TE OGH 2022/3/3 5Ob114/21g

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Veröffentlicht am 03.03.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V* GmbH, *, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch die Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 12.434,43 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. Februar 2021, GZ 36 R 242/20k-18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 17. Juli 2020, GZ 20 C 1991/19z-13, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 939,24 EUR (darin 156,54 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]            Die Beklagte ist Regelzonenführerin (iSd § 7 Abs 1 Z 60 ElWOG 2010) und Übertragungsnetzbetreiberin (iSd § 7 Abs 1 Z 70 ElWOG 2010) für die Regelzone, die im Wesentlichen ganz Österreich mit Ausnahme von Tirol und Vorarlberg umfasst. Teil dieser Regelzone sind auch die Verteilerleitungen der N* GmbH.

[2]            Die Klägerin ist Elektrizitätserzeugerin (iSd § 7 Z 17 ElWOG 2010). Sie betreibt sechs Windparks, die an das Verteilernetz der N* GmbH angeschlossen sind.

[3]            Zu den Aufgaben der Beklagten als Regelzonenführerin gehört die Aufrechterhaltung der Netzstabilität im Verbundnetz; dazu zählen auch das Engpassmanagement und die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit. In der Nacht von 8. auf 9. 4. 2018 kam es in der Regelzone der Beklagten zu einer Engpasssituation. Zur Vermeidung eines Engpasses in ihrem Netz wies die Beklagte die N* GmbH per Email (gesendet um 18:49 Uhr) an, zwischen 20:00 Uhr und 24:00 Uhr die aus Winderzeugung zu erwartende Einspeisung an der Übergabestelle S* um 200 MW zu reduzieren.

[4]            Die N* GmbH teilte die dafür erforderliche Leistungsreduktion auf die am Knoten S* einspeisenden Windkraftanlagenbetreiber auf und gab die Anweisung, die maximale Einspeiseleistung auf 30 % der Engpassleistung zu reduzieren, an die Klägerin per Email (mit dem Betreff „Notfallmaßnahme von APG“) weiter.

[5]            Die Klägerin nahm die angeordnete Leistungsreduktion vor. Aufgrund des dadurch bewirkten Erzeugungsverlusts erlitt die Klägerin einen Verdienstentgang in Höhe von 12.434,43 EUR.

[6]            In den zwischen der Klägerin mit der N* GmbH bestehenden Netzzugangsverträgen finden sich unter Punkt 5.1.1 Regelungen über allfällige zur Aufrechterhaltung der sicheren Allgemeinversorgung erforderliche Einspeisebeschränkungen und die Vereinbarung eines Haftungsausschlusses für den dadurch entgangenen Gewinn. Zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht kein Netzanschlussvertrag und auch sonst keine vertragliche Beziehung, insbesondere auch nicht für Engpassmanagementmaßnahmen iSd § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010.

[7]            Die Klägerin forderte die Beklagte auf, ihr den infolge der Engpassmanagementmaßnahme erlittenen Verdienstentgang gemäß § 23 Abs 9 ElWOG 2010 zu ersetzen. Die Beklagte lehnte dies ab.

[8]            Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin von der Beklagten 12.434,43 EUR sA. Gemäß § 23 Abs 9 ElWOG 2010 habe die Klägerin gegenüber der Beklagten Anspruch auf ein angemessenes Entgelt zum Ausgleich der durch die Engpassmanagementmaßnahmen erlittenen wirtschaftlichen Nachteile.

[9]            Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Beklagte habe keine Anordnung iSd § 23 Abs 9 ElWOG 2010 erteilt, sodass ein auf diese Bestimmung gestützter Anspruch nicht bestehe.

[10]           Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

[11]           § 23 Abs 9 ElWOG 2010 sei im Zusammenhang mit § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 zu sehen, wonach es zu den Pflichten des Regelzonenführers gehöre, mit Erzeugern Verträge abzuschließen, denen zufolge diese gegen Ersatz der wirtschaftlichen Nachteile und Kosten Leistungen zur Vermeidung oder Beseitigung von Netzengpässen erbringen. Da der Regelzonenführer nicht berechtigt sei, Dritte zur Ersatzleistung an die Erzeuger zu verpflichten, sei jede andere Interpretation als die, dass der Regelzonenführer diese Ersatzleistungen, zu denen er sich vertraglich zu verpflichten hat, auch selbst erbringen muss, ausgeschlossen. Ohne Verträge nach § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 greife § 23 Abs 9 ElWOG 2010. Der einzige Unterschied zwischen diesen Bestimmungen liege darin, dass der Ersatz nach Abs 2 Z 5 leg cit aufgrund von Verträgen zwischen Regelzonenführer und Erzeuger zu leisten sei, während im Fall des Abs 9 leg cit kein Vertrag zwischen Regelzonenführer und Erzeuger sondern ein gesetzliches Schuldverhältnis bestehe. Es sei daher ohne Bedeutung, dass die Beklagte ihre Anweisung nicht direkt an die Klägerin, sondern an die Verteilernetzbetreiberin gerichtet habe. Das habe bloß den Hintergrund, dass der Verteilernetzbetreiber für den Regelzonenführer direkt ansprechbar sei, während für Erzeuger, die – wie auch die Klägerin – die Anforderungen des § 2 der NEP-VO nicht erfüllen, keine Verpflichtung zur Bekanntgabe von Kontaktdaten an den Regelzonenführer bestehe. Sowohl § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 als auch § 23 Abs 9 ElWOG 2010 sähen die Einbindung der Verteilernetzbetreiber auch ausdrücklich vor, zumal beide Bestimmungen eine Abstimmung mit den betroffenen Betreibern von Verteilernetzen verlangten. Die Befugnis zur Anordnung von Engpassmanagementmaßnahmen komme nach dem ElWOG 2010 auch nur dem Regelzonenführer zu, es bestehe keine gleichartige gesetzliche Kompetenz der Verteilernetzbetreiber. § 66 Abs 1 Z 7 ElWOG 2010 verpflichte die Erzeuger dazu, auf Anordnung der Regelzonenführer gemäß § 23 Abs 9 ElWOG 2010 zur Netzengpassbeseitigung oder zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit die Erhöhung und/oder Einschränkung der Erzeugung somit die Veränderung der Verfügbarkeit von Erzeugungsanlagen vorzunehmen, soweit dies nicht gemäß § 66 Abs 1 Z 6 ElWOG 2010 vertraglich sichergestellt werden konnte. § 23 Abs 9 ElWOG 2010 treffe für den Fall, dass zwischen Regelzonenführer und Erzeuger keine vertragliche Regelung besteht, Vorsorge, dass der Erzeuger nicht den Schaden aus einer Leistungsreduktion wegen einer Engpassmanagementmaßnahme des Regelzonenführers zu tragen habe.

