung der Bestandteile der Bundesstraße in §3 BStG 1971 sei nur eine demonstrative und keine taxative. Darüber hinaus handle es sich bei Begleitmaßnahmen auch um Anlagen zum Schutze der Nachbarn im Sinne des §3 BStG 1971, für die - als Bestandteile der Bundesstraße - ein Enteignungsrecht gemäß §17 BStG 1971 bestehe.

Der Straßenbau liege im öffentlichen Interesse, die Gesetzmäßigkeit der diesem Bauvorhaben zugrundeliegenden Trassenverordnung, BGBl. 599/1990, habe der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 3. Oktober 1992, V62/91 ua., bestätigt.

Die behaupteten Verfahrensmängel bzw. ein gehäuftes Verkennen der Rechtslage durch die Enteignungsbehörde liegen nach Ansicht des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten sowie des Bundes/Bundesstraßenverwaltung (Landeshauptmann von Steiermark) nicht vor. Den Beschwerdeführern sei im Zuge des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens sehr wohl die Gelegenheit geboten worden, zum Verfahrensgegenstand Stellung zu nehmen. Das Recht auf Parteiengehör sei jedenfalls nicht verletzt worden.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1. Die angefochtenen Bescheide greifen in das Eigentumsrecht der Beschwerdeführer ein. Diese Eingriffe wären nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 8776/1980, 9137/1981, 10356/1985, 10482/1985) dann verfassungswidrig, wenn die die Enteignungen verfügenden Bescheide ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wären oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhten oder wenn die Behörde bei Erlassung der Bescheide eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

Auf einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung beruht eine Enteignung insbesondere dann, wenn ein - an sich verfassungsrechtlich unbedenkliches - Enteignungsgesetz entgegen den verfassungsrechtlichen, aus Art5 StGG und Art1 Satz 1 I. ZPEMRK abzuleitenden Anforderungen des Eigentumsschutzes ausgelegt wird.

Der Bestimmung des Art5 StGG hat der Verfassungsgerichtshof beginnend mit seinem Erkenntnis VfSlg. 1123/1928 stets entnommen, daß der Gesetzgeber festzulegen hat, "in welchen Fällen die Enteignung zulässig ist". In VfSlg. 3230/1957 hat der Verfassungsgerichtshof den zweiten Satz des Art5 StGG dahin verstanden, daß es Sinn des Gesetzesvorbehaltes ist, "daß der Gesetzgeber durch das Gesetz selbst die Enteignungsfälle bestimmt, um eine Gebundenheit der Verwaltung zu erzeugen". In Art5 StGG ist sohin das verfassungsrechtliche Gebot verankert, "daß der Gesetzgeber die Spezialfälle einer Enteignung ('nur in den Fällen')" regelt.

Aus kompetenzrechtlichen Gründen, nämlich im Hinblick auf Art10 Abs1 Z6 B-VG, hat der Verfassungsgerichtshof ferner (vgl. insbesondere VfSlg. 3666/1959) die Auffassung vertreten, daß eine Enteignung nur im Zusammenhang mit einer bestimmten Angelegenheit im Sinne der Kompetenzartikel des B-VG normiert werden kann. "Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß weder der Bundes- noch der Landesgesetzgeber durch das B-VG eine Zuständigkeit eingeräumt erhalten hat, die es ermöglichen würde, eine Enteignung einzurichten, ohne dabei den Zweck der Enteignung soweit vorzuschreiben, daß dadurch die betreffenden 'Angelegenheiten' bezeichnet sind."

Diesen Grundgedanken folgend hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur (vgl. VfSlg. 5677/1968, 6227/1970, 6951/1972, 9137/1981, 9763/1983) zum BStG 1971 und seinen Vorgängervorschriften ausgeführt, daß die darin enthaltenen Enteignungsvorschriften denkunmöglich angewendet werden, wenn damit andere Zwecke als "die Herstellung, Erhaltung und Umgestaltung von Bundesstraßen" nach §17 BStG 1971 verfolgt werden. Insbesondere bedeutet es eine denkunmögliche Anwendung der Enteignungsbestimmungen des BStG 1971, wenn diese von der Bundesstraßenbehörde als Enteignungsbehörde für Angelegenheiten in Anspruch genommen werden, deren gesetzliche Regelung und Vollziehung verfassungsrechtlich den Ländern obliegt (vgl. auch VwSlg. 8518A/1973 sowie VwGH 27.1.1976, Z1672/73).

2. Als Bestandteile einer Bundesstraße, für deren Herstellung, Erhaltung und Umgestaltung gemäß §17 BStG 1971 die erforderlichen Grundstücke enteignet werden dürfen, gelten gemäß §3 BStG 1971 "neben den unmittelbar dem Verkehr dienenden Flächen, wie Fahrbahnen, Gehsteige, Rad- und Gehwege, Parkflächen, Haltestellenbuchten, der Grenzabfertigung dienende Verkehrsflächen, auch bauliche Anlagen im Zuge einer Bundesstraße, wie Tunnels, Brücken, Durchlässe, Stütz- und Futtermauern, Straßenböschungen, Straßengräben, ferner im Zuge einer Bundesstraße gelegene Anlagen zum Schutz der Nachbarn vor Beeinträchtigungen durch den Verkehr auf der Bundesstraße, insbesondere gegen Lärmeinwirkung, und schließlich im Zuge einer Bundesstraße gelegene, der Erhaltung und der Beaufsichtigung der Bundesstraßen dienende bebaute und unbebaute Grundstücke". §17 letzter Satz BStG 1971 sieht ferner die Enteignung von Grundstücken "für die Anlage von Ablagerungsplätzen, Zufahrten, Straßenwärterhäusern, Bauhöfen und anderen Baulichkeiten" sowie der "zur Aufrechterhaltung der Verkehrsbeziehungen erforderlichen Grundstücke" vor.

Gleichgültig ob man der Aufzählung der Bestandteile einer Bundesstraße in §3 BStG 1971 eine lediglich demonstrative oder eine taxative Bedeutung zumißt, ist für die Zulässigkeit einer Enteignung nach §17 BStG 1971 schon aus der oben dargelegten verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer entsprechenden tatbestandlichen Spezialisierung der Enteignungszwecke durch den einfachen Gesetzgeber jedenfalls davon auszugehen, daß die Bestandteile einer Bundesstraße und die damit in Zusammenhang stehenden Anlagen, für die enteignet werden darf, in den §§3 und 17 BStG 1971 vom Gesetzgeber abschließend geregelt wurden.

Maßnahmen, die aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes raumbeanspruchend gesetzt werden, also Bepflanzungen u.ä., wie sie im naturschutzrechtlichen Bewilligungsbescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 18. Februar 1988 in Gestalt von "Auflagen" angeführt wurden und dann weiter im Rahmen einer landschaftspflegerischen Begleitplanung im Zuge des Ausbaus der B 146 Ennstal Straße, Abschnitt Stainach-Liezen, ausgearbeitet wurden, fallen weder unter die Aufzählung der Bestandteile einer Bundesstraße gemäß §3 BStG 1971 noch dürfen sie im Wege der Enteignung gemäß §17 in Verbindung mit §3 BStG 1971 durchgesetzt werden. Es ist schlechthin denkunmöglich, auf der Grundlage der für den Bau von Bundesstraßen (einschließlich ihrer in §3 BStG 1971 umschriebenen "Bestandteile") vorgesehenen Enteignungsbestimmung des §17 BStG 1971 über die für den Bau der verordneten Trasse erforderlichen Grundstücke hinaus weitere Grundstücke in deren Umgebung im Wege der Enteignung für sogenannte "landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen" in Anspruch zu nehmen.

Die landschaftspflegerischen Begleitmaßnahmen können - jedenfalls in ihrer Gesamtheit - auch nicht als "Anlagen zum Schutz der Nachbarn vor Beeinträchtigungen durch den Verkehr auf der Bundesstraße" gemäß §3 BStG 1971 verstanden werden, geht doch das Anliegen des Natur- und Landschaftsschutzes über den bloßen Schutz der Nachbarn vor Beeinträchtigungen weit hinaus. Selbst wenn jedoch die landschaftspflegerischen Begleitmaßnahmen, die im Wege der Enteignung durch die angefochtenen Bescheide verwirklicht werden sollen, ausschließlich dem Schutz der Nachbarn vor Beeinträchtigungen durch den Verkehr auf der Bundesstraße im Sinne des §3 BStG 1971 zu dienen bestimmt wären, überschreiten die zu diesem Zweck verfügten Enteignungen eindeutig den Flächenbedarf, der für die "im Zuge einer Bundesstraße gelegenen Anlagen" (wie entsprechende Lärmschutzwände u.dgl.) zu diesem Zweck nach dem Gesetz erforderlich ist. Die Baumaßnahmen zum Schutz der Nachbarn sind nämlich, wie die Bestimmung des §7 a Abs5 BStG 1971 erweist, primär an der Bundesstraße selbst zu setzen, sekundär sind zu diesem Zweck "auf fremden Grundstücken mit Zustimmung des Eigentümers geeignete Maßnahmen" gemäß §7 a Abs2 BStG 1971 zu ergreifen, und letztlich ist die Einlösung von Nachbargrundstücken "mit Zustimmung des Eigentümers" gemäß §7 a Abs3 BStG 1971 unter bestimmten - engen - Voraussetzungen vorgesehen. Insoweit kennt der Gesetzgeber für Maßnahmen zum Schutz der Nachbarn vor Beeinträchtigungen durch Bundesstraßen gemäß den Abs2, 3 und 5 des §7 a BStG 1971 aber von vornherein keine Enteignungsmöglichkeit.

Denkunmöglich ist es aber auch, naturschutzrechtliche Auflagen auf der Grundlage bundesstraßenrechtlicher Enteignungsregelungen zu verwirklichen. Wie der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 2574/1953, 4076/1961, 4237/1962, 8195/1977) entnommen werden kann, verbleibt der Naturschutz einschließlich des Landschaftsschutzes gemäß Art15 Abs1 B-VG im selbständigen Wirkungsbereich der Länder, während sich eine Enteignung für Zwecke einer Bundesstraße auf die dem Bund diesbezüglich durch Art10 Abs1 Z6 und 9 B-VG zugewiesene Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenz stützt. Da es sich bei den im Zuge der landschaftspflegerischen Begleitplanung erwogenen Maßnahmen um Vorhaben handelt, die der Erfüllung natur- und landschaftsschutzrechtlicher Auflagen dienen, ohne den Bau der Bundesstraße als solchen zu betreffen, bietet §17 BStG 1971 in verfassungskonformer Auslegung keine Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme von Grundstücken durch Enteignung zum Zwecke der Verwirklichung jener Maßnahmen.

Daraus folgt, daß durch die im Wege der angefochtenen Bescheide verfügten Enteignungen das BStG 1971 insoweit in denkunmöglicher Weise angewendet wurde, als durch diese Enteignungen jeweils Grundstücke oder Grundstücksteile für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen in Anspruch genommen wurden. Der in diesen Enteignungen liegende Eingriff in das Eigentum der Beschwerdeführer leidet an einem rechtlichen Mangel, der ihn einem gesetzlosen Eingriff gleichstellt (vgl. auch VfSlg. 9137/1981). In diesem Umfang waren die angefochtenen Bescheide sohin wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums aufzuheben.

3. Angesichts dieses Verfahrensergebnisses kann es dahingestellt bleiben, inwieweit die Beschwerdeführer auch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG dadurch verletzt wurden, daß die für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen benötigten Grundstücksteile zwar bereits im Enteignungsantrag vom 31. Oktober 1990, der beim Landeshauptmann von Steiermark als Bundesstraßenbehörde I. Instanz eingebracht wurde, in Gestalt eines Grundstücksverzeichnisses und eines Grundeinlösungsplanes aufgelistet waren, gleichwohl diesbezügliche Anträge erst mündlich in den vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten durchgeführten Verhandlungen gestellt wurden.

III. Soweit mit den angefochtenen Bescheiden die Enteignung von Grundstücken und Grundstücksteilen für den Ausbau der B 146 Ennstal Straße verfügt wurde, lehnt der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der dagegen gerichteten Beschwerden ab.

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit nämlich ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Hinsichtlich der Enteignungen von Grundstücken und Grundstücksteilen für den Ausbau der B 146 Ennstal Straße wären die von den Beschwerdeführern behaupteten Rechtsverletzungen zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes, insbesondere verfahrensrechtlicher Vorschriften. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerden aber verfassungsrechtliche Fragen sowie die Frage der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 7. September 1990, BGBl. 599, betreffen, lassen ihre Vorbringen vor dem Hintergrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1992, V62/91 ua., die behaupteten Rechtsverletzungen, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben. Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerden in den restlichen, von der Aufhebung gemäß dem I. Teil des Spruches dieses Erkenntnisses nicht betroffenen Teilen abzusehen und die Beschwerden gemäß Art144 Abs3 B-VG insoweit dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 VerfGG).

IV. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von jeweils S 2.500,- enthalten.

Schlagworte

Straßenverwaltung, Enteignung, Naturschutz, Landschaftsschutz, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B930.1992

Dokumentnummer

JFT_10069682_92B00930_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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