TE Dok 2022/12/15 2022-0.838.289

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Veröffentlicht am 15.12.2022
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Norm

BDG 1979 §43 Abs2 i.V.m. §91

Schlagworte

keine Doku

Text

Die Bundesdisziplinarbehörde hat am 06.12.2022 nach der am 06.12.2022 in Anwesenheit des Beamten, des Verteidigers, des Disziplinaranwaltes und der Schriftführerin durchgeführten mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beamte ist schuldig,

er hat es gemeinsam mit seinen Kollegen A.A. und B.B. im Anschluss an die Amtshandlung - nämlich das Aufnahmeprozederes des C.C. ins Polizeianhaltezentrum PAZ N.N. - unterlassen, eine entsprechende Dokumentation der gegen C.C. angewandten Körperkraftanwendung durchzuführen,

er hat dadurch Dienstpflichtverletzungen gemäß § 44 Abs. 1 BDG 1979 i.V.m. den Dienstanweisungen „Allgemeine Polizeidienstrichtlinie“ vom 19.05.2014, Pkt. II.3. „Dokumentation“ sowie gegen § 10 der RichtlinienVO betreffend „Dokumentation i.V.m. § 91 BDG 1979 begangen.

Über den Beamten wird gemäß § 92 Abs. 1 Zi 2 BDG die Disziplinarstrafe der Geldbuße im Ausmaß von € 100,- (in Worten: einhundert) verhängt.

B)

Hingegen wird der Beamte vom Vorwurf,

er hat am 19.02.2022, gegen 15:26 Uhr, während seines Dienstes gemeinsam mit den Kollegen A.A. und B.B. im Zuge des Aufnahmeprozederes des C.C. ins Polizeianhaltezentrum PAZ N.N. in N.N., N.N., unter unverhältnismäßiger Anwendung von Körperkraft ein Lichtbild des Gesichtes des C.C. angefertigt, wobei dieser in weiterer Folge einen Misshandlungsvorwurf äußerte,

er hat dadurch Dienstpflichtverletzungen gemäß § 43 Abs. 2 BDG 1979 i.V.m. § 91 BDG 1979 begangen,

gem. § 126 Abs. 2 BDG i.V.m. § 118 Abs. 1 Zi 2 BDG im Zweifel freigesprochen.

Dem Beamten erwachsen keine Kosten aus dem Verfahren gemäß § 117 BDG.

Begründung

Der Verdacht, Dienstpflichtverletzungen begangen zu haben, gründet sich auf die Disziplinaranzeige der Dienstbehörde vom 05.08.2022 sowie den Ermittlungen der StA N.N.

Sachverhalt:

Am 20.04.2022 langte in der Personalabteilung eine Maßnahmen- und Richtlinienbeschwerde des D.D. betreffend eine Amtshandlung im PAZ N.N. am 19.02.2022 ein.

Sachverhalt zur Amtshandlung am 19.02.2022 im PAZ N.N.:

Dem Anfallsbericht des N.N. v. 22.02.2022 wegen des Verdachts der Körperverletzung (Misshandlungsvorwurf) durch vorerst unbekannte Täter kann folgender Sachverhalt entnommen werden:

Am 20.02.2022 verständigte E.E. des PAZ N.N. das N.N. und teilte mit, dass ein do. Verwaltungshäftling einen Misshandlungsvorwurf gegen Beamte des PAZ geäußert hat. Bei dem Verwaltungshäftling handelt es sich um einen Klimaaktivisten, der keine Angaben zu seiner Identität machen möchte. Der Mann („D/502-3“) wurde am 19.02.2022, 14:21 Uhr, im Zuge der Auflösung einer spontanen Kundgebung in N.N. gem. § 35 VStG festgenommen und ins PAZ eingeliefert. E.E. dokumentierte, dass der unbekannte Klimaaktivist (C.C.) ihr gegenüber sinngemäß angab, seit 19.02.2022 Schmerzen zu haben. Das Ganze sei so entstanden, dass er sich geweigert habe, ein Foto von sich anfertigen zu lassen und sich deshalb in eine „Embryostellung“ zusammengerollt habe. Ein Polizist sei ihm mit dem Knie in den Rücken gesprungen, drei weitere seien dabei gewesen. Er verspüre seitdem Schmerzen, ihm sei mit Sicherheit von den Polizisten eine Rippe gebrochen worden. Die Aufnahme des Verwaltungshäftlings erfolgte durch den Beamten, B.B. und C.C.