[12]           Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge.

[13]           Es teilte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts (§ 500a ZPO). Der Wortlaut des § 23 Abs 9 ElWOG 2010 fordere die Abstimmung des Regelzonenführers mit den betroffenen Betreibern von Verteilernetzen. Die Anweisung zur Leistungsreduktion an die N* GmbH könne als eine solche Abstimmung angesehen werden. Die Klägerin als Erzeugerin sei für die Beklagte als Regelzonenführerin nicht direkt ansprechbar, weil sie nach § 2 NEP-VO nicht zur Bekanntgabe von Kontaktdaten an den Regelzonenführer verpflichtet gewesen sei. Somit sei es nur der N* GmbH als Verteilernetzbetreiberin möglich gewesen, die Leistungsreduktion auf die Erzeuger gerecht zu verteilen; sie habe das Engpassmanagement des Regelzonenführers bloß umgesetzt und an den Erzeuger, die Klägerin, weitergegeben. Gegenstand der Anweisung sei die erforderliche Leistungsreduktion, nämlich die Reduzierung der aus Winderzeugung zu erwartenden Einspeisung an der Übergabestelle gewesen. Somit sei nur der Klägerin die Umsetzung der erteilten Anweisung möglich gewesen. Im Ergebnis sei die Anweisung der Beklagten daher als Anordnung an die Klägerin gemäß § 23 Abs 9 ElWOG 2010 zu qualifizieren, sodass die Klägerin einen Entgeltanspruch in Höhe des festgestellten Verdienstentgangs habe.

[14]           Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu. Es bedürfe der Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof, ob § 23 Abs 9 ElWOG 2010 dahin auszulegen ist, dass bei einer im Rahmen des Engpassmanagements erteilten Weisung des Regelzonenführers an den Verteilernetzbetreiber, die Einspeiseleistung zu reduzieren, die Erzeuger einen Ersatzanspruch gegenüber dem Regelzonenführer haben, wenn nur sie diese Reduktion bewirken können.

[15]           Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten. Sie macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Berufungsurteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[16]           Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurück-, in eventu abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[17]     Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

1. Vorbemerkungen

[18]           1.1. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Leistung eines angemessenen Entgelts zum Ausgleich der durch die Engpassmanagementmaßnahme erlittenen wirtschaftlichen Nachteile auf § 23 Abs 9 ElWOG 2010. Die Auslegung dieser Bestimmung wird wesentlich durch ihr Verhältnis zu § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 bestimmt. § 23 Abs 9 ElWOG 2010 hat nämlich insofern eine Auffangfunktion für den Fall, dass keine Verträge mit Erzeugern über das Engpassmanagement iSd § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 bestehen, als der Regelzonenführer in diesem Fall den Erzeugern die erforderlichen Engpassmanagementmaßnahmen auch einseitig anordnen kann. § 66 Abs 1 Z 6 und 7 ElWOG 2010 normieren die damit korrespondierenden Pflichten der Erzeuger.

[19]           1.2. Nach der Grundsatzbestimmung des § 23 Abs 2 ElWOG 2010 haben die Ausführungsgesetze dem Regelzonenführer bestimmte Pflichten aufzuerlegen. Nach der Z 5 des § 23 Abs 2 ElWOG 2010 in der zum Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Maßnahme (und bis 7. 1. 2021) geltenden Fassung waren dies

