TE OGH 2022/1/25 1Ob225/21a

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Veröffentlicht am 25.01.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj E* und der mj P*, beide geboren am * 2017, wegen Obsorge und Kontaktrecht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Dr. S*, vertreten durch Dr. Anton Tschann, Rechtsanwalt in Bludenz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 19. Oktober 2021, GZ 3 R 296/21h-201, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 24. Juni 2021, GZ 10 Ps 7/18w-140, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]            Das Rekursgericht bestätigte den erstinstanzlichen Beschluss, mit welchem dem Vater – bei vorläufiger Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge der Eltern und hauptsächlicher Betreuung der Kinder im Haushalt der Mutter – vorläufig ein wöchentliches Kontaktrecht von Montag 9:00 Uhr bis Mittwoch 11:00 Uhr eingeräumt wurde, wobei die Kinder zu Beginn der Kontaktzeit vom Vater bei der Mutter und bei deren Ende von der Mutter beim Vater abzuholen sind.

Rechtliche Beurteilung

[2]            In ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisonsrekurs zeigt die Mutter keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

[3]            1.1. Sie kritisiert, dass das Erstgericht im Hinblick auf den von ihr geäußerten Verdacht des Kindesmissbrauchs bzw der Misshandlung der Kinder durch den Vater kein Gutachten eines „Gerichtsmediziners“ eingeholt habe. Gelangen die Vorinstanzen zum Ergebnis, dass die aufgenommenen Beweise eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bilden, ist die Tatsachenfrage, ob ein weiteres Sachverständigengutachten allenfalls eine zusätzliche Aufklärung gebracht hätte, vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar (vgl RS0007236 [T9]; RS0108449 [T4]; RS0115719 [T10]).

[4]            1.2. Beide Vorinstanzen setzten sich mit dem – auf Hämatome eines Kindes sowie Entzündungen der (damals noch Wickel-)Kinder im After- und Genitalbereich gestützten – Missbrauchs- bzw Misshandlungsvorwurf der Mutter auseinander. Das Erstgericht konnte keine Anhaltspunkte dafür feststellen, dass der Vater die Kinder – in welcher Form auch immer – misshandle oder sie in seinem Umfeld misshandelt würden. Es konnte auch nicht feststellen, dass die Verletzungen (mit Ausnahme von Kratzern am Oberschenkel) während der Betreuung durch ihn entstanden. Dass die Entzündungen auf eine mangelnde Pflege durch ihn zurückzuführen wären, sei unwahrscheinlich. Das Rekursgericht ging auf dieser Grundlage davon aus, dass kein konkreter Verdacht bestehe, die Kinder könnten beim Vater Übergriffen ausgesetzt sein.

[5]            1.3. Die Revisionsrekurswerberin übergeht die erstinstanzlichen Feststellungen und setzt sich auch mit der ausführlichen Begründung des Rekursgerichts, das einen Verfahrensfehler des Erstgerichts verneinte, nicht auseinander. Sie zeigt damit nicht auf, warum die unterlassene Einholung des Gutachtens eines „Gerichtsmediziners“ (zusätzlich zum ohnehin eingeholten kinderpsychologischen Gutachten) eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG begründen sollte. Davon, dass sich das Rekursgericht mit ihren Argumenten nicht auseinandergesetzt habe, kann keine Rede sein. Das Erstgericht ging dem von der Mutter geäußerten Missbrauchs- bzw Misshandlungsvorwurf im Übrigen weiter nach und holte dazu ein zweites Gutachten einer (anderen) Kinderpsychologin ein. Dieses liegt mittlerweile vor, es ergeben sich aber auch daraus keinerlei Hinweise auf einen Missbrauch oder eine Misshandlung der Kinder durch den Vater, wohl aber Anhaltspunkte für einen psychischen Missbrauch durch die Mutter.

[6]            2.1. Mit ihrer Rechtsrüge wendet sich die Revisionsrekurswerberin nur gegen das vorläufige Kontaktrecht des Vaters. Inwieweit einem Elternteil ein solches eingeräumt wird, hängt aber stets von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet – solange nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG (vgl RS0097114; RS0087024 [T6, T9]).

[7]            2.2. Die Revisionsrekurswerberin bekämpft das Kontaktrecht des Vaters vor allem mit der Begründung, er habe gegen das Wohlverhaltensgebot des § 159 ABGB (wonach jeder Elternteil verpflichtet ist, zur Wahrung des Kindeswohls alles zu unterlassen, was das Verhältnis des minderjährigen Kindes zu anderen Personen, denen das Kind betreffende Rechte und Pflichten zukommen, beeinträchtigt oder die Wahrnehmung von deren Aufgaben erschwert) verstoßen, indem er sie mehrfach – auch vor Dritten – beleidigt und bedroht habe. Sie zeigt damit aber schon deshalb keine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen auf, weil sie sämtliche gegen ihren Standpunkt sprechenden Feststellungen übergeht.

[8]            2.3. Demnach ist die Elternbeziehung durch wechselseitige Vorwürfe geprägt. Beide Elternteile werfen sich gegenseitig in verächtlicher Weise psychische Beeinträchtigungen vor und ihr Konflikt ist von gegenseitig verächtlich machenden „Psychopathologisierungen“ geprägt. Die Verschlechterung der Kooperations- und Kommunikationsbereitschaft wurde von beiden Elternteilen herbeigeführt, beide sind für die „dysfunktionale Elternebene“ verantwortlich.

[9]            Die Mutter verharrt in einem Kreislauf aus Vorwürfen gegenüber dem Vater. Ihre Bindungstoleranz ist erheblich vermindert. Sie setzte den Kontakt zwischen dem Vater und den Kindern mehrfach einseitig aus. Ihre Dialogbereitschaft mit ihm ist „auf weniger als das Notwendigste gesunken“. Im Konflikt um die Betreuung der Kinder neigt die Mutter zur egozentrischen Durchsetzung ihrer Bedürfnisse, ihr konfliktförderndes Verhalten beruht auf unflexiblen Denkstrukturen und Feindbildern sowie der negativen Wahrnehmung des Vaters. Ihre feindselige Haltung ihm gegenüber führt dazu, dass er nicht als Bereicherung für die Kinder gesehen wird. Sie geht (grundlos) davon aus, dass das Wohl der Kinder gefährdet sei, wenn diese Zeit mit dem Vater verbringen. Ändert die Mutter ihre ihm gegenüber bestehende negative Einstellung in Zukunft nicht, würde dies das Kindeswohl gefährden.

[10]           Das Vorgehen der Mutter frustriert den Vater, der sich aktiv an der Kinderbetreuung beteiligen möchte. Als Reaktion setzt er sie verbal herab und baut Druck auf, um seine Standpunkte durchzusetzen. Im Pflegschaftsverfahren äußerte er wiederholt, die Mutter sei ignorant, dumm, psychisch krank und weise eine Persönlichkeitsstörung auf. Er verhält sich ihr gegenüber provokant und aggressiv. Bei einem Streit beschimpfte er sie als „Arschloch“. Bislang beeinträchtigten die Herabsetzungen der Mutter durch den Vater das Wohl der Kinder nicht maßgeblich. Dass der Vater der Mutter damit gedroht hätte, er würde sie „psychisch fertig machen“, sie werde ihren Job und die Kinder verlieren oder er werde „in die Medien gehen“, oder dass er die Mutter angezeigt hätte, konnte nicht festgestellt werden.

[11]           2.4. Dass die Vorinstanzen dem – nach den Feststellungen in zumindest gleichem Maß wie die Mutter erziehungsfähigen – Vater auf Basis dieses Sachverhalts ein umfangreiches Kontaktrecht einräumten, bedarf keiner Korrektur, zumal die Kinder ähnlich stark auf beide Elternteile bezogen sind. Persönliche Animositäten der Eltern haben hinter dem Kindeswohl zurückzutreten (vgl RS0047754 [T18]). Sie könnten das Kontaktrecht nur hindern, wenn das Kindeswohl durch den Konflikt gefährdet würde (vgl RS0048061; RS0047754 [T9]). Dass dies aufgrund des Verhaltens des Vaters der Fall wäre, zeigt die Revisionsrekurswerberin – deren Argumentation nicht auf dem festgestellten Sachverhalt beruht – nicht auf. Die von ihr behaupteten Feststellungsmängel liegen nicht vor. Soweit sie die erstinstanzliche Beweiswürdigung kritisiert, ist sie darauf hinzuweisen, dass der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren keine Tatsacheninstanz ist (RS0108449 [T2]).

[12]           3. Die Revisionsrekurswerberin bekämpft das Kontaktrecht des Vaters auch mit der Begründung, die Kinder könnten an den vom Gericht festgelegten Kontakttagen – aufgrund der Entfernung der Wohnorte der Eltern (ca 90 km) – den am Wohnort der Mutter gelegenen Kindergarten nicht besuchen. Damit zeigt sie aber schon deshalb keine Korrekturbedürftigkeit der – nur vorläufig wirksamen – Entscheidungen der Vorinstanzen auf, weil ihre Ausführungen zu den positiven Auswirkungen eines Kindergartenbesuchs auf die kindliche Entwicklung gänzlich allgemein bleiben und das konkrete Bedürfnis der Kinder nach Kontakt zum Vater unberücksichtigt lassen. Ein von ihr in den Raum gestelltes Kontaktrecht an jedem zweiten Wochenende sowie an einem Tag während der anderen Woche entspräche dem von den Vorinstanzen festgelegten (vorläufigen) Kontaktrecht schon umfänglich nicht. Für die endgültige Festlegung der Kontakte der Eltern zu den Kindern wird gegebenenfalls zu berücksichtigen sein, dass deren Kindergartenbesuch am wenigsten beeinträchtigt wird, wenn sie sich primär am Wochenende bei jenem Elternteil aufhalten, der nicht in der Nähe des Kindergartens wohnt.

[13]           4.1. Die Mutter kritisiert in ihrem Rechtsmittel auch, dass sie die Kinder am Ende der Kontaktzeit beim Vater abholen muss. Sie beruft sich dazu auf einen Grundsatz, wonach der Kontaktberechtigte das Kind von dessen ständigem Aufenthaltsort abzuholen und dorthin zurückzubringen habe (vgl RS0048002). In der Rechtsprechung sind jedoch Ausnahmen von diesem Grundsatz durchaus anerkannt (idS bereits 3 Ob 529/89; aus jüngerer Zeit etwa 1 Ob 181/20d mwN), wobei vor allem wirtschaftliche und organisatorische Faktoren, die eine Regelung praktikabel machen, zu berücksichtigen sind, etwa bei weiteren Entfernungen das Transportproblem und der damit verbundene Zeit- und Kostenaufwand sowie berufliche Rücksichten der Eltern (vgl RS0048002 [T7]; 1 Ob 181/20d mwN). Je umfangreicher die Betreuungszeiten des nicht hauptsächlich betreuenden Elternteils sind desto eher wird auch für den mit der „Übergabe“ eines Kindes verbundenen Aufwand eine ausgewogene Regelung anzustreben sein. Ob im Einzelfall Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, dass das Kind dem „kontaktberechtigten“ Elternteil an dessen Wohnort übergeben oder von dort abgeholt wird, begründet typischerweise keine Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG (RS0048002 [T8]).

[14]           4.2. Die Revisionsrekurswerberin behauptet zwar, dass es ihr als Ärztin nicht zumutbar sei, die Kinder einmal pro Woche beim Vater abzuholen, legt aber nicht dar, warum sie sich ihre Dienstzeiten – sie arbeitet an zwei Halbtagen pro Woche in der Ordination eines anderen Arztes mit – nicht entsprechend einteilen könnte. Sie übergeht auch, dass der Vater ebenfalls teilzeit berufstätig ist und sie – obwohl ihr die Obsorge gemeinsam mit diesem zusteht – (gegen seinen Willen) mit den Kindern aus der gemeinsamen Wohnung auszog und später in einen ca 90 km entfernten Ort übersiedelte. Da die Rechtsmittelwerberin auch nicht darlegt, warum es dem Wohl der Kinder widerspräche, wenn diese von ihr beim Vater abgeholt werden (vgl 7 Ob 285/04v), zeigt sie auch zur diesbezüglichen Anordnung durch die Vorinstanzen keine korrekturbedürftige Fehlentscheidung auf.

Textnummer

E134425

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00225.21A.0125.000

Im RIS seit

13.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

13.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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