TE OGH 2022/2/22 2Ob6/22d

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Veröffentlicht am 22.02.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Parzmayr und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Dr. Geza Simonfay ua., Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. M*, und 2. A*, beide vertreten durch Dr. Alexander Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen 429.741,08 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien (Revisionsinteresse [richtig]: 350.000 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 4. November 2021, GZ 3 R 121/21s-27, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Zwischenurteil des Landesgerichts Linz vom 9. Juli 2021, GZ 3 Cg 29/20z-23, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

I. Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird unter Einschluss des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils als Teil- und Zwischenurteil wie folgt abgeändert:

„1. Das Klagebegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 79.741,08 EUR sA zu zahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.

2. Das Begehren auf Zahlung weiterer 350.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 25. 3. 2018 wird abgewiesen.

3. Die Entscheidung über die Prozesskosten erster und zweiter Instanz wird der Endentscheidung vorbehalten.“

II. Der in der Revisionsbeantwortung hilfsweise gestellte Antrag der Klägerin, das Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Sachverhalts an das Erstgericht zurückzuverweisen, wird zurückgewiesen.

III. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Klägerin ist die Enkelin (Tochter des vorverstorbenen einzigen Kindes), die Beklagten sind die Schwestern und testamentarischen Erbinnen des 2018 verstorbenen Erblassers. Im September 2012 schenkte der Erblasser den Beklagten eine Liegenschaft, wobei er sich das „lebenslängliche und unentgeltliche Fruchtgenussrecht“ vorbehielt und ein Belastungs- und Veräußerungsverbot mit „rein obligatorischer Wirkung“ einräumen ließ. Der Schenkungsvertrag wurde noch im Jahr 2012 grundbücherlich vollzogen.

[2]       Die Klägerin begehrt die Zahlung von 429.741,08 EUR sA als Pflichtteil. Sie wäre bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge Alleinerbin gewesen. Der Wert der Verlassenschaft belaufe sich auf 159.482,15 EUR, sodass sich ihr „Nachlasspflichtteil“ mit 79.741,08 EUR berechne. Anzurechnende Schenkungen des Erblassers an den Vater der Klägerin lägen nicht vor. Außerdem habe die Klägerin Anspruch auf „Pflichtteilsergänzung“ in Höhe weiterer 350.000 EUR infolge der Schenkung einer Liegenschaft an die Beklagten. Zwar sei die Schenkung 2012 erfolgt, das Vermögensopfer des Erblassers sei wegen des eingeräumten Fruchtgenusses samt Veräußerungs- und Belastungsverbot jedoch erst mit dessen Tod eingetreten.

[3]       Die Beklagten bestreiten. Der Klägerin stehe primär deswegen kein Pflichtteil zu, weil der Erblasser seinem Sohn (dem Vater der Klägerin) umfassende, den Pflichtteil zur Gänze deckende und näher dargestellte Zuwendungen gemacht habe. Der Wert der 2012 den nicht abstrakt pflichtteilsberechtigten Beklagten geschenkten Liegenschaft sei dem Nachlass wegen Ablaufs der Zweijahresfrist des § 782 Abs 1 ABGB nicht hinzuzurechnen. Die Schenkung sei noch im Jahr 2012 tatsächlich durchgeführt und auch verbüchert worden. Der Vorbehalt eines Fruchtgenussrechts hindere nach dem ErbRÄG 2015 nicht mehr den Eintritt des Vermögensopfers. Entscheidend sei nur, dass der Schenkungsvertrag ohne Widerrufsvorbehalt oder Möglichkeit zum Rückerwerb durch den Zuwendenden erfüllt worden sei.

[4]       Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht besteht. Da sich der Erblasser nicht nur ein Fruchtgenussrecht, sondern auch ein obligatorisches Belastungs- und Veräußerungsverbot einräumen habe lassen und den Beklagten damit nur der „bloße Buchbesitz“ verblieben sei, liege ein Vermögensopfer erst mit dem Tod des Erblassers vor. Da die Verlassenschaft nicht überschuldet sei und die Beklagten bisher noch keine Zahlungen auf den Pflichtteilsanspruch der Klägerin geleistet hätten, bestehe das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht.

[5]       Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Der von den Beklagten im Zusammenhang mit der Erlassung eines Zwischenurteils gerügte Verfahrensmangel liege nicht vor, weil das Erstgericht alle Einwendungen gegen den Grund des Anspruchs erledigt habe. Die Einwendung, dass der Pflichtteil durch Zuwendungen gedeckt sei, betreffe die Höhe des Anspruchs. In Behandlung der Rechtsrüge erwog das Berufungsgericht, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 119/20v zur auch hier anzuwendenden Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015 ausgesprochen habe, dass es für die Annahme eines Vermögensopfers auf die tatsächliche Erfüllung des Vertrags im Sinn eines endgültigen Übergangs der Rechtszuständigkeit ankomme, bei Schenkungsverträgen daher grundsätzlich auf den Eigentumsübergang. Nach dieser Entscheidung stehe weder der Vorbehalt eines Fruchtgenussrechts noch die Einräumung eines Belastungs- und Veräußerungsverbots der Annahme eines Vermögensopfers entgegen. Allerdings könne sich das Berufungsgericht dieser Entscheidung nicht anschließen, weil die sehr eingehende Beschäftigung des Obersten Gerichtshofs mit den Gesetzesmaterialien nicht überzeuge. Außerdem habe der Oberste Gerichtshof den im allgemeinen Teil der Erläuterungen zum ErbRÄG 2015 zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Rechtskontinuität vernachlässigt. Auch die „Legisten“ Barth und Pesendorfer seien der Ansicht, dass bei einer Kombination von Fruchtgenussrecht und Belastungs- und Veräußerungsverbot kein Vermögensopfer vorliege. Das Vermögensopfer sei daher erst mit dem Tod des Erblassers erbracht worden, zumal der Erblasser die Liegenschaft nur „formal (bücherlich)“ an die Beklagten übertragen, aber in wirtschaftlicher Hinsicht den Verlust seines Vermögens bis zu seinem Tod gar nicht gespürt habe.

[6]       Die ordentliche Revision sei zulässig, weil das Berufungsgericht zwar der langjährigen ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Vermögensopfertheorie, nicht aber der zuletzt ergangenen Entscheidung 2 Ob 119/20v gefolgt sei.

[7]       Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten. Diese beantragen primär die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, dass „ihrer Berufung gegen das Ersturteil Folge gegeben wird“; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8]       Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

[9]       Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der jüngsten Rechtsprechung des erkennenden Fachsenats zum Vorliegen eines Vermögensopfers (2 Ob 119/20v; 2 Ob 111/21v) abgewichen ist; sie ist im Sinn des Abänderungsantrags auch berechtigt.

[10]           Die Beklagten argumentieren, dass unter Beachtung der jüngsten Rechtsprechung der Erblasser das Vermögensopfer bereits im Jahr 2012 erbracht habe, sodass eine Hinzurechnung der Schenkung nicht in Frage komme. Außerdem sei die Erlassung eines Zwischenurteils im vorliegenden Fall weder zweckmäßig noch rechtlich zulässig gewesen, weil auf diese Weise nicht einzelne Teilfragen (hier jene zur Frage der Anrechnungspflicht der Liegenschaftsschenkung) herausgegriffen werden könnten.

Dazu hat der erkennende Fachsenat erwogen:

[11]     1. Vorweg ist zu prüfen, in welchem Umfang die Revision das Berufungsurteil (bzw die Berufung das Ersturteil) überhaupt bekämpft und ob das Zwischenurteil allenfalls teilweise in Rechtskraft erwachsen ist:

[12]     1.1. Für die Prüfung des Umfangs der Anfechtung kommt dem Rechtsmittelantrag und den Rechtsmittelgründen auch dann Bedeutung zu, wenn im Rechtsmittel zwar eine Anfechtungserklärung enthalten ist, diese aber mit dem Rechtsmittelantrag und den Rechtsmittelgründen nicht im Einklang steht. Bei Divergenzen zwischen Anfechtungserklärung und Anfechtungsantrag ist grundsätzlich der Rechtsmittelantrag maßgeblich (RS0043624 [insb T1]). Wenn sich daraus nach den für den Eintritt einer Teilrechtskraft maßgeblichen objektiven Auslegungskriterien (RS0036653) nicht zweifelsfrei ergibt, dass die Entscheidung nur zum Teil bzw in welchem Ausmaß sie angefochten wird, dann gilt sie als zur Gänze angefochten (10 Ob 30/18m mwN).

[13]     1.2. Im vorliegenden Fall enthält die Revision die Erklärung, wonach das Berufungsurteil „zur Gänze bekämpft“ werde. Die Revisionsausführungen befassen sich ausschließlich mit der Frage, ob eine Hinzurechnung der Liegenschaftsschenkung zu erfolgen hat; dies spiegelt sich auch im auf Abänderung lautenden Revisions-(haupt-)antrag wider, nach dessen Inhalt „der Berufung gegen das Ersturteil Folge“ gegeben werden soll. Der Berufungs-(haupt-)antrag lautet darauf, die Klage „im Umfang des auf die Hinzurechnung des Werts der Schenkung […] zum Nachlass berechneten Zahlungsbegehrens von 350.000 EUR sA“ abzuweisen. Der in der Revision eventualiter gestellte Aufhebungsantrag zielt hingegen auf Aufhebung des „angefochtenen Urteils“ und Rückverweisung an das Berufungsgericht ab.

