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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. August 1994, Zl. 4.314.408/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, der am 22. Dezember 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 4. Jänner 1991 einen Asylantrag gestellt hat, hat diesen, soweit es für die Erledigung der Beschwerde von Bedeutung ist, wie folgt begründet:
Er gehöre der kurdischen Volksgruppe in der Türkei an, deren Verfolgung und Diskriminierung sich im letzten Jahr noch verschärft habe. Die einzige Überlebenschance bestünde in der Flucht, was auch das gewollte Ziel der türkischen Politik sei. Er selbst habe als Bauer und Chauffeur gearbeitet und sei wie alle anderen Bewohner seines Dorfes von den grausamen Militäraktionen des türkischen Militärs betroffen gewesen, obwohl er keiner Partei und auch keiner kurdischen Organisation angehört habe. In immer kürzeren Abständen sei Militär in das Dorf gekommen, habe alle Kurden in der Dorfmitte zusammengetrieben und aufgefordert, das Dorf und das Land zu verlassen. Zur Abschreckung seien immer einige geschlagen und mitgenommen worden. Viele junge Männer seien auf diese Weise verschleppt worden. Wie in anderen Häusern seien auch beim Beschwerdeführer Hausdurchsuchungen gemacht worden, wobei er jedesmal geschlagen und aufgefordert worden sei, das Dorf zu verlassen. Beim letzten Mal habe man gedroht, ihn mitzunehmen, sollte er noch einmal zu Hause angetroffen werden. Da er Angst vor "Verschleppung, Verhaftung und Folterung - zur Preisgabe von Verstecken und Aktivitäten kurdischer Aktivisten" gehabt habe, habe er sich zur Flucht entschlossen.
Anläßlich seiner Erstbefragung am 11. April 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien führte der Beschwerdeführer weiters aus, er sei wiederholte Male das Ziel von Mißhandlungen durch die Polizei gewesen. Seinem Bruder hätten Soldaten vor einigen Monaten den rechten Fuß gebrochen. Seine Frau sei während seiner Abwesenheit öfters von Soldaten belästigt worden. Die letzte erwähnte Hausdurchsuchung habe vor ca. einem Jahr stattgefunden. Er selbst sei niemals von der Polizei oder dem Militär verhaftet, lediglich kurzfristig mitgenommen und gleich wieder freigelassen worden. Als im August 1990 sein Sohn zur Welt gekommen sei, sei er mit Frau und Kind nach Istanbul gezogen und habe dort als Maurer gearbeitet. Sein Arbeitgeber sei ein sunnitischer Türke gewesen; dieser habe die Kurden auf das Allerärgste beschimpft und wie Tiere behandelt. Als ihm die religiöse Überzeugung des Beschwerdeführers bekannt geworden sei, habe er ihm gekündigt. Als er einmal mit einem Freund in Istanbul mit dem Auto gefahren sei und dabei kurdische Musikkassetten gehört habe, sei er von einer Polizeistreife angehalten worden und sei ihm, als der kontrollierende Polizist die Musik gehört habe, von diesem eine Ohrfeige versetzt worden. In Istanbul habe für ihn jedoch keine Gefahr einer Verhaftung, Verschleppung oder Folterung bestanden, er habe jedoch Angst gehabt, da er schon von Verhaftungen kurdischer Personen gehört habe.
Der Beschwerdeführer korrigierte schließlich seine Aussage und gab an, bereits im April oder Mai nach Istanbul verzogen zu sein und 7 oder 8 Monate dort gelebt zu haben. Bei seiner Flucht habe er seine Familie nicht mitgenommen, da dies zu gefährlich gewesen wäre. Über Bulgarien und Jugoslawien sei er schließlich nach Österreich gekommen.
Mit Bescheid vom 25. April 1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.
In seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer seine Ausführungen im Asylantrag und wies noch einmal auf die Situation der Kurden hin.
Mit Bescheid vom 10. August 1994 wies der Bundesminister für Inneres die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und versagte die Gewährung von Asyl.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, wenn er die Beurteilung der seinem Vorbringen nach von den Polizei- bzw. Militärbehörden gegen ihn gesetzten Maßnahmen als bloße Übergriffe einzelner Organe rügt. Die belangte Behörde hat nämlich in keiner Weise zu erkennen gegeben, auf welche Ermittlungen sie diese Feststellung gründet und warum sie das Vorliegen einer systematischen, gegen die kurdische Bevölkerungsgruppe gerichteten Repressions- und Vertreibungspolitik seitens der türkischen Behörden - wie dies vom Beschwerdeführer schon in seinem schriftlichen Asylantrag und auch bei seiner Ersteinvernahme sinngemäß behauptet wurde - ausschloß.
Der belangten Behörde kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie ausführt, daß aus der allgemeinen Lage einer Volksgruppe schlechthin keine individuell konkret gegen eine bestimmte Person gerichtete Verfolgung ableitbar sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich bereits des öfteren ausgesprochen, daß die allgemeine Lage einer solchen Gruppe in einem bestimmten Gebiet auch Rückschlüsse auf die Situation einer konkreten Person zulasse (vgl. das Erkenntnis 93/01/0249 vom 16. März 1994).
Dennoch muß der Beschwerde der Erfolg versagt bleiben. Der Beschwerdeführer hat nämlich angegeben, vor seiner Flucht sieben oder acht Monate in Istanbul gelebt zu haben, und hat auch Istanbul als letzte Wohnadresse genannt.
Für diese Zeit hat er jedoch selbst ausgeführt, daß ihm keine Gefahr einer Verhaftung, Verschleppung oder Folterung gedroht habe. Wenn er ausführt, er habe von "einigen Fällen" von Verhaftungen gehört, so ist dieses Vorbringen allein nicht geeignet, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung darzutun.
Soweit der Beschwerdeführer nunmehr in seiner Beschwerde behauptet, er habe auch in "anderen Teilen der Türkei berechtigte Furcht vor Verfolgung gehabt", so unterliegt dieses Vorbringen dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG.
Der vom Beschwerdeführer angesprochene Verlust des Arbeitsplatzes reicht nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, eine Asylgewährung zu begründen, solange damit nicht eine ernsthafte Bedrohung der Lebensgrundlage verbunden ist (vgl. hg. Erkenntnis vom 25. Mai 1994, Zl. 94/20/0034). Daß es dem Beschwerdeführer aber unmöglich gewesen wäre, bei einem anderen Dienstgeber Arbeit zu bekommen, hat er nicht vorgebracht.
Ebenso mangelt es der vom Beschwerdeführer erwähnten Ohrfeige durch den ihn kontrollierenden Polizisten an der für die Gewährung von Asyl erforderlichen Intensität der Verfolgungsmaßnahmen, die einen weiteren Verbleib des Beschwerdeführers in seinem Heimatland unerträglich gemacht hätten.
Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen, ohne daß noch auf den von der belangten Behörde zusätzlich herangezogenen und vom Beschwerdeführer bestrittenen Ausschließungsgrund der Verfolgungssicherheit gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 einzugehen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994200737.X00Im RIS seit
20.11.2000