TE Vwgh Erkenntnis 1995/12/19 95/20/0123

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Veröffentlicht am 19.12.1995
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des B in S, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft M & S OEG in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. Jänner 1995, Zl. 4.345.586/2-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Abstammung, ist am 6. Dezember 1994 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 9. Dezember 1994 den Antrag gestellt, ihm Asyl zu gewähren. Bei seiner am 27. Dezember 1994 vor dem Bundesasylamt erfolgten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer an, vor zwei Jahren hätten sich die türkischen Behörden seines Wohnbezirkes mit ihm in Verbingung gesetzt und verlangt, daß er in seinem Dorf als Dorfwächter tätig sein solle. Wenn er dieses Angebot angenommen hätte, hätte er Schwierigkeiten mit der PKK bekommen, was er habe vermeiden wollen. Er habe aus Angst vor den Leuten der PKK diese Beschäftigung als Dorfwächter abgelehnt. Er habe an sich nie Kontakte zur PKK unterhalten. Er habe sich dann bis zu seiner Ausreise aus seinem Heimatdorf in verschiedenen anderen Dörfern bei Verwandten und Bekannten versteckt gehalten. Vor seiner Ausreise habe er sich in seiner Heimatgemeinde "Bozoua" einen Personalausweis ausstellen lassen. Er habe den Personalausweis ohne Probleme bekommen, offenbar damit er sich nun doch als Dorfwächter eintragen lassen könne. Seine Absicht sei jedoch gewesen, in den Besitz eines Personalausweises zu kommen und zu flüchten. Nachdem ihm sein Land von anderen Dorfwächtern weggenommen worden sei, wolle er sich nun in Österreich eine neue Existenz aufbauen. Da den Dorfwächtern mitgeteilt werde, daß sie sich vor der PKK selbst zu schützen hätten, habe er die Behörden diesbezüglich nicht um Schutz ersucht. Von den türkischen Behörden selbst sei er nie verhört oder inhaftiert worden. Auf die zuletzt gestellte Frage, ob er allenfalls noch andere Gründe für seine Flucht anzugeben habe, erklärte der Beschwerdeführer, daß er all seine Gründe zu Protokoll gegeben habe. In der Niederschrift wurde festgehalten, daß dem Beschwerdeführer der Inhalt seiner Aussage noch einmal vorgehalten worden sei, worauf dieser erklärt habe, den Angaben nichts mehr hinzuzufügen zu haben.

Mit Bescheid vom 27. Dezember 1994 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl ab, weil seine Flüchtlingseigenschaft zu verneinen sei.

In der dagegen erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, daß das Verlangen, als Dorfwächter tätig zu sein, mit der Drohung verbunden gewesen sei, daß ihm andernfalls sein Land weggenommen und er wegen Kollaboration mit der PKK verhaftet werden würde, er also mit einem Militärstrafverfahren zu rechnen gehabt habe. Er habe sich deshalb aus berechtigter Angst vor den türkischen Behörden bei Verwandten und Bekannten versteckt gehalten. Seine diesbezüglichen Aussagen vor dem Bundesasylamt seien vom Dolmetscher "gelinde gesagt mißverständlich bzw. falsch" übersetzt worden. Da er sich versteckt gehalten und nicht als Dorfwächter gearbeitet habe, sei sein Land von den türkischen Behörden enteignet und auf andere Dorfwächter aufgeteilt worden. Im Falle seiner Rückkehr in die Türkei müsse er um sein Leben fürchten.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26. Jänner 1995 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, daß dem Beschwerdeführer kein Asyl gewährt werde.

Die belangte Behörde verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens im Sinn des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 und sprach nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges und der Rechtslage aus, daß seinem Vorbringen in erster Instanz keine ausreichenden Hinweise zu entnehmen seien, daß er aus wohlbegründeter Furcht vor asylrechtlich relevanter Verfolgung sein Heimatland verlassen habe. Während der Beschwerdeführer in seinem schriftlichen Asylantrag noch erwähnt habe, er habe aufgrund seines "politischen Engagements" Verfolgung in der Türkei zu befürchten, habe er bei seiner Vernehmung keinerlei derartige Angaben gemacht, daß er wegen seiner politischen Gesinnung von den türkischen Behörden verfolgt worden wäre. Es sei nicht glaubhaft, daß er sich zwei Jahre lang versteckt gehalten habe, um der Rekrutierung als Dorfwächter zu entgehen, weil dann nicht verständlich wäre, daß er nach dieser Zeit ohne Probleme einen Personalausweis ausgestellt bekommen habe. Es sei auch nicht nachvollziehbar, daß er sich zwei Jahre lang versteckt gehalten habe, in dieser Zeit aber in der Landwirtschaft seiner Eltern gearbeitet habe. Auch die Behauptung, Dorfwächter hätten ihm das Land weggenommen, habe der Beschwerdeführer nicht weiter belegen können. Im übrigen würde dies keine Verfolgung aus Konventionsgründen darstellen. Es sei nicht anzunehmen, daß sich die behauptete Verfolgung auf das gesamte türkische Staatsgebiet erstreckt habe, und daß insbesondere auch in Istanbul eine Verfolgung durch die Behörden zu befürchten gewesen wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegene, Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Anders als noch im Verwaltungsverfahren macht der Beschwerdeführer nicht als ausdrücklichen Beschwerdegrund geltend, daß eine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 deshalb vorläge, weil seine Angaben bei der Vernehmung nicht vollständig bzw. unrichtig protokolliert worden wären. Vor Ausführung der Beschwerdegründe wird zwar auch in der Beschwerde der Vorwurf erhoben, daß der von der Behörde erster Instanz zugezogene Dolmetscher den kurdischen Dialekt des Beschwerdeführers nicht perfekt beherrscht habe und es deshalb zu Verständigungsschwierigkeiten gekommen sei; was sich im Zusammenhang mit der Aussage des Beschwerdeführers über die Umstände der Erlangung eines Personalausweises zu seinem Nachteil niedergeschlagen habe, weil der Beschwerdeführer diesbezüglich ausgesagt habe, daß er den Personalausweis "gekauft" habe und sich über einen Dritten besorgen habe lassen. Es sei auch der Heimatort des Beschwerdeführers im Protokoll falsch wiedergegeben und unrichtig festgehalten worden, daß er bis zum Jahr 1994 im elterlichen Betrieb gearbeitet hätte. In der Beschwerde wird aber nicht - wie in der Berufung - geltend gemacht, daß der Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung ausgesagt habe, daß er für den Fall der Ablehnung der Funktion eines Dorfwächters bedroht und ihm die Enteignung seiner Landgüter in Aussicht gestellt worden wäre. Andererseits wurden die in der Beschwerde behaupteten Unrichtigkeiten bei der Protokollierung nicht in der im Verwaltungsverfahren erhobenen Berufung geltend gemacht. Wenn auch eine gemäß § 14 AVG aufgenommene Niederschrift gemäß § 15, soweit nicht Einwendungen erhoben wurden, über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis liefert, so bleibt grundsätzlich der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges zulässig. Daß dem Beschwerdeführer seine Angaben - wie im Protokoll festgehalten - nicht rückübersetzt worden wären, wurde weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde behauptet. Damit hätte es aber einer Erklärung dafür bedurft, weshalb dem Beschwerdeführer bei Unterfertigung der Niederschrift nicht bewußt gewesen sein soll, daß seine Angaben nicht vollständig protokolliert worden seien, und er nicht zugleich Einwendungen dagegen gemäß § 14 Abs. 4 AVG erhoben habe.

Selbst bei Bedachtnahme auf das nicht unter dem Beschwerdegrund Mangelhaftigkeit des Verfahrens enthaltene Vorbringen in der Beschwerde ist also nicht erkennbar, warum die belangte Behörde davon hätte ausgehen müssen, daß sie wegen unrichtiger Protokollierung verpflichtet gewesen wäre, eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durchzuführen; dazu fehlt ein entsprechendes Vorbringen in der Beschwerde.

Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens macht aber die Beschwerde ausdrücklich geltend, daß es die belangte Behörde trotz offensichtlicher Hinweise auf eine asylrechtlich relevante Verfolgung im Vorbringen des Beschwerdeführers unterlassen habe, durch entsprechende Ermittlungen die Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes zu beheben. So wäre es erforderlich gewesen, den Beschwerdeführer dahingehend konkret zu befragen, aufgrund welcher konkreten Handlungen der Beschwerdeführer von den türkischen Behörden unter Druck gesetzt worden sei, wie sich die allgemeine Lebenssituation in seinem Heimatdorf, insbesondere in Bezug auf die kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Regierungstruppen und der PKK dargestellt habe, inwieweit es dabei zu konkreter Gewaltanwendung der Regierungskräfte einerseits sowie der PKK andererseits gegenüber den Dorfbewohnern gekommen sei, inwieweit die Dorfbewohner dem Druck der türkischen Behörden ausgesetzt gewesen seien, mit diesen zu kooperieren, welche nachteiligen Folgen ein männlicher Dorfbewohner auf sich nehme, wenn er sich weigere, "Dorfwächter" zu werden, welche konkreten Gründe den Beschwerdeführer bewogen haben, nach seiner Weigerung "Dorfwächter" zu werden, sein Dorf zu verlassen und sich in verschiedenen Nachbardörfern bei Verwandten und Bekannten versteckt zu halten.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 bestimmt, daß die Asylbehörden zwar in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet und die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen, wobei erforderlichenfalls auch Bescheinigungsmittel von Amts wegen beizuschaffen sind. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen darstellt, begründet jedoch keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen konkreten Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung dieser Angaben zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber eine Verpflichtung der Behörde nicht abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. u.a. hg. Erkenntnis vom 9. September 1993, Zl. 93/01/0768 und die dort angegebene Judikatur). Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer als Fluchtgrund ausdrücklich nur geltend gemacht, daß er es aus Furcht vor den Leuten der PKK abgelehnt habe, als Dorfwächter in seinem Heimatdorf tätig zu sein. Entgegen seiner noch im schriftlichen Asylantrag enthalten gewesenen Behauptung, er sei wegen seines politischen Engagements in der Türkei verfolgt worden, hatte der Beschwerdeführer weder bei seiner Vernehmung durch die Behörde erster Instanz noch im Berufungsverfahren dahin gehende Äußerungen getätigt, daß er politisch aktiv oder auffällig und deshalb einer Verfolgung durch die Behörde ausgesetzt gewesen wäre. Der Beschwerdeführer hat vielmehr bei seiner Vernehmung erklärt, daß er nie irgendwelche Kontakte mit der PKK gehabt habe, andererseits aber auch nie von den Behörden verhört oder gar inhaftiert worden sei. Auszugehen ist davon, daß der Beschwerdeführer die ausdrückliche Frage, ob er weitere Fluchtgründe anzugeben habe, verneinte, nichts von irgendwelchen zu befürchtenden Repressalien von Seiten der Behörden gegen seine Ablehung, als Dorfwächter tätig zu sein, erwähnte und auch keine konkreten Verfolgungshandlungen wegen einer, bei ihm offenbar gar nicht vorhandenen oppositionellen politischen Gesinnung geltend machte. Somit kann der Auffassung der Behörden, der Beschwerdeführer sei aufgrund der von ihm geforderten Tätigkeit als Dorfwächter - die er aus Angst vor den Leuten der PKK abgelehnt habe - geflüchtet, was asylrechtlich nicht relevant sei, nicht entgegengetreten werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 1994, Zl. 94/20/0097). Da im Beschwerdefall hinreichend deutliche Hinweise auf das Vorliegen weiterer Gründe im Sinne der Flüchtlingskonvention im Vorbringen des Beschwerdeführers vor der Behörde erster Instanz nicht enthalten waren, war die belangte Behörde nicht verhalten, gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen. Von einer Widersprüchlichkeit oder Unvollständigkeit der von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zugrundegelegten Sachverhaltsannahme kann nicht die Rede sein. Vielmehr hat die belangte Behörde zutreffend aufgezeigt, daß zwischen der festgehaltenen Angabe, er habe bis zum Jahr 1994 im elterlichen Betrieb gearbeitet und der Aussage, er habe sich zwei Jahre vor seiner Flucht versteckt gehalten, ein Widerspruch besteht. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer zwei Jahre nach seiner behaupteten Entziehung von der Tätigkeit eines Dorfwächters einen Personalausweis erhalten habe, ist auch nicht dazu angetan, seine Angaben als besonders glaubwürdig erscheinen zu lassen.

Von der Warte der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Schlüssigkeitsprüfung aus kann die zum abweisenden Ergebnis führende Schlußfolgerung, der Beschwerdeführer habe eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Konventionsgründen nicht bescheinigen können, nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Die in der Beschwerde weitwendig dargestellten Ausführungen zur allgemeinen Lage der Kurden im Rahmen der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen der PKK und der türkischen Regierung sind nicht geeignet, eine gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete, unmittelbare asylrechtlich relevante Verfolgung darzutun.

Die in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, daß aufgrund der Stellung eines Asylantrages ein derartiger Asylwerber in der Türkei als politisch Oppositioneller angesehen und deshalb einer asylrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt sein werde, unterliegt dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehenden Neuerungsverbot.

Da die Beschwerde sich somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995200123.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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