Die Sachbearbeiterin begab sich in Folge ins PAZ, wo der Häftling ihr gegenüber angab, an keiner Vernehmung mitzuwirken und auch seine Identität nicht preis zu geben. Er gab lediglich an, am 19.02.2022 von einem Polizisten verletzt worden zu sein und einen Rippenbruch zu vermuten. Er werde sich nach seiner Entlassung in ein Krankenhaus begeben, eine Rechtsberatung in Anspruch nehmen und danach mit der Sachbearbeiterin Kontakt aufnehmen.

Am 27.05.2022 langte ho. der Abschlussbericht in ggstl. Angelegenheit ein. Der Beamte, B.B. und A.A. werden in dem Bericht als Verdächtige geführt. Weiters wird angeführt, dass D.D. am 24.02.2022 das N.N. kontaktierte und mitteilte, von C.C. mit der Vertretung beauftragt worden zu sein.

Die Staatsanwaltschaft N.N. übermittelte am 02.06.2022 eine Erhebungsanordnung an die LPD mit dem Ersuchen, die beschuldigten Beamten zu befragen, welche konkreten Handlungen sie selbst und die anderen Beamten zwischen dem Zeitpunkt, in dem sich C.C. in Embryostellung begab und dem Zeitpunkt, in dem sie mit der Anwendung der Körperkraft aufhörten, setzten. Am 22.06.2022 übermittelte die LPD den 2. Abschlussbericht an die StA. Gemäß den Angaben der Beamten wurde C.C. von dem Beamten und B.B. aus der Zelle getragen. Er sei dafür links und rechts unter den Achseln ergriffen, angehoben und 2 bis 3 Meter aus der Zelle getragen worden. Es habe sich eine dynamische Bewegung entwickelt, die Beamten können nicht angeben, welche Handlungen sie jeweils gesetzt haben. In dem Abschlussbericht wird auch auf die nicht vorhandene Dokumentation der Körperkraftanwendung hingewiesen.

Der aktuellen Aktenlage kann nicht entnommen werden, welche Maßnahme konkret jeder einzelne Beamte bei der Körperkraftanwendung gesetzt hat bzw. gegen wen sich konkret der Vorwurf des Kniestoßes richtet.

 

Verletzungen:

Am 19.02.2022 wurde in der Krankenkartei des C.C. dokumentiert, dass dieser bei der Zugangsuntersuchung einen Sanitäter habe sehen wollen. Er sei von diesem besichtigt worden und es seien keine lebensbedrohlichen oder sonstigen Verletzungen festgestellt worden. Es wurde „leichter, punktueller Druckschmerz am hinteren Latissimus“ vermerkt.

Bei der amtsärztlichen Untersuchung am 20.02.2022, 09:40 Uhr, wurde in der Rubrik sonstige Befunde/Diagnosen des Gutachtens „Links basal Schwellung mit extremer Schmerzempfindlichkeit“ sowie unter Befund/ Gutachten „Schwellung linke Flanke mit Schmerzmittel kommt er durch“ eingetragen.

C.C. begab sich nach seiner Entlassung am 20.02.2022 selbstständig in die Klinik N.N., wo eine Rippenfraktur und Prellung des Thorax festgestellt wurden.

Zeugenaussagen:

C.C. gab bei seiner Vernehmung am 10.03.2022 zusammengefasst an, er sei bei seiner Festnahme am 19.02.2022, in N.N. nicht verletzt worden und vor der Einlieferung in das PAZ unverletzt gewesen. Auf die Frage, wie es zur Verletzung gekommen sei, gab er an, ein Polizist habe im PAZ ein Foto von ihm machen wollen, er habe ihn darauf hingewiesen, dass er dies nicht möchte. Der Beamte habe erwidert, dass er mit mehreren Beamten wiederkommen werde, um ihn dazu zu zwingen. Er habe ihm geantwortet, dass er dies tun soll, wenn er es für nötig halte. Der Beamte sei dann weggegangen und ca. zehn Minuten später mit vermutlich vier weiteren Beamten wiedergekommen. Er habe eine kleine Digitalkamera gesehen und sich sofort auf der Bank sitzend in die Embryostellung begeben. Er habe in sitzender Position seinen Kopf zwischen die Beine und seine Hände auf den Kopf gegeben, um diesen zu schützen. Er habe passiven Widerstand geleistet, indem er versucht habe, in der Position zu bleiben. Die Polizisten hätten an ihm herumgezerrt, sodass er in kürzester Zeit am Boden gelegen sei. Er sei noch immer in der Embryonalstellung gewesen. Ein Polizist habe sein Bein erwischt, er habe es wieder zurückgezogen. Sie hätten dann einen Arm erwischt, er habe diesen wieder zurückgezogen. Dies sei so 30 bis 40 Sekunden gegangen. Er vermutet, es sei einem Polizisten zu bunt geworden. Er kann den Polizisten nicht beschreiben, er habe ihn nicht gesehen, weil sein Kopf zwischen den Füßen und der Polizist hinter seinem Rücken gewesen sei. Er habe wahrnehmen können, dass ihn ein Polizist vermutlich mit seinem Knie und großer Wucht seitlich (links) im Bereich der 11. Rippe getroffen habe. Er habe einen Schmerzschrei losgelassen und aufgrund der Wucht und der Schmerzen die Krümmung seines Körpers aufgegeben. Er habe sich sofort wieder in die Embryostellung begeben, es habe sich bei so viel Gewalt jedoch nicht weiter ausgezahlt, passiven Widerstand zu leisten. Er sei durch den Stoß am Körper verletzt worden und habe einen Rippenbruch erlitten. Er habe im weiteren Verlauf einer zweiten Aktivistin, welche sich im nahegelegenen Erstvernehmungsraum befunden habe, mitgeteilt, dass ihm die Rippe gebrochen wurde. Sie würde als Zeugin zur Verfügung stehen. Er habe im 10-Minuten Takt einen Arzt gefordert und jedes Mal dazu gesagt, eine gebrochene Rippe zu haben. Er sei von einem Polizeiarzt untersucht worden, welcher die exakte Bruchstelle festgestellt und zu seinen Kollegen gesagt habe, dass es nicht lebensbedrohlich sei und er haftfähig wäre. In der Nacht sei er dann mehrmals geweckt und nach seinen Daten gefragt worden. Er habe dies als Schikane empfunden.

G.G. gab am 22.03.2022 zusammengefasst an, sie wurde am 19.02.2022 zusammen mit C.C. und zwei weiteren Aktivisten festgenommen und ins PAZ N.N. überstellt. Im PAZ habe sie aus ihrer Nebenzelle einen schmerzhaften Schrei wahrgenommen. Vor dem Schrei habe sie einen leichten „Pumpera“ gehört. Zu diesem Zeitpunkt habe sie nicht gewusst, von wem der Schrei gekommen ist. Sie habe mit einem weiteren Aktivisten angenommen, dass der Schrei von „Bam“ (interner Aktivistenname von C.C.) gekommen sei. Sie habe dann einen Anruf machen wollen und sei dazu in einem Büro im Nahbereich der Zellen gewesen. Dort habe sie das Stöhnen vor Schmerzen von C.C. gehört. Sie habe auch gehört, dass er mit einem Arzt habe sprechen wollen. Sie habe ihn gefragt, was passiert ist, er habe sinngemäß geantwortet, dass sie ihm in den Rücken gesprungen seien und ihm die Rippen gebrochen hätten. Sie habe dann noch gehört, dass ein Beamter gesagt habe, dass das nicht so schlimm sei und er sich nicht so anstellen und eine Ruhe geben soll.

Beschwerdegründe der Maßnahmen- und Richtlinienbeschwerde:

(Erläuterungen wurden zusammengefasst)

1.   Anfertigen eines Lichtbildes und zwangsweise Durchsetzung

Es wurde bereits am Ort der Festnahme ein LiBi angefertigt. Die Anfertigung eines weiteren LiBis sei somit nicht erforderlich gewesen, um den Zweck des § 58b SPG – nämlich die Administration und die Evidenthaltung der Angehaltenen - zu gewährleisten. Es sei schon aus dem Grunde nach rechtswidrig gewesen. Die gewaltsame Durchsetzung der diesbezüglichen Anordnung habe sich als unverhältnismäßig und rechtswidrig erwiesen.

2.   Befehl an BF sich zu entkleiden

Die erhobenen Vorwürfe, die zur Feststellung der Identität und letztlich zur Festnahme geführt hätten, seien geringfügig gewesen, zumal es sich lediglich um den Verdacht einer Verwaltungsübertretung gehandelt hat. Es habe kein Anlass vorgelegen, davon auszugehen, dass der BF gefährlich sei. Eine erste oberflächliche Durchsuchung des BF am Vorfallsort habe bereits ergeben, dass er keine bedenklichen Gegenstände bei sich trug. Es habe keinerlei Grund dafür bestanden, den BF zum vollständigen Ausziehen aufzufordern.

