TE Vfgh Erkenntnis 2022/10/4 E4429/2021

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Veröffentlicht am 04.10.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

PersFrSchG Art2
BFA-VG §22a
FremdenpolizeiG 2005 §50, §76, §77, §80
VfGG §7 Abs1
  1. BFA-VG § 22a heute
  2. BFA-VG § 22a gültig ab 19.06.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 70/2015
  3. BFA-VG § 22a gültig von 15.04.2015 bis 18.06.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 41/2015
  4. BFA-VG § 22a gültig von 01.01.2014 bis 14.04.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 144/2013
  5. BFA-VG § 22a gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/2013
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Freiheit und Sicherheit durch die Anhaltung eines afghanischen Staatsangehörigen in Schubhaft; mangelhafte Einzelfall- und Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die tatsächliche Realisierbarkeit einer zeitnahen Abschiebung vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Afghanistan

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis (Spruchpunkt A I.) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein am 1. Jänner 1999 geborener Staatsangehöriger Afghanistans, der der Volksgruppe der Hazara angehört und sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt. Er stamme nach eigenen Angaben aus der Provinz Helmand und sei im Alter von 15 Jahren allein in den Iran ausgereist. Am 4. Dezember 2015 stellte der Beschwerdeführer in Österreich erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führte er zu diesem Antrag im Wesentlichen aus, dass er als Angehöriger der Hazara von den Taliban verfolgt werde.

2. Mit Bescheid vom 15. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 7. August 2020 als unbegründet ab.

3. Mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 3. Juli 2019 wurde der Beschwerdeführer wegen Suchtgifthandels nach §28a Abs1 SMG sowie wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §27 Abs1 Z1 und Abs2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt, wobei ein Teil von zehn Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

4. Mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 18. Mai 2020 wurde der Beschwerdeführer wegen Vorbereitung zum Suchtgifthandel nach §28 Abs1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt. Die mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 3. Juli 2019 ausgesprochene Strafnachsicht wurde widerrufen.

5. Am 2. Dezember 2020 stellte der Beschwerdeführer aus der Strafhaft einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 17. Februar 2021 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigen wegen entschiedener Sache zurück und erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Ferner wurde erneut eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gesetzt. Zudem wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß §53 Abs1 iVm Abs3 Z1 FPG ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17. März 2021 als unbegründet ab.

6. Am 6. April 2021 wurde der Beschwerdeführer in Schubhaft genommen. Aus der Schubhaft stellte der Beschwerdeführer am 19. April 2021 einen weiteren (dritten) Antrag auf internationalen Schutz.

Die niederschriftliche Einvernahme vor dem BFA erfolgte am 3. Mai 2021. Am Ende dieser Einvernahme hob das BFA mit mündlich verkündetem Bescheid den faktischen Abschiebeschutz des Beschwerdeführers gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 auf. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. Mai 2021 wurde die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes für rechtmäßig erklärt.

7. Am 23. Juli 2021 legte das BFA dem Bundesverwaltungsgericht gemäß §22a Abs4 BFA-VG den Verwaltungsakt zur amtswegigen Überprüfung der weiteren Anhaltung in Schubhaft über das vierte Monat hinaus vor. Das vierte Monat der Anhaltung in Schubhaft wurde am 6. August 2021 erreicht.

8. Am 30. Juli 2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht die auf §22a Abs1 Z3 BFA-VG gestützte Schubhaftbeschwerde des Beschwerdeführers ein. Daraufhin stellte das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. August 2021 das amtswegige Überprüfungsverfahren nach §22a Abs4 BFA-VG ein. Ferner wurde dem BFA am 2. August 2021 die Schubhaftbeschwerde zur Stellungnahme übermittelt. Mit Stellungnahme vom selben Tag teilte das BFA mit, dass eine begleitete Abschiebung des Beschwerdeführers für den 3. August 2021 fixiert worden und dies dem Beschwerdeführer am 29. Juli 2021 mitgeteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe die Durchführung des für eine Flugabschiebung notwendigen PCR-Tests auf COVID-19 verweigert, weshalb er nun am 14. September 2021 nach Afghanistan abgeschoben werden sollte.

9. Am 1. August 2021 stellte der Beschwerdeführer beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) einen Antrag auf Erlass einer vorläufigen Maßnahme (Art39 der Verfahrensordnung des EGMR).

Am 2. August 2021 hat der EGMR entsprechend dem Antrag eine vorläufige Maßnahme erlassen und angeordnet, dass der Beschwerdeführer bis zum 31. August 2021 nicht außer Landes gebracht werden soll. Ferner wurde der Beschwerdeführer aufgefordert darzulegen, ob er alle ihm zur Verfügung stehenden innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft hat, mit welchen er die jüngsten Änderungen der Sicherheitslage in Afghanistan vorbringen und ihre Auswirkungen auf seine Rechte nach der EMRK in Bezug auf die ihm drohende Abschiebung nach Afghanistan überprüfen lassen könnte. Zudem wurde die österreichische Bundesregierung eingeladen, zur Zulässigkeitsvoraussetzung der Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe sowie zur tatsächlichen Möglichkeit einer Abschiebung – insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen bezüglich der Sicherheitslage in Afghanistan seit Anfang Juli 2021 – Stellung zu nehmen.

10. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. August 2021 wurde die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft bis 4. August 2021 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A I.). Ferner wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen (Spruchpunkt A II.). Zudem wurde der Antrag auf Aufwandersatz des Beschwerdeführers abgewiesen (Spruchpunkt A III.) und ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer dem Bund (Bundesminister für Inneres) Aufwendungen iHv € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen hat (Spruchpunkt A IV.).

11. Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. August 2021 erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 17. August 2021 Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof.

12. Der Verfassungsgerichtshof gab der Beschwerde statt und hob das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. August 2021 mit Entscheidung vom 24. September 2021, E3115/2021, auf.

Im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes wird ua ausgeführt, dass "bereits die im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes verfügbaren Länderinformationen, insbesondere das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 11. Juni 2021, die Gefahr einer das ganze Land betreffenden kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Taliban und Regierungstruppen und damit eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes für Angehörige der Zivilbevölkerung wie den Beschwerdeführer erkennen ließ (siehe VfGH 24.9.2021, E3047/2021)".

Zudem weist der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung auf Folgendes hin:

"Das Bundesverwaltungsgericht hätte – unabhängig von der vorläufigen Befristung bis zum 31. August 2021 und der Frage, ob die Zulässigkeitskriterien einer Beschwerde an den EGMR gemäß Art35 EMRK erfüllt gewesen sind – nach dem Erlass der vorläufigen Maßnahme gemäß Art39 der Verfahrensordnung des EGMR zumindest von einer maßgeblichen Relativierung des Sicherungsbedarfs unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK und damit von einer möglichen Unverhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung ausgehen müssen (siehe VwGH 11.5.2017, Ra 2015/21/0188 ua; vgl ferner VwGH 18.4.2013, 2011/21/0042 ua).

10. Angesichts der verfügbaren Länderinformationen, die zum Entscheidungszeit-punkt eine extreme Volatilität der Sicherheitslage in Afghanistan indizierten, sowie der Erlassung der vorläufigen Maßnahme durch den EGMR am 2. August 2021 hätte das Bundesverwaltungsgericht davon ausgehen müssen, dass eine zeitnahe Abschiebung des Beschwerdeführers mit Blick auf die Vorgaben des §50 Abs1 FPG bzw auf Grund der realen Gefahr einer Verletzung von Art2 und 3 EMRK nicht möglich sein wird.

Das Bundesverwaltungsgericht lässt jedoch in seiner Entscheidung eine nachvollziehbare Auseinandersetzung damit, ob eine zeitnahe Abschiebung des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in Afghanistan tatsächlich realisierbar und somit die Anhaltung in Schubhaft verhältnismäßig ist, vermissen. Somit hat das Bundesverwaltungsgericht dadurch, dass es die im Lichte des Art2 Abs1 Z7 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit gebotene einzelfallbezogene Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft unterlassen hat, die Rechtslage grob verkannt und den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt (vgl VfSlg 14.981/1997, 17.288/2004, 18.145/2007, 19.365/2011).

[…]"

13. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. Oktober 2021 wurde die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft von 6. April 2021 bis 19. Juli 2021 im zweiten Rechtsgang als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A I.). Hinsichtlich der Anhaltung in Schubhaft von 20. Juli 2021 bis 4. August 2021 wurde der Beschwerde stattgegeben und diese Anhaltung für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt A II.). Zudem wurden die Anträge auf Aufwandersatz des Beschwerdeführers sowie des BFA abgewiesen (Spruchpunkt A III.)

14. Gegen Spruchpunkt A I. dieser Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung von Spruchpunkt A I. des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit der Situation in Afghanistan vor dem 20. Juli 2021 auseinandergesetzt habe. Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. September 2021, E3047/2021, verweise auf die breite mediale Berichterstattung über die Entwicklungen in Afghanistan sowie das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 11. Juni 2021, wonach die Gefahr einer das ganze Land betreffenden kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Taliban und Regierungstruppen und damit die ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts für Angehörige der Zivilbevölkerung bestehe. Eine Abschiebung nach Afghanistan sei daher spätestens ab 12. Juni 2021 nicht mehr möglich gewesen. Gegen die Durchführbarkeit hätten zum Entscheidungszeitpunkt auch aktuelle Medienberichte gesprochen, wonach Frontex bereits am 17. Juli 2021 den Mitgliedstaaten mitgeteilt habe, dass Abschiebungen nach Afghanistan bis auf Weiteres gestoppt würden. Hätte das Bundesverwaltungsgericht ein vollständiges Ermittlungsverfahren geführt, hätte es zum Entscheidungszeitpunkt feststellen müssen, dass keine Abschiebungen nach Afghanistan stattfinden würden und daher die Schubhaft mangels konkreten Sicherungszweckes zumindest seit 17. Juli 2021 unrechtmäßig gewesen sei. Insbesondere hätte das Bundesverwaltungsgericht feststellen müssen, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung des Beschwerdeführers nicht vorliegen.

15. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 684/1988, idF BGBl I 2/2008 lauten wie folgt:

"Artikel 1

(1) Jedermann hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit).

(2) Niemand darf aus anderen als den in diesem Bundesverfassungsgesetz genannten Gründen oder auf eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden.

(3) Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist; die persönliche Freiheit darf jeweils nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

(4) Wer festgenommen oder angehalten wird, ist unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person zu behandeln und darf nur solchen Beschränkungen unterworfen werden, die dem Zweck der Anhaltung angemessen oder zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung am Ort seiner Anhaltung notwendig sind.

Artikel 2

(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

1. wenn auf Grund einer mit Strafe bedrohten Handlung auf Freiheitsentzug erkannt worden ist;

2. wenn er einer bestimmten, mit gerichtlicher oder finanzbehördlicher Strafe bedrohten Handlung verdächtig ist,

a) zum Zwecke der Beendigung des Angriffes oder zur sofortigen Feststellung des Sachverhalts, sofern der Verdacht im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat oder dadurch entsteht, daß er einen bestimmten Gegenstand innehat,

b) um ihn daran zu hindern, sich dem Verfahren zu entziehen oder Beweismittel zu beeinträchtigen, oder

c) um ihn bei einer mit beträchtlicher Strafe bedrohten Handlung an der Begehung einer gleichartigen Handlung oder an der Ausführung zu hindern;

3. zum Zweck seiner Vorführung vor die zuständige Behörde wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung, bei der er auf frischer Tat betreten wird, sofern die Festnahme zur Sicherung der Strafverfolgung oder zur Verhinderung weiteren gleichartigen strafbaren Handelns erforderlich ist;

4. um die Befolgung einer rechtmäßigen Gerichtsentscheidung oder die Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung zu erzwingen;

5. wenn Grund zur Annahme besteht, daß er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten sei oder wegen psychischer Erkrankung sich oder andere gefährde;

6. zum Zweck notwendiger Erziehungsmaßnahmen bei einem Minderjährigen;

7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

(2) Niemand darf allein deshalb festgenommen oder angehalten werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen.

[…]

Artikel 6

(1) Jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.

(2) Im Fall einer Anhaltung von unbestimmter Dauer ist deren Notwendigkeit in angemessenen Abständen durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde zu überprüfen."

2. §22a BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I 87/2012, idF BGBl I 70/2015 lautet wie folgt:

"Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft

§22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs1 gelten die für Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß §13 Abs3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig."

3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 56/2018 lauten wie folgt:

"Verbot der Abschiebung

§50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr 210/1958, oder das Protokoll Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art33 Z1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11 AsylG 2005).

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

[…]

8. Abschnitt

Schubhaft und gelinderes Mittel

Schubhaft

§76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß §67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art28 Abs1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§59 Abs5), so steht dies der Anwendung der Z1 nicht entgegen. In den Fällen des §40 Abs5 BFA-VG gilt Z1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs2 und Art28 Abs1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs2 Z1 oder 2 oder im Sinne des Art2 litn Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß §46 Abs2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß §46 Abs2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§3 Abs3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§2 Abs1 Z23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund §34 Abs3 Z1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§52a, 56, 57 oder 71 FPG, §38b SPG, §13 Abs2 BFA-VG oder §§15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß §57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß §57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. §11 Abs8 und §12 Abs1 BFA-VG gelten sinngemäß.

Gelinderes Mittel

§77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in §76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt §80 Abs2 Z1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des §24 Abs1 Z4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder

3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt §80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs3 Z2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§7 Abs1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs3 Z3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß §57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß §57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs3 Z1 Vorsorge treffen.

[…]

Dauer der Schubhaft

§80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß §51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§13) widersetzt, oder

4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs2 Z2 und Abs3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des §76 Abs2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß §40 Abs5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß §22a Abs1 Z3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes, mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art1 ff. des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn es gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw Anhaltung verstößt, wenn es in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes erlassen wurde oder wenn es gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist; ein Fall, der nur dann vorläge, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfSlg 13.708/1994, 15.131/1998, 15.684/1999 und 16.384/2001).

Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3. Gemäß §76 Abs2 Z2 FPG kann ein Fremder in Schubhaft genommen werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück des FPG oder der Abschiebung notwendig ist, sofern Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich Art2 Abs1 Z7 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit und verlangt im Einzelfall eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft (siehe VfSlg 14.981/1997, 17.288/2004, 18.145/2007, 19.365/2011). In diesem Sinne ist gemäß §80 Abs1 FPG darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

4. Die Verhängung der Schubhaft über einen Fremden kann nur dann als verhältnismäßig bewertet werden, wenn mit der Möglichkeit einer zeitnahen Abschiebung zu rechnen ist (vgl VwGH 11.5.2017, Ra 2016/21/0144; 12.1.2021, Ra 2020/21/0378). Dies bedeutet nicht, dass die Abschiebung als gewiss feststehen muss. Die Abschiebung muss aber nach Lage des Falles mit ausreichender Wahrscheinlichkeit möglich sein (zB VwGH 11.5.2017, Ra 2016/21/0369). Sofern das Ziel der Abschiebung aus faktischen oder rechtlichen Gründen auf Dauer oder auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist, darf die Schubhaft nicht mehr aufrechterhalten werden (vgl VfSlg 17.891/2006, 18.145/2007). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn durch eine Abschiebung Art2 oder 3 EMRK verletzt würde und die Durchführung der Abschiebung somit gemäß §50 Abs1 FPG verboten ist.

5. Das Bundesverwaltungsgericht legt seinen Feststellungen zur Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan einen Auszug aus der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 2021, E3345/2021, zugrunde:

"Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, dass auf Grundlage der im angefochtenen Erkenntnis abgedruckten (und behandelten) länderberichtlichen Informationen vom 11. Juni 2021, insbesondere aber auf Grund der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 19. Juli 2021 (und der zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes verfügbaren, breiten medialen Berichterstattung) spätestens ab 20. Juli 2021, dh auch zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, von einer extremen Volatilität der Sicherheitslage in Afghanistan auszugehen war, sodass jedenfalls eine Situation vorliegt, die den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr einer Verletzung seiner verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art2 und 3 EMRK aussetzt (zur Bedeutung dieses Umstandes für die Beurteilung des Vorliegens einer realen Gefahr im Sinne des Art2 und 3 EMRK siehe statt vieler VfSlg 19.466/2011, 20.296/2018, 20.358/2019; VfGH 6.10.2020, E2406/2020)."

Deshalb geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass auf Basis der Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA vom 19. Juli 2021 jedenfalls mit 20. Juli 2021 die Verbringung afghanischer Staatsangehöriger nach Afghanistan auf Grund der volatilen Sicherheitslage unmöglich gewesen sei. Hieraus ergebe sich im Umkehrschluss, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan vor dem 20. Juli 2021 zwar laufend verschlechtert habe, jedoch in Summe noch nicht als derart volatil einzustufen sei, dass vor diesem Zeitpunkt von einer zwingenden Unmöglichkeit von Abschiebungen dorthin auszugehen sei.

6. Zur realistischen Möglichkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers bis zum 19. Juli 2021 führt das Bundesverwaltungsgericht in der rechtlichen Beurteilung seines Erkenntnisses wie folgt aus:

"Auch die Frage der […] realistischen Möglichkeit der Abschiebung des BF nach Afghanistan bereitet fallbezogen bis 19.07.2021 keine Probleme: HRZ wurden von der afghanischen Botschaft – während diese noch im Amt war – laufend ausgestellt und wurde dem BF im Juni 2021 auch ein solches HRZ ausgestellt. Der BF wäre aufgrund der erfolgreichen Durchführung von Sammelabschiebungen von Februar bis Juni 2021 – wäre er kooperationsbereit gewesen – auch bereits nach Afghanistan abgeschoben worden, zumal er bereits für eine Flugabschiebung im Juni 2021 gebucht war. Die dann längere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist einzig allein auf das Verhalten des BF selbst zurückzuführen, da er seine Abschiebung im Juni durch Vorspiegelung der Absicht zur freiwilligen Ausreise verhindert hat, nur um Anfang Juli 2021 dann die bereits organisierte freiwillige Ausreise im letzten Moment zu widerrufen. Seine geplante Abschiebung am 03.08.2021 verhinderte der BF vorerst dadurch, dass er am 02.08.2021 den obligatorischen PCR-Test auf COVID-19 verweigerte, auch wenn dieser Sammelcharter am Abend des 02.08.2021 (nach der Testverweigerung) abgesagt wurde.

Der BF verlängerte somit durch sein Obstruktionsverhalten selbst seine Anhaltung in Schubhaft; eine Unverhältnismäßigkeit ebendieser ist jedoch bis (und einschließlich des) 19.07.2021 angesichts der Straffälligkeit des BF, die zu einem deutlich erhöhten öffentlichen Interesse an seiner Außerlandesbringung führt, nicht zu erkennen und treten die persönlichen Interessen des BF an der Wahrung seiner persönlichen Freiheit bis zu diesem Datum angesichts der Umstände des Falles deutlich in den Hintergrund.

Dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan bereits vor 19.07.2021 derart und nachhaltig verschlechtert hatte, dass bereits vor diesem Zeitpunkt mit der dauerhaften Unmöglichkeit von Abschiebungen dorthin gerechnet werden musste, ergibt sich für das BVwG aus der Judikatur des VfGH und den zur Verfügung stehenden Länderinformationen ausdrücklich nicht. Wie festgestellt und beweisgewürdigt, setzt der VfGH den 20.07.2021 als jenes Datum fest, ab dem die Sicherheitslage – jedenfalls seiner Ansicht nach – als so volatil einzustufen ist, dass eine Verbringung von afghanischen StA. nach ebendort an der Non-Refoulement Prüfung scheitern müsse. Im Hinblick auf das oben Gesagte, durfte das Bundesamt daher jedenfalls die Sicherheitslage in Afghanistan bis zu diesem Zeitpunkt genau beobachten, ohne dass bereits eine Unverhältnismäßigkeit der Anhaltung des BF in Schubhaft bewirkt worden wäre. Zum Stand 19.07.2021 war auch die Abschiebung des BF mit dem Sammelcharter am 03.08.2021 noch geplant und bestanden bis zu diesem Datum keine konkreten Anzeichen, dass dieser abgesagt werden müsse, weshalb bis und einschließlich des 19.07.2021 noch von der realistischen Möglichkeit einer Abschiebung am 03.08.2021 ausgegangen werden durfte."

7. Der Verfassungsgerichtshof weist – wie bereits in seiner Entscheidung vom 24. September 2021 – darauf hin, dass bereits das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 11. Juni 2021 die Gefahr einer das ganze Land betreffenden kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Taliban und Regierungstruppen und damit eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes für Angehörige der Zivilbevölkerung wie den Beschwerdeführer erkennen ließ (siehe VfGH 24.9.2021, E3047/2021). Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 11. Juni 2021 hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht herangezogen, obwohl es gemäß §87 Abs2 VfGG verpflichtet ist, in der betreffenden Rechtssache mit den ihm zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

7.1. Im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 11. Juni 2021 finden sich zur "Sicherheitslage im Jahr 2021" folgende Informationen:

"Die Taliban glauben, dass der Sieg ihnen gehört. Die Entscheidung von US Präsident Joe Biden, den Abzug der verbleibenden US-Truppen auf September zu verschieben, was bedeutet, dass sie über den im letzten Jahr vereinbarten Termin 1.5.2021 hinaus im Land bleiben werden, hat eine scharfe Reaktion der politischen Führung der Taliban ausgelöst. Nichtsdestotrotz scheint das Momentum auf Seiten der Militanten zu sein. Im vergangenen Jahr gab es einen offensichtlichen Widerspruch im 'Jihad' der Taliban. Nach der Unterzeichnung eines Abkommens mit den USA stellten sie Angriffe auf internationale Truppen ein, kämpften aber weiter gegen die afghanische Regierung. Ein Taliban-Sprecher besteht jedoch darauf, dass es keinen Widerspruch gibt (BBC 15.4.2021; vgl VIDC 26.4.2021). Für die Taliban ist die Errichtung einer 'islamischen Struktur' eine Priorität. Die Taliban sind noch nicht ins Detail gegangen, wie diese aussehen würde. Ähnliche Bedenken werden im Hinblick auf die Auslegung der Scharia und die Rechte der Frauen geäußert (VIDC 26.4.2021).

Die Luftwaffe, vor allem die der Amerikaner, hat in den vergangenen Jahren entscheidend dazu beigetragen, den Vormarsch der Taliban aufzuhalten. Die USA haben ihre Militäroperationen bereits drastisch zurückgefahren, nachdem sie im vergangenen Jahr ein Abkommen mit den Taliban unterzeichnet hatten, und viele befürchten, dass die Taliban nach ihrem Abzug in der Lage sein werden, eine militärische Übernahme des Landes zu starten (BBC 15.4.2021; vgl VIDC 26.4.2021)."

7.2. Weiters finden sich in dem Länderinformationsblatt vom 11. Juni 2021 im Kapitel "Abzug der Internationalen Truppen" auszugsweise folgende Informationen:

"Im April kündigte US-Präsident Joe Biden den Abzug der verbleibenden Truppen (WH 14.4.2021; vgl RFE/RL 19.5.2021, AAN 1.5.2021, BBC 23.4.2021) – etwa 2.500-3.500 US-Soldaten und etwa 7.000 NATO-Truppen – bis zum 11.9.2021 an, nach zwei Jahrzehnten US-Militärpräsenz in Afghanistan (RFE/RL 19.5.2021). […]

Der Abzug wird eine große Bewährungsprobe für die afghanischen Sicherheitskräfte sein. US-Generäle und andere Offizielle äußer

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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