„[5.] die Ermittlung von Engpässen in Übertragungsnetzen sowie die Durchführung von Maßnahmen zur Vermeidung, Beseitigung und Überwindung von Engpässen in Übertragungsnetzen, weiters die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit. Sofern für die Vermeidung oder Beseitigung eines Netzengpasses erforderlich, schließen die Regelzonenführer in Abstimmung mit den betroffenen Betreibern von Verteilernetzen im erforderlichen Ausmaß und für den erforderlichen Zeitraum mit den Erzeugern Verträge, wonach diese zu gesicherten Leistungen (Erhöhung oder Einschränkung der Erzeugung, Veränderung der Verfügbarkeit von Erzeugungsanlagen, Vorhaltung von Leistung mit geeigneter Vorlaufzeit) gegen Ersatz der wirtschaftlichen Nachteile und Kosten, die durch diese Leistungen verursacht werden, verpflichtet sind; dabei ist Erzeugungsanlagen, in denen erneuerbare Energiequellen eingesetzt werden, der Vorrang zu geben und sicherzustellen, dass bei Anweisungen gegenüber Betreibern von KWK-Anlagen die Sicherheit der Fernwärmeversorgung nicht gefährdet wird. In diesen Verträgen können Erzeuger auch zu gesicherten Leistungen, um zur Vermeidung und Beseitigung von Netzengpässen in anderen Übertragungsnetzen beizutragen, verpflichtet werden. Bei der Bestimmung der Systemnutzungsentgelte sind den Regelzonenführern die Aufwendungen, die ihnen aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen entstehen, anzuerkennen.

[20]           Mit der Änderung des Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz 2010, BGBl I Nr 17/2021, wurde diese Bestimmung an die Vorgaben des Art 13 der Verordnung (EU) 2019/943 über den Elektrizitätsbinnenmarkt angepasst und im Hinblick auf die neuen Regelungen zur Netzreserve ergänzt (ErlRV 471 BlgNR XXVII. GP 1). Die im gegebenen Zusammenhang maßgeblichen (vom Senat durch Unterstreichung graphisch hervorgehobenen) Wortfolgen blieben unverändert, entsprechen also dem § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 in der geltenden Fassung.

[21]           1.3. Zwischen der Beklagten als Regelzonenführerin und der Klägerin als Erzeugerin besteht keine vertragliche Beziehung iSd § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010, im Rahmen derer Leistungen im Rahmen des Engpassmanagements und der Ersatz der dadurch verursachten wirtschaftlichen Nachteile und Kosten geregelt wäre. Für solche Fälle normiert § 23 Abs 9 ElWOG 2010 die Verpflichtung der Erzeuger, auf Anordnung des Regelzonenführers solche für die Vermeidung oder Beseitigung eines Netzengpasses erforderliche Leistungen zu erbringen und das Verfahren zur Ermittlung des angemessenen Entgelts für diese Leistungen. § 23 Abs 9 ElWOG 2010 in der aktuellen, auch schon zum Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Maßnahme geltenden Fassung lautet:

„[9.] Wenn Netzengpässe im Übertragungsnetz der Regelzone auftreten und für deren Beseitigung Leistungen der Erzeuger erforderlich sind und eine vertragliche Vereinbarung gemäß § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 nicht vorliegt, haben die Erzeuger auf Anordnung des Regelzonenführers, in Abstimmung mit den betroffenen Betreibern von Verteilernetzen, Leistungen (Erhöhung oder Einschränkung der Erzeugung, Veränderung der Verfügbarkeit von Erzeugungsanlagen) zu erbringen. Das Verfahren zur Ermittlung des angemessenen Entgelts für diese Leistungen ist in einer Verordnung der Regulierungsbehörde festzulegen, wobei als Basis die wirtschaftlichen Nachteile und Kosten der Erzeuger, die durch diese Leistungen verursacht werden, heranzuziehen sind. Dabei ist auch sicherzustellen, dass bei der Einspeisung von Elektrizität auf der Grundlage von erneuerbaren Energiequellen ein Vorrang einzuräumen ist und bei Anweisungen gegenüber Betreibern von KWK-Anlagen die Sicherheit der Fernwärmeversorgung nicht gefährdet wird. Abs. 2 Z 5 letzter Satz gilt sinngemäß.

[22]           1.4. Die Grundsatzbestimmungen des § 66 Abs 1 Z 6 und 7 ElWOG 2010 normieren die mit diesen Pflichten des Regelzonenführers korrespondierenden Pflichten des Erzeugers. Nach § 66 Abs 1 Z 6 und 7 ElWOG 2010 (in der aktuellen, auch schon zum Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Maßnahme geltenden Fassung) haben die Ausführungsgesetze die Erzeuger zu verpflichten:

„[6.] nach Maßgabe vertraglicher Vereinbarungen auf Anordnung des Regelzonenführers zur Netzengpassbeseitigung oder zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit Leistungen (Erhöhung oder Einschränkung der Erzeugung sowie Veränderung der Verfügbarkeit von Erzeugungsanlagen) zu erbringen. Es ist sicher zu stellen, dass bei Anweisungen der Regelzonenführer gegenüber Betreibern von KWK-Anlagen die Fernwärmeversorgung gewährleistet bleibt;

[7.] auf Anordnung der Regelzonenführer gemäß § 23 Abs 9 zur Netzengpassbeseitigung oder zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit die Erhöhung und/oder Einschränkung der Erzeugung somit die Veränderung der Verfügbarkeit von Erzeugungsanlagen vorzunehmen, soweit dies nicht gemäß Z 6 vertraglich sichergestellt werden konnte.“

2. Auslegung des § 23 Abs 9 ElWOG 2010

2.1. Auslegungsgrundsätze

[23]           Die Auslegung von Gesetzen hat zunächst mit der Wortinterpretation zu beginnen, worunter die Erforschung des Wortsinns, der Bedeutung eines Ausdrucks oder eines Gesetzes nach dem Sprachgebrauch zu verstehen ist (RIS-Justiz RS0008896). Die Gesetzesauslegung darf aber nicht bei der Wortauslegung stehen bleiben (RS0008788 [T3]). Zu berücksichtigen sind auch der Zusammenhang der auszulegenden Worte und Sätze mit anderen Worten und Sätzen der betreffenden Gesamtregelung und ihre systematische Stellung (logisch-systematische Auslegung; RS0008787), die – mit Vorsicht anzuwendende – historische Auslegung anhand der Feststellung des Willens des geschichtlichen Gesetzgebers anhand der Gesetzesmaterialien (RS0008776) und letztlich die objektiv-teleologische Interpretation, nämlich das Erfassen des Sinnes einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung, wobei der Auslegende die gesetzgeberische Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe selbständig weiter und zu Ende zu denken hat (RS0008836). Der äußerstmögliche Wortsinn steckt die Grenzen jeglicher Auslegung ab, die auch mit den sonstigen Interpretationsmethoden nicht überschritten werden darf (RS0008788 [T2]; RS0016495).

2.2. „Anordnung des Regelzonenführers“

[24]           2.2.1. Die erste der in diesem Verfahren zu klärenden Auslegungsfragen ist, ob die Anwendbarkeit des § 23 Abs 9 ElWOG 2010 eine Anordnung des Regelzonenführers voraussetzt, die direkt an den betroffenen Erzeuger adressiert ist und unmittelbar diesem gegenüber ausgesprochen wird, sodass also eine indirekte Anordnung über einen dazwischengeschalteten Verteilernetzbetreiber nicht ausreicht. Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat die Beklagte als Regelzonenführerin ihre Anordnung der Reduktion der Übergabeleistung nämlich nicht direkt an die einzelnen Erzeuger gerichtet, sondern sie hat sich an die Verteilernetzbetreiberin gewandt. Die Beklagte leitet daraus ab, dass § 23 Abs 9 ElWOG 2010 nicht anwendbar sei und folglich kein Entgeltanspruch der Klägerin bestehe.

[25]           2.2.2. Nach § 23 Abs 9 ElWOG 2010 haben die Erzeuger, wenn eine vertragliche Vereinbarung gemäß § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 nicht vorliegt, „auf Anordnung des Regelzonenführers, in Abstimmung mit den betroffenen Betreibern von Verteilernetzen“ für die Beseitigung von Netzengpässen im Übertragungsnetz der Regelzone erforderliche Leistungen zu erbringen.

[26]           Eine Definition des Begriffs „Anordnung“ liefert das Gesetz nicht. Auch in § 66 Abs 1 Z 7 ElWOG 2010 findet sich lediglich der Verweis auf die „Anordnung der Regelzonenführer gemäß § 23 Abs 9“. Dem Wortsinn und Sprachgebrauch nach lässt die Wortfolge „auf Anordnung […] in Abstimmung mit [...]“ zwar offen, ob derjenige, der die angeordnete Maßnahme umzusetzen hat, notwendigerweise der Erklärungsempfänger zu sein hat oder auch die Vermittlung des Anordnungsinhalts und deren gleichzeitige Konkretisierung durch den einzubindenden Dritten genügt. Der Umstand, dass § 23 Abs 9 ElWOG 2010 (wie § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 den Vertragsabschluss) die Anordnung des Regelzonenführers ausdrücklich an eine „Abstimmung“ mit den Verteilernetzbetreibern knüpft, spricht dafür, dass auch eine solche, in diesem Sinn bloß mittelbare Anordnung den Tatbestand des § 23 Abs 9 ElWOG 2010 erfüllt. Schließlich soll diese gesetzlich ausdrücklich angeordnete Einbindung des Verteilernetzbetreibers offensichtlich die rasche und effiziente Umsetzung der meist dringlichen Engpassmanagementmaßnahme ermöglichen und sicherstellen. Dies gilt auch dann, wenn sich die in § 23 Abs 9 ElWOG 2010 vorgesehene Abstimmung mit dem Verteilernetzbetreiber nicht auf die Anordnung des Regelzonenführers, sondern auf die Leistung des Erzeugers beziehen sollte, die Abstimmung also nicht zwischen dem Regelzonenführer und dem Verteilernetzbetreiber, sondern zwischen dem Verteilernetzbetreiber und den Erzeugern stattzufinden hätte.

[27]           2.2.3. Auch die Funktion des § 23 Abs 9 ElWOG 2010 spricht dagegen, die Anwendbarkeit dieser Bestimmung von der Adressierung der Anordnung des Regelzonenführers abhängig zu machen. Nach § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 ist der Regelzonenführer verpflichtet, zur Vermeidung und Beseitigung von Netzengpässen erforderliche Verträge mit Erzeugern abzuschließen, wonach diese gegen Ersatz der ihnen daraus entstehenden Kosten und wirtschaftlichen Nachteile Leistungen im Rahmen des Engpassmanagements zu erbringen haben. Liegen solche vertraglichen Vereinbarungen nicht vor, ermöglicht es § 23 Abs 9 ElWOG 2010 dem Regelzonenführer, den Erzeugern bestimmte Maßnahmen des Engpassmanagements einseitig anzuordnen. § 23 Abs 9 ElWOG 2010 hat gegenüber § 23 Abs 2 Z 5 EIWOG 2010 also Auffangfunktion für jene Fälle, in denen kein Vertrag zwischen Regelzonenführer und Erzeuger besteht, das dem Regelzonenführer aufgetragene Engpassmanagement aber Leistungen einzelner Erzeuger notwendig macht. Maßgeblicher Zweck des § 23 Abs 9 ElWOG 2010 ist demnach die Möglichkeit des Durchgriffs des Regelzonenführers auf die einzelnen Erzeuger. Der aus § 23 Abs 9 ElWOG 2010 abzuleitende Anspruch auf ein angemessenes Entgelt ist die Konsequenz dieser gesetzlichen Befugnis, nicht der Tatsache, dass der Erzeuger unmittelbar angesprochen wird.

