TE Lvwg Erkenntnis 2022/10/14 LVwG-2022/12/0964-13

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Veröffentlicht am 14.10.2022
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Entscheidungsdatum

14.10.2022

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/01 Sicherheitsrecht
10/10 Grundrechte

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Kroker über die Maßnahmenbeschwerde der AA, geboren am XX.XX.XXXX, wohnhaft in **** Z, Adresse 1, vertreten durch Rechtsanwältin BB, Adresse 2, **** Y, gegen die Festnahme der Beschwerdeführerin am 25.02.2022 gegen 02:03 Uhr und deren Anhaltung auf der Polizeiinspektion X bis 25.02.2022 um 08:55 Uhr durch Polizeibeamte der Polizeiinspektion X, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung,

zu Recht:

1.       Der Beschwerde wird Folge gegeben und es wird festgestellt, dass die Festnahme der Beschwerdeführerin am 25.02.2022 gegen 02:03 Uhr und deren Anhaltung auf der Polizeiinspektion X bis 25.02.2022, 08:55 Uhr durch – der belangten Behörde Bezirkshauptmannschaft W zurechenbare - Polizeibeamte der Polizeiinspektion X rechtswidrig war.

2.       Gemäß § 35 Abs 2, 4 und 7 VwGVG in Verbindung mit § 1 Z 1 und Z 2 der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl II Nr 2013/517, wird dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Ersatz der Aufwendungen Folge gegeben. Die belangte Behörde Bezirkshauptmannschaft W hat der Beschwerdeführerin als Ersatz für den Schriftsatzaufwand Euro 737,60 sowie die Eingabegebühr von Euro 30,00, sowie den Verhandlungsaufwand in Höhe von Euro 922,00 sohin gesamt Euro 1689,60, binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Erkenntnisses zu ersetzen.

3.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang, Vorbringen, mündliche Verhandlung:

Mit Schriftsatz vom 07.04.2022 – per E-Mail übermittelt außerhalb der Amtsstunden am 07.04.2022 um 16:53 Uhr, daher eingebracht am 08.04.2022 - brachte die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin eine Maßnahmenbeschwerde gegen ihre Festnahme am 25.02.2022 gegen 02:03 Uhr, die Verbringung auf die Polizeiinspektion X und die Anhaltung auf der Polizeiinspektion X bis 25.02.2022 um 08:55 Uhr durch Polizeibeamte der Polizeiinspektion X ein.

Nach Darstellung des Sachverhaltes wurde begründend ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Festnahme nach § 35 Z 3 VStG nicht vorgelegen seien, zumal die Beschwerdeführerin die ihr unterstellte Verwaltungsübertretung nicht begangen habe. Die Beschwerdeführerin habe weder geschrien noch die vor Ort einschreitenden Beamten beleidigt, sondern in einem leicht betrunkenen Zustand über den Hotelbetreiber, der nach Bezahlung mit einem Euro 200,00 Schein kein Wechselgeld herausgegeben habe, geflucht. Die Beschwerdeführerin habe sich nach einem tätlichen Angriff durch den Hotelbetreiber in einem psychischen Ausnahmezustand befunden. Auf dem Videomaterial sei nur ein einziges Mal seitens Insp. CC die Rede davon, dass - wenn die Beschwerdeführerin noch weiter schreie - er sie mitnehmen müsse, wobei er im selben Moment und ohne Vorwarnung die Beschwerdeführerin am linken Arm packe und mit Zwang zum Polizeiwagen dränge. Es liege daher keine wirksame Abmahnung vor, zumal der Beschwerdeführerin eine solche nicht erkennbar gewesen sei. Es habe auch keine Wiederholungsgefahr bestanden. Spätestens auf der Polizeiinspektion X hätte die Beschwerdeführerin freigelassen werden müssen. Die Anhaltung im Verwahrraum bis 08:55 Uhr sei völlig überschießend und unverhältnismäßig gewesen. Die Beschwerdeführerin sei weder über ihre Rechte als Festgenommene noch über die Möglichkeit zur Beiziehung eines Rechtsbeistandes informiert worden. Zudem wurde die Beschwerdeführerin auch nicht unverzüglich einvernommen. Die einschreitenden Beamten hätten auch abklären müssen, ob die Beschwerdeführerin als Opfer psychologischer Hilfe bedurft hätte bzw im Hinblick auf die nicht gesicherte Verletzung eine ärztliche Abklärung erforderlich gewesen wäre. Tatsächlich sei die Beschwerdeführerin unter Schock gestanden und traumatisiert gewesen. Ihre Anhaltung in einer Arrestzelle – trotz ihrer Stellung als Opfer – sei eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung.

Es wurde daher beantragt, die am 25.02.2022 erfolgte Festnahme und Anhaltung für rechtswidrig zu erklären, gemäß § 35 VwGVG die durch das verwaltungsgerichtliche Verfahren entstandenen Kosten im gesetzlichen Ausmaß zu ersetzen sowie eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten samt den Stellungnahmen der einschreitenden PolizeibeamtInnen RevInsp. DD und Insp. CC vor und erstattete die Gegenschrift vom 18.07.2022, Zl ***. Aufgrund der erhobenen Vorwürfe in der Maßnahmenbeschwerde, den dazu vorgelegten Gegenäußerungen der Polizeiinspektion X sowie der Anzeige vom 14.03.2022 wegen begangener Verwaltungsübertretungen nach dem SPG und TLPG gehe die belangte Behörde davon aus, dass das Einschreiten der Polizeibeamten am 24. und 25.02.2022, insbesondere jene Amtshandlung gegen 01:56 Uhr, die in der Folge zur ausgesprochenen Festnahme um 02:03 Uhr geführt habe sowie die Dauer der Anhaltung bis 08:55 Uhr im Verwahrungsraum der Polizeiinspektion X zu Recht erfolgt sei. Über die Beschwerdeführerin sei auf Grund ihres Verhaltens mit Strafverfügung vom 14.04.2022, Zl ***, wegen Anstandsverletzung und Ordnungsstörung nach dem SPG sowie wegen Ehrenkränkung nach dem TLPG eine Geldstrafe von insgesamt Euro 230,00 verhängt worden. Die Strafverfügung sei in Rechtskraft erwachsen, der Strafbetrag sei von der Beschwerdeführerin am 12.05.2022 entrichtet worden. Daher sei die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde zu Unrecht erhoben worden, da die Beschwerdeführerin ihr Beschwerdevorbringen im Rahmen des durchgeführten und bereits in Rechtskraft erwachsenen Strafverfahrens geltend machen hätte müssen, da die darin vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen auf ihrem rechtswidrigen Verhalten basieren, welches – trotz mehrmaliger Abmahnungen durch die einschreitenden Polizeibeamten – letztlich zur Festnahme und Anhaltung geführt haben. Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass die Art und Weise wie die Amtshandlung von Organen der Exekutive durchgeführt werden, von der belangten Behörde weder beeinflusst noch überprüft werden könne. Dafür seien letztendlich die amtshandelnden Polizeibeamten sowie die betroffene Person selbst verantwortlich.