[14]     Die Berufung der Beklagten bekämpft das Ersturteil zwar nach der Anfechtungserklärung „zur Gänze“, allerdings befassen sich die Berufungsausführungen fast ausschließlich mit der Frage der Hinzurechnung der Liegenschaftsschenkung. Der – neben dem bereits dargestellten Abänderungsantrag – eventualiter gestellte Aufhebungsantrag fordert, dem Erstgericht aufzutragen, „über die Klage unter Abstandnahme von der Rechtsansicht, dass der Pflichtteil der Klägerin unter Hinzurechnung des Werts der Schenkung […] zum Nachlass auszumessen sei, zu entscheiden“.

[15]     1.3. Bei verständiger Würdigung des Gesamtinhalts der Rechtsmittel sind diese unter besonderer Berücksichtigung der auf Abänderung lautenden Rechtsmittelanträge dahin zu verstehen, dass das Zwischenurteil des Erstgerichts nur im Umfang eines Zahlungsbegehrens von 350.000 EUR sA angefochten wurde und im Übrigen in Teilrechtskraft erwachsen ist.

[16]     2. Der von der Klägerin in der Revisionsbeantwortung hilfsweise gestellte Antrag auf Aufhebung des von den Beklagten angefochtenen Urteils war als unzulässig zurückzuweisen (RS0043692).

[17]     3. Der erkennende Fachsenat hat in der Entscheidung 2 Ob 119/20v zur Frage der Anwendung der Vermögensopfertheorie nach dem ErbRÄG 2015 ausführlich Stellung genommen und formulierte nach Auseinandersetzung mit der früheren Rechtsprechung zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015, den durch das ErbRÄG 2015 eingetretenen Änderungen im Wortlaut der anzuwendenden Bestimmungen, den Gesetzesmaterialien und unter Bedachtnahme auf systematische Erwägungen folgenden Rechtssatz (Rz 38 = RS0133711):

„Nach der seit dem ErbRÄG 2015 geltenden Rechtslage verhindert ein vom Erblasser bei einer Schenkung unter Lebenden an der geschenkten Sache vorbehaltenes Fruchtgenussrecht nicht (mehr), dass er die Schenkung 'wirklich gemacht' und somit das Vermögensopfer erbracht hat.“

[18]     Weiters führte der Senat aus, dass nicht der Abschluss eines der Zuwendung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts, sondern dessen tatsächliche Erfüllung im Sinn eines endgültigen und unwiderruflichen Übergangs der Rechtszuständigkeit maßgeblich ist. Relevanter Zeitpunkt für den Eigentumserwerb an einer Liegenschaft und damit die „wirklich gemachte“ Schenkung ist daher – spätere Bewilligung und Vollzug vorausgesetzt – jener des Einlangens des Grundbuchsgesuchs (Rz 39 bis 41).

[19]     Nach dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt behielt sich der Erblasser bei Schenkung der Liegenschaft (an seinen Sohn) ein Fruchtgenussrecht zurück und ließ sich (auch zugunsten seiner nunmehrigen Witwe) ein Belastungs- und Veräußerungsverbot einräumen.

[20]     In der Folgeentscheidung 2 Ob 111/21v schrieb der Senat diese Rechtsprechung in einem ganz vergleichbaren Fall (Liegenschaftsschenkung unter Vorbehalt des „Fruchtnießungsrechts“ und Einräumung eines Belastungs- und Veräußerungsverbots) fort.

[21]     4. Diese Rechtsprechung wurde in der Lehre gemischt aufgenommen.

[22]           4.1. Zollner (Neues zur Vermögensopfertheorie, PSR 2021/32, 124) steht der Entscheidung 2 Ob 119/20v kritisch gegenüber. Er argumentiert, dass nach alter Rechtslage der Eintritt eines spürbaren Substanzverlusts für den Eintritt eines Vermögensopfers entscheidend gewesen sei. Der zum alten Erbrecht entwickelten Vermögensopfertheorie sei damit eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zu Grunde gelegen. Wie das der Ausnahme von der Schenkungshinzurechnung jedenfalls in der Vergangenheit zugrunde liegende Regelungsanliegen nach Maßgabe der Entscheidung 2 Ob 119/20v noch effizient erreicht werden könne, sei ungeklärt. Die Entscheidung führe auch zu einem Widerspruch innerhalb des Systems der Schenkungs-hinzurechnung. Die Position des Schenkers weise nämlich im Fall einer Schenkung auf den Todesfall deutliche Parallelen zum Fall einer Schenkung unter Vorbehalt des Fruchtgenussrechts auf, zumindest wenn man einen redlichen Schenker als relevanten Vergleichsmaßstab heranziehe. Dennoch würden diese Fälle unter dem Blickwinkel pflichtteilsrechtlicher Hinzurechnungen unterschiedlich behandelt, was zumindest diskussionswürdig sei. Werde zusätzlich zum Fruchtgenussrecht auch noch ein Belastungs- und Veräußerungsverbot vorbehalten, sei eine divergierende pflichtteilsrechtliche Behandlung überhaupt nicht mehr zu rechtfertigen. Da der Gesetzgeber durch § 781 Abs 2 Z 6 ABGB nunmehr ausdrücklich eine wirtschaftliche Betrachtungsweise für die Schenkungshinzurechnung normiert habe, liege auch in dieser Hinsicht ein Widerspruch zur jüngsten Rechtsprechung nahe.

4.2. Hingegen stimmt Kepplinger (Zur Konturierung der Vermögensopfertheorie durch 2 Ob 119/20v, NZ 2021/126, 458) der Entscheidung sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu. Die von der früheren Rechtsprechung zum alten Erbrecht entwickelte Unterscheidung zwischen Zurückbehaltung eines (Wohnungs-)Gebrauchsrechts (Vermögensopfer bejaht) und eines Fruchtgenusses (Vermögensopfer verneint) überzeuge nicht, weil in beiden Fällen der Status Quo faktisch aufrecht erhalten werde. Außerdem könne der Geschenkgeber mit der Sache auch bei Zurückbehaltung eines Fruchtgenussrechts nicht nach Belieben schalten und walten, könne er sie doch nicht mehr veräußern oder (hypothekarisch) belasten; überdies verringere sich jedenfalls die Kreditwürdigkeit bzw Solvenz des Geschenkgebers.

[23]           4.3. Auch Graf (Fünf Jahre ErbRÄG – Was hat der OGH daraus gemacht? NZ 2022/2, 2 [14 f]) begrüßt die Entscheidung im Ergebnis, gebe der Senat damit doch zu Recht die bisherige Rechtsprechung auf.

[24]     5. Weder die in der Lehre teilweise geübte Kritik noch die Ausführungen des Berufungsgerichts veranlassen den Senat, von der mit der Entscheidung 2 Ob 119/20v begründeten Rechtsprechung wieder abzugehen.

[25]           5.1. Der Hinweis des Berufungsgerichts, der Senat habe sich in der Entscheidung 2 Ob 119/20v nicht mit den Erläuterungen zum allgemeinen Teil des ErbRÄG befasst, die die Wahrung einer kontinuierlichen Rechtsentwicklung besonders betonten, überzeugt nicht. Den Gesetzesmaterialien lässt sich nämlich in diesem Punkt nur entnehmen, dass „ganz überwiegend die herrschende Rechtsprechung kodifiziert“ wird (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 1). Dies steht dem vom Senat aus den Gesetzesmaterialien zum besonderen Teil gezogenen Schluss, der Gesetzgeber habe im konkreten Fall die Zurückbehaltung eines Nutzungsrechts (gleich welcher Art) nicht als entscheidend für das Vermögensopfer angesehen (2 Ob 119/20v Rz 34), nicht entgegen. Überdies hat der Senat in der Entscheidung 2 Ob 119/20v bereits darauf hingewiesen, dass sich die alte Rechtsprechung zum Fehlen eines Vermögensopfers im Fall der Zurückbehaltung eines Fruchtgenussrechts erst nach der Formulierung der Materialien zum ErbRÄG 2015 verfestigt hat (Rz 29), sodass aus dem Hinweis auf die Kodifikation herrschender Rechtsprechung im konkreten Fall wenig zu gewinnen ist.

[26]           Auch der Hinweis des Berufungsgerichts auf Barth/Pesendorfer, Erbrechtsreform 2015 [2015], § 788 ABGB Anm 4 überzeugt nicht. Der Senat hat bereits zum alten Erbrecht ausdrücklich hervorgehoben, dass es für die Frage des Vorliegens eines Vermögensopfers unerheblich ist, ob sich der Geschenkgeber auch ein (obligatorisches oder dinglich wirkendes) Belastungs- und Veräußerungsverbot einräumen lässt oder nicht, weil seine Rechtsstellung durch die Möglichkeit oder Unmöglichkeit solcher Verfügungen des Geschenknehmers nicht beeinträchtigt wird (2 Ob 125/15v Punkt 3.4.). Die Perspektive des Geschenkgebers ist auch nach dem ErbRÄG 2015 für die Prüfung der Frage des Vorliegens eines Vermögensopfers maßgeblich (vgl etwa 2 Ob 119/20v Rz 39), sodass der Frage der Einräumung eines Belastungs- und Veräußerungsverbots (nach wie vor) keine entscheidende Bedeutung zukommt.