[28]           Schon das Erstgericht begründete das von ihm erzielte Auslegungsergebnis zutreffend auch damit, dass die gesetzliche Kompetenz, dem Erzeuger derartige Engpassmanagementmaßnahmen verbindlich vorzuschreiben, nach den Bestimmungen des ElWOG nur dem Regelzonenführer, nicht aber dem Verteilernetzbetreiber zukommt, sodass eine unter Berufung auf eine Maßnahme des Regelzonenführers erteilte Anweisung des Verteilernetzbetreibers gewöhnlich als Übermittlung der Anordnung des Regelzonenführers zu verstehen ist.

[29]           Die Beklagte hält diesem Argument die Bestimmungen des § 45 Z 12 ElWOG 2010 und des § 3 Abs 2 Z 2 und Abs 3 NÖ ElWG 2015 (der Umsetzungsbestimmung zur Grundsatzbestimmung des § 5 Abs 2 Z 2 und Abs 3 ElWOG 2010) entgegen. Gemäß § 45 Z 12 ElWOG 2010 (in der aktuellen, auch schon zum Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Maßnahme geltenden Fassung) haben die Ausführungsgesetze die Betreiber von Verteilernetzen zu verpflichten, „Engpässe im Netz zu ermitteln und Handlungen zu setzen, um diese zu vermeiden“. Nach § 5 Abs 2 Z 2 ElWOG 2010 haben die Ausführungsgesetze den Elektrizitätsunternehmen im Allgemeininteresse die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung zur „Mitwirkung an Maßnahmen zur Beseitigung von Netzengpässen und an Maßnahmen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit“ aufzuerlegen. Gemäß § 5 Abs 3 ElWOG 2010 haben die Ausführungsgesetze vorzusehen, dass Elektrizitätsunternehmen die bestmögliche Erfüllung dieser gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln anzustreben haben. Der im Vergleich unspezifische § 45 Z 12 ElWOG 2010 verschafft den Verteilernetzbetreibern jedoch keine dem § 23 Abs 9 ElWOG 2010 entsprechende gesetzliche Befugnis, Dritten einseitig Engpassmanagementmaßnahmen anzuordnen (vgl Hauer/Oberndorfer, ElWOG [2007] § 23 Rz 15). Die Verpflichtung der Verteilernetzbetreiber nach § 45 Z 12 ElWOG 2010, Engpässe im Netz zu ermitteln und Handlungen zu ihrer Vermeidung zu setzen, kann sich auch nur auf Engpässe im Netz des Verteilernetzbetreibers selbst beziehen, weil der Verteilernetzbetreiber über sonstige Netze keine Verfügungsgewalt hat (vgl § 7 Z 76 ElWOG 2010). Die Anordnung der Beklagten betraf jedoch nicht die Beseitigung eines Engpasses im Verteilernetz der N* GmbH, sondern die Beseitigung eines Engpasses im Übertragungsnetz der Beklagten.

[30]           § 5 Abs 2 Z 2 und Abs 3 ElWOG 2010 und der diese Grundsatzbestimmung umsetzende § 3 Abs 2 Z 2 und Abs 3 NÖ ElWG 2015 sind zu allgemein, um aus diesen Bestimmungen konkrete Handlungsverpflichtungen der Erzeuger und damit korrespondierende Befugnisse der anderen Marktteilnehmer ableiten zu können (vgl Hauer/Oberndorfer, ElWOG [2007] § 4 Rz 16).

[31]           Dass die gesetzliche Befugnis zur einseitigen Anordnung von Engpassmanagementmaßnahmen nach dem Willen des Gesetzgebers nur dem Regelzonenführer zukommen soll, ergibt sich auch aus den Materialien zum Energie-Versorgungssicherheitsgesetz 2006, mit dem unter anderem das Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz, BGBl I Nr 143/1998, im gegebenen Zusammenhang geändert wurde. Der Gesetzgeber bezeichnet die Durchführung von Maßnahmen zur Überwindung von Engpässen ausdrücklich als eine gesetzliche Aufgabe der Regelzonenführer. Zu diesen Maßnahmen zählt er insbesondere auch die Erhöhung oder Einschränkung der Erzeugung auf Anordnung des Regelzonenführers. Die Anordnungsbefugnisse des Regelzonenführers stünden jedoch vertraglichen Vereinbarungen zwischen Netzbetreibern und Erzeugern zur Vermeidung und Beseitigung von Engpässen nicht entgegen. Die Verteilernetzbetreiber hätten selbst in ihrem Netz für alle erforderlichen Maßnahmen zur Vermeidung bzw Beseitigung von Engpässen zu sorgen. Sofern für die Netzengpassbeseitigung oder Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit Leistungen der Erzeuger (Erhöhung oder Einschränkung der Erzeugung sowie Veränderung der Kraftwerksverfügbarkeit) erforderlich seien, habe der Verteilernetzbetreiber dies unter Bekanntgabe aller notwendigen Daten unverzüglich dem Regelzonenführer zu melden, der erforderlichenfalls weitere, über den lokalen Kraftwerkseinsatz hinausgehende, Anordnungen zu treffen habe (ErlRV 1411 Beilagen XXII. GP 26 f).

[32]           Vor diesem Hintergrund geht die Argumentation der Beklagten, ihre hier zu beurteilende Anweisung, die „Einspeisung in das Übertragungsnetz“ zu reduzieren, könne keine Anordnung an die Klägerin sein, weil die Klägerin faktisch gar nicht in der Lage gewesen sei, diese zu erfüllen, ins Leere. Die Klägerin mag nicht unmittelbar an das Übertragungsnetz der Beklagten angeschlossen sein. Das ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass sie von der Anweisung der Beklagten in der Sache nicht betroffen war. Die Anweisung der Beklagten als Regelzonenführerin bezog sich nämlich auf das auf der Ebene der Verteilernetzbetreiberin erzielte Ergebnis der Leistungen der einzelnen Erzeuger, die in der Reduktion ihrer jeweiligen Einspeiseleistung bestanden. Gemäß der abgestimmten Vorgehensweise hatte die Verteilernetzbetreiberin die generelle Anweisung der Beklagten dadurch „umzusetzen“, dass sie die notwendige Gesamtleistung auf die einzelnen Betreiber aufteilt und die dieser Art konkretisierte Anweisung an die Erzeuger weitergibt. Mit der Behauptung, dem Verteilernetzbetreiber seien dabei andere alternative Möglichkeiten der Umsetzung der Anordnung zur Verfügung gestanden, als die Einschränkung der Einspeisung von Erzeugungsanlagen und die Verteilernetzbetreiberin habe sich in diesem Sinn aus Eigenem entschieden, die Klägerin zur entsprechenden Leistungsreduktion zu verpflichten, entfernt sich die Beklagte vom festgestellten Sachverhalt. Die Anweisung der Beklagten lautete konkret auf Reduktion der aus Winderzeugung zu erwartenden Einspeisung an der Übergabestelle.

[33]           2.2.4. Ein weiteres, schon von den Vorinstanzen zutreffend aufgezeigtes Argument, das dagegen spricht, für die Annahme einer „Anordnung des Regelzonenführers“ auf den unmittelbaren Ansprechpartner des Regelzonenführers abzustellen, ist der Umstand, dass der Regelzonenführer nicht für alle Erzeuger über jene Kontaktdaten verfügt, die es ihm ermöglichen, die Erzeuger direkt anzusprechen.

[34]           Nach der Grundsatzbestimmung des § 66 Abs 3 ElWOG 2010 haben die Ausführungsgesetze vorzusehen, dass Betreiber von Erzeugungsanlagen, die an die Netzebenen gemäß § 63 Z 1 bis 3 ElWOG 2010 angeschlossen sind oder über eine Engpassleistung von mehr als 50 MW verfügen, verpflichtet sind, dem jeweiligen Regelzonenführer zur Überwachung der Netzsicherheit zeitgleich Daten über die jeweils aktuelle Einspeiseleistung dieser Erzeugungsanlagen in elektronischer Form zu übermitteln. Korrespondierend damit verpflichtet § 2 der Netzengpassentgelt-Verordnung (NEP-VO) auch nur diese Erzeuger, die an die Netzebenen 1–3 (nunmehr gemäß § 63 Z 1 bis 3 ElWOG 2010) angeschlossen sind oder über eine Engpassleistung über 50 MW verfügen, dem Regelzonenführer je Erzeugungsanlage entsprechende Kontaktdaten („zur 24-stündigen Erreichbarkeit zur Aktivierung der Leistungsänderung“) bekanntzugeben.

[35]           Würde die Anwendbarkeit des § 23 Abs 9 ElWOG 2010 eine direkte Adressierung an den Erzeuger voraussetzen, könnte der Regelzonenführer den Betreibern, über deren Kontaktdaten er nicht verfügt, im Bedarfsfall keine Maßnahmen auftragen. Für eine derartige faktische Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 23 Abs 9 ElWOG 2010 liefern Wortlaut und Systematik dieser Bestimmungen keinen Anhaltspunkt. Es mag zwar sein, dass Eingriffe des Regelzonenführers in den Betrieb von Erzeugungsanlagen zur Abwendung von Netzengpässen vor allem im Höchstspannungsnetz und bei großen Erzeugungsanlagen zweckmäßig sind (vgl Erläuterungen zu § 2 Abs 1 NEP-VO). Dieser Umstand macht eine Anordnungsbefugnis des Regelzonenführers auch gegenüber kleineren, für das Engpassmanagement weniger bedeutsamen Erzeugern aber nicht sinnlos.

[36]           2.2.5. Gegen das von der Beklagten vertretene Auslegungsergebnis spricht schließlich auch die Gefahr der Umgehung der in § 23 Abs 9 ElWOG 2010 normierten Entgeltpflicht. Würde § 23 Abs 9 ElWOG 2010 und damit auch der daraus abgeleitete Entgeltanspruch voraussetzen, dass der Regelzonenführer seine Anordnung direkt an den Erzeuger adressiert, könnte der Regelzonenführer (in Abstimmung mit dem Verteilernetzbetreiber) den gesetzlichen Entgeltanspruch des Erzeugers dadurch vereiteln, dass er die Anordnung einer Engpassmanagementmaßnahme iSd § 23 EIWOG 2010 an den Verteilernetzbetreiber richtet und der Verteilernetzbetreiber diese wiederum auf Grundlage einer zivilrechtlichen Vereinbarung an die Betreiber weitergibt. Der Ersatzanspruch für die Leistungen des Erzeugers richtete sich in diesem Fall nach der vertraglichen Beziehung zwischen dem Erzeuger und dem Verteilernetzbetreiber und würde an einem vereinbarten Haftungsausschluss scheitern. Auch der zwischen der Klägerin und der Verteilernetzbetreiberin geschlossene Netzzugangsvertrag enthält derartige Regelungen für den Fall, dass es zu einer Einspeisebeschränkung kommt.

[37]           2.3. Als erstes Zwischenergebnis lässt sich daher festhalten: Die Anwendbarkeit des § 23 Abs 9 ElWOG 2010 setzt nicht zwingend voraus, dass der Regelzonenführer die Anordnung direkt an den Erzeuger adressiert und unmittelbar diesem gegenüber ausspricht. Auch die Vermittlung des Anordnungsinhalts und dessen gleichzeitige Konkretisierung durch den einzubindenden Verteilernetzbetreiber ist eine Anordnung des Regelzonenführers iSd § 23 Abs 9 ElWOG 2010.

3. „Abstimmung mit den betroffenen Betreibern von Verteilernetzen“

[38]           3.1. Nach § 23 Abs 9 ElWOG 2010 haben die Erzeuger für die Beseitigung von Netzengpässen im Übertragungsnetz der Regelzone erforderliche Leistungen „auf Anordnung des Regelzonenführers, in Abstimmung mit den betroffenen Betreibern von Verteilernetzen“ zu erbringen. Die Beklagte vertritt den Standpunkt, die gesetzlich vorgesehene Abstimmung habe nicht stattgefunden. Auch aus diesem Grund liege keine Anordnung iSd § 23 Abs 9 ElWOG 2010 vor.

[39]           3.2. Die Klägerin weist in ihrer Revisionsbeantwortung zutreffend daraufhin, dass an eine Abstimmung iSd § 23 Abs 9 ElWOG 2010 keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind, weil Engpassmanagementmaßnahmen typischerweise dringend sind. Auch die hier zu beurteilende Engpassmanagementmaßnahme wurde als „Notfallmaßnahme“ bezeichnet. Vor dem Hintergrund des Regelungszwecks gebietet der Begriff „Abstimmung“ daher nicht unbedingt ein förmliches Einvernehmen, auch der Austausch über die zu setzenden Maßnahmen und ein faktisch konsensuales Vorgehen des Regelzonenführers und der Verteilernetzbetreiberin wird dem gesetzlichen Auftrag zur Abstimmung gerecht.

[40]           3.3. Die Beklagte als Regelzonenführerin hat die Anordnung der Reduktion der Übergabeleistung der Verteilernetzbetreiberin nach telefonischer Absprache („wie telefonisch besprochen“; Blg ./2) per E-Mail mitgeteilt und der Verteilernetzbetreiberin dabei die unmittelbare Ausgestaltung der angeordneten Leistungsreduktion überlassen. Die Verteilernetzbetreiberin hat diese Anordnung der Beklagten dann auch nicht bloß an die Klägerin weitergeleitet, sondern auf die einzelnen Betreiber umgelegt und für diese individualisiert. Darin liegt – entgegen der Auffassung der Beklagten – eine Abstimmung iSd § 23 Abs 9 ElWOG 2010.

4. Passivlegitimation des Regelzonenführers

[41]           4.1.  Die Beklagte vertritt den Standpunkt, dass nicht in jedem Fall einer Anordnung iSd § 23 Abs 9 ElWOG 2010 die Entgeltpflicht für die angeordnete Maßnahme den Regelzonenführer trifft. § 23 Abs 9 ElWOG 2010 schließe die Erbringung von Ersatzleistungen für die angeordneten Engpassmanagementmaßnahmen durch Dritte nicht aus. Der Ersatz jener Kosten, welche erst durch die Konkretisierung der Anordnung des Regelzonenführers durch den Verteilernetzbetreiber entstanden sind, sei daher auch vom Verteilernetzbetreiber zu leisten. Wenn der Verteilernetzbetreiber zwischen mehreren Handlungsalternativen wählen könne, sei die angeordnete Leistungsreduktion letztlich auf dessen Anweisung erfolgt, daher könne sich ein allfälliger Kostenersatz auch nur nach dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis zwischen Erzeuger und Verteilernetzbetreiber richten.

[42]           4.2. Nach § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 trifft den Regelzonenführer die Verpflichtung, mit Erzeugern Verträge abzuschließen, wonach diese zu Leistungen zur Vermeidung oder Beseitigung von Engpässen gegen Ersatz der wirtschaftlichen Nachteile und Kosten verpflichtet sind. Mit der Formulierung „gegen Ersatz der wirtschaftlichen Nachteile und Kosten, die durch diese Leistungen verursacht werden“ gibt der Gesetzgeber ein Gegenseitigkeits- oder Austauschverhältnis zwischen der Mitwirkung des Betreibers an der vom Regelzonenführer angeordneten Engpassmanagementmaßnahme und dem Kostenersatz und Nachteilsausgleich durch den Regelzonenführer vor. An dieser synallagmatischen Grundkonzeption ändert auch der Umstand nichts, dass der Vertragsabschluss „in Abstimmung mit den betroffenen Betreibern von Verteilernetzen“ zu erfolgen hat. Allein aus dieser Abstimmungsverpflichtung kann keine gesetzlich aufgetragene Verpflichtung der Verteilernetzbetreiber zum Kostenersatz abgeleitet werden. Der gesetzlich normierte Ersatzanspruch nach § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 besteht daher gegen den Regelzonenführer. Angesichts seines Charakters als Auffangtatbestand gilt dies auch für den Ersatzanspruch nach § 23 Abs 9 ElWOG 2010.

[43]           4.3. Die Passivlegitimation des Regelzonenführers spiegelt sich auch in der Abgeltungsregelung zugunsten des Regelzonenführers wieder. § 23 Abs 2 Z 5 letzter Satz ElWOG 2010 bestimmt, dass den Regelzonenführern bei der Bestimmung der Systemnutzungsentgelte jene Aufwendungen anzuerkennen sind, die ihnen aus der Erfüllung ihrer Verpflichtungen gemäß § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 entstehen. Dies gilt für die Pflichten des § 23 Abs 9 ElWOG 2010 sinngemäß (§ 23 Abs 9 letzter Satz ElWOG 2010). Auch die Aufwendungen der Regelzonenführer für nach § 23 Abs 9 ElWOG 2010 einseitig angeordnete Engpassmanagementmaßnahmen sind daher bei der Bestimmung der Systemnutzungsentgelte anzuerkennen.

[44]           4.4. Der Entgeltanspruch des Erzeugers infolge einer Anordnung nach § 23 Abs 9 ElWOG 2010 richtet sich daher gegen den Regelzonenführer; nur dieser ist passivlegitimiert. Die gegenteiligen Ausführungen in der Revision laufen im Ergebnis auf die unzutreffende Annahme hinaus, hier liege der Leistung des Erzeugers eine Anordnung der Verteilernetzbetreiberin (und nicht eine der Beklagten zuzurechnende Anordnung) zugrunde. Das Argument der Beklagten, andernfalls hätte sie Kosten zu ersetzen, deren Entstehung sie nicht kontrollieren könne, geht schon deshalb ins Leere, weil sie es als Regelzonenführerin in der Hand hat, die Engpassmanagementmaßnahme in ihrer Anweisung, die sie nicht direkt an die Erzeuger richtet, entsprechend zu spezifizieren und so – wie hier – den Gestaltungsspielraum des Verteilernetzbetreibers einzuschränken.

[45]           Dieses Auslegungsergebnis ist – entgegen der Auffassung der Beklagten – auch nicht etwa deshalb gleichheitswidrig, weil bei ein und demselben Engpassvorfall die an das Verteilernetz angeschlossenen Erzeuger, mit welchen keine Verträge bestehen, einen Ersatzanspruch geltend machen könnten, die an das Übertragungsnetz angeschlossenen Erzeuger, soweit dies in den Netzzugangsverträgen und allgemeinen Netzbedingungen der Beklagten ausgeschlossen worden sei, jedoch nicht. Die Prämisse der Beklagten, der Regelzonenführer könne in Verträgen iSd § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010 einen Ersatzanspruch für Engpassmanagementmaßnahmen ausschließen, steht im klaren Widerspruch zum Wortlaut des § 23 Abs 2 Z 5 ElWOG 2010, wonach der Abschluss solcher Verträge „gegen Ersatz der wirtschaftlichen Nachteile und Kosten, die durch diese Leistungen verursacht werden“ zu erfolgen hat. Dass die Verteilernetzbetreiberin in diesem Zusammenhang die Haftung für entgangenen Gewinn ausschließt, steht der Inanspruchnahme der Beklagten im Übrigen nicht entgegen.

5. Ergebnis und Kosten

[46]           5.1. Die Anwendbarkeit des § 23 Abs 9 ElWOG 2010 setzt nicht zwingend voraus, dass der Regelzonenführer die Anordnung direkt an den Erzeuger adressiert und unmittelbar diesem gegenüber ausspricht. Auch die Vermittlung des Anordnungsinhalts und dessen gleichzeitige Konkretisierung durch den einzubindenden Verteilernetzbetreiber ist eine Anordnung des Regelzonenführers iSd § 23 Abs 9 ElWOG 2010. Der daraus abgeleitete Entgeltanspruch des Erzeugers richtet sich auch in diesem Fall gegen den Regelzonenführer.

[47]           Die der Verteilernetzbetreiberin übermittelte Anweisung der Beklagten, am 8. 4. 2018 zwischen 20:00 Uhr und 24:00 Uhr die aus Winderzeugung zu erwartende Einspeisung an der Übergabestelle S* um 200 MW zu reduzieren, und deren Individualisierung und Weitergabe an die Klägerin ist daher als Anordnung an die Klägerin gemäß § 23 Abs 9 ElWOG 2010 anzusehen.

[48]           Aus diesen Erwägungen ist der Revision nicht Folge zu geben.

[49]            5.2. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E134516

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00114.21G.0303.000

Im RIS seit

25.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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