Da die Beschwerdeführerin nicht in ihren Rechten verletzt worden sei, wurde beantragt, der Maßnahmenbeschwerde keine Folge zu geben, die in der Beschwerde gestellten Anträge als unbegründet ab- bzw als unzulässig zurückzuweisen. An Kosten wurden gemäß § 35 VwGVG der Schriftsatz-, der Vorlage- und ein allfälliger Verhandlungsaufwand verzeichnet.

Am 19.09.2022 fand in der gegenständlichen Angelegenheit eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, anlässlich derer die Beschwerdeführerin sowie die ZeugInnen RevInsp. DD, Insp. CC und EE einvernommen worden sind.

II.      Sachverhalt:

Am Abend des 24.02.2022 kam es im Hotel FF zwischen der Beschwerdeführerin sowie ihrem Lebensgefährten EE auf der einen Seite und dem Hotelbetreiber GG auf der anderen Seite zu einem Streit, weil die Gäste dem Hotelbetreiber vorwarfen, dass ihnen auf einen Zweihundert-Euro-Schein kein Wechselgeld herausgegeben worden sei. Dieser Streit mündete in Handgreiflichkeiten zwischen den Parteien, sodass der Zeuge EE die Polizei verständigte.

Die PolizeibeamtInnen RevInsp. DD und Insp. CC kamen zum Hotel und nahmen die Anzeigen auf, sichteten ein Video und luden die Beteiligten zur Einvernahme auf die Polizeiinspektion X für den nächsten Tag vor. Dabei kam es zu längeren Diskussionen zwischen den PolizeibeamtInnen mit der Beschwerdeführerin bzw ihrem Lebensgefährten, zumal die beiden nicht damit einverstanden waren, dass es nicht zu einer sofortigen Herausgabe des Geldes gekommen war.

Das Hotelzimmer wurde in weiterer Folge vom Zeugen EE geräumt und verließen die beiden Gäste das Hotel. Allerdings verblieben sie vorerst in ihrem Fahrzeug vor dem Hotel. Ein von der Beschwerdeführerin freiwillig durchgeführter Alko-Vortest ergab einen Wert 0,97mg/l Atemalkoholgehalt.

Nachdem die Polizei das Hotelgelände verlassen hatte, versuchte der Zeuge EE sich Zugang zum Hotel über einen Nebeneingang zu verschaffen. Die Polizeibeamten, die in der Nähe verblieben waren, hörten lautes Geschrei und das Hämmern gegen die Türe und kamen daher wieder zurück. Es kam erneut zu einer längeren Diskussion mit der Beschwerdeführerin und dem Lebensgefährten. Im Zuge dieser Diskussion wurden die Gäste von den Polizeibeamten aufgefordert, sich zu beruhigen und das Hotelgelände zu verlassen.

Nicht festgestellt werden konnte, dass es sich hier bereits um eine Wegweisung der Beschwerdeführerin nach § 38 Abs 1 SPG in Folge einer Störung der öffentlichen Ordnung gehandelt hat. Nicht festgestellt werden konnte, dass die Beschwerdeführerin – abgesehen vom Nichttragen einer FFP2-Maske im Restaurant außerhalb des Sitzplatzes - im Zuge dieser beiden Amtshandlungen Verwaltungsübertretungen begangen hat und dass ihr bereits hier die Festnahme angedroht worden ist.

Die Beschwerdeführerin und ihr Lebensgefährte begaben sich zwar wieder zu ihrem Fahrzeug, doch musste die Polizei erneut einschreiten, weil der Zeuge EE gegen 01:49 Uhr laut die Hupe betätigte. Auch im Zuge dieses polizeilichen Einschreitens kam es wieder zu einer Diskussion. Die Beschwerdeführerin wirkte dabei alkoholisiert und aufgebracht, war aber weder durch ihre Wortwahl noch ihre Lautstärke noch durch ihr sonstiges Verhalten verwaltungsstrafrechtlich auffällig. Die Polizeibeamten verließen um 01:53 Uhr den Parkplatz und gingen zu ihrem Polizeifahrzeug zurück.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin um 02:00 Uhr obszöne Wörter wie „Arschlöcher ich will mein Geld von diesen Wixxern“ gerufen habe.

Um 02:01 Uhr kamen die Polizeibeamten erneut zum Hotelparkplatz, weil die Landesleitzentrale erneut eine Lärmerregung beim Hotel FF gemeldet hat. Die Beschwerdeführerin stieg aus dem Fahrzeug aus und kam auf die Polizeibeamten zu. Als diese sie damit konfrontierten, dass eine Anzeige wegen lautem Hupen eingegangen sei, wies die Beschwerdeführerin daraufhin, dass die Polizei wegen dem Hupen ohnehin bereits da gewesen sei und in der Zwischenzeit nicht mehr gehupt wurde. Es entstand eine kurze Diskussion im Zuge derer die Beschwerdeführerin wohl mit den Händen – aber weder wild noch unmittelbar vor dem Gesicht des Polizeibeamten – gestikulierte und sich über den Hotelwirt in einem lauteren Tonfall (allerdings nicht schreiend) beschwerte: „Jetzt gehe ich zu dem Scheiß-Typen und sage ihm die Scheiß-Wahrheit, weil das ist einfach scheiß-fucking gelogen! Nein, jetzt reichts, ich hab‘ ein Video, alter Scheiß he“, woraufhin ein Polizist sie höflich ersuchte nicht zu schreien. Während unmittelbar danach ein anderer Polizeibeamter die Festnahme für den Fall androhte, wenn sie noch länger schreie, wurde die Beschwerdeführerin bereits gleichzeitig am Arm ergriffen und wurde die Festnahme wegen Verharren in einer strafbaren Handlung ausgesprochen. Konkret wurde der Beschwerdeführerin eine Störung der öffentlichen Ordnung durch ihr Verhalten vorgeworfen (arg: sie habe“ wild gestikuliert, die Beamten angeschrien und sich ungehalten benommen und durch das beschriebene Verhalten, welches geeignet sei, berechtigtes Ärgernis zu erregen, die öffentliche Ordnung gestört“).

Es konnte nicht festgestellt werden, dass sich zu diesem Zeitpunkt sonstige unbeteiligte Personen auf dem Parkplatz bzw auf den umliegenden Balkonen aufgehalten haben.

Die Beschwerdeführerin wurde mit dem Polizeifahrzeug zur Polizeiinspektion X geführt, während der Hinfahrt wurde sie von ihrem Lebensgefährten angerufen, der sich lediglich nach der Adresse der Polizeiinspektion X erkundigte, um ihr dorthin zu folgen.

Die Beschwerdeführerin war sichtlich alkoholisiert und war über die Vorgehensweise aufgebracht und hinterfragte diese immer wieder. Dabei war sie weder übermäßig laut noch in ihrer Wortwahl ungehörig.

Die Beschwerdeführerin wurde durchsucht und im Anschluss in den Verwahrraum verbracht (gegen 02:20 Uhr). Dabei verlangte die Beschwerdeführerin sowohl nach der Verständigung einer Vertrauensperson als auch mehrmals nach einem Telefonat mit einem Rechtsanwalt, doch wurde ihr von den Polizeibeamten signalisiert, dass sie nicht in der Lage sei Forderungen zu stellen und wurde ihr eine spätere Verständigung des Anwalts in Aussicht gestellt.

Gegen 03:03 Uhr wurde der Beschwerdeführerin das Informationsblatt für Festgenommene ausgehändigt. Die Beschwerdeführerin wies daraufhin, dass sie immer noch nicht die Möglichkeit gehabt hat, einen Verteidiger zu verständigen.

Nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführerin um 04:53 Uhr ein Telefonat mit ihrem Lebensgefährten und mit einem Anwalt angeboten worden sei und dies von ihr abgelehnt worden sei.

Um 06:09 Uhr wurde der Beschwerdeführerin ein Telefonat mit ihrem Lebensgefährten ermöglicht.

Um 08:55 Uhr wurde die Beschwerdeführerin entlassen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie keine Möglichkeit, einen Rechtsbeistand zu verständigen.

Angezeigt wurde die Beschwerdeführerin (Anzeige vom 14.03.2022, GZ: ***), weil sie am 25.02.2022, 02:00:00 auf dem Parkplatz des Hotels „FF“ durch obszöne Wörter wie „Arschlöcher ich will mein Geld von diesen Wixxern“ den öffentlichen Anstand gemäß § 11 Abs 1 LPolG verletzt habe. Diese Verhalten habe von mehreren Personen wahrgenommen werden können. Angezeigt wurde weiters, dass die Beschwerdeführerin um 02:03:00 Uhr wild gestikuliert habe, die Beamten angeschrien und sich auch nach mehrmaliger Abmahnung ungehalten benommen. Durch dieses Verhalten, welches geeignet sei berechtigtes Ärgernis zu erregen, sei die öffentliche Ordnung gestört worden. Schließlich wurde angezeigt, dass die Beschwerdeführerin am 25.02.2022 um 00:10:00 Uhr als Kundin in einem Gastgewerbebetrieb in einem geschlossenen Raum – obwohl sie nicht am Verabreichungsplatz verweilt sei - keine FFP2-Maske getragen habe und am 25.02.2022 um 02:45:00 Uhr habe sie im Verwahrungsraum auf der PI X Insp. CC vorsätzlich durch die Worte „Ich mache dich fertig, du bist deinen Job los“ verspottet und dadurch eine Ehrenkränkung begangen.

Mit Strafverfügung vom 14.04.2022, ***, wurde über die Beschwerdeführerin wegen der Anstandsverletzung (um 02:00 Uhr) gemäß § 11 Abs 1 Tiroler Landespolizeigesetz eine Geldstrafe von 100,00 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage 21 Stunden) verhängt, wegen der Störung der öffentlichen Ordnung (um 02:03 Uhr) gemäß § 81 Abs 1 SPG eine Geldstrafe von Euro 80,00 (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage 5 Stunden) und wegen der Ehrenkränkung (um 02:45 Uhr) gemäß § 20 lit c Tiroler Landespolizeigesetz eine Geldstrafe von Euro 50,00 (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage 6 Stunden).

Die Geldstrafe wurde vom Lebensgefährten der Beschwerdeführerin einbezahlt und die Strafverfügung ist in Rechtskraft erwachsen.

III.     Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den vorgelegten Behördenakt und in den Akt des Landesverwaltungsgerichts Tirol, weiters durch Einvernahme der Beschwerdeführerin sowie der ZeugInnen RevInsp. DD, Insp. CC und EE anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol. Vorgeführt wurden weiters die Videoaufnahmen von der Body-Cam-Kamera und der Handy-Videomitschnitt des Zeugen EE.

Die oben dargestellten Vorfälle im Restaurantbereich und beim Nachteingang des Hotels ergeben sich im Wesentlichen aus dem Abschluss-Bericht der Polizeiinspektion X vom 03.03.2022, Zl ***, und stimmen insoweit auch mit den Aussagen der Beschwerdeführerin sowie dem Zeugen Insp. CC überein. Rev.Insp. DD hat zudem das Ergebnis des bei der Beschwerdeführerin freiwillig durchgeführten Alko-Vortests von 0,97 mg/l Atemalkoholgehalt ausdrücklich bestätigt (vgl Verhandlungsprotokoll Seite 9). Im Hinblick auf den Umstand, dass es zu längeren Diskussionen gekommen ist (vgl dazu auch die vorgelegten Videoaufnahmen der Hotelkamera ohne Ton) und die Polizei mehrmals einschreiten musste, ist es auch nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin und ihr Lebensgefährte von den Polizeibeamten aufgefordert worden sind, sich zu beruhigen und das Hotelgelände zu verlassen. Allerdings findet sich kein Hinweis im Behördenakt, dass die Beschwerdeführerin wegen einer Störung der öffentlichen Ordnung gemäß § 38 Abs 1 iVm § 81 Abs 1 SPG weggewiesen worden ist.

Da es aber zu diesen Vorfällen im Restaurantbereich und beim Nachteingang des Hotels – abgesehen vom Nichttragen einer FFP2-Maske im Restaurantbereich – im Verwaltungsstrafakt keine konkreten Anhaltspunkte für Verwaltungsübertretungen der Beschwerdeführerin gibt, ist die Aussage der Polizeibeamten wenig glaubwürdig, dass der Beschwerdeführerin bereits zu diesem Zeitpunkt mehrfach die Festnahme angedroht worden sei, ein solches Verhalten aber dann nicht einmal Gegenstand einer Anzeige wird. Die Zeugen Insp. CC und Rev.Insp. DD haben eine solche Androhung der Festnahme zwar mehrfach behauptet (vgl Verhandlungsprotokoll Seite 7, 8, 12), verblieben aber immer sehr unkonkret in ihren Antworten zu den angeblichen Verwaltungsübertretungen, in denen die Beschwerdeführerin verharrt sein soll. Insp. CC hat schließlich angegeben, dass er nicht mehr genau wisse, ob er die Festnahme der Beschwerdeführerin oder ihrem Lebensgefährten angedroht habe (vgl Verhandlungsprotokoll Seite 16, 3. Absatz). Im Zusammenhang mit Abmahnungen gegenüber der Beschwerdeführerin verwies auch Rev.Insp. DD über Nachfrage nach konkreten Tatvorwürfen darauf, dass sie sich nicht mehr genau erinnern könne (vgl Verhandlungsprotokoll Seite 6). Es wird insofern den Aussagen der Beschwerdeführerin und des Zeugen EE gefolgt, die eine Androhung der Festnahme gegenüber der Beschwerdeführerin anlässlich dieser Amtshandlungen im Restaurantbereich und beim Nebeneingang glaubwürdig in Abrede gestellt haben (vgl Verhandlungsprotokoll Seite 4, 17).

Ab dem Eintreffen der Polizeibeamten um 01:49 Uhr auf dem Hotelparkplatz wegen lautem Hupen durch den Zeugen EE liegen Videoaufnahmen der Body-Worn-Camera des Insp. CC vor. Auf diesen Videoaufnahmen ist bereits erkennbar, dass die Beschwerdeführerin alkoholisiert und aufgebracht ist. Sie hinterfragt immer wieder, weshalb das Wechselgeld nicht sofort herausgegeben und nicht sofort gegen den Hotelbetreiber vorgegangen wurde. Aus der Reaktion der Polizeibeamten ist auch ersichtlich, dass schon mehrfach mit ihr die weitere Vorgangsweise besprochen worden ist. Das Verhalten der Beschwerdeführerin kann zwar auch als uneinsichtig und im Tonfall zum Teil „ungehörig“ beschrieben werden, allerdings ist weder ein wildes Gestikulieren erkennbar noch verhält sich die Beschwerdeführerin aggressiv noch schreit sie laut. Auch die umliegenden Häuser bzw Hotels sind am Video immer wieder klar im Bild, Personen auf Balkonen oder unbeteiligte Personen am Parkplatz sind zu keinem Zeitpunkt erkennbar.

Auch für den Polizeieinsatz gegen 02:01 Uhr am Hotelparkplatz liegt eine Videoaufnahme der Body-Worn-Kamera des Insp. CC beginnend mit dem Eintreffen der Polizeibeamten vor. Auch der darauffolgende Wortwechsel mit der Beschwerdeführerin bis zur Festnahme ist in Bild und Ton festgehalten, die Festnahme ist zudem auch auf dem vom Zeugen EE vorgelegtem Handy-Aufnahmen dokumentiert.

In der Anzeige der Polizeiinspektion X vom 14.03.2022, GZ: Zl *** wird dazu Folgendes festgehalten:

„… Die Beifahrerin AA stieg aus dem Fahrzeug aus, schrie aufgrund der Beanstandungen der Beamten wild herum und äußerte obszöne Wörter wie „Arschlöcher ich will mein Geld von diesem Wixxern“. Dieses Verhalten ging wiederum in eine Ordnungsstörung über, bei welcher AA mehrmalig, von den Beamten abgemahnt wurde. Dieses Verhalten wurde von wilden Gesten unterstützt. Es wird angemerkt, dass im unmittelbaren Nahbereich von dem Vorfallsort, Personen auf den Balkonen, verschiedener umliegender Unterkünfte standen, dieses sittenwidrige Verhalten wahrnahmen und nur noch ihren Unmut durch Schütteln des Kopfes äußerten. Nach mehrmaliger Abmahnung wurde von RevInsp DD, gegenüber AA, die Festnahme am 25.02.2022, 02:03 Uhr nach den Bestimmungen des § 35 Z 3 VStG ausgesprochen.

Als Tatzeit für die Anstandsverletzung wird in der Anzeige „25.02.2022, 02:00:00 Uhr“ angeführt. Auch im Abschluss-Bericht vom 03.03.2022 ist der Sachverhalt übereinstimmend festgehalten.

Das Video von der Body-Worn-Cam, das mit Minute 02:01:00 Uhr startet, beginnt offenkundig mit dem Eintreffen der Polizeibeamten und zeigt eine vom Fahrzeug kommende Beschwerdeführerin, die das Gespräch mit den Polizeibeamten ruhig mit den Worten „Was haben wir jetzt wieder gemacht?“ beginnt. Die Worte „Arschlöcher ich will mein Geld von diesem Wixxern“ ist am Video nicht wahrnehmbar. Wenn nun der Insp. CC in der mündlichen Verhandlung dazu angegeben hat, dass diese Worte gefallen sind, bevor die Body-Worn-Cam aktiviert wurde, ist das nicht überzeugend, weil das Video vielmehr den Eindruck vermittelt von Beginn an diese weitere Amtshandlung festzuhalten (arg: Ankommen der Polizeibeamten, Beschwerdeführerin, die auf die Polizeibeamten zukommt), und auch die Worte der Beschwerdeführerin „Was haben wir jetzt wieder gemacht?“ darauf schließen lassen, dass damit das Gespräch eröffnet worden ist. Auch nimmt kein Polizeibeamter auf die angebliche kurz davor stattgefundene Anstandsverletzung, die auch angezeigt worden ist, in irgendeiner Weise Bezug.

Entgegen den Zeugenaussagen der PolizeibeamtInnen (vgl Verhandlungsprotokoll Seite 7f, 14, 15) sind auch bei dieser Amtshandlung keine unbeteiligten Personen auf den Balkonen oder am Parkplatz wahrnehmbar, obwohl die Kamera diese Bereiche immer wieder erfasst hat. Auch die Beschwerdeführerin hat damit übereinstimmend ausgesagt, dass sie keine sonstigen Personen wahrgenommen hat (vgl Verhandlungsprotokoll Seite 4).

Wie bereits oben ausgeführt ist am Video auch kein wildes Gestikulieren erkennbar. Die Beschwerdeführerin schreit nicht laut, sondern beginnt in einem lauteren Tonfall in Richtung Hotelbetreiber zu schimpfen. Die Abmahnung „Wenn noch länger schreist, bist du sowieso … festgenommen“, wird unmittelbar danach quasi zeitgleich mit der tatsächlichen Festnahme ausgesprochen.

Dass die Festnahme wegen Verharrens in einer Verwaltungsübertretung, nämlich der Störung der öffentlichen Ordnung, ausgesprochen worden ist, ergibt sich aus der insoweit klaren Zeugenaussage von Rev.Insp. DD (Verhandlungsprotokoll Seite 7) und wurde auch so im Anhalteprotokoll I festgehalten (arg: „Delikte/Gründe: Sie haben durch das unten beschriebene Verhalten, welches geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, die öffentliche Ordnung gestört, obwohl das Verhalten, insbesondere durch die Inanspruchnahme eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts, nicht gerechtfertigt war, sie haben wild gestikuliert, die Beamten angeschrien und sich ungehalten benommen.“). Auch in der Festnahmebestätigung vom 25.02.2022, GZ: ***, ist unter „Begründung der Festnahme“ angekreuzt: Die Festnahme erfolgte, da sie auf frischer Tat bei der im Tatverdacht angeführten Verwaltungsübertretung betreten wurden und sie trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen gesucht haben. Unter Tatverdacht wurde wiederum – im selben Wortlaut wie im Anhalteprotokoll– die Störung der öffentlichen Ordnung angeführt.

