TE Vwgh Erkenntnis 1995/11/7 94/20/0739

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Veröffentlicht am 07.11.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §58 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des S in G, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in H, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. Mai 1994, Zl. 4.343.356/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. Mai 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 24. August 1993 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 30. August 1993 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. September 1993 abgewiesen.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer - anders als die Erstbehörde -, ohne sich mit dessen Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinanderzusetzen, deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie der Ansicht war, daß der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging von den Angaben des Beschwerdeführers bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung am 30. August 1993 aus, daß sich der Beschwerdeführer vor seiner Einreise nach Österreich in Bulgarien, Griechenland oder der Russischen Föderation aufgehalten habe, und befaßte sich in rechtlicher Hinsicht näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne der genannten Gesetzesstelle.

Der Beschwerdeführer bringt vor, daß er aufgrund seiner Flucht auf einem Lastwagen keinerlei Möglichkeit gehabt habe, um Asyl anzusuchen. Er wisse nicht einmal, in welchen Ländern er sich aufgehalten habe. Des weiteren wies der Beschwerdeführer auf die Empfehlung Nr. 15 (XXX) des Exekutivkomitees des Programms des UNHCR hin, in welcher hervorgehoben werde, daß Asyl nicht mit der Begründung verweigert werden solle, der Antragsteller hätte es in einem Drittstaat erlangen können. Von entscheidender Bedeutung sei, daß das Vorliegen eines anderweitigen Verfolgungsschutzes am Kriterium der Aktualität geprüft werden müsse. Dies bedeute, daß der Antragsteller zum Entscheidungszeitpunkt eine aufrechte Rückkehrmöglichkeit in einen Drittstaat haben müsse und auch dort vor Verfolgung konkret sicher sein sowie die Möglichkeit haben müsse, dort Asyl zu erhalten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer hatte bereits anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 30. August 1993 angegeben, während der gesamten Fahrt zwischen der Türkei und Österreich in einem Lkw zusammen mit zwei anderen Personen zwischen Ladegut versteckt gewesen zu sein. Er habe den Lkw nie verlassen, von mitgenommenem Proviant gelebt, die Notdurft auf einem Eimer auf der Ladefläche verrichtet und keine Gelegenheit gehabt, mit dem Lkw-Lenker Kontakt aufzunehmen. Er habe auch nicht erkennen können, durch welche Länder der Lkw gefahren sei. Das Fahrzeug sei zwar drei- bis viermal länger stehengeblieben, sonst nur für kurze Zeit, er habe aber den Lkw nicht verlassen können.

Zwar hat die belangte Behörde grundsätzlich die Rechtslage zum Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 - im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) - richtig erkannt, doch hat sie nicht darauf Bedacht genommen, daß es ebenso darauf ankommt, daß sich der Asylwerber nach Verlassen seines Heimatstaates, in dem er verfolgt zu werden behauptet, in einem anderen Staat - selbst nur im Zuge der Durchreise - befunden hat und die Sicherheit vor Verfolgung bereits dort hätte in Anspruch nehmen können, wobei ein objektiver Maßstab anzulegen ist (vgl. die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, u.a. das Erkenntnis vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0482). Im gegenständlichen Fall machte der Beschwerdeführer - gestützt auf seine Angaben aus der Niederschrift vom 30. August 1993 - geltend, er sei so versteckt gewesen, daß es ihm aus objektiver Sicht ohne fremde Hilfe nicht möglich gewesen wäre, die Sicherheit vor Verfolgung in einem der Durchreisestaaten in Anspruch zu nehmen. Die belangte Behörde hat sich jedoch über diese Angaben hinweggesetzt. Sie hat weder nähere Ermittlungen zur Frage angestellt, ob es dem Beschwerdeführer überhaupt möglich gewesen wäre, sein Versteck zu verlassen, noch hat sie sich mit der Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Angaben auseinandergesetzt. Ohne nähere Prüfung kann jedoch bei dem behaupteten Sachverhalt nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß es dem Beschwerdeführer objektiv möglich gewesen wäre, in den Staaten der Durchreise Sicherheit vor Verfolgung in Anspruch nehmen zu können.

Da sohin Verfahrensvorschriften (Parteiengehör, Ermittlungs- und Begründungspflicht) außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Umfang des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff, insbesondere § 59 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete Diverses Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200739.X00

Im RIS seit

25.01.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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