TE Vfgh Erkenntnis 2022/6/29 E571/2022

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Veröffentlicht am 29.06.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
VwGVG §29
BFA-VG §22a
FremdenpolizeiG 2005 §76
VfGG §7 Abs2
  1. BFA-VG § 22a heute
  2. BFA-VG § 22a gültig ab 19.06.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 70/2015
  3. BFA-VG § 22a gültig von 15.04.2015 bis 18.06.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 41/2015
  4. BFA-VG § 22a gültig von 01.01.2014 bis 14.04.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 144/2013
  5. BFA-VG § 22a gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/2013
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander mangels zeitnaher schriftlicher Ausfertigung der beinahe zwei Jahre vorher mündlich verkündeten Entscheidung betreffend die Schubhaft

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein staatenloser Palästinenser und stellte am 25. März 2008 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. Februar 2009 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 25. März 2008 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) bzw gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Jordanien abgewiesen (Spruchpunkt II.) und wurde er gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Jordanien ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Einer Berufung gegen diesen Bescheid wurde gemäß §38 Abs1 Z3 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.). Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

3. Mit Bescheid einer Bundespolizeidirektion vom 20. Oktober 2008 wurde zudem ein Rückkehrverbot in der Dauer von zehn Jahren gegen den Beschwerdeführer erlassen. Eine dagegen erhobene Berufung blieb erfolglos. Das Rückkehrverbot wurde rechtskräftig und in weiterer Folge in ein Aufenthaltsverbot umgewandelt.

4. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24. Oktober 2019 wurde über den Beschwerdeführer gemäß §76 Abs2 Z2 FPG iVm §57 Abs1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. Februar 2020 wurde gemäß §22a Abs4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorgelegen seien und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig gewesen sei.

6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bemühte sich in Folge um ein Heimreisezertifikat, wobei der Beschwerdeführer nicht hinreichend mitwirkte.

7. Am 23. Februar 2020 wurde erneut Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben, mit welcher u.a begehrt wurde, dass die Verhängung der Schubhaft sowie die andauernde Anhaltung für rechtswidrig erklärt und der Mandatsbescheid vom 24. Oktober 2019 behoben werde. Darüber hinaus wurde Kostenersatz und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

8. Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 26. Februar 2020 wurde die Beschwerde hinsichtlich des Zeitraumes vom 24. Oktober 2019 bis 5. Dezember 2019 gemäß §7 Abs4 VwGVG als verspätet zurückgewiesen. Hinsichtlich der Anhaltung vom 6. Dezember 2019 bis 25. Februar 2020 wurde die Beschwerde gemäß §22a Abs1 BFA-VG iVm §76 Abs2 Z2 FPG iVm §76 Abs3 Z1 und Z9 FPG iVm §76 Abs2a FPG als unbegründet abgewiesen. Zudem wurde gemäß §22a Abs3 BFA-VG iVm §76 Abs2 Z2 FPG iVm §76 Abs2a FPG iVm §76 Abs3 Z1 und Z9 FPG festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorgelegen seien. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz wurde gemäß §35 VwGVG abgewiesen und dem Beschwerdeführer wurde aufgetragen, dem Bund die Aufwendungen iHv € 887, 20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

8.1. Das gegenüber dem Beschwerdeführer mündlich verkündete Erkenntnis wird (ausweislich des Protokolles über die mündliche Verhandlung) wie folgt begründet (ohne die Hervorhebungen im Original):

"Zu Spruchpunkt A) II.: Anhaltung in Schubhaft von 06.12.2019 bis 25.02.2020:

Die Sicherung der Abschiebung war aufgrund des Vorverhaltens des BF erforderlich. Insbesondere ergibt sich aufgrund der Verwirklichung der Tatbestände des §76 Abs3 Z1, 3 und Z9 FPG ein ausgeprägter Sicherungsbedarf. Dieser begründet sich im Einzelnen wie folgt:

Der BF reiste spätestens am 25.03.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 25.03.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BFA vom 17.02.2009 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 25.03.2008 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Absatz 1 iVm §2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß §8 Absatz 1 iVm §2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Jordanien abgewiesen (Spruchpunkt II). Der BF wurde gemäß §10 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Jordanien ausgewiesen (Spruchpunkt III). Einer Berufung gegen diesen Bescheid wurde gemäß §38 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV). Diese Entscheidung erwuchs in weiterer Folge in Rechtskraft.

Mit Bescheid einer Bundespolizeidirektion vom 20.10.2008 wurde zudem ein Rückkehrverbot in der Dauer von zehn Jahren gegen den BF erlassen. Eine dagegen erhobene Berufung blieb erfolglos. Das Rückkehrverbot wurde rechtskräftig und in weiterer Folge in ein Aufenthaltsverbot umgewandelt.

Da somit eine rechtskräftige und durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorlag war Ziffer 3 leg cit als erfüllt anzusehen.

Zu Ziffer 1 leg cit ist auszuführen: Zumal der BF Aliasidentitäten verwendete und unter mehreren Staatsangehörigkeiten auftrat wirkte er jedenfalls nicht an seinem Verfahren mit und versuchte seine Abschiebung zu behindern. Dem BF ist auch in Zusammenhang mit dem Ausfüllen des UNRWA-Formblattes bzw generell im Rahmen seiner Identifizierung mangelnde Kooperation vorzuwerfen, zumal das Beweisverfahren ergab, dass der BF jedenfalls über eine entsprechende Identifikationsnummer oder ein Reisedokument der palästinensischen Autonomiebehörde verfügt haben muss.

Der BF konnte in Österreich keine familiären und keine legalen beruflichen Anknüpfungspunkte vorweisen und verfügte auch nicht über ausreichende Existenzmittel. Es lagen in einer Gesamtbetrachtung für das BFA keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der BF aufgrund des Grades seiner familiären, sozialen und beruflichen Verankerung in Österreich einen so verfestigten Aufenthalt hatte, um sich seiner Abschiebung nicht zu entziehen. Sein soziales Netz ermöglichte ihm ein Leben im Verborgenen. Damit war auch Ziffer 9 leg cit als erfüllt anzusehen.

Hinzukommt, dass der BF anführte, Österreich freiwillig nicht verlassen zu wollen und diesbezüglich während seines langjährigen Aufenthaltes auch keinerlei Bemühungen setzte.

Aufgrund all dessen, war davon auszugehen, dass der BF auch hinkünftig nicht gewillt sein würde, sich für eine Ausreise zur Verfügung zu halten. Vor dem Hintergrund der vorne im Rahmen der Beweiswürdigung der Entscheidungsgrundlagen angeführten Umstände, das Verhalten des Beschwerdeführers betreffend, war sohin von Fluchtgefahr auszugehen.

Unter Berücksichtigung dieses Umstandes konnte die Behörde von einem verstärkten Sicherungsbedarf ausgehen. Es kann daher dem BFA auch nicht vorgeworfen werden, wenn es bei seiner Entscheidung zur Anordnung der Schubhaft und dem dafür erforderlichen Sicherungsbedarf davon ausging, dass sich der BF allenfalls durch Untertauchen der Abschiebung entzogen hätte.

Insoweit die Behörde in einer Zusammenschau aller angeführten Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung des bisherigen Gesamtverhaltens des BF davon ausging, dass ein konkreter Sicherungsbedarf für die Durchführung des HRZ-Verfahrens und der Überstellung sowie die Erforderlichkeit der Schubhaft als einzige geeignete Sicherungsmaßnahme gegenüber der Anordnung eines gelinderen Mittels nach §77 FPG und auch die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft gegeben waren, begegnet dies keinen Bedenken. Die Behörde hat im angefochtenen Bescheid zu Recht dargelegt, dass im vorliegenden Fall der erforderliche Sicherungszweck nicht durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach §77 FPG erreicht werden konnte. Weder verfügte der BF über ausreichende finanzielle Mittel für die Hinterlegung einer angemessenen Sicherheit, noch war davon auszugehen, dass er sich in irgendeiner Weise den Behörden für die beabsichtigte Rückführung in den zuständigen Aufnahmestaat aus freien Stücken zur Verfügung gehalten hätte.

Eine Gesamtabwägung aller angeführten Umstände ergab daher, dass das öffentliche Interesse an der Sicherung des HRZ-Verfahrens bzw der Abschiebung das Interesse des BF an der Schonung seiner persönlichen Freiheit überwogen und ein konkretes Sicherungsbedürfnis bestanden hat. Die Behörde konnte somit unter den gegebenen Umständen zu Recht von Fluchtgefahr, Sicherungsbedarf und Verhältnismäßigkeit ausgehen. Mit dem Einwand der unzuständigen Entscheidung war für den BF insofern nichts gewonnen, als hinsichtlich des Zeitraumes zwischen dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.02.2020 bis zum gegenständlichen Fortsetzungsausspruch am 26.02.2020 zum Entscheidungszeitpunkt von der am 03.02.2020 erlassenen Entscheidung auszugehen war.

Mit dem 26.02.2020 erfolgten die mündliche Beschwerdeverhandlung und der Fortsetzungsausspruch.

Die Anhaltung in Schubhaft ab 06.12.2019 erwies sich bei Abwägung aller betroffenen Interessen – und insbesondere auch im Hinblick auf die festgestellte Straffälligkeit des BF, jeweils aufgrund von Suchtmitteldelikten – als verhältnismäßig (vgl etwa VwGH 12. März 2002, ZI. 98/18/0260, vom 18. Jänner 2005, ZI. 2004/18/0365, vom 3. Mai 2005, ZI. 2005/18/0076, vom 17. Jänner 2006, ZI. 2006/18/0001, und vom 9. September 2014, ZI).

Auch der in der Beschwerde angeführte Antrag auf Ausstellung einer Duldungskarte vermag an diesem Ergebnis nichts zu verändern: Wie in den genannten Normen (§§46a und 31 FPG) und insb. zitierten Erläuterungen zu §46a FPG mehrfach eindeutig zum Ausdruck gebracht wird, begründet die Ausstellung einer Duldungskarte kein Aufenthaltsrecht. Vielmehr ist der oder die Fremde nach wie vor unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig und die Ausreiseverpflichtung bleibt unberührt aufrecht. Somit vermag der in der Beschwerde vorgebrachte Umstand, dass der BF einen Antrag auf Duldung gestellt habe, welcher noch offen sei, nichts an diesem Ergebnis zu verändern.

Daher war spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt A) I.: Festnahme, Mandatsbescheid vom 24.10.2019 und Anhaltung in Schubhaft von 24.10.2019 bis 05.12.2019:

[…]

Hinsichtlich des Schubhaftbescheides vom 24.10.2019 sowie der Anhaltung des BF von 24.10.2019 bis 05.12.2019 in Schubhaft ist auszuführen, dass die diesbezügliche Beschwerde in der mündlichen Verhandlung spruchgemäß zurückgewiesen wurde. Da der Mandatsbescheid vom 24.10.2019 innerhalb einer Frist von sechs Wochen in Vollzug gesetzt wurde und der BF sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung in Schubhaft befand, konnte die diesbezügliche Beschwerde jedoch nicht wie oben dargelegt verfristet sein. Dies gilt ebenso für die unmittelbar davorliegende Festnahme des BF (vgl hierzu etwa VwGH vom 11.05.2021, Ra 2021/21/0066 unter Bezugnahme auf VwGH 30.4.2009, 2008/21/0565).

Wie bereits zu Spruchpunkt II. ausgeführt, war die Beschwerde gegen die Anhaltung des BF in Schubhaft als unbegründet abzuweisen. Die hierzu getroffenen Überlegungen hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Schubhaft treffen – bei inhaltlicher Behandlung – auch auf den Anhaltezeitraum von 24.10.2019 bis 05.12.2019 und den Schubhaftbescheid vom 24.10.2019 zu. Der BF wurde am 24.10.2019 gemäß §40 BFA-VG unter Auftrag des BFA-Journaldienstes festgenommen, er hielt sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Auch die Festnahme erwies sich damit als rechtmäßig. Im Ergebnis wäre die Beschwerde somit abzuweisen gewesen, was für den BF keine günstigere Rechtsposition als im Fall einer Zurückweisung bedeutet hätte.

Zu Spruchpunkt A.III.) Fortsetzung der Schubhaft:

[…]

Da der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung in Schubhaft angehalten wurde, war auch über die Fortsetzung der Schubhaft – innerhalb einer Woche – abzusprechen.

Den dargelegten Erwägungen zum Vorliegen von Fluchtgefahr, eines konkreten Sicherungsbedarfs und zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft kam auch zum Zeitpunkt der Entscheidung nach wie vor Geltung zu.

Im gegenständlichen Fall war daher bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit sowie des konkreten Sicherungsbedarfs (infolge Fluchtgefahr) maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Behörde in der mündlichen Verhandlung zusagte sich innerhalb des nächsten Monats intensiv um ein Heimreisezertifikat mit dem UNRWA zu bemühen.

Unter Berücksichtigung des bisherigen Gesamtverhaltens des BF erwies sich die Gefahr des Untertauchens weiterhin als erheblich.

Die Anordnung eines gelinderen Mittels gemäß §77 FPG erwies sich auch weiterhin als nicht geeignet, um den erforderlichen Sicherungszweck (Durchführbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme) zu erreichen.

Eine auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Gesamtabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des HRZ-Verfahrens sowie der Überstellung einerseits und der Schonung der persönlichen Freiheit des BF andererseits ergab somit, dass das erwähnte öffentliche Interesse überwog, weil ohne Anordnung der Schubhaft das HRZ-Verfahren /die Überstellung wahrscheinlich vereitelt oder wesentlich erschwert worden wäre.

Die Anhaltung eines Asylwerbers in Schubhaft kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn besondere Umstände vorliegen, die im jeweiligen Asylverfahrensstadium ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl VwGH 05.07.2011, ZI. 2008/21/0080 mwN).

Dabei bedarf es in dem frühen Verfahrensstadium (etwa vor Einleitung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) besonderer Umstände, die ein Untertauchen des betreffenden Fremden schon zu diesem Zeitpunkt konkret befürchten lassen. In einem späteren Stadium des Asylverfahrens, insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung oder Anordnung zur Außerlandesbringung, können dann unter Umständen auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs genügen (vgl VwGH 23.09.2010, ZI. 2007/21/0432 mwN).

Die Möglichkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers stand (anders als in VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047; 12.09.2013, 2013/21/0110; 20.12.2013, 2013/21/0014) zum Entscheidungszeitpunkt tatsächlich im Raum, mit der Möglichkeit der Abschiebung war auch tatsächlich zu rechnen (VwGH 28.08.2012, 2010/21/0517). Die Sicherheit, dass es zur (erfolgreichen) Abschiebung kommen würde, war für die Verhängung von Schubhaft nicht erforderlich (VwGH 07.02.2008. [,] 2006/21/0389).

Vor dem Hintergrund des Verfahrensstandes stand mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass die Abschiebung innerhalb der Schubhafthöchstdauer des §80 FPG erfolgen konnte (vgl VwGH 20.12.2013, 2013/21/0014; 11.06.2013, 2013/21/0024; 19.04,2012. [,] 2009/21/0047).

Die (fortgesetzte) Anhaltung in Schubhaft erwies sich daher zum Zweck der Sicherung des HRZ-Verfahrens bzw der Überstellung als notwendig und verhältnismäßig. Die Anhaltung in Schubhaft war somit auch aus diesem Gesichtspunkt fortzusetzen.

Der BF verfügte über ein soziales Netz im Bundesgebiet, das ihm ein Leben im Verborgenen ermöglichte. Im Falle des Beschwerdeführers lag aufgrund seines Vorverhaltens Fluchtgefahr vor; wegen seines Vorverhaltens konnte auch mit der Verhängung gelinderer Mittel nicht das Auslangen gefunden werden. Der Beschwerdeführer war haftfähig, die Schubhaft auch aus diesem Grund nicht unverhältnismäßig.

Es war daher gemäß §22a Abs3 BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass seitens der Gerichtsabteilung W140 in der mündlichen Verhandlung darauf hingewirkt wurde, dass die Behörde binnen eines Monats klärt, ob ein von UNRWA gefordertes Dokument ausgestellt werden kann. Es wurde angeregt, den BF widrigenfalls in ein gelinderes Mittel zu entlassen (vgl Verhandlungsprotokoll S. 25f).

Zu den Spruchpunkten A) IV. und A) V.: Kostenersatz:

[…]

Die belangte Behörde hat als vollständig obsiegende Partei Anspruch auf Kostenersatz. Dem Beschwerdeführer gebührte als unterlegener Partei hingegen kein Kostenersatz."

9. Mit Schreiben vom 27. Februar 2020 beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

10. Am 14. Jänner 2022 erging die schriftliche Ausfertigung des am 26. Februar 2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

11. Am 7. März 2022 langte hg. ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe des Beschwerdeführers ein, wobei diesem Antrag mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Mai 2022 in vollem Umfang stattgegeben wurde.

12. In Folge brachte der Beschwerdeführer eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde ein, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

12.1. Begründend bringt der Beschwerdeführer Vollzugsfehler vor und weist insbesondere auch darauf hin, dass eine Verletzung der Pflicht zu einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses vorliege.

13. Die Verwaltungs- und Gerichtsakten wurden sowohl durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch durch das Bundesverwaltungsgericht vorgelegt, wobei von der Erstattung einer Gegenschrift jeweils Abstand genommen wurde.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 7. Oktober 2021, E837/2021, im Hinblick auf die Beurteilung der Zeitspanne zwischen der das verwaltungsgerichtliche Verfahren abschließenden mündlichen Verkündung der Entscheidung und der Erlassung der schriftlichen Ausfertigung derselben ausgesprochen, dass eine Ausfertigung acht Monate nach der mündlichen Verkündung den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Erlassung von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen nicht entspricht (vgl auch VfGH 10.3.2021, E2059/2020 ua).

2.2. Im vorliegenden Fall erfolgte die schriftliche Ausfertigung der am 26. Februar 2020 mündlich verkündeten Entscheidung mit Datum vom 14. Jänner 2022 jedenfalls deutlich über acht Monate nach der mündlichen Verkündung. Im Hinblick auf die lange Zeitspanne zwischen mündlicher Verkündung und schriftlicher Ausfertigung der Entscheidung (vgl VfGH 10.3.2021, E2059/2020 ua; 23.6.2021, E720/2021; 7.10.2021, E837/2021) wurde dem Beschwerdeführer dadurch ein effektiver Rechtsschutz verwehrt.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe in vollem Umfang genießt.

Schlagworte

Verhandlung mündliche, Entscheidungsverkündung, Rechtsschutz, Verwaltungsgerichtsverfahren, Schubhaft, Rechtsstaatsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E571.2022

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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