Nach der Aussage der Beschwerdeführerin wurde diese während der Fahrt zur Polizeiinspektion X von ihrem Lebensgefährten telefonisch kontaktiert, damit sie die Adresse der PI bekannt gibt. Das ist insofern glaubwürdig, als Teile des Telefongesprächs über die Adresse der Polizeiinspektion ab dem Aussteigen aus dem Polizeifahrzeug wieder auf Video festgehalten ist.

Auch die weitere Amtshandlung auf der Polizeiinspektion X (Ankunft, Gespräch im Wachzimmer, Durchsuchen der Beschwerdeführerin, Verbringen der Beschwerdeführerin in den Verwahrungsraum, weitere Gespräche vor und in der Zelle, Aushändigung des Informationsblattes für Festgenommene, Zigaretten Rauchen) ist noch in weiten Teilen mit Video-Aufnahme der Body-Worn-Camera festgehalten. Auch hier kann das Benehmen der Beschwerdeführerin als „ungehalten“ beschrieben werden. Die Beschwerdeführerin äußert immer wieder ihr Unverständnis über das Vorgehen der Polizeibeamten und wirkt nach wie vor alkoholisiert, doch verhält sie sich nicht – verwaltungsstrafrechtlich relevant – aggressiv, lautstark oder den Anstand verletzend. Am Video ist etwa festgehalten, dass die Beschwerdeführerin immer wieder darauf hinweist, dass sie das Opfer sei und bestohlen und angegriffen worden sei und sie deswegen nicht versteht, weshalb sie nun verhaftet worden sei. RevInsp. DD klärt dazu auf „24 Stunden Festnahme aufgrund einer Verwaltungsübertretung- Verharren in einer strafbaren Handlung.“ und legt zwei Möglichkeiten der weiteren Vorgehensweise dar: „Erste Möglichkeit: gehst in den Häfen und verbringst dort die Nacht, zweite Möglichkeit: Sie beruhigen sich, die Festnahme wird wieder aufgehoben.

Am Video festgehalten ist auch, dass die Beschwerdeführerin mehrmals danach verlangt eine Vertrauensperson sowie einen Rechtsbeistand zu verständigen. Dies wird ihr beim Verbringen in den Verwahrungsraum zuerst in einer halben Stunde in Aussicht gestellt, doch auch beim Aushändigen des Informationsblattes für Festgenommene um 03:03 Uhr geht aus dem Video klar hervor, dass diese Verständigungen immer noch nicht erfolgt sind.

Wenn im „Protokoll Verwahrungsraum“ um 04.53 Uhr festgehalten ist: „Zigarette angeboten, Telefonat mit EE Anwalt angeboten, wurde verweigert, immer noch aggressiv“, so wurde zuerst vom Zeugen Insp. CC angegeben, das die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt mit Herrn EE telefoniert habe (Verhandlungsprotokoll Seite 14). Über nochmaligen Vorhalt konnte der Zeuge Insp. CC nicht mehr angeben, ob er um 04:53 Uhr die Beschwerdeführerin das Telefonat mit ihrem Lebensgefährten führen habe lassen. Er wusste auch nicht mehr, ob er die Vorgänge, wie sie im „Protokoll Verwahrungsraum“ um 04:53 Uhr eingetragen sind, selbst wahrgenommen hat (Verhandlungsprotokoll Seite 15). Nach der Aussage der Beschwerdeführerin habe sie während der gesamten Amtshandlung nicht mit einem Rechtsbeistand telefonieren dürfen (Seite 4). Nachdem auf Video klar festgehalten ist, dass die Beschwerdeführerin mehrfach die Verständigung eines Verteidigers verlangt, ist es nicht nachvollziehbar, dass sie eine solche um 04:53 Uhr „verweigert“ haben soll, sodass hier der Aussage der Beschwerdeführerin gefolgt wird.

Der Zeuge EE hat glaubwürdig – abgesehen des Telefongespräches während der Fahrt der Beschwerdeführerin zur Polizeiinspektion X über die Adresse - lediglich ein Telefonat um 06:09 Uhr bestätigt (vgl dazu auch die Anmerkung im Protokoll Verwahrungsraum „Geschrei auf der PI, Handy Anruf -> Ehepartner EE).

Im Anhalteprotokoll II ist unter Pkt 2. „Wollen Sie, dass ein Verteidiger oder eine rechtliche Vertretung verständigt wird?“ eindeutig „Ja“ angekreuzt und darüber handschriftlich vermerkt „wurde von Lebensgefährte erledigt“. Die Zeugin Rev.Insp. DD hat auf die Frage, ob der Beschwerdeführerin die Möglichkeit eingeräumt worden ist, eine Vertrauensperson bzw einen Rechtsbeistand zu verständigen:

Ja. Es wurde ihr das Infoblatt für Festgenommene ausgehändigt. Außerdem hat sie ohnehin mit ihrem Lebensgefährten telefoniert und dieser hat ihr auch mitgeteilt, dass er den Rechtsbeistand verständigen wird.“ (Verhandlungsprotokoll Seite 8)

Dass diese Verständigung mit Einverständnis der Beschwerdeführerin durch ihren Lebensgefährten erfolgt sein soll, wurde wiederum von dieser in ihrer Aussage vor dem Landesverwaltungsgericht nachvollziehbar und glaubwürdig in Abrede gestellt (vgl Verhandlungsprotokoll Seite 5: „Das habe ich nicht gewusst, denn ich habe ja nicht mit ihm gesprochen.“) Dass beim Gespräch auf der Fahrt zur Polizeiinspektion X lediglich deren Adresse Gegenstand war, ergibt sich ebenfalls aus der Aussage der Beschwerdeführerin und wird durch das Video mit der Body-Worn-Camera bestätigt (ab Eintreffen des Polizeifahrzeuges vor der Polizeiinspektion X).

Die Entlassung der Beschwerdeführerin am 25.02.2022 um 08:55 Uhr ergibt sich aus dem Anhalteprotokoll und wurde auch von der Beschwerdeführerin bestätigt.