5.2. Zollners Kritik überzeugt ebenfalls nicht. Wenn dieser Autor eine Auseinandersetzung des Senats mit „dem Zweck der Schenkungshinzurechnung und deren Ausnahmen“ vermisst (PSR 2021/32, 124 [126]), ist ihm zu erwidern, dass seine Argumentation in diesem Punkt im Kern auf den Materialien zur III. Teilnovelle des ABGB und dem daraus abgeleiteten Gedanken des Erfordernisses eines „spürbaren Substanzverlusts“ für die Annahme eines Vermögensopfers beruht, der Gesetzgeber des ErbRÄG 2015 dem jedoch die tatsächliche Erfüllung im Sinn eines endgültigen und unwiderruflichen Übergangs der Rechtszuständigkeit gegenüberstellte (2 Ob 119/20v Rz 39; vgl auch Kepplinger, NZ 2021/126, 458 [464]).

[27]           Zollner fürchtet einen „Widerspruch innerhalb des Systems der Schenkungsanrechnung“ (PSR 2021/32, 124 [127]), weil trotz deutlicher Parallelen in der Position des Schenkers das Vermögensopfer bei einer Schenkung auf den Todesfall später eintrete als im Fall einer Schenkung unter Vorbehalt eines Fruchtgenussrechts. Diese unterschiedliche Behandlung lässt sich jedoch – wie bereits Umlauft hervorgehoben hat (Hinzu- und Anrechnung² [2018] 72 f) – aufgrund der Anwendbarkeit des § 1253 ABGB auf eine Schenkung auf den Todesfall und weil das Geschenk im Fall einer Schenkung auf den Todesfall zu Lebzeiten des Geschenkgebers in dessen Haftungsfonds verbleibt, sachlich rechtfertigen (Kepplinger NZ 2021/126, 458 [466]). Überdies räumt selbst Zollner ein, dass die von ihm angenommenen Parallelen nur im Fall eines redlichen Schenkers auf den Todesfall vorliegen (vgl zu den Auswirkungen der Schenkung auf den Todesfall auf die Verfügungsmacht des Geschenkgebers Löcker in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 603 Rz 19).

[28]           Dass § 781 Abs 2 Z 6 ABGB einen wirtschaftlichen Schenkungsbegriff im Recht der An- und Hinzurechnung verankert (Zollner, PSR 2021/32, 124 [128]), mag zutreffen, ändert aber nichts daran, dass der Gesetzgeber durch Verwendung der Wortfolge „wirklich gemacht“ in § 782 Abs 1 ABGB in erster Linie auf den Aspekt der Endgültigkeit der Vermögensverfügung und nicht auf die wirtschaftliche Nutzungsmöglichkeit der Sache abstellt (vgl Graf,
NZ 2022/2, 2 [15]).

[29]           5.3. Insgesamt besteht damit kein Grund, von der mit der Entscheidung 2 Ob 119/20v begründeten Rechtsprechung wieder abzugehen.

[30]     6. Soweit die Beklagten argumentieren, dass die Erlassung eines Zwischenurteils im vorliegenden Fall weder zweckmäßig noch rechtlich zulässig sei, räumen sie selbst ein, im erstinstanzlichen Verfahren keine Einwendungen „gegen den Grund des Anspruchs schlechthin“ gerichtet zu haben. Im Übrigen kann die Frage der Zweckmäßigkeit eines Zwischenurteils im Rechtsmittelverfahren überhaupt nicht überprüft werden (RS0040047). Die Frage der Zulässigkeit eines Zwischenurteils ist wiederum eine prozessuale Frage, deren unrichtige Lösung eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens bedeutet (RS0040918), die bei Verneinung durch das Berufungsgericht nicht neuerlich geltend gemacht werden kann (RS0042963).

[31]     7. Der Revision der Beklagten war damit insgesamt im Sinn des gestellten Abänderungsantrags (dazu ausführlich oben Punkt 1.) Folge zu geben.

[32]           8. Die Kostenvorbehalte gründen sich auf die §§ 50, 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 4 ZPO.

Textnummer

E134356

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00006.22D.0222.000

Im RIS seit

11.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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