TE Vwgh Erkenntnis 1996/5/9 95/20/0100

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Veröffentlicht am 09.05.1996
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §58 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des A in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Jänner 1995, Zl. 4.345.547/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 22. September 1994 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 29. September 1994 Asyl. Als Fluchtgründe nannte er in seinem Antrag, er gehöre der benachteiligten und verfolgten kurdischen Volksgruppe an, habe dem Einberufungsbefehl nicht Folge geleistet, weil er es aus Gewissensgründen ablehne, Waffengewalt gegen seine kurdischen Mitbrüder anzuwenden, und werde auch deshalb gesucht, weil er politisch aktiv, insbesondere für die TKP/ML tätig gewesen sei.

Zu diesen Fluchtgründen wurde der Beschwerdeführer am 19. Oktober 1994 vor dem Bundesasylamt einvernommen. Mit Bescheid vom 14. Dezember 1994 wies das Bundesasylamt den Antrag ab, weil der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei und auch der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 verwirklicht sei. Bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft folgte das Bundesasylamt in tatsächlicher Hinsicht der Darstellung des Beschwerdeführers, verneinte die Flüchtlingseigenschaft aber u.a. deshalb, weil die TKP/ML eine terroristische Organisation und die Verfolgung ihrer Unterstützer daher legitim sei. Die Annahme der Verfolgungssicherheit in Drittstaaten gründete das Bundesasylamt auf die Anreise des Beschwerdeführers über Bulgarien, Rumänien und ein unbekanntes Nachbarland Österreichs, wozu ausgeführt wurde, alle "Österreich umgebenden Staaten" seien Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Sie verneinte die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im wesentlichen deshalb, weil dessen Angaben nicht glaubwürdig seien, und stützte ihre Entscheidung auch auf die Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Bulgarien und Rumänien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Zur Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers:

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer an, er sei seit 1987 für die TKP/ML, und zwar zunächst für die Ortsgruppe Gebze/Provinzstadt Izmit, tätig gewesen. Am 7. Oktober 1988 seien vier ebenfalls für die TKP/ML tätig gewesene Freunde des Beschwerdeführers von der Polizei getötet worden. Der Beschwerdeführer fuhr fort:

"Da ich Angst hatte, ebenfalls von der Polizei gesucht zu werden, begab ich mich nach Istanbul zu meiner Schwester. Am 30. 10. 1988 reiste ich in meine Heimatstadt Erzincan, wo ich mich bei meinem Onkel bis etwa Oktober 1990 aufhielt.

Über die TKP/ML erhielt ich einen falschen Personalausweis und habe wiederum für die TKP/ML gearbeitet. Ich nahm wiederum an Schulungen teil und verteilte Propagandamaterial. Dies war im Gebiet um Erzincan und zwar in Tercan/Askala.

Im Jahre 1989 erhielt ich den Einberufungsbefehl zum türkischen Militär und ich habe dieser Einberufung keine Folge geleistet. Ich habe mich daraufhin immer wieder an verschiedenen Orten oder Plätzen aufhalten müssen, um nicht von der Militärpolizei erwischt zu werden."

Dazu führte der Beschwerdeführer weiter aus, er habe nicht zum türkischen Militär einrücken wollen, weil es im Südosten der Türkei bürgerkriegsähnliche Zustände gebe und er nicht "auf das kurdische Volk schießen" wolle. Nach einem Erlaß der türkischen Regierung hätten "Deserteure" bis zum 19. Mai 1994 ihren Militärdienst antreten sollen. Der Ortsvorsteher von Güzbulak/Erzincan habe ihn mit Schreiben vom 19. September 1994 ersucht, seine Adresse bekannt zu geben, weil er gesucht werde. Der Beschwerdeführer sei 1992/93 in einem Menschenrechtsverein und in dieser Zeit auch wieder in der beschriebenen Weise für die TKP/ML tätig gewesen. 1993 hätte die PKK in der Nähe von Erzincan ein Dorf überfallen. Im Februar oder März 1993 oder 1994, näheres wisse er nicht und könne er nicht angeben, sei er wegen des Verdachtes der Teilnahme an diesem Überfall unter falschem Namen festgenommen, für 10 Tage festgehalten, verhört und geschlagen und anschließend aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen worden. Nach seiner Freilassung (keine nähere Zeitangabe) habe die Polizei erfahren, daß er unter falschem Namen lebe, und nach ihm zu suchen begonnen. Er habe sich deshalb immer wieder bei verschiedenen Freunden aus dem Bereich der TKP/ML aufgehalten. DIES habe etwa sieben bis acht Monate gedauert. Da der Beschwerdeführer dem Druck nicht mehr gewachsen gewesen sei, habe er die Türkei verlassen. Er wisse, daß die TKP/ML in der Türkei verboten sei und ein militanter Flügel dieser Partei immer wieder Anschläge verübe. Der Beschwerdeführer werde in der Türkei wegen seiner Tätigkeit für die TKP/ML, wegen seines falschen Ausweises und wegen seiner Wehrdienstverweigerung gesucht. Er habe wegen der Tätigkeit für die TKP/ML mit bis zu 18 Jahren Gefängnis, wegen der Wehrdienstverweigerung mit drei Jahren Haft und wegen des illegalen Verlassens der Türkei mit Haft von drei bis zu sechs Jahren zu rechnen, wenn er nicht schon beim Verhör getötet würde.

Eine nochmalige Frage nach dem Zeitpunkt seiner zehntägigen Haft beantwortete der Beschwerdeführer damit, daß sie "wohl im Jahr 1993, drei bis vier Tage nach dem Anschlag der PKK" stattgefunden hätte.

Im angefochtenen Bescheid führt die belangte Behörde aus, der vom Beschwerdeführer als Fluchtgrund dargestellte Sachverhalt erweise sich "nach näherer Betrachtung aufgrund der zahlreichen Unstimmigkeiten als nicht plausibel". Diese Behauptung wird von der belangten Behörde punkteweise und ohne erkennbare Schlußfolgerungen in bezug auf die Glaubwürdigkeit jeweils nicht betroffener Teile der Darstellung begründet.

Zunächst führt die belangte Behörde aus, es sei widersprüchlich, daß der Beschwerdeführer "bis Oktober 1990" bei seinem Onkel gewohnt haben solle, obwohl er auch angegeben habe, er habe nach der Nichtbefolgung des 1989 erhaltenen Einberufungsbefehles oft den Aufenthaltsort wechseln müssen. Diese Argumentation der belangten Behörde setzt sich darüber hinweg, daß der Beschwerdeführer seiner Zeitangabe "bis Oktober 1990" das Wort "etwa" vorangestellt hatte, und läßt auch außer acht, daß er nicht gefragt wurde, welchen Einberufungstermin der 1989 zugestellte Einberufungsbefehl genannt, wann der Beschwerdeführer eine falsche Identität angenommen und ob der Aufenthalt bei seinem Onkel damit ein Ende gefunden habe. Ein Versuch, aus "Widersprüchen" dieser Art im nachhinein ein Argument gegen die Glaubwürdigkeit des Asylwerbers zu gewinnen, ist unter diesen Umständen keine schlüssige Beweiswürdigung. Die vom vermeintlichen Widerspruch betroffenen Teile der Darstellung sind überdies nicht von ausschlaggebender Bedeutung.

Nichts anderes gilt auch für die Unglaubwürdigkeit, die die belangte Behörde dem Beschwerdeführer in bezug auf seine Inhaftierung vorwirft. Hier wird ihm vorgehalten, er habe das Jahr der Inhaftierung zunächst nicht nennen können. Einem "durchschnittlich begabten Menschen" müßte es möglich sein, "präzisere Angaben zu machen, besonders dann, wenn das Geschehene angeblich bloß acht Monate zurückliegt".

Diese Argumentation widerspricht insofern dem Akteninhalt, als der Beschwerdeführer nicht behauptet hat, seine Haft läge acht Monate zurück. Wäre das anders, so wäre die Argumentation unschlüssig, weil dann bereits eine Zeitangabe vorläge. Näher braucht darauf nicht eingegangen zu werden, weil diese Haft - wie die belangte Behörde richtig erkennt - kein Fluchtgrund ist.

Zur Wehrdienstverweigerung führt die belangte Behörde aus:

"Ihre Ausführungen, Sie hätten der Einberufung zum Militärdienst nicht Folge geleistet, ist ebenfalls unglaubwürdig, da Sie lediglich eine Vorladung zur Musterung vorlegen konnten."

Die Behörde legt nicht dar, ob sie daraus ableitet, der Beschwerdeführer hätte (entgegen seinen Angaben zur Person in der Niederschrift vom 19. Oktober 1994) den Militärdienst abgeleistet, oder ob sie annimmt, er sei nicht einberufen worden. Da ersteres einen Einberufungsbefehl voraussetzen würde, scheint nach Auffassung der Behörde nur letzteres in Betracht zu kommen, doch ist dies gerade mit Rücksicht auf die Vorladung zur Musterung bloß damit, daß nicht auch ein Einberufungsbefehl vorgelegt wurde, nicht nachvollziehbar begründet. Im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung (vgl. dazu Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, S. 548 ff) kann auch diesem Teil der Bescheidbegründung nicht gefolgt werden.

Dem asylrechtlich vorrangigen Thema - der behaupteten Verfolgung wegen der Tätigkeit für eine politische Partei - widmet die belangte Behörde folgende Beweiswürdigung:

"Ihren Ausführungen, man würde Sie wegen Ihrer Tätigkeit bei der TKP/ML seitens der türkischen Behörden suchen, erscheint der erkennenden Behörde nicht plausibel".

Begründet wird dies wie folgt:

"... da Sie nicht in einer exponierten Position waren und Sie die Tätigkeiten ja nicht einmal näher zu konkretisieren vermochten. Auch führten Sie in der Berufung aus, daß die "bloße Zugehörigkeit" zu einer Organisation nicht das Asylrecht ausschließt. Demzufolge sind Sie der TKP/ML bloß zugehörig und daher für die türkischen Behörden ohne Relevanz. ... Ihr Berufungsvorbringen, ein "Polizeiagent" habe die Namen der ihm bekannten TKP/ML Mitglieder an die Polizei weitergegeben, unter diesen Namen sei auch der Ihre gewesen, deswegen seien Sie in den Untergrund gegangen, ist auch unglaubwürdig, haben Sie dies erstinstanzlich überhaupt nicht erwähnt".

Mit Recht wendet sich die Beschwerde vor allem gegen diesen Teil der Beweiswürdigung. Nach den "Feststellungen" des Bundesasylamtes hatte der Beschwerdeführer - seinen Angaben entsprechend - die Türkei verlassen, weil er seit 1987 "aktiv für die in der Türkei verbotene TKP/ML tätig" gewesen war und "an Schulungen teilgenommen und Propagandamaterial verteilt" hatte. Das Bundesasylamt hielt dem entgegen, die strafrechtliche Verfolgung eines solchen Verhaltens ("z.B. Unterstützung von terroristischen Organisationen in jeglicher Form") sei legitim und NOTWENDIG. Die belangte Behörde führt stattdessen die Sachverhaltsannahme ein, eine "Tätigkeit bei der TKP/ML" mache ohne eine "exponierte Position" des Beschwerdeführers NICHT PLAUSIBEL, daß er deshalb gesucht werde. Diese nicht näher begründete und in dieser Form nicht verständliche Behauptung setzt sich über das erstinstanzliche Vorbringen des Beschwerdeführers, er hätte wegen seiner "Tätigkeit für die TKP/ML mit bis zu 18 Jahren Gefängnis zu rechnen, da man diese Tätigkeit für die TKP/ML als terroristische Tätigkeit bezeichnet", mit Stillschweigen hinweg und verstößt damit in doppelter Hinsicht gegen die Begründungspflicht der Behörde.

In der Berufung hatte der Beschwerdeführer ausgeführt:

"Ich selbst habe mich an keinen Gewaltaktionen der TKP/ML beteiligt. Ich habe ausschließlich Propaganda und Aggregation für die Partei betrieben, war aber an keinen Gewaltaktionen beteiligt. Die bloße Zugehörigkeit zu einer Organisation, die allenfalls auch Gewalt anwendet, schließt nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung das Asylrecht keinesfalls von vornherein aus."

Das Argument der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei "demzufolge ... der TKP/ML bloß zugehörig und daher für die türkischen Behörden ohne Relevanz", verstößt nicht nur gegen § 20 Abs. 1 AsylG 1991. Es setzt sich auch über den Wortlaut ("Propaganda und Aggregation für die Partei betrieben") und den Sinn der Berufungsausführungen (Abgrenzung gegenüber Gewaltaktionen der TKP/ML) in aktenwidriger Weise hinweg und beruht darüber hinaus auf der nicht begründeten Annahme, eine Mitgliedschaft bei der TKP/ML sei für die türkischen Behörden "ohne Relevanz". Aktenwidrig ist auch der Vorhalt, der Beschwerdeführer habe seine Tätigkeiten "ja nicht einmal näher zu konkretisieren vermocht". Die Niederschrift mit dem Beschwerdeführer enthält an zwei Stellen eine Beschreibung seiner Tätigkeit für die TKP/ML, an zwei weiteren Stellen Bezugnahmen auf diese Beschreibungen und an keiner Stelle eine unbeantwortet gebliebene Frage nach weiteren Details dieser Tätigkeit. Wurde nicht nach Details gefragt, so ergibt sich aus dem Fehlen ihrer Beschreibung kein Argument gegen die Glaubwürdigkeit des Asylwerbers (vgl. nur als Beispiele unter vielen die Erkenntnisse vom 24. März 1994, Zl. 94/19/0089, vom 21. April 1994, Zl. 94/19/0283, vom 16. Juni 1994, Zl. 94/19/0298 und vom 27. Juli 1995, Zl. 94/19/0497). Das gilt auch für die Würdigung der erst in der Berufung erhobenen Behauptung, ein Polizeiagent habe den Beschwerdeführer als TKP/ML-Mitglied verraten. Wurde der Beschwerdeführer nicht gefragt, woher seine Tätigkeit für die TKP/ML den Behörden bekannt war, warum er schon 1988 "Angst hatte, ebenfalls von der Polizei gesucht zu werden", sodaß er sich in den Untergrund begab, und wie die Polizei zuletzt von seiner falschen Identität erfahren hatte, so ergibt sich aus dem Fehlen entsprechender Angaben in der Niederschrift kein Argument gegen die (nicht nur in die Form von Vermutungen gekleideten) Behauptungen des Beschwerdeführers über seine Gründe zur Flucht. Die Berufungsbehauptungen über den "Verrat" waren schon nach § 20 Abs. 1 AsylG 1991 nicht in die Beweiswürdigung einzubeziehen (vgl. das Erkenntnis vom 16. März 1994, Zl. 93/01/0293, u.a.).

Bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers ist die belangte Behörde daher in tatsächlicher Hinsicht von Überlegungen ausgegangen, die einer Überprüfung - soweit sie einer solchen zugänglich sind - nicht standhalten. Würde es als glaubhaft angesehen, daß der Beschwerdeführer wegen der von ihm beschriebenen Tätigkeit für die TKP/ML vor seiner Ausreise von der Polizei gesucht wurde und daß ihm im Fall seiner Ergreifung wegen dieser Tätigkeit die von ihm behaupteten Sanktionen drohten, so wäre eine Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 wohlbegründet, ohne daß auf die behauptete Wehrdienstverweigerung noch näher eingegangen werden müßte. Eine fehlerfreie Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt hätte daher in bezug auf die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu einem anderen Ergebnis führen können.

2. Zur Verfolgungssicherheit in anderen Staaten:

Auf die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers käme es nicht an, wenn die Behörde vom Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 zu Recht Gebrauch gemacht hätte. Vor dem Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer an, er habe Istanbul "in einem türkischen Autobus im Fahrgastraum unter den Sitzen in einer Kammer versteckt" verlassen und sei mit diesem Bus bis nach Wien gelangt. Der Beschwerdeführer wisse, daß der Bus durch Bulgarien und Rumänien gefahren sei, könne den Ort der Einreise in das Bundesgebiet aber nicht angeben. Zur Verrichtung der Notdurft habe er den Bus in ihm unbekannten Staaten zweimal verlassen. Daß die Behörde davon ausgehe, der Beschwerdeführer sei schon in anderen Staaten als Österreich vor Verfolgung sicher gewesen, wurde ihm bei seiner Einvernahme nicht vorgehalten. Er wurde auch nicht gefragt, warum er nicht in einem der Staaten auf seinem Reiseweg Schutz gesucht habe.

Obwohl er dazu nicht befragt worden war, hielt das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer entgegen, er habe während (gemeint: hinsichtlich) seines Aufenthaltes in Bulgarien, Rumänien und einem unbekannten Nachbarstaat Österreichs "keinerlei Verfolgungen behauptet". Daß er schon in einem anderen Staat als Österreich vor Verfolgung SICHER gewesen sei, begründete das Bundesasylamt nur in bezug auf die "Österreich umgebenden Staaten". Diese seien alle Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention. Ungarn wende die Konvention zwar "auf türkische Staatsbürger nicht an", hätte dem Beschwerdeführer aber den Schutz des Art. 3 der MRK gewährt.

Die belangte Behörde schloß sich diesen (in bezug auf Ungarn teils falschen, teils ungenügenden) Ausführungen nicht an und hielt dem Beschwerdeführer NICHT vor, er sei IN EINEM NACHBARSTAAT ÖSTERREICHS vor Verfolgung sicher gewesen. Dafür erhob sie diese Behauptung nun in bezug auf Bulgarien und Rumänien:

"Denn Rumänien und Bulgarien sind Mitgliedstaaten der Genfer Konvention und spricht nichts dafür, daß diese Staaten, die sich aus dieser Mitgliedschaft ergebenden Verpflichtungen, insbesondere das in Artikel 33 verankerte Refoulement-Verbot, etwa vernachlässigten. Somit erlangten Sie daselbst Verfolgungssicherheit.

Da Sie dieser Annahme in der Berufung nichts Einschlägiges entgegenzusetzen vermochten (Ihre Einwände sind unsubstantiiert und liegt es doch in Ihrer Sphäre, wenn Sie sich Bewegungsbeschränkungen SELBST auferlegen), ist jedenfalls davon auszugehen, daß Sie bereits in Rumänien und Bulgarien Verfolgungssicherheit erlangt haben."

Daß auch Bulgarien und Rumänien Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention seien und ihre daraus resultierenden Verpflichtungen einhielten, ist eine Annahme, mit der der Beschwerdeführer erstmals durch die belangte Behörde konfrontiert wurde. Daß er "dieser Annahme in der Berufung nichts Einschlägiges" entgegengesetzt habe, ist daher kein schlüssiges Argument. Insoweit die belangte Behörde sich darauf stützt, um daraus die Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in den genannten Staaten abzuleiten, ist ihr Bescheid auch hier nicht nachvollziehbar begründet.

Durch die erstmalige Annahme der Verfolgungssicherheit nicht in einem der "Österreich umgebenden Staaten", sondern wegen der Zugehörigkeit Bulgariens und Rumäniens zur Genfer Flüchtlingskonvention, wozu die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit zur Stellungnahme einräumte, wurde das Parteiengehör des Beschwerdeführers verletzt. Auf das Beschwerdevorbringen zu dieser Frage ist daher ohne Einschränkung durch das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG Bedacht zu nehmen. In diesem Vorbringen bestreitet der Beschwerdeführer einerseits in allgemein gehaltener Form die Verfolgungssicherheit in den von der belangten Behörde genannten zwei Staaten und bekräftigt andererseits, er habe von dem Versteck aus, in dem er transportiert worden sei, faktisch nicht die Möglichkeit gehabt, in einem dieser Staaten Schutz zu suchen. Diesen Standpunkt hatte er - in Anknüpfung an seine niederschriftlichen Angaben - in bezug auf die vom Bundesasylamt angeführten Drittstaaten auch schon in der Berufung eingenommen. Ein solches Vorbringen bedarf einer sachlichen Prüfung (vgl. dazu das Erkenntnis vom 7. November 1995, Zl. 94/20/0739). Mit dem Hinweis, selbst auferlegte Bewegungsbeschränkungen lägen in der "Sphäre" des Asylwerbers, hat die belangte Behörde dem nicht entsprochen. Der genannte Hinweis läßt nicht erkennen, von welchen tatsächlichen Voraussetzungen die belangte Behörde in bezug auf das Fluchtversteck des Beschwerdeführers und die Beschränkung seiner Bewegungsfreiheit im einzelnen ausgegangen ist, und erlaubt daher auch keine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Rechtsansicht, die ihm zugrunde liegt. Im besonderen läßt der angefochtene Bescheid nicht erkennen, daß die belangte Behörde davon ausging, der Beschwerdeführer hätte den Bus in Rumänien oder Bulgarien aus eigenem anhalten und verlassen können. Sollte daher gemeint sein, die Benützung eines Fluchtverstecks, das aus eigenem nicht verlassen werden kann, erlaube schon wegen ihrer Freiwilligkeit die Annahme von Verfolgungssicherheit in Staaten, die in diesem Versteck durchquert werden, so wäre dazu auf das zitierte Erkenntnis vom 7. November 1995 zu verweisen. Trotz des schon in der Niederschrift enthaltenen und in der Berufung - mangels vorherigen Vorhaltes der Annahme der Verfolgungssicherheit rechtzeitig - verstärkten Hinweises darauf, daß der Beschwerdeführer auf dem Standpunkt stehe, er sei durch die Art seines Fluchtverstecks daran gehindert gewesen, in einem der Durchreisestaaten Schutz zu suchen, hat die belangte Behörde es aber unterlassen, Ermittlungen (etwa eine nähere Befragung des Beschwerdeführers) zu diesem Thema zu veranlassen und Feststellungen darüber zu treffen. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt wurde in diesem Punkt nicht erhoben.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a, b und c aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Parteiengehör Rechtsmittelverfahren Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200100.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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