TE Lvwg Erkenntnis 2022/1/10 LVwG-AV-1358/001-2021

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Veröffentlicht am 10.01.2022
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Entscheidungsdatum

10.01.2022

Norm

GewO 1994 §13 Abs1
GewO 1994 §38
GewO 1994 §41
GewO 1994 §87 Abs1 Z1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch durch die Richterin MMag. Dr. Cervenka-Ehrenstrasser über die Beschwerde des A, ***, ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 15. Juli 2021, ***, betreffend Entziehung der Gewerbeberechtigung zu Recht:

1.   Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrens-
gesetz (VwGVG) Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

2.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 15.7.2021, ***, wurde Herrn A, geb. ***, die Gewerbeberechtigung für Kraftfahrzeugmechaniker, am Standort ***, ***, eingeschränkt auf den Bürobetrieb gemäß § 87 Abs. 1 Z. 1, § 13 Abs. 1 Gewerbeordnung 1994 entzogen.

Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass Herr A mit Urteil des Landesgericht *** von 23.2.2018, Zahl ***, rechtskräftig am 6.9.2018, gemäß § 302 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt worden sei, welche für die Dauer der Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei.

Diese Verurteilung sei rechtskräftig und noch nicht getilgt. Nach dem derzeitigen Stand der Strafregistereintragungen sei der Tilgungszeitraum (zur Zeit) nicht errechenbar. Somit sei der Ausschlussgrund gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 Gewerbeordnung 1994 erfüllt.

Die Verurteilung sei im Zuge der Gewerbeausübung aufgrund des „Missbrauchs der Amtsgewalt“ erfolgt, indem er seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze, Amtsgeschäfte, nämlich die wiederkehrende Begutachtung von Fahrzeugen und Ausstellung von