TE Vwgh Erkenntnis 2022/9/1 Ra 2021/03/0095

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Veröffentlicht am 01.09.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/04 Sprengmittel Waffen Munition

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag, Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des A S in W, vertreten durch AINEDTER & AINEDTER, Rechtsanwälte in 1020 Wien, Taborstraße 24A, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 12. Februar 2021, Zl. VGW-103/048/5919/2020-33, betreffend Waffenverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid der belangten Behörde vom 3. April 2020 wurde - in Bestätigung eines zuvor erlassenen Mandatsbescheides - über den Revisionswerber gemäß § 12 Abs. 1 Waffengesetz 1996 (WaffG) ein Waffenverbot verhängt.

2        Dem war ein Vorfall vorausgegangen, der zu einem Polizeieinsatz in der Wohnung des Revisionswerbers (dem Inhaber einer Waffenbesitzkarte) geführt hat, die dieser mit seiner Ehegattin, den gemeinsamen Kindern und seinem Schwiegervater bewohnt hatte, und im Zuge dessen ein Betretungsverbot gegen den Revisionswerber ausgesprochen wurde.

3        Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Verwaltungsgericht.

4        Dieses führte u.a. am 12. Februar 2021 eine mündliche Verhandlung durch, in der ein bei der Amtshandlung anwesender Polizeibeamter und die Ehegattin des Revisionswerbers als Zeugen vernommen wurden. Dabei gab die Ehegattin wörtlich an: „An diesem Tag haben wir massiv gestritten. ... Mein Mann ging in unser gemeinsames Schlafzimmer und ich folgte. Er hatte eine Waffe in der Hand. ... Im Schlafzimmer hatten wir einen weiteren Streit und ich hatte Angst, weil ich eine Waffe gesehen habe, welche er in der Hand hatte. Dann rief ich die Polizei. Ich habe gesehen, dass er nicht auf mich gezielt hat. ...“

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

6        Begründend führte es aus, für die Frage einer zukünftig noch andauernden Gefährlichkeit im Hinblick auf die Verwendung von Waffen sei die Verwahrung von Waffen, insbesondere am Tag des genannten Vorfalls, sowie der damalige Gebrauch der Waffen gegenüber der Ehegattin entscheidungswesentlich und festzustellen. Nach der schlüssigen und genauen Zeugenaussage des Polizeibeamten sei die eheliche Wohnung von einem dreizehnjährigen Mädchen mitbewohnt worden, es seien sowohl eine geladene und scharfe Waffe der Kategorie B als auch eine Schreckschusswaffe - jedenfalls am Tag des Einschreitens - frei zugänglich gewesen. Sie seien - entsprechend näher dargelegter beweiswürdigender Erwägungen - an verschiedenen Orten in der Wohnung offen gelegen und damit nicht rechtmäßig verwahrt gewesen.

Weiters habe die Ehegattin glaubwürdig ausgesagt, dass der Revisionswerber eine Waffe auf sie gerichtet habe. Diese Feststellung habe in Zusammenschau mit der Aussage des vernommenen Polizeibeamten getroffen werden können, der „das direkte Bedeuten der Waffe“ auf die Ehegattin durch Hörensagen von deren Vater bezeugen habe können. Der Streit bei hohem Aggressionspotenzial sei unbestritten und unterstreiche zusätzlich die Notwendigkeit, die missbräuchliche Verwendung von Waffen durch den Revisionswerber mittels Waffenverbotes hintanzuhalten. Das „nur durch Hörensagen festzustellende waffengebräuchliche Fehlverhalten“ unterstreiche bloß die von der belangten Behörde getroffene Maßnahme, sei aber nur zum „schon ohnehin bestehenden Verlässlichkeitsmangel“ hinzugetreten. Es habe also des „direkt bedeutenden Haltens der Waffe auf die Gattin“ nicht bedurft, um der Beschwerde den Erfolg zu versagen.

7        Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde hat von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand genommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend eine Aktenwidrigkeit in einem wesentlichen Punkt aufzeigt. Sie ist daher auch begründet.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Derartige Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung können nicht nur solche des materiellen Rechts, sondern auch des Verfahrensrechts sein, etwa bei Verletzung tragender Grundsätze des Verfahrensrechts oder dann, wenn der vom Verwaltungsgericht angenommene Sachverhalt in unvertretbarer Weise nicht mit den vorgelegten Akten übereinstimmt, also Aktenwidrigkeit vorliegt (vgl. VwGH 22.8.2018, Ra 2018/03/0077, mwN). Beruht die Beweiswürdigung in einem entscheidenden Punkt ausdrücklich auf einer aktenwidrigen Annahme über den Inhalt eines Beweises (hier: darüber, was die Zeugin ausgesagt hat), liegt ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender Mangel vor (vgl. VwGH 24.4.2003, 2002/07/0103, mwN, zu auf aktenwidrigen Annahmen beruhenden Tatsachenfeststellungen).

11       Ein solcher Fall liegt hier vor: Die entscheidende Tatsachenfeststellung, wonach der Revisionswerber eine Waffe auf seine Ehegattin gerichtet habe, wird zunächst damit begründet, dass die Ehegattin dies glaubwürdig ausgesagt habe. Tatsächlich ergibt sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2021 aber eine gegenteilige Aussage: Demnach gab die Ehegattin an, dass der Revisionswerber zwar eine Waffe in der Hand gehabt habe, aber dann wörtlich: „Ich habe gesehen, dass er nicht auf mich gezielt hat.“

12       Betrifft die Aktenwidrigkeit einen für den Fall wesentlichen Punkt, ist das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit belastet (vgl. VwGH 26.2.2019, Ra 2018/02/0307, mwN).

13       Das Verwaltungsgericht versucht die Feststellung in weiterer Folge zwar durch die Angaben des vernommenen Polizeibeamten (über dessen vom Vater der Ehegattin erhaltene Informationen) zu untermauern und führt dann - insofern widersprüchlich - aus, das Fehlverhalten sei „nur durch Hörensagen“ - also allein auf Basis der Angaben des Polizeibeamten - festzustellen. Aber auch und gerade dann erfordert eine mängelfreie Beweiswürdigung die Auseinandersetzung mit entgegenstehenden Beweisergebnissen - hier der Aussage der Ehegattin als unmittelbarer Zeugin.

14       Im Übrigen darf sich das Verwaltungsgericht nicht mit einem mittelbaren Beweis zufrieden geben, wenn der Aufnahme eines unmittelbaren Beweises kein tatsächliches Hindernis entgegen steht. Die Unmittelbarkeit in Hinblick auf die Aussage eines Zeugen (bzw. einer Partei) verlangt damit dessen Einvernahme vor dem erkennenden Verwaltungsgericht (VwGH 24.9.2019, Ra 2019/03/0055, mwN). Dem Erkenntnis ist aber nicht zu entnehmen, dass oder warum der Vernehmung des Vaters der Ehegattin über seine unmittelbaren Wahrnehmungen ein tatsächliches Hindernis entgegengestanden wäre.

15       Soweit die Ausführungen des Verwaltungsgerichts am Ende seiner Entscheidungsgründe in die Richtung zu deuten sind, dass bereits der „Verlässlichkeitsmangel“ (gemeint offenbar: die festgestellte mangelhafte Verwahrung von Waffen) auch ohne Berücksichtigung des „direkt bedeutenden Haltens der Waffe auf die Gattin“ die Verhängung des Waffenverbots rechtfertigen solle, steht dies mit der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht in Einklang:

16       Demnach kann aus der Tatsache der nicht ordnungsgemäßen Verwahrung einer Waffe (mag diese gegebenenfalls auch zum Verlust der waffenrechtlichen Verlässlichkeit im Sinne des § 8 WaffG führen) allein noch nicht auf eine missbräuchliche Waffenverwendung geschlossen werden kann. Das steht zwar einer Berücksichtigung der nicht sorgfältigen Aufbewahrung von Waffen als eine „bestimmte Tatsache“ im Sinne des § 12 Abs. 1 WaffG im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung nicht entgegen, bedarf aber einer zusätzlichen Untermauerung der Befürchtung missbräuchlicher Verwendung im Einzelfall (vgl. VwGH 21.6.2017, Ro 2017/03/0007, mwN).

17       Die vom Verwaltungsgericht angestellte Gesamtbetrachtung kann aber schon aufgrund seiner aktenwidrigen Beweiswürdigung keinen Bestand haben. Vielmehr wird das Verwaltungsgericht nach ordnungsgemäßer Feststellung des Sachverhaltes (wozu auch gehören wird, ob und gegebenenfalls warum der Revisionswerber während eines „Streits bei hohem Aggressionspotenzial“ in Anwesenheit minderjähriger Kinder mit einer geladenen Schusswaffe in welcher Art auch immer hantiert habe) eine erneute Gesamtbetrachtung durchzuführen haben, ob im Sinne des § 12 Abs. 1 WaffG aufgrund der festgestellten Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, der Betroffene könnte durch missbräuchliches Verwenden von Waffen das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden. Soweit die dafür gewonnenen Beweisergebnisse den relevanten Prozessbehauptungen des Revisionswerbers widersprechen, wird auch dieser als Partei zu vernehmen sein, damit sich das Verwaltungsgericht einen unmittelbaren Eindruck von ihm bzw. seiner Glaubwürdigkeit verschaffen kann (vgl. erneut VwGH 24.9.2019, Ra 2019/03/0055, mwN).

18       Das angefochtene Erkenntnis war daher - in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

19       Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.

20       Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 1. September 2022

Schlagworte

Beweismittel Zeugen Beweismittel Zeugenbeweis Parteiengehör Unmittelbarkeit Teilnahme an Beweisaufnahmen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021030095.L00

Im RIS seit

10.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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