TE Vwgh Erkenntnis 1996/4/18 95/20/0350

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.04.1996
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des H, derzeit unbekannten Aufenthaltes, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. April 1995, Zl. 4.303.067/13-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Libanon und reiste am 3. September 1990 illegal in Begleitung zwei anderer Libanesen in das Bundesgebiet ein. Er wurde noch am selben Tag durch die Bundespolizeidirektion Graz einvernommen und fremdenpolizeilich behandelt. Eine neuerliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch die Bundespolizeidirektion Graz-Stadt, fremdenpolizeiliche Abteilung, erfolgte im Rahmen des Fremdenpolizeigesetzes am 5. September 1990. Mit schriftlichem Antrag vom 10. September 1990 begehrte der Beschwerdeführer, bereits vertreten durch den nunmehrigen Beschwerdeführer-Vertreter, schriftlich die Gewährung von Asyl, wobei dieser Antrag detaillierte Fluchtgründe nicht enthielt. Anläßlich der daraufhin am 14. September 1990 erfolgten niederschriftlichen Befragung des Beschwerdeführers durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark gab er, zu seinen Fluchtgründen befragt, an, er sei auf Grund des Bürgerkrieges im Libanon bereits in der Schule von den verschiedenen Parteien für den Krieg umworben worden, um für eine der Parteien im Bürgerkrieg zu kämpfen. Er sei aber nicht gewillt gewesen, in den Krieg einbezogen zu werden, deshalb habe er sich zum Verlassen des Libanon entschlossen. Er sei im Libanon gegen die Bestimmungen der Genfer Konvention von den dortigen Behörden nie verfolgt oder in Haft genommen worden. Er habe den Libanon lediglich verlassen, um nicht im Bürgerkrieg kämpfen zu müssen. Er habe in seinem Heimatland auch nie einer Partei angehört. Auch seine Eltern seien nie politisch in Erscheinung getreten. Über seinen Antrag habe er problemlos einen Reisepaß erhalten und sei legal aus dem Libanon ausgereist.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 15. April 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.

In der fristgerecht gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung schilderte der Beschwerdeführer zunächst die aus Anlaß seiner schriftlichen Asylantragstellung und Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark stattgefundenen Vorgänge rund um seine und seiner Mitreisenden fremdenpolizeiliche Behandlung (Vernehmungen, "Antragsrückziehungen", Rückschiebeversuch und Schubhaft). Daran anschließend machte er geltend, "aus all diesen Gründen" sei die erste Niederschrift, welche mit ihm aufgenommen worden sei, "mit äußerster Vorsicht zu behandeln". Aus diesem Grunde wurde bereits in der Berufung beantragt, den Beschwerdeführer nochmals ausführlich zu seinen Asylgründen zu vernehmen, "da der Behörde ein absolut unzulängliches Ermittlungsverfahren anzulasten" sei.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 2. August 1993 wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Infolge der dagegen gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13. Oktober 1994, Zl. 94/19/0673 den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94).

In dem dadurch wiederum anhängig gewordenen Berufungsverfahren erstattete der Beschwerdeführer über diesbezügliche Aufforderung der belangten Behörde am 10. April 1995 eine Berufungsergänzung, in der er neben Formalfehlern (Verletzung der Bestimmungen der §§ 58, 60 AVG sowie 16 AsylG 1991) geltend machte, er sei bereits im Jahre 1989 in Beirut in der Mittelschule von Funktionären der "Al Baath"-Partei angesprochen worden, für diese Partei tätig zu werden. Diese Partei operiere unter Leitung des syrischen Geheimdienstes. Der Beschwerdeführer habe eine Mitarbeit abgelehnt und sei daraufhin für 3 Stunden in einem Parteilokal dieser Partei festgehalten und körperlich derart mißhandelt worden, daß er bis zum heutigen Tage in seinem linken Oberschenkel an Krampfzuständen leide. Überdies habe man ihm für den Fall der weiteren Verweigerung seiner Mitarbeit mit einem längerfristigen Gefängnisaufenthalt gedroht. Seine Eltern hätten ihm schließlich geraten, keinesfalls mit dieser Partei zusammenzuarbeiten. Aus Angst vor einer Verhaftung sei er nach Eldewair in den Südlibanon geflohen, wo er sich bis zu seiner Ausreise versteckt gehalten habe. Der syrische Geheimdienst habe sich während dieser Zeit in der Schule nach ihm erkundigt. Der Direktor dieser Schule habe ihm geraten, keinesfalls in die Schule nach Beirut zurückzukehren, da er ansonsten verhaftet würde. Sein Bruder Y, der in der Zeit von 1989 bis 1990 Mitglied der Amel-Partei, die von der Al-Baath-Partei unterstützt werde, gewesen sei, sei nach seinem Austritt aus dieser Partei verschollen. Durch telefonischen Kontakt mit seinem zweiten Bruder X habe er überdies erfahren, daß seinen Eltern ein für ihn bestimmter Einberufungsbefehl der Militärpolizei der libanesischen Armee zugestellt worden sei, wonach der Beschwerdeführer zu einer zweijährigen Wehrdienstausbildung in der libanesischen Armee hätte einrücken müssen. Auf Grund seines Aufenthaltes in Österreich könne er diesem Einberufungsbefehl zwangsläufig nicht nachkommen, gelte daher als Wehrdienstverweigerer. Im Falle einer erzwungenen Rückkehr in sein Heimatland müsse er mit weiterer Verfolgung durch die Heimatbehörden rechnen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und begründete dies nach Darstellung des Verfahrensganges sowie der in Anwendung gebrachten Gesetzesbestimmungen rechtlich im wesentlichen dahingehend, das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers, habe nicht ergeben, daß er Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Allfällige Begründungsmängel des erstinstanzlichen Bescheides seien mit Erlassung des Berufungsbescheides behoben. Bezugnehmend auf das vom Beschwerdeführer angebotene Beweismittel der persönlichen Einvernahme führte die belangte Behörde aus, er habe bereits bei seiner erstinstanzlichen Befragung ausreichend Möglichkeit gehabt, die Gründe für das Verlassen seines Heimatlandes kundzutun. Die erkennende Behörde gelange daher zum Schluß, daß sich ein Eingehen auf den von ihm angebotenen Beweis erübrige, da eine persönliche Einvernahme nicht zu einem im wesentlichen inhaltlich anders lautenden Bescheid geführt hätte. Auch eine Verletzung des § 16 AsylG 1991 erachtete die belangte Behörde als nicht vorliegend, zumal die darin der Behörde auferlegte Pflicht nicht dahingehend interpretiert werden könne, daß die Behörde verpflichtet sei, so lange im Sinne des Antrages der Partei zu ermitteln, bis zwingend eine Stattgebung des Antrages zu erfolgen habe, und andererseits auch das erstinstanzliche Vorbringen des Beschwerdeführers keinerlei Anlaß dazu geboten habe. Zentrale Erkenntnisquelle sei in diesem Verfahren die Aussage der Partei. Im gesamten Verwaltungsverfahren habe der Beschwerdeführer keinerlei konkret zu gewärtigende oder im Falle der Rückkehr zu befürchtende Verfolgungshandlung vorgebracht. Daß er von den Bürgerkriegsparteien umworben worden sei, stelle keinen Verfolgungstatbestand im Sinn des § 1 AsylG dar. Einen der Fälle des § 20 Abs. 2 (in der Fassung BGBl. Nr. 610/1994) erachtete die belangte Behörde als nicht vorliegend. Demzufolge sei auch auf das überschießende Berufungsvorbringen (gemeint: in der Berufungsergänzung) nicht näher einzugehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht zunächst (neuerlich) die Verletzung des § 16 AsylG 1991 geltend. Vorweg ist festzustellen, daß der Beschwerdeführer in der Berufung die neuerliche Einvernahme im Hinblick darauf beantragte, daß die mit ihm (bzw. seinen Reisegefährten) am 4., 5. bzw. 6. September 1990 aufgenommenen Niederschriften unvollständig und "mit äußerster Vorsicht zu behandeln" seien. Auch in der Beschwerde weist der Beschwerdeführer neuerlich auf die Vorkommnisse rund um den Rückschiebeversuch nach Jugoslawien durch die Bundespolizeidirektion Graz hin. Der Verwaltungsgerichtshof erkennt jedoch keine Entscheidungsrelevanz dieser Umstände. Aus dem Akt ergibt sich, daß der Beschwerdeführer im Rahmen des ASYLVERFAHRENS am 14. September 1990 von der - hiefür zuständigen - Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark einvernommen wurde und er anläßlich DIESER Einvernahme seine Fluchtgründe (im wesentlichen allerdings ident mit den zuvor aufgenommenen Niederschriften) darlegte. Daß diese Einvernahme durch die hiefür zuständigen Organe ebenfalls "mit Vorsicht zu behandeln" sei, wird weder in der Berufung noch in der Beschwerde dargetan. Der Behörde ist daher darin beizupflichten, wenn sie in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes davon ausgeht, daß § 16 AsylG 1991 lediglich eine Konkretisierung der sich aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden darstellt, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, die Behörde daher im Rahmen ihrer Ermittlungspflicht allenfalls vorhandene Zweifel über den Inhalt und die Bedeutung des Vorbringens eines Asylwerbers durch entsprechende Erhebungen, insbesonders ergänzende Befragung zu beseitigen hat, wenn - und nur dann - das Vorbringen eines Asylwerbers einen hinreichend deutlichen Hinweis auf einen Sachverhalt enthält, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Konvention in Betracht kommt. Konkrete Hinweise in diesem Sinne fehlten jedoch im Vorbringen des Beschwerdeführers in erster Instanz völlig. Gründe für eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erster Instanz im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 wurden in der Berufung nicht, in der Berufungsergänzung nur durch Geltendmachung eines "Nachfluchtgrundes" durch Verweigerung der Militärdienstleistung infolge Nichtbeachtung des mittlerweile gegen den Beschwerdeführer ergangenen Einberufungsbefehls geltend gemacht. Abgesehen von diesem Umstand erweist sich daher die Beurteilung der belangten Behörde als mit der Rechtslage in Einklang stehend, wenn sie von dem Ermittlungsergebnis des Verfahrens erster Instanz gemäß § 20 Abs. 1 leg. cit. ausgegangen ist und den im Sinne des § 20 Abs. 2 dritter Fall AsylG 1991 behaupteten "Nachfluchtgrund" lediglich als "überschießend" aus der Betrachtung ausklammerte. Im übrigen läßt sich weder der Berufungsergänzung noch der Beschwerde konkret entnehmen, welche an sein erstinstanzliches Vorbringen anknüpfenden Fragen die belangte Behörde nach seiner Auffassung hätte stellen sollen, um über das der rechtlichen Beurteilung ohnedies zugrunde gelegte Vorbringen hinausgehende Feststellungen treffen zu können.

Insoweit der Beschwerdeführer offenbar meint, die Ermöglichung der Ergänzung der Berufung im Sinne des aufhebenden hg. Erkenntnisses vom 13. Oktober 1994, Zl. 94/19/0673, hindere die Würdigung des sohin ergänzend erstatteten Sachvorbringens nach allen Richtungen, ist er darauf zu verweisen, daß die Frage der Ermöglichung der Geltendmachung einfacher Verfahrensverletzungen des Verfahrens erster Instanz im Sinne des Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisses, BGBl. Nr. 610/1994, mit der Frage der Beweiswürdigung des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers bzw. der Ermittlungsergebnisse des Verwaltungsverfahrens in keinem Zusammenhang steht. Liegen daher die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 leg. cit. auch unter Zugrundelegung einer erstatteten Berufungsergänzung nicht vor, hat die belangte Behörde im Sinn des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 vom Ermittlungsergebnis des Verfahrens erster Instanz auszugehen. Mit "antizipierender Beweiswürdigung" hat diese Vorgangsweise nichts zu tun. Im Hinblick auf das - insofern neue - Vorbringen des Beschwerdeführers seine Wehrdienstverweigerung betreffend hätte die belangte Behörde im Sinne des vorher Gesagten gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 1991 allenfalls eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durchführen können. Durch die Unterlassung der Verfahrensergänzung durch die belangte Behörde kann der Beschwerdeführer gemäß den folgenden rechtlichen Erwägungen aber nicht in einem subjektiven Recht verletzt worden sein.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufungsergänzung zu diesem Punkte ausgeführt, durch seinen zweiten Bruder Hassan habe er telefonisch die Nachricht erhalten, daß seinen Eltern ein für ihn bestimmter Einberufungsbefehl von der Militärpolizei der libanesischen Armee zugekommen sei. Er hätte auf Grund dessen zu einer zweijährigen Wehrdienstausbildung in die libanesische Armee einrücken müssen. Da er infolge seines Aufenthaltes in Österreich diesem Einberufungsbefehl nicht nachkommen könne, gelte er als Wehrdienstverweigerer. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu dieser Problematik zu wiederholten Malen (vgl. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, und die dort wiedergegebene Judikatur) ausgesprochen, daß die Furcht wegen Desertion bzw. Entziehung vom Wehrdienst bestraft zu werden, regelmäßig nicht als für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geeigneter Umstand angesehen werden kann. Die Furcht wegen einer damit im Zusammenhang stehenden drohenden Bestrafung könnte nur dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung zum Militärdienst aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen wäre (vgl. hiezu insbesondere nochmals das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377). Daß dem Beschwerdeführer aus in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen eine härtere Bestrafung als anderen Staatsangehörigen gedroht hätte, hat er in der Berufungsergänzung nicht behauptet. Im Ergebnis erweist sich daher, daß die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen.

Aus diesem Grunde war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200350.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten