TE OGH 2022/2/22 10ObS194/21h

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Veröffentlicht am 22.02.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Antonia Oberwalder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Dr. Martin Holzer, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Oktober 2021, GZ 7 Rs 42/21g-65, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Dem im Oktober 1959 geborenen Kläger wurde von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt eine befristete Invaliditätspension von 1. 12. 2013 bis 30. 11. 2014 zuerkannt.

[2]       Mit Bescheid vom 13. 1. 2015 lehnte die Beklagte die Weitergewährung der befristeten Invaliditätspension über den Ablauf des 30. 11. 2014 hinaus ab, weil Invalidität nicht vorliege. Ein Anspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe nicht.

[3]       Mit seiner dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger die Weitergewährung der Invaliditätspension über den 30. 11. 2014 hinaus. Invalidität bestehe insbesondere infolge eines schweren Arbeitsunfalls den der Kläger am 16. 9. 2013 als Forstarbeiter erlitten habe, und infolge eines Herzinfarkts vom 4. 5. 2016.

[4]            Die Beklagte wandte ein, dass Invalidität über den Ablauf des 30. 11. 2014 hinaus nicht bestehe, dies ua auch nicht nach § 255 Abs 4 ASVG.

[5]       Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG nicht vorliege.

[6]       Es ging von folgendem wesentlichen Sachverhalt aus: Der Kläger hat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 103 Beitragsmonate erworben, davon 54 Monate als unselbständiger und 49 Monate als selbständiger Forstarbeiter. Trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind dem Kläger noch leichte bis mittelschwere Arbeitstätigkeiten bei einem Anteil von höchstens 50 % mittelschwerer körperlicher Arbeit fallweise – bis zu einem Drittel des Arbeitstags – im Gehen, Stehen und Sitzen mit weiteren im Einzelnen festgestellten Einschränkungen möglich. Die gesetzlich vorgesehenen Arbeitszeiten (inkl Arbeitspausen) sind möglich. Insgesamt ist mit leidensbedingten Krankenständen von zwei Wochen pro Jahr zu rechnen. Aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen ist eine weitere Tätigkeit als Forstarbeiter ausgeschlossen. Er ist jedoch in der Lage, die Tätigkeit etwa eines Aufsehers sowie weitere Verweisungstätigkeiten auszuüben, in denen österreichweit zumindest 100 Arbeitsplätze existieren.

[7]       Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.

[8]       In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[9]       1.1 Der Kläger macht auch in der Revision geltend, dass sich seine Invalidität aus einem nach seinem Herzinfarkt am 4. 5. 2016 erforderlichen rund acht Monate dauernden Krankenstand (Rehabilitationsaufenthalt) ergebe, sodass er länger als sechs Monate arbeitsunfähig gewesen sei. Dies zeige sich in den vorgelegten Urkunden und im Gutachten des internistischen Sachverständigen. Der Kläger habe ausreichend behauptet, in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt zu sein, sodass das Berufungsgericht zu Unrecht von einer unbeachtlichen Neuerung ausgegangen sei. Die Dauer dieses Krankenstands wäre festzustellen gewesen, das Erstgericht habe diesbezüglich den amtswegigen Ermittlungsgrundsatz verletzt.

[10]     1.2 Darauf kommt es jedoch nicht an: Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Versicherter vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wenn in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit und trotz zumutbarer Krankenbehandlung leidensbedingte (RS0113471) Krankenstände in einer Dauer von sieben Wochen und darüber im Jahr zu erwarten sind (RS0084855 [T7], RS0084898 [T12]). Es kann nämlich nicht damit gerechnet werden, dass krankheitsbedingte Abwesenheiten in einem solchen Ausmaß von den in Betracht kommenden Arbeitgebern akzeptiert werden; ein derart betroffener Versicherter würde in diesem Fall nur bei besonderem Entgegenkommen des Dienstgebers auf Dauer beschäftigt werden (10 ObS 159/93 SSV-NF 7/76). Mit derartigen, regelmäßig wiederkehrenden leidensbedingten Krankenständen hat der Kläger nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen jedoch in Zukunft nicht zu rechnen.

[11]           1.3 In welchem Umfang der Kläger sich in der Vergangenheit im Krankenstand befand, ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung. In der Vergangenheit liegende Krankenstände können allenfalls ein (Beweiswürdigungs-)Indiz für die Prognose darstellen. Von einem Arbeitgeber muss bedacht werden, dass bei jedem Arbeitnehmer in unregelmäßigen Abständen mit einmaligen länger dauernden Krankenständen (zB aufgrund eines Unfalles) oder einem Kuraufenthalt gerechnet werden muss. Diese Zeiten einmaliger „Krankenstände“ sind daher nicht in die zu erwartende Krankenstandsdauer einzubeziehen (10 ObS 126/05k SSV-NF 20/7; RS0084079 [T6]).

[12]           2. Mit der Behauptung, dass der Kläger zusätzliche Arbeitspausen von 90 Minuten pro Tag einhalten müsse, weicht die Revision in unzulässiger Weise (RS0043312) vom festgestellten Sachverhalt ab, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

[13]           3.1 Der Revisionswerber macht geltend, er habe im Bergbau und als Forstarbeiter „gerichtsnotorisch Schwerarbeit“ geleistet und das 60. Lebensjahr im Oktober 2019 vollendet, sodass ihm ab 1. 11. 2019 eine Invaliditätspension zuzuerkennen gewesen wäre. Die Beklagte hat bereits im Verfahren erster Instanz das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für eine Invaliditätspension gemäß § 255 Abs 4 ASVG mit dem Argument bestritten, dass der Kläger im – um die Zeiten des Bezugs einer befristeten Invaliditätspension verlängerten – Rahmenzeitraum ab 1. 10. 2003 nicht zumindest 120 Monate einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem 1. 11. 2019 ausgeübt hat (ON 51). Dieses Vorbringen hat der Kläger nicht substantiiert bestritten. In seiner Berufung ist er auf die rechtlich gesondert zu beurteilenden Anspruchsvoraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG nicht mehr eingegangen, sodass er dies in der Revision nicht nachholen kann (RS0043338 [T15]).

[14]     3.2 Der Versicherte darf in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG eine Klage – abgesehen von den in § 67 Abs 1 ASGG genannten, hier nicht relevanten Ausnahmen – nur erheben, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat. „Darüber“ bedeutet, dass der Bescheid über den der betreffenden Leistungssache zugrundeliegenden Anspruch ergangen sein muss. Der mögliche Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist durch den Antrag, den Bescheid und das Klagebegehren dreifach eingegrenzt (10 ObS 117/17d SSV-NF 31/51 ua; RS0105139 [T1]). Der Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens muss demnach mit jenem des vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens ident sein (10 ObS 125/18g SSV-NF 33/2 uva). Streitgegenstand ist im vorliegenden Verfahren der Anspruch des Klägers auf Weitergewährung einer Invaliditätspension. Über eine Alterspension wurde im angefochtenen Bescheid nicht entschieden, sodass sie dem Kläger auch nicht „hilfsweise“ zuerkannt werden kann.

Textnummer

E134395

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00194.21H.0222.000

Im RIS seit

13.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

13.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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