3.   Dauer und Modalitäten der Anhaltung

Die Anhaltung des BF über beinahe 24 Stunden erweise sich als rechtswidrig, zumal er keine ordnungsgemäße medizinische Behandlung erhalten habe. Auch die Dauer der Anhaltung sei insofern unverhältnismäßig und stelle eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit dar.

4.   Richtlinienbeschwerde

Über die Anwendung von Zwangsgewalt gegenüber den BF sei durch die o.a. EB keine ausreichende Dokumentation angelegt worden.

Gemäß den Angaben der verdächtigen Beamten bei ihren Vernehmungen sei C.C. nach dem Anfertigen des Lichtbildes zur Visitierzelle begleitet und den dortigen uEB übergeben worden. Demnach richten sich die Beschwerdegründe Pkt. 2 Befehl an den BF, sich zu entkleiden und Pkt. 3 Dauer und Modalitäten der Anhaltung nicht gegen die angeführten Beamten, weshalb von einer Anlastung Abstand genommen wurde.

Gegenschrift der LPD N.N.:

Das Referat N.N. führt in der Gegenschrift v. 30.05.2022 zusammengefasst an, dass die Einlieferung des C.C. ins PAZ am 19.02.2022, um 15:26 Uhr, erfolgte. Anlässlich der Aufnahme des BF ins PAZ wurde ein Lichtbild von diesem angefertigt. Die Beantwortung der Gesundheitsbefragung wurde vom BF verweigert. Auf seinem Wunsch wurde er am 19.02.2022 von einem Sanitäter besichtigt, welcher einen leichten, punktuellen Druckschmerz am hinteren Latissimus feststellte. Laut polizeiamtsärztlichen Gutachten vom 20.02.2022 war der BF haftfähig, bedurfte aber Schmerzmittel. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass es im PAZ N.N. zu einer unverhältnismäßigen Anwendung von Körperkraft, noch zu besagtem Rippenbruch beim BF kam.

Zu den angefertigten Lichtbildern:

Die in der Beschwerde vertretende Rechtsansicht, wonach das Anfertigen des weiteren Lichtbildes im PAZ schon allein deswegen rechtswidrig gewesen sei, weil bereits im Zusammenhang am Ort der Festnahme ein Lichtbild angefertigt worden war, sei unrichtig. Bereits aus dem Wortlaut des § 58b Abs. 1 SPG ergibt sich unmissverständlich, dass anlässlich der Aufnahme ein LiBi anzufertigen ist. Im gegenständlichen Fall komme hinzu, dass das zwecks I-Feststellung im VW-Strafverfahren angefertigte LiBi, den BF lediglich mit aufgesetztem MNS und darüber hinaus im Profil zeige und somit nicht geeignet sei, eine Verwechslung des BF mit den vielen anderen Häftlingen im PAZ zu verhindern.

Die sich aus den vorgelegten Akten ergebenen Sachverhalte lassen weder auf eine unverhältnismäßige Anwendung von Körperkraft noch auf die behauptete Misshandlung schließen. Das Referat N.N. stellt die Vorbringen entschieden in Abrede.

Verantwortung:

Die Beamten gaben in einer gemeinsamen Stellungnahme v. 20.05.2022 ans N.N. zusammengefasst an, C.C. wurde nach der Einlieferung ins PAZ dem routinemäßigen Aufnahmeprozedere unterzogen. Hierzu gehöre auch die unverzügliche Anfertigung eines Lichtbildes des Gesichtes. Dies diene dazu, allfällige Verletzungszeichen zu dokumentieren aber auch dazu, insbesondere bei namentlich unbekannten Personen, in weiterer Folge Verwechslungen mit anderen Insassen ausschließen zu können. C.C. habe jegliche Datenangabe verweigert, sodass gerade die Herstellung eines LiBis unumgänglich notwendig sei, um eine Verwechslung auszuschließen. Diese Aufnahmeprozedur finde in der sog. Aufnahmekanzlei statt, wo vier Anhaltezellen vorhanden sind, in denen eingelieferte Personen Platz nehmen können. C.C. sei in eine dieser Zellen gebracht worden. Ihm sei in Anwendung der Bestimmungen des SPG mitgeteilt worden, dass zwingend ein LiBi anzufertigen sei und er an dieser Anfertigung mitzuwirken habe. Weiters sei ihm mitgeteilt worden, dass das LiBi unter Zwangsgewalt hergestellt werden müsse, falls er sich unkooperativ verhält. Da die Anfertigung des LiBis in der Anhaltezelle aufgrund der engen Räumlichkeit, aber auch aufgrund des unkooperativenen Verhaltens nicht möglich gewesen sei, habe C.C. in einen weiträumigen Bereich verbracht werden müssen.

Es sei ein weiteres Mal die Anwendung von Körperkraft angedroht und in Folge angekündigt worden. Er sei, soweit erinnerlich, von dem Beamten und B.B. aus der Zelle getragen und auf einem Flur abgelegt worden, um das LiBi anfertigen zu können.

C.C. habe hierbei durch Verkrampfen und Einnehmen einer Embryostellung passiven Widerstand geleistet. Weiters habe er die Hände vor das Gesicht gehalten.

C.C. sei in der Embryostellung um 90 Grad verdreht worden, sodass er mit dem Rücken am Boden gelegen sei, er habe in dieser Position nach wie vor verharrt. Es sei versucht worden – wer konkret dies war, sei nicht mehr erinnerlich – die Hände vom Gesicht kurzzeitig zu entfernen, um das LiBi anfertigen zu können.

C.C. habe sich von einer Seite auf die andere gedreht, es habe sich eine dynamische Situation entwickelt. Es könne nicht mehr nachvollzogen werden, wer von den Beamten in welcher Situation die Hände oder Füße des C.C. ergriffen habe. Aufgrund der dynamischen Situation seien die Beamten gezwungen gewesen, mehrmals ihre Position zu wechseln.

Es habe jedoch lediglich im Bereich der Füße (leichte Fixierung) und Hände (vorsichtiges Wegziehen vom Gesicht) Körperkraft angewandt werden müssen.

Es sei keinerlei Körperkraft im Oberkörperbereich angewandt worden. Nach dem Anfertigen des LiBi wurde die Körperkraftanwendung eingestellt. Es bestehe die Möglichkeit, dass C.C. den Rippenbruch vor seiner Einlieferung in das PAZ, möglicherweise am Festnahmeort oder im Zuge der Überstellung im Arrestantenwagen, erlitten habe.

Es sei für sie zu keinem Zeitpunkt ersichtlich gewesen, dass er von ihnen verletzt worden sei. Die Beamten stellen den Vorwurf, ein Beamter sei ihm ins Kreuz gesprungen vehement in Abrede. C.C. habe ihnen oder Kollegen gegenüber auch keinen Misshandlungsvorwurf geäußert.

Bei ihren Verdächtigenvernehmung durch das RBE gaben die Beamten ergänzend an, C.C. sei von dem Beamten und B.B. aus der Zelle getragen worden. B.B. führte ergänzend an, es habe keinen Grund gegeben, eine Meldung über die Anwendung von Körperkraft zu verfassen.

Das Tragen aus der Zelle und das Wegziehen der Hände sei noch kein Grund, den Vorgang zu dokumentieren. Auch der Beamte und A.A. gaben an, keine Dokumentation verfasst zu haben.

Bezüglich der fehlenden Dokumentation geben die Beamten in einer Stellungnahme an das hs. Referat zusammengefasst übereinstimmend an, sie hätten sich bei der Anwendung von Körperkraft auf eine leichte Fixierung im Fußbereich beschränkt.

Es sei aufgrund des Geschehens in diesen Stunden und im Anschluss nicht konkret durchgeführter Kommunikation bzw. nicht konkret erfolgter Absprache der einschreitenden uEB, welcher die Anwendung von Körperkraft an C.C. dokumentieren wird, keine Dokumentation erfolgt.

Strafverfahren:

Zum Vorwurf des Kniestoßes in den Rücken des C.C. wurden N.N. wegen des Verdachts nach § 83 StGB (Körperverletzung) und § 302 StGB (Amtsmissbrauch) Erhebungen gepflogen. Am 27.05.2022 und am 22.06.2022 erfolgte die Abschussberichterstattung an die Staatsanwaltschaft N.N.

Seitens der StA N.N. wurde ein Sachverständigengutachten aus dem medizinischen Bereich eingeholt, aufgrunddessen wurde das Verfahren eingestellt, zumal der Kniestoß keinem der Beamten zugeordnet werden konnte und damit die Schuld der Beamten nicht erweisbar war.

Mündliche Disziplinarverhandlung:

Mit Bescheid vom 23.08.2022 wurde das ordentliche Disziplinarverfahren eingeleitet und die mündliche Disziplinarverhandlung nach Einstellung des Strafverfahrens für 06.12.2022 anberaumt und durchgeführt.

Die Beamten bekannten sich zu Beginn der Verhandlung zum Vorwurf der Misshandlung nicht schuldig, jedoch zur Nichtdurchführung der Dokumentation für schuldig.

Der Beamte führte befragt zum Vorfall an, dass er bei der Großgepäckskontrolle war, als er von den Kollegen B.B. und A.A. um Unterstützung ersucht wurde, da sich ein Häftling weigern würde, von sich eine Lichtbildaufnahme machen zu lassen. Dieses wäre jedoch im Aufnahmeprozedere bei Personen, deren Identität unbekannt ist, zwingend vorgeschrieben. Der Häftling verweigerte jedoch jegliche Kooperation, saß in der Aufnahmezelle auf einer Bank und hielt beide Hände vor das Gesicht. Jegliches gute Zureden verlief negativ, sodass letztlich die Anwendung von Körperkraft angekündigt, danach angedroht und in weiterer Folge angewendet wurde. Der Häftling rollte sich in Embryostellung zusammen, sodass er von B.B. und dem Beamten aus der Zelle getragen werden musste. Vor der Zelle wurde er auf dem Boden abgelegt und wurde dann versucht, seine Beine festzuhalten und gleichzeitig die Hände vom Gesicht wegzuziehen. Aufgrund der dynamischen Situation konnte nicht mehr angegeben werden, wer von den drei Beamten Hände und Beine gehalten hat, da sich der Häftling immer wieder drehte, jedoch keinen aktiven Widerstand setzte.

Irgendwann sagte ein Beamter, dass das Lichtbild passe, jedoch konnte keiner der Beamten angeben, wer tatsächlich die Aufnahme gemacht hat. Nach der Aufnahme des Fotos wäre der Häftling aufgestanden und selbständig wieder in die Zelle gegangen.

Insgesamt haben die Beamten für das Aufnahmeprozedere von 4 Klimaaktivisten mehrere Stunden benötigt. Dies wäre wohl der Grund dafür gewesen, dass sie vergessen hätten, die Dokumentation durchzuführen. Der Häftling habe ihnen gegenüber nie etwas von Schmerzen erwähnt oder geklagt.

Der Klimaaktivist wurde schließlich am 20.02.22 um 13.15 Uhr aus der Haft entlassen und habe sich trotz seiner starken Schmerzen laut Ambulanzkarte erst um 18.10 Uhr in Behandlung begeben. Bei seiner Befragung führte er an, dass er glaube, von vier Beamten beamtshandelt worden zu sein.

Im Zuge des Beweisverfahrens wurde auf das Gutachten von H.H. verwiesen, welches auch die Grundlage für die Einstellung des Verfahren bei der StA N.N. bildete.

Der Disziplinaranwalt führte in seinem Plädoyer aus, dass der Sachverhalt aufgrund des teilweisen Geständnisses der Beschgten und des Beweisverfahrens hinreichend geklärt ist. Dabei wurde hervorgehoben, dass eine lückenlose Dokumentation von Amtshandlungen für die Behörde unumgänglich ist. Der Misshandlungsvorwurf und die Körperverletzung wurden von der StA N.N. unter den Hinweis auf das vorliegende Gutachten eingestellt. An eine derartige Entscheidung ist der Senat zwar nicht gebunden, jedoch ist dies wohl faktisch zu werten, sodass in diesem Punkt wohl mit Freispruch vorzugehen sein wird.

Mildernd war das Geständnis hinsichtlich der Nichtdokumentation, die disziplinarrechtliche Unbescholtenheit und die sehr gute Dienstbeschreibung der Beamten.

Erschwerend wirkte kein Umstand.

Antrag: Geldbuße im untersten Bereich.

Der Verteidiger führte in seinem Plädoyer aus, dass er sich hinsichtlich des Freispruchs den Ausführungen des Disziplinaranwaltes anschließe.

Hinsichtlich Punkt 2 – Nichtdokumentation führte der Verteidiger aus, dass man sich die Frage stellen muss, wann eine Körperkraftanwendung beginnt und wo die Grenze zu ziehen ist für die Verpflichtung zur Dokumentation.

Es handelt sich um einen einmaligen Vorfall, der auch mit einer Ermahnung abgehandelt hätte werden können.

Antrag: Schuldspruch ohne Strafe

Die Beamten haben sich in ihrem Schlusswort den Worten des Verteidigers angeschlossen.

Der Senat hat dazu erwogen:

Ad A)

Zum Schuldspruch:

Rechtsgrundlage:

§ 44 (1) BDG: Der Beamte hat seine Vorgesetzten zu unterstützen und deren Weisungen, soweit verfassungsgesetzlich nicht anderes bestimmt, zu befolgen.

Nach Pkt. II.3 „Dokumentation“ der DA „Allgemeine Polizeidienstrichtlinie“ v. 19.05.2014, sind die Dienstverrichtung, Amtshandlungen und sämtliche relevante Sachverhalte generell – unter Beachtung der speziellen Vorschriften – nachvollziehbar zu dokumentieren.

Richtlinienverordnung:

Üben Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt aus oder nehmen diese Freiwillig in Anspruch (§4), so haben sie gem. § 10 der Richtlinienverordnung dafür zu sorgen, dass die für ihr Einschreiten maßgeblichen Umstände später nachvollzogen werden können.

Dienstpflichtverletzung gem. § 44 Abs. 1 BDG:

Vorliegendenfalls wird den Beamten vorgeworfen, die Anwendung von Körperkraft nicht dokumentiert zu haben. C.C. wurde nach den Bestimmungen des VStG festgenommen und dem PAZ überführt und dort aufgenommen. Laut den bestehenden internen Vorschriften des PAZ ist die Anfertigung eines Lichtbildes insbesondere bei Personen, deren Identität nicht feststeht, vorgesehen. Im gegenständlichen Fall verweigerte der Festgenommene trotz Aufforderung und Androhung der Anwendung von Körperkraft ein Lichtbild von seinem Gesicht aufnehmen zu lassen. Daraufhin erfolgte nach der Ankündigung und der Androhung die Durchsetzung des Rechts durch Anwendung von Körperkraft durch die Beamten, und zwar solange, bis das Lichtbild angefertigt werden konnte. Nach Ansicht des Senates umfasst die Anwendung von Befehls und Zwangsgewalt auch jede Aufforderung zur Herstellung eines vom Organ gewollten Verhaltens, insbesondere auch jede körperliche Intervention, mag diese auch noch so gering sein. Deshalb liegt auch Dokumentationspflicht vor, damit sämtliche Umstände des Einschreitens später von der Behörde nachvollzogen werden können.

Somit liegt ein Verstoß gegen die DA „Allgemeine Polizeidienstrichtlinie“ sowie § 10 RLV vor.

Gemäß § 44 Abs. 1 BDG hat der Beamte seine Vorgesetzten zu unterstützen und ihre Weisungen, soweit verfassungsgesetzlich nicht anderes bestimmt, zu befolgen.

Unter „Weisung“ ist eine generelle oder individuelle, abstrakte oder konkrete Norm zu verstehen, die an einen oder an eine Gruppe von dem Weisungsgeber untergeordneten Verwaltungsorganwaltern ergeht. Sie ist ein interner Akt im Rahmen der Veraltungsorganisation.

Der Aufbau und die Struktur einer polizeilichen Organisationseinheit erfordern für ein reibungsloses Funktionieren ein hohes Maß an Kooperationsbereitschaft zwischen Bediensteten auf verschiedenen Hierarchieebenen, welches durch das Instrument der Weisung abgesichert ist.

In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes hinzuweisen, wonach mit der unberechtigten Ablehnung der Befolgung einer Weisung gegen eine grundsätzliche Bestimmung des Dienstrechtes verstoßen wird, was nicht für die Verhängung der geringsten Disziplinarstrafe spricht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1991, Zl. 90/09/0180).

Wie auch die DOK in ihrem Erkenntnis GZ 29,30/14-DOK/09 ausführte, zählen Verletzungen der Dienstpflicht gemäß § 44 Abs. 1 BDG zu den schwerwiegenden Verfehlungen und ist gerade die Befolgung im Bereich eines straff organisierten Systems wie des Exekutivdienstes für den ordnungsgemäßen und effizienten Ablauf des Dienstes von essentieller Bedeutung. Ob das Missachten der Weisung negative Folgen welcher Art auch immer nach sich gezogen hat oder nicht, ist nicht ausschlaggebend.

Ad B)

Zum Freispruch:

Gemäß § 118 Abs. 1 BDG ist das Disziplinarverfahren durch Bescheid einzustellen, wenn

1)   der Beamte die ihm zur Last gelegte Dienstpflichtverletzung nicht begangen hat Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit ausschließen (Strafausschließungsgründe und Strafaufhebungsgründe) (Z 1)

2)   die dem Beamten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Dienstpflichtverletzung darstellt (Z 2)

3)   Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen (Verfolgungshindernisse) Z 3

4)   die Schuld des Beamten gering ist, die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies die Bestrafung nicht geboten ist, um den Beamten von der Verletzung der Dienstpflichten abzuhalten oder Dienstpflichtverletzungen durch andere Beamte entgegenzuwirken (Z 4).

Die StA N.N. hat das Verfahren trotz eines intensiven Beweisverfahrens eingestellt, der Senat ist zwar an eine derartige Entscheidung nicht gebunden, hat dies aber faktisch zu werten.

Die StA ging von einer dynamischen Situation aus, da nicht mehr geklärt werden konnte, wer von den Beamten Beine und Arme hielt; diese Verantwortung sei zwar wenig überzeugend gewesen, weil die Aussagen mit den Ausführungen im Gutachten nicht in Einklang zu bringen sind. Vielmehr geht der Gutachter davon aus, dass die Verletzung des Opfers erst im PAZ erfolgte, weil die Embryostellung – nämlich Zusammenrollen des Körpers - sonst nicht möglich gewesen wäre, da ein Rippenbruch Schmerzen verursacht. Jedoch gab es keinen Aufschluss darüber, wer von den beschuldigten Beamten die Tathandlung gesetzt hat, zumal dieser Bereich im PAZ nicht videoüberwacht ist.

Außerdem führte das Opfer selbst aus, dass er sich eingebildet hätte, es wären 4 Polizisten an der Amtshandlung beteiligt gewesen. Diese Ausführung ist wieder im Einklang zu bringen mit den Aussagen von dem Beamten B.B. und dem Beamten, das Lichtbild nicht gemacht zu haben und der Beamte A.A. erklärte, es sei gelungen ein Foto zu machen. Wer dieses tatsächlich machte, wüsste er nicht. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass tatsächlich ein 4. Beamter involviert war und möglicherweise die Tathandlung gesetzt hat. Nach Ausschöpfung aller Beweismittel erfolgte seitens der StA N.N. die Einstellung des Verfahrens, weil kein Schuldnachweis erbracht werden konnte.

Auch bei der mündlichen Verhandlung sind keine Hinweise hervorgekommen, dass die Ausübung der Befehls - und Zwangsgewalt unverhältnismäßig erfolgt ist, zudem gaben die Beamten an, dass kein 4. Polizist beteiligt war.

Strafbemessung:

Gemäß § 93 Abs. 1 BDG ist das Maß für die Höhe der Strafe die Schwere der Dienstpflichtverletzung. Dabei ist jedoch darauf Bedacht zu nehmen, inwieweit die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, um den Beamten von weiteren Dienstpflichtverletzungen abzuhalten. Zu berücksichtigen sind außerdem die bisherigen dienstlichen Leistungen, sowie sein Verhalten im Dienststand und die Qualität der bisherigen Dienstleistungen.

Nach der jüngsten Judikatur des VwGH hat sich der Senat zudem ein umfassendes Bild des Beamten zu machen und dann eine Prognose zu stellen, inwieweit und in welchem Ausmaß eine Bestrafung notwendig erscheint.

Eine Bestrafung muss grundsätzlich in einem angemessenen Verhältnis zum Unrechtsgehalt der Verfehlungen stehen und muss spezial-und generalpräventiv erforderlich sein.

Die Beamten haben ein weisungswidriges Verhalten an den Tag gelegt, zumal sie die Anwendung von Körperkraft nicht dokumentiert haben, sodass dieser Teil der Amtshandlung für die Behörde nicht nachvollzogen werden konnte.

Aufgrund der guten Dienstbeschreibung, des Geständnisses des Beamten, der disziplinären Unbescholtenheit und der Belobigungen war der Senat der Ansicht, mit einer Geldbuße im untersten Bereich sowohl aus spezial - als auch generalpräventiven Gründen, um künftige Dienstpflichtverletzungen der Beamten hintan zu halten und der Begehung gleichartiger Delikte durch andere Beamte entgegen zu wirken – das Auslangen zu finden.

Erschwerend war kein Umstand zu werten.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zuletzt aktualisiert am

09.02.2023
Quelle: Disziplinarkommissionen, Disziplinaroberkommission, Berufungskommission Dok, https://www.ris.bka.gv.at/Dok
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