Die angeführte Anzeige und die Strafverfügung liegen im Akt auf. Der Zeuge EE hat glaubwürdig angegeben, dass er die Geldstrafe für seine Lebensgefährtin einbezahlt hat, weil er keine weitere Arbeit mit diesen Strafverfügungen haben wollte und die Festnahme ohnehin angefochten worden ist (vgl Verhandlungsprotokoll Seite 17). Die Beschwerdeführerin gab dazu an, dass ihr die Strafverfügung unbekannt sei und ihr Lebensgefährte den Strafbetrag wohl einbezahlt habe (vgl Verhandlungsprotokoll Seite 6)

IV.      Rechtslage:

Folgende Bestimmungen des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit (im Folgenden: BVG SchutzpersFreiheit), BGBl Nr 684/1988, des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (im Folgenden: VStG), BGBl Nr 52/1991 in der Fassung BGBl I Nr 57/2018, und des Sicherheitspolizeigesetzes (im Folgenden: SPG), BGBl Nr 566/1991 in der Fassung BGBl I Nr 55/2018, lauten wie folgt:

Art 2 BVG SchutzpersFreiheit

(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

         1.       …;

         2.       …;

         3.       zum Zweck seiner Vorführung vor die zuständige Behörde wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung, bei der er auf frischer Tat betreten wird, sofern die Festnahme zur Sicherung der Strafverfolgung oder zur Verhinderung weiteren gleichartigen strafbaren Handelns erforderlich ist;

         

Art 4 BVG SchutzpersFreiheit

(5) Ein aus dem Grund des Art 2 Abs 1 Z 3 Festgenommener ist, wenn der Grund für die Festnahme nicht schon vorher wegfällt, unverzüglich der zuständigen Behörde zu übergeben. Er darf keinesfalls länger als 24 Stunden angehalten werden.

(6) Jeder Festgenommene ist ehestens, womöglich bei seiner Festnahme, in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme und die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zu unterrichten. Den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumte Rechte bleiben unberührt.

(7) Jeder Festgenommene hat das Recht, dass auf sein Verlangen ohne unnötigen Aufschub und nach seiner Wahl ein Angehöriger und ein Rechtsbeistand von der Festnahme verständigt werden.

§ 35 VStG

Festnahme

Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dürfen außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn

         1.       der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist oder

         2.       begründeter Verdacht besteht, dass er sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde, oder

         3.       der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

§ 36 VStG

(1) Jeder Festgenommene ist unverzüglich der nächsten sachlich zuständigen Behörde zu übergeben oder aber, wenn der Grund der Festnahme schon vorher wegfällt, freizulassen. Die Behörde hat den Angehaltenen unverzüglich zu vernehmen. Hat er von seinem Recht auf Beiziehung eines Verteidigers Gebrauch gemacht, so ist die Vernehmung bis zum Eintreffen des Verteidigers aufzuschieben, es sei denn, dass damit eine erhebliche Gefährdung der Ermittlungen oder eine Beeinträchtigung von Beweismitteln verbunden wäre; eine solche Beschränkung des Rechts auf Beiziehung eines Verteidigers ist schriftlich festzuhalten. Die Anhaltung darf keinesfalls länger als 24 Stunden dauern.

(2) Für die Anhaltung gilt § 53c Abs 1 und 2 sinngemäß; das Erfordernis genügenden Tageslichtes kann jedoch entfallen, sofern ausreichende künstliche Beleuchtung vorhanden ist.

(3) Dem Festgenommenen ist ohne unnötigen Aufschub zu gestatten, einen Angehörigen (§ 36a AVG) oder eine sonstige Person seines Vertrauens zu verständigen und Kontakt mit einem Verteidiger aufzunehmen und diesen zu bevollmächtigen. Einem Festgenommenen, der nicht österreichischer Staatsbürger ist, ist ferner zu gestatten, die konsularische Vertretung seines Heimatstaates unverzüglich von der Festnahme zu verständigen und mit dieser Kontakt aufzunehmen. Bestehen gegen eine Verständigung durch den Festgenommenen selbst Bedenken, so hat die Behörde die Verständigung vorzunehmen.

(4) Der Angehaltene darf von Angehörigen (§ 36a AVG), von seinem Verteidiger sowie von den konsularischen Vertretern seines Heimatstaates besucht werden. Für den Brief- und Besuchsverkehr gilt § 53c Abs 3 bis 5 sinngemäß.

§ 36a VStG

Rechtsbelehrung

Der Beschuldigte ist sogleich oder unmittelbar nach seiner Festnahme schriftlich in einer für ihn verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme und die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen, über sein Recht auf Akteneinsicht, über sonstige wesentliche Rechte im Verfahren (§ 33 Abs 2, § 36 Abs 1 letzter Satz, Abs 3 erster und zweiter Satz) und darüber zu informieren, dass er berechtigt ist, Zugang zu dringender medizinischer Versorgung zu erhalten. Ist die schriftliche Belehrung in einer Sprache, die der Beschuldigte versteht, nicht verfügbar, so ist er mündlich unter Beiziehung eines Dolmetschers zu belehren und die schriftliche Übersetzung ist ihm nachzureichen. Der Umstand der Belehrung ist schriftlich festzuhalten.

Zwangsgewalt

§ 39a VStG

Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, verhältnismäßigen und angemessenen Zwang anzuwenden, um die ihnen nach den §§ 34b, 35, 37a Abs 3 und 39 Abs 2 eingeräumten Befugnisse durchzusetzen. Dabei haben sie unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person vorzugehen. Für den Waffengebrauch gelten die Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes 1969, BGBl Nr 149/1969.

§ 81 SPG

Störung der öffentlichen Ordnung

(1) Wer durch ein Verhalten, das geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, die öffentliche Ordnung stört, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 500 Euro zu bestrafen, es sei denn, das Verhalten ist gerechtfertigt, insbesondere durch die Inanspruchnahme eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden.

(1a) …

(2) Von der Festnahme eines Menschen, der bei einer Störung der öffentlichen Ordnung auf frischer Tat betreten wurde und der trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht (§ 35 Z 3 VStG), haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes abzusehen, wenn die Fortsetzung oder Wiederholung der Störung durch Anwendung eines oder beider gelinderer Mittel (Abs. 3) verhindert werden kann.

3) Als gelindere Mittel kommen folgende Maßnahmen der unmittelbaren Befehls- und Zwangsgewalt in Betracht:

         1.       die Wegweisung des Störers vom öffentlichen Ort;

         2.       das Sicherstellen von Sachen, die für die Wiederholung der Störung benötigt werden.

….

V.       Erwägungen:

Zur Zulässigkeit:

Die Beschwerde richtet sich gegen die Festnahme der Beschwerdeführerin am 25.02.2022 um 02:03 Uhr gemäß § 35 Z 3 VStG und deren Anhaltung bis zum 25.02.2022 um 08:55 Uhr in einem Verwahrungsraum auf der Polizeiinspektion X durch – der belangten Behörde Bezirkshauptmannschaft W zurechenbare - Polizeibeamte. Die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde wurde am 08.04.2022 beim Landesverwaltungsgericht Tirol per E-Mail fristgerecht eingebracht.

Eine Ausübung unmittelbarer Befehlsgewalt und Zwangsgewalt liegt dann vor, wenn einseitig in subjektive Rechte des Betroffenen eingegriffen wird. Ein derartiger Eingriff liegt im Allgemeinen nur dann vor, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Zur unmittelbaren Ausübung physischen Zwanges zählt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs eine Festnahme nach § 35 Z 3 VStG (vgl VwGH 14.12.1993, 93/05/0191, 02.02.2007, 2006/11/0154 uva).

Die Maßnahmenbeschwerde ist daher zulässig.

In der Sache:

Die Festnahme einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 35 VStG setzt voraus, dass die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird. Das heißt, diese Person muss also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung verüben und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei das erste dieser beiden Erfordernisse bereits erfüllt ist, wenn das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund - und damit vertretbar - annehmen konnte (vgl VfSlg 4143/1962, 7309/1974; 10.957/1986, VwGH 02.10.2020, Ra 2020/03/0075 ua).

Demgemäß ist zunächst zu prüfen, ob das hier einschreitende Sicherheitsorgan mit gutem Grund - und damit vertretbar - zur Auffassung gelangen durfte, dass die Beschwerdeführerin die ihr vorgeworfene Übertretung nach § 81 Abs 1 SPG begangen habe.

Eine Verwaltungsübertretung nach § 81 SPG begeht, wer durch ein Verhalten, das geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, die öffentliche Ordnung stört, es sei denn, das Verhalten ist gerechtfertigt, insbesondere durch die Inanspruchnahme eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts.

Zum Wesen einer Störung der öffentlichen Ordnung iSd § 81 Abs. 1 SPG 1991 gehört nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass am konkreten Zustand der öffentlichen Ordnung durch das Verhalten des Beschuldigten eine Änderung eingetreten ist (vgl VwGH 26.02.1990, 89/10/0215, 15.09.2011, 2009/09/0154 ua). Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes ist der Tatbestand des § 81 Abs 1 SPG im gegenständlichen Fall nicht erfüllt. Dazu fehlt es bereits an der Störung selbst. Von einer Störung ist dann auszugehen, wenn durch das Verhalten der Ablauf des äußeren Zusammenlebens von Menschen oder ein bestehender Zustand von Dingen in wahrnehmbarer Weise gestört worden sind (vgl Keplinger/Pühringer, Sicherheitspolizeigesetz15, zu § 81 Abs 1 Z 2). Der Begriff, dass die Ordnung tatsächlich gestört wurde, erfasst eine negative Veränderung des "Zustandes des gewöhnlichen Verhältnisses der Dinge der Außenwelt zueinander", wobei hier unter "Dingen" auch Personen zu verstehen sind. Eine solche negative Veränderung ist schon dann zu bejahen, wenn eine Person dazu bewogen wurde, sich anders zu verhalten, als wenn der Vorfall nicht stattgefunden hätte (vgl VwGH 24.11.1986, 86/10/0131; VwGH 25.01.1991, 89/10/0021).

Eine solche Störung liegt hier aber nicht vor. Entgegen den Aussagen der Polizeibeamten konnten im Zusammenhang mit dem Verhalten der Beschwerdeführerin vor der Festnahme keine unbeteiligten Personen am Hotelparkplatz oder auf den Balkonen der umliegenden Hotels festgestellt werden. Abgesehen davon, würde auch das bloße Hinausschauen vom Balkon noch nicht mit einer Störung der öffentlichen Ordnung einhergehen, zumal ein Polizeieinsatz auch regelmäßig eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das alleinige Hinschauen und die allenfalls missbilligende Kenntnisnahme reicht dabei nicht aus, um von einer tatbildlichen Störung iSd § 81 Abs 1 SPG auszugehen. Zum Wesen einer Ordnungsstörung iSd § 81 Abs 1 SPG 1991 gehört, dass am konkreten Zustand der öffentlichen Ordnung durch das Verhalten des Beschuldigten eine Änderung eingetreten ist (vgl VwGH 06.09.2007, 2005/09/0168; 15.10.2009, 2008/09/0272; 15.09.2011, 2009/09/0154). Da es im vorliegenden Fall an einer solchen Änderung des konkreten Zustands der öffentlichen Ordnung offensichtlich mangelt, weil gar keine unbeteiligten Personen anwesend waren, konnten die einschreitenden Polizeibeamten auch nicht „mit gutem Grund“ der Beschwerdeführerin eine solche Verwaltungsübertretung nach § 81 Abs 1 SPG anlasten. Daher ist auch die darauf basierende Festnahme nach § 35 Z 3 VStG rechtswidrig gewesen.

An diesem Ergebnis ändert auch nichts der Umstand, dass die gegen die Beschwerdeführerin ergangene Strafverfügung vom 14.04.2022, ***, in Rechtskraft erwachsen ist, denn das Verwaltungsgericht hat die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung im Sinne einer objektiven ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der eingeschrittenen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zeitpunkt ihres Einschreitens zu prüfen (vgl zur ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der einschreitenden Exekutivbeamten VwGH 05.12.2017, Ra 2017/01/0373, mwN).

Eine andere Verwaltungsübertretung als jene nach § 81 Abs 1 SPG wurde von den einschreitenden Polizeibeamten der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der Festnahme nicht zur Last gelegt. Es ist daher nicht zu prüfen, ob die Festnahme im Zusammenhang mit einer anderen Verwaltungsübertretung gerechtfertigt gewesen wäre. Es geht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nämlich nicht darum die abstrakte Zulässigkeit einer Maßnahme zu überprüfen, sondern darum, ob die ganz konkret vorgenommene Festnahme rechtmäßig war oder nicht (vgl VfSlg 12.727/1991, VwGH 12.09.2006, 2005/03/0068 ua).

Aber auch aus einem weiteren Grund ist die gegenständliche Festnahme rechtswidrig, selbst wenn das Vorliegen einer Verwaltungsübertretung nach § 81 Abs 1 SPG bejaht werden würde:

§ 35 Z 3 VStG setzt voraus, dass der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht (vgl VwGH 20. 11.2013, 2011/02/0306). Die vorherige Abmahnung ist unerlässliche Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Festnahme nach § 35 Z 3 VStG (Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 35, Stand 01.05.2017, rdb.at). Die Abmahnung muss zwar keinen ausdrücklichen Hinweis auf die drohende Festnahme enthalten (VfSlg 11.810/1988), der Gebrauch bestimmter Worte ist nicht vorgesehen (UVS Ktn 09.01.1998, KUVS-983/8/97; UVS Wien 22.03.1993, 02/32/33/91), allerdings muss durch eine Abmahnung im Sinne des § 35 Z 3 VStG für den Betretenen ernsthaft klargestellt werden, dass er das strafbare Handeln einzustellen hat. Eine Abmahnung kann insofern zB nicht als bloß höfliche Bitte formuliert werden, sondern muss aus Wortwahl und Tonfall der Abmahncharakter hervorgehen. Sinn und Zweck einer Abmahnung ist, dass dem Angesprochenen die Möglichkeit verbleibt, das strafbare Verhalten einzustellen bzw nicht zu wiederholen, um weitere Folgen, insbesondere eine Festnahme hintanzuhalten.  Allerdings setzt das Wesen einer Abmahnung damit auch voraus, dass es dem Angesprochenen möglich ist, diese Abmahnung zu verstehen und auf diese Abmahnung zu reagieren (vgl zB VfSlg 11.782/19881, wonach der Verfassungsgerichtshof in einem obiter dictum davon ausgegangen ist, dass die Abmahnung einer der deutschen Sprache nicht mächtigen Person in deutscher Sprache nicht dem § 35 Z 3 VStG entspricht). Im vorliegenden Fall wurde noch während die Abmahnung („Wenn noch länger schreist, wirst du … festgenommen“), ausgesprochen wurde, bereits die Festnahme umgesetzt. Der Beschwerdeführerin ist gar keine Zeit verblieben auf diese Abmahnung zu reagieren. Es liegt daher keine dem § 35 Z 3 VStG entsprechende Abmahnung vor, die Festnahme ist daher auch aus diesem Grunde rechtswidrig.

Zudem sieht § 81 Abs 2 SPG ausdrücklich vor, dass von der Festnahme eines Menschen, der bei einer Störung der öffentlichen Ordnung auf frischer Tat betreten wurde und der trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht (§ 35 Z 3 VStG), abzusehen ist, wenn die Fortsetzung oder Wiederholung der Störung durch Anwendung eines oder beider gelinderer Mittel gemäß Abs 3 (Wegweisung des Störers vom öffentlichen Ort, Sicherstellen von Sachen) verhindert werden kann (§ 81 Abs 2 SPG). Auch ein solch gelinderes Mittel, wie insbesondere die Wegweisung nach § 38 Abs 1 SPG, wurde von den Polizeibeamten – obwohl möglich und zweckmäßig - nicht zur Anwendung gebracht.

Soweit der Polizeibeamte Insp. CC in diesem Zusammenhang ausgesagt hat, es „habe sich quasi um ein Dauerdelikt der Beschwerdeführerin gehandelt, weil sie immer das gleiche Verhalten gesetzt habe“, und die Polizeibeamten angegeben haben, dass die Beschwerdeführerin ohnehin mehrmals weggewiesen worden ist, so ist dem entgegen zu halten, dass weder die Videoaufnahmen noch sonstige Beweise, andere bereits vorangegangene Verwaltungsübertretungen (mit Ausnahme des Nichttragen der FFP2-Maske im Restaurant außerhalb des Verabreichungsplatzes), insbesondere Störungen der öffentlichen Ordnung durch die Beschwerdeführerin, aufzeigen konnten. Das Verhalten ihres Lebensgefährten (Hämmern gegen die Hoteltüre, Hupen auf dem Parkplatz) kann der Beschwerdeführerin nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die alkoholisierte Beschwerdeführerin mag mit ihren Händen gestikuliert haben (allerdings nicht wild oder unmittelbar vor dem Gesicht der Polizeibeamten), sie mag ihren Standpunkt mit lauterer Stimme (wenngleich nicht schreiend) keineswegs sachlich vertreten und durchaus auch zum Teil ungehörige Äußerungen von sich gegeben haben, auch mag sie im Hinblick auf die Erklärungen der Polizeibeamten uneinsichtig gewesen sein, doch lässt sich daraus noch kein deliktisches Verhalten ableiten. Dem entspricht auch, dass es weder Anzeigen der Polizeibeamten zu einer vorangegangenen Verwaltungsübertretung - mit Ausnahme zur FFP2-Maskenverpflichtung - der Beschwerdeführerin gibt, noch eine Wegweisung nach § 38 Abs 1 SPG gegenüber der Beschwerdeführerin dokumentiert wurde. Konkrete Anhaltspunkte, dass eine nach § 81 Abs 2 iVm § 38 SPG ausgesprochene Wegweisung der Beschwerdeführerin gegenüber nicht zum Beenden des angeblich verwaltungsstrafrechtswidrigen Verhalten geführt hätte und insofern nicht zweckmäßig gewesen wäre, sind bei genauerer Betrachtung nicht erkennbar.

Die gegenständliche Festnahme ist sohin rechtswidrig. Dies führt dazu, dass auch die zur Umsetzung der Festnahme und Anhaltung gesetzten und nachfolgenden Akte, die mit dieser eine Einheit bilden, rechtswidrig sein müssen (vgl VwGH 17.09.2019, Ra 2019/14/0290, 29.05.2006, 2003/09/0040, 25.06.2020, Ra 2020/14/0178). 

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Als obiter dictum wird aber angemerkt, dass – selbst wenn die Festnahme als rechtmäßig beurteilt worden wäre – erhebliche rechtliche Bedenken im Hinblick auf die Dauer der Anhaltung bestehen:

Als Grundregel legt § 36 fest, dass der Festgenommene unverzüglich (zB VfSlg 11.782/1988) der sachlich zuständigen Behörde zu übergeben ist. Allerdings ist er schon vor der Übergabe an diese von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes freizulassen, wenn der Festnahmegrund vorher wegfällt. Eine Person ist (nur) dann vorzeitig, noch vor ihrer Übergabe an die zuständige Behörde (zur Einvernahme) zu enthaften, wenn auf Grund besonderer Umstände augenfällig wird, dass sie nach der Freilassung das strafbare Tun nicht wieder aufnehmen werde (VfSlg 11.930/1988, 11.371/1987). Solche besonderen Umstände liegen selbstverständlich nicht schon deswegen vor, weil der Betroffene auf Grund der Festnahme sein strafbares Tun beendet (VfSlg 12.246/1990, 11.692/1988). Wird eine Person wegen ungestümen Verhaltens am Wachzimmer festgenommen, darf sie (so lange) angehalten werden, bis sie sich beruhigt hat (VfSlg 12.258/1990, vgl Raschauer/Wessely, VStG-Kommentar, Anm 1 zur § 36).

Die Beschwerdeführerin ist auch nach Eintreffen auf der Polizeiinspektion X – wie am Video eindeutig festgehalten – ungehalten ob ihrer Festnahme und uneinsichtig ob der Vorgangsweise der Polizeibeamten, doch setzt die sichtlich alkoholisierte Beschwerdeführerin keinerlei verwaltungsstrafrechtlich relevantes Verhalten bis zu ihrer Verbringung in den Verwahrungsraum. Auch lässt sich aus ihrem Verhalten in keinster Weise ableiten, dass nach einer Entlassung eine Wiederholung einer Verwaltungsübertretung zu befürchten ist. Die Dauer der Anhaltung der Beschwerdeführerin bis um 08.55 Uhr ist daher jedenfalls unverhältnismäßig und rechtswidrig.

Zudem wurde dem verfassungsgesetzlich in Art 4 Abs 7 BVG Schutz der persönlichen Freiheit und einfachgesetzlich in § 36 Abs 3 VStG verankerten Gebot den Festgenommenen ohne unnötigen Aufschub die Gelegenheit geben, einen Rechtsbeistand zu verständigen, offenkundig nicht entsprochen, weil der Beschwerdeführerin

Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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