TE Vfgh Erkenntnis 2021/10/7 E837/2021

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Veröffentlicht am 07.10.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
VwGVG §29
AsylG 2005 §55
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §53, §55
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander mangels zeitnaher schriftlicher Ausfertigung der mehr als acht Monate vorher mündlich verkündeten und umfangreich begründeten Entscheidung betreffend die Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art8 EMRK

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskos-ten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist indischer Staatsangehöriger, reiste am 3. Oktober 2010 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 7. Oktober 2010 wies das Bundesasylamt diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab und verfügte die Ausweisung nach Indien. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 28. März 2013 als unbegründet ab. Die Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

3. Am 7. Oktober 2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art8 EMRK gemäß §55 AsylG 2005. Mit Bescheid vom 17. März 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag hinsichtlich der Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art8 EMRK als unbegründet ab, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat Indien zulässig ist, setzte keine Frist für die freiwillige Ausreise und erließ ein auf die Dauer von achtzehn Monaten befristetes Einreiseverbot.

4. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit – in Abwesenheit des rechtzeitig geladenen Beschwerdeführers sowie eines Vertreters des dem Beschwerdeführer zur Rechtsberatung von Amts wegen zur Verfügung gestellten ebenso rechtzeitig verständigten Vereines – mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. Mai 2020 wies dieses die Beschwerde grundsätzlich als unbegründet ab, setzte aber eine Frist von vierzehn Tagen für die freiwillige Ausreise ab Wegfall der durch die COVID-19-Pandemie bedingten Ausreisebeschränkungen.

4.1. Das mündlich verkündete Erkenntnis wird (ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung) auszugsweise wie folgt begründet:

"Bei einer Abwägung im Sinne des Art8 Abs2 EMRK ist eine Rückkehrentscheidung jedenfalls geboten:

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass kein schützenswertes Familienleben des BF im Bundesgebiet auf Grund der Wohngemeinschaft gegenüber seinem Cousin hervorgekommen ist, als dieser in der Niederschrift vom 11.11.2019 diesbezüglich selbst ausführte, dass zu keiner Person in Österreich ein Abhängigkeitsverhältnis besteht.

[…]

Hinsichtlich des Privatlebens ist zunächst auf die lange Aufenthaltsdauer des BF von rund neuneinhalb Jahren zu verweisen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. […] Umgekehrt hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw für ein größeres öffentliches Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden. […]

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist festzuhalten, dass beim BF trotz gewisser integrationsbegründender Merkmale nicht zwingend von einem Überwiegen seiner privaten Interessen an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet ausgegangen werden kann, zumal die lange Dauer seines Aufenthalts maßgeblich dadurch relativiert wird, dass bereits mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.10.2010 sein Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen und er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 28.03.2013 als unbegründet abgewiesen. Spätestens im Zeitpunkt dieser Entscheidung musste dem BF bewusst sein, dass er sich unrechtmäßig in Österreich aufhält und zur Rückkehr nach Indien verpflichtet ist. Er widersetzte sich jedoch der Rückkehrentscheidung, verblieb unrechtmäßig im Bundesgebiet und stellte daraufhin am 07.10.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag, welcher jedoch kein (vorläufiges) Aufenthaltsrecht begründet (vgl §58 Abs13 AsylG), sodass er sich nach wie vor unrechtmäßig in Österreich aufhält.

Hinzu tritt, dass gegen den BF bereits mehrfach Anzeige wegen unrechtmäßigen Aufenthalts gemäß §120 Abs1a FPG am 29.05.2013, 14.05.2013, 22.09.2015 erstattet wurde und am 29.05.2013 gegen den BF ein Straferkenntnis in der Höhe von 500 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage) erlassen wurde, ihm daher sein unrechtmäßiger Aufenthalt bewusst sein musste.

Das Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz dauerte ab der Antragstellung am 04.10.2010 bis zur Entscheidung des AsyIGH am 28.03.2013 über die gegen den Bescheid des BAA erhobene Beschwerde, sodass dies in Ansehung der Abführung eines erstinstanzlichen sowie eines Beschwerdeverfahrens eine angemessene Verfahrensdauer darstellt.

Im gegenständlichen Fall ist vor dem Hintergrund der Auslastung des erkennenden Gerichts und der belangten Behörde zwar festzustellen, dass eine raschere Entscheidung bei Vorhandensein entsprechender Ressourcen unter Umständen möglich gewesen wäre. Dennoch ist hierzu anzuführen, dass es sich bei der Frage des möglichen Organisationsverschuldens hinsichtlich der Verfahrensdauer um eines von mehreren Kriterien innerhalb der hier vorzunehmenden Interessensabwägung handelt und das Ergebnis der Prüfung eines möglichen Organisationsverschuldens nicht für sich alleine und isoliert, sondern in einer Gesamtschau innerhalb sämtlicher abgewogener Kriterien zu sehen ist.

Gerade unter Berücksichtigung des dem BF bewussten unsicheren Aufenthaltsstatus bzw seines unrechtmäßigen Aufenthalts ist nicht davon auszugehen, dass die zeitliche Komponente dermaßen in den Vordergrund tritt, dass aufgrund der Verfahrensdauer im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art8 EMRK von einem Überwiegen der privaten Interessen des BF auszugehen wäre […].

Zu Gunsten des BF ist festzuhalten, dass er sich einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich aufgebaut hat, dem allerdings keine ÖsterreicherInnen angehören.

Ferner ist er Mitglied in einem Cricketverein, indem er regelmäßig Cricket spielt. Außer seinem Cousin sind keine intensiven sozialen Bindungen hervorgekommen. Der BF ist weder verheiratet noch lebt dieser in einer Lebensgemeinschaft mit einem Partner/in. Trotz seines langjährigen Aufenthalts hat er lediglich Grundkenntnisse der deutschen Sprache erlangt.

Der BF bezieht zwar keine Leistungen aus der Grundversorgung, seine Arbeit als Zeitungszusteller stellt überdies keine rechtmäßige Erwerbstätigkeit dar. Er verfügt über keine Kranken- und Unfallversicherung, besitzt keine arbeitsmarktrechtliche oder gewerberechtliche Genehmigung, die ihn zur Ausübung dieser Tätigkeit berechtigen würde. Hinzu kommt, dass er damit lediglich ca. 500-600 Euro monatlich verdient […].

Es kann daher von keiner Selbsterhaltungsfähigkeit des BF ausgegangen werden. […]

Hinzu kommt im gegenständlichen Fall, dass der erwachsene BF den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht hat, dort sozialisiert wurde und seine Eltern und Schwester, mit denen er regelmäßig einmal in der Woche in Kontakt steht, leben, wogegen er in Österreich, außer einem Cousin nur über sonstige soziale Kontakte verfügt. Er beherrscht eine in Indien gesprochene Sprache, während hinsichtlich seiner Deutschkenntnisse nicht von einem fortgeschrittenen Stadium ausgegangen werden kann. Es kann daher nicht angenommen werden, dass der BF im Bundesgebiet derart verwurzelt wäre und er mit den Verhältnissen in Indien entwurzelt wäre, dass ihm eine Rückkehr dorthin nicht mehr zugemutet werden könnte. Hinzuweisen ist, dass sich dem Vorbringen des BF kein besonderes soziales Engagement entnehmen lässt oder er mit den Gegebenheiten im Bundesgebiet in kultureller und sozialer Hinsicht in besonderer Weise verbunden wäre.

[…]

Nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen ist ein Eingriff in das Privat-und Familienleben des Beschwerdeführers durch eine Rückkehrentscheidung als im Sinne des Art8 Abs2 EMRK verhältnismäßig und ihre Erlassung zur Errichtung der im Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele, insbesondere der öffentlichen Ordnung, als geboten zu erachten. Daraus folgt ihre Zulässigkeit iSd §9 BFA-VG.

[…]

Unter Zugrundelegung der Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 28.03.2013 in Verbindung mit dem bisher Ausgeführten, wonach sich eine maßgebliche Veränderung weder im Herkunftsstaat noch in der Person des BF ergeben hat, können keine Gründe erkannt werden, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des §50 FPG ergeben würde. Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben.

Der Vollständigkeit halber ist aufgrund der aktuellen und zeitlich begrenzten Situation festzuhalten, dass auch die Ausbreitung des Coronavirus einer Rückkehr nicht entgegensteht. So ist der BF jung und gesund, insbesondere leidet oder litt er an keinen Atemwegserkrankungen oder anderen chronischen Krankheiten. Er gehört somit nicht zur Risikogruppe der alten oder chronisch kranken Personen. Auch die notorisch bekannten Zahlen an COVID-19 Erkrankten in Indien […] zeigen aktuell kein für eine Schutzgewährung hinreichend signifikantes Risiko für den BF auf. […]

[…]

Im gegenständlichen Fall wurde über den BF mit Straferkenntnis vom 29.05.2013 gemäß §120 Abs1a FPG eine Geldstrafe in Höhe von 500,-- Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage) verhängt. Eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenrechts ergibt sich insbesondere daraus, dass der BF nach Erlassung des Erkenntnisses des Asylgerichtshofs im März 2013, durch welches der negative Bescheid des Bundesasylamtes bestätigt wurde, unrechtmäßig in Österreich verblieben ist und erst im Oktober 2015 versucht hat, seinen Aufenthalt durch die Stellung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu legalisieren. Der BF zeigte daher während seiner Anwesenheit in Österreich eine auffällige Missachtung fremdenrechtlicher Bestimmungen. Hinzu kommt[], dass der BF den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag.

[…]

Wie bereits oben aufgezeigt, verfügt der BF in Österreich über kein Familienleben und nur ein schwach ausgeprägtes Privatleben. Der BF hat sich zwar einen Freundeskreis aufgebaut, verfügt aber ansonsten über keine Familienangehörigen oder sonstige Bezugspersonen in Österreich. Er konnte keine besonders intensiven Bindungen im Bundesgebiet dartun. Er verfügt trotz seines langjährigen Aufenthalts in Österreich über keine nennenswerten Deutschkenntnisse, hat an keinen vertiefenden Integrationsmaßnahmen teilgenommen, engagiert sich nicht ehrenamtlich und ist zu keinem Zeitpunkt einer rechtmäßigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. […]

Hinsichtlich der Dauer des Einreiseverbotes ist zunächst zu berücksichtigen, dass der BF zwei der in §53 Abs2 FPG aufgelisteten Tatbestände erfüllt hat, sodass nicht von einem bloß geringfügigen Fehlverhalten des BF gesprochen werden kann.

In einer Gesamtschau des Fehlverhaltens des BF ergibt sich sohin, dass das Bundesamt die Dauer des Einreiseverbots im gegenständlichen Fall zu Recht mit 18 Monaten festgesetzt hat.

[…]

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt […] 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Im gegenständlichen Fall hat der BF aufgrund der aktuell durch die COVID-19-Pandemie bestehende Ausreisebeschränkung keine Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise. Derzeit ist nicht absehbar, wie lange die Beschränkungen andauern werden, sodass auch im Falle der Verlängerung der Frist die Gefahr besteht, dass der BF die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise nicht wahrnehmen könne.

Der Beginn der Frist für die freiwillige Ausreise ist sohin nach Ansicht des erkennenden Gerichts mit dem Wegfall des der freiwilligen Ausreise entgegenstehenden Hindernisses – nämlich der durch die COVID-19-Pandemie bedingten aktuellen Ausreisebeschränkungen – festzulegen."

4.2. Dem Beschwerdeführer und seiner Rechtsberatung wurde eine Ausfertigung der Niederschrift persönlich zugestellt. Mit Schreiben vom 8. Juni 2020 beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

5. Am 21. Jänner 2021 erging die schriftliche Ausfertigung der am 20. Mai 2020 mündlich verkündeten Entscheidung.

6. In der vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Interessenabwägung nach Art8 Abs2 EMRK als unzutreffend und unzureichend erweise. Die Beendigung des Aufenthaltes trotz der langen Aufenthaltsdauer sei unverhältnismäßig. Die lange Verfahrensdauer von insgesamt acht Jahren sei nicht dem Beschwerdeführer anzulasten. Darüber hinaus bringe das Bundesverwaltungsgericht das Kriterium "unsicherer Aufenthalt" übergewichtet in Anschlag.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung unterlaufen:

3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 10. März 2021, E2059/2020 ua, im Hinblick auf die Beurteilung der Zeitspanne zwischen der das verwaltungsgerichtliche Verfahren abschließenden mündlichen Verkündung der Entscheidung und der Erlassung der schriftlichen Ausfertigung derselben Folgen-des ausgesprochen:

"Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ist bezüglich der Erlassung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung der Zustellung einer Entscheidung ihre mündliche Verkündung gleichzuhalten (vgl VwGH 15.12.2014, Ro 2014/04/0068; 22.11.2017, Ra 2017/03/0082; s. auch VfSlg 19.965/2015, wonach der Verfassungsgerichtshof keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §29 VwGVG hegt und sich auch der Verfassungsgerichtshof insofern der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes anschließt). Mit der mündlichen Verkündung wird die Entscheidung unabhängig von der Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung (§29 Abs4 VwGVG) rechtlich existent (VwGH 27.6.2016, Ra 2016/11/0059; 14.9.2016, Fr 2016/18/0015; 4.4.2017, Ra 2017/02/0050), wenn sowohl der Inhalt einer Entscheidung als auch die Tatsache ihrer Verkündung in der Niederschrift festgehalten werden (VwGH 13.10.2015, Fr 2015/03/0007; 22.11.2017, Ra 2017/03/0082). Bereits an die Verkündung einer Entscheidung knüpfen sich daher deren Rechtswirkungen (vgl VfGH 11.6.2019, E671/2019; VwGH 23.9.2020, Ra 2019/14/0558). Daher kann die Entscheidung bereits nach der mündlichen Verkündung mit Beschwerde gemäß Art144 B-VG angefochten werden, sofern mindestens ein hiezu Berechtigter einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung der Entscheidung gemäß §29 Abs4 VwGVG gestellt hat (§82 Abs3b letzter Satz VfGG; siehe VfGH 20.6.2015, E163/2014; VwGH 15.12.2014, Ro 2014/04/0068; 22.11.2017, Ra 2017/03/0082).

Unabhängig von der Möglichkeit, die Entscheidung bereits nach der mündlichen Verkündung anzufechten, ist der Rechtsschutzsuchende in der Regel auf die – nähere und ausführliche – Begründung der Entscheidung in der schriftlichen Ausfertigung gemäß §29 Abs4 VwGVG angewiesen, um die Entscheidung auf Grund der maßgebenden Erwägungen gegebenenfalls mit einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG bekämpfen zu können. Aus der rechtsstaatlich gebotenen Pflicht zur Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen folgt daher im Zusammenhang mit der Regelungssystematik des §29 VwGVG auch die Pflicht zu einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung, weil andernfalls dem Rechtsschutzsuchenden effektiver Rechtsschutz verwehrt sein könnte (zum Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes siehe zB VfSlg 11.196/1986, 15.218/1998, 17.340/2004, 20.107/2016), was rechtsstaatlichen Anforderungen an die Erlassung gerichtlicher Entscheidungen widerspricht."

3.2. Die hier angeführte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes betraf ebenso einen asylrechtlichen Fall, bei dem der Zeitraum zwischen mündlicher Verkündung und schriftlicher Ausfertigung des Erkenntnisses 17 Monate betrug. Im vorliegenden Fall erfolgte die schriftliche Ausfertigung der am 20. Mai 2020 mündlich verkündeten Entscheidung am 21. Jänner 2021 und somit acht Monate nach der mündlichen Verkündung. Im Hinblick auf die lange Zeitspanne zwischen mündlicher Verkündung und schriftlicher Ausfertigung der Entscheidung sind die Erwägungen, die dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. März 2021, E2059/2020 ua, zugrunde liegen, auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Zeitspanne zwischen mündlicher Verkündung und schriftlicher Ausfertigung der Entscheidung widerspricht jedenfalls der Pflicht des Verwaltungsgerichtes zu einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung. Dem Beschwerdeführer wurde dadurch ein effektiver Rechtsschutz verwehrt, weshalb die Entscheidung schon deshalb den rechtstaatlichen Anforderungen an die Erlassung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen widerspricht (vgl VfGH 23.6.2021, E720/2021).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Verhandlung mündliche, Entscheidungsverkündung, Verwaltungsgerichtsverfahren, Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, Rückkehrentscheidung, Einreiseverbot, Asylrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E837.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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