TE Vwgh Erkenntnis 1994/6/21 94/20/0097

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.06.1994
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des A in T, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Juli 1993, Zl. 4.328.342/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität, der am 3. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. Jänner 1992, mit dem festgestellt worden war, bei ihm lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft. Mit Bescheid vom 6. Juli 1993 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 9. Dezember 1991 geltend gemacht, er sei im April oder Mai 1990 in seinem Dorf erstmals von Soldaten geschlagen worden. Die Soldaten seien ins Dorf gekommen und hätten alle jungen Kurden aufgefordert, sich am Dorfplatz einzufinden, und sie dann der Reihe nach gefragt, ob sie bereit wären, "Dorfschütze" zu werden. Da sich kein einziger freiwillig gemeldet habe, habe ein Soldat auf den Beschwerdeführer immer wieder mit dem Gummiknüppel eingeschlagen und ihn gefragt, ob er nun bereit sei, "Dorfschütze" zu werden. Über Vorhalt, daß diese Angaben nicht glaubwürdig erschienen, weil er seinen Militärdienst noch nicht abgeleistet habe, betonte der Beschwerdeführer den Wahrheitsgehalt seiner Aussage und führte aus, die Soldaten seien, da die Kurden wegen zahlreicher Anschläge gegen "Dorfschützen" zu dieser Tätigkeit nicht mehr bereit seien, bei ihrer Wahl nicht mehr selektiv. Der Beschwerdeführer sei der älteste Sohn seiner Familie und da sein Vater infolge Krankheit nicht mehr als "Dorfschütze" in Frage komme, hätten die Soldaten alles daran gesetzt, den Beschwerdeführer zum "Dorfschützen" zu machen. Dies habe ihn zum Verlassen seines Heimatlandes bewogen. Seinen Reisepaß habe er, nachdem er am Paßamt in Bingöl urgiert habe, nach 21 Tagen erhalten.

In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer ergänzend aus, sein Dorf, das sich in der Region befinde, in der der Ausnahmezustand herrsche, werde ständig von staatlichen Organen bewacht, sodaß niemand dort leben könne. Alle (Dorfbewohner) würden beschimpft und erniedrigt. Ab 20.00 Uhr dürfe niemand die Wohnung verlassen; es bestehe Schießbefehl. Als "Alevit" könne er in der Türkei nicht mehr leben.

Die belangte Behörde, die - da das gegenständliche Verwaltungsverfahren am 1. Juni 1992 bereits bei ihr anhängig war - gemäß § 25 Asylgesetz 1991 dieses Gesetz anzuwenden hatte, hat den angefochtenen Bescheid damit begründet, daß der Beschwerdeführer keine über das Ausmaß allgemeinen Mißtrauens und allgemeiner Benachteiligungen sowie polizeilicher Belästigungen, dem der Großteil der kurdischen Bevölkerung ausgesetzt sei, hinausgehenden, ihn persönlich treffenden staatlichen Maßnahmen vorgetragen habe. Den von ihm dargestellten Übergriffen der militärischen Macht könnte grundsätzlich die gesamte Bevölkerung der betreffenden Region ausgesetzt sein, sodaß solche Übergriffe, wenn sie nicht durch in der Person des davon Betroffenen gelegenen Gründen motiviert seien, nicht als Verfolgung angesehen werden könnten. Auch mangle es den vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Mißhandlungen an der für ihre Wertung als ernsthafte Nachteile im Sinne des Asylgesetzes 1991 an der erforderlichen Intensität; vielmehr handle es sich hiebei um verhältnismäßig geringe vorübergehende Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität, die keine nur durch Ausreise zu vermeidende Zwangslage begründet hätten. Die Tätigkeit bei der Dorfmiliz sei grundsätzlich freiwillig und zum Teil sogar begehrt. Soweit sich in gewissen Dörfern keine Anwärter für diese Funktion fänden, sei mit der Ausübung von Zwang gegen die Bewohner zu rechnen, der darin bestünde, daß die Gendarmerie Druck auf den Dorfvorsteher ausübe, der Listen geeigneter Personen zur Verfügung stellen müsse.

Bei den vom Beschwerdeführer angeführten Gründen, auf die er seinen Asylantrag gestützt hat, handelt es sich um Maßnahmen staatlicher Organe, die deswegen gegen ihn gesetzt wurden, um ihn zur Übernahme der Funktion eines Dorfwächters bzw. Dorfmilizionärs zu bewegen. Es handelt sich also um die unter Ausübung polizeilicher Gewalt an den Beschwerdeführer gerichtete Aufforderung, eine öffentliche Funktion im Dienste der Staatsgewalt zu übernehmen. Die Verweigerung der Zusammenarbeit mit der Polizei bzw. der Übernahme einer derartigen Funktion wie auch die daraus für den Beschwerdeführer allenfalls erwachsenden weiteren Folgen können aber nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinem der Gründe des § 1 Asylgesetz 1991 untergeordnet werden und vermögen somit im Sinne dieser Gesetzesstelle Verfolgung bzw. begründete Furcht vor einer solchen nicht zu begründen (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 8. Juli 1993, Zl. 92/01/1038, und vom 16. Dezember 1993, Zl. 93/01/0230).

Bei diesem Ergebnis kann den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Verfahrensmängeln Wesentlichkeit nicht zukommen, weil die belangte Behörde auch bei Vermeidung solcher allenfalls tatsächlich gegebener Verfahrensverstöße - wie insbesondere Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs - zu keinem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994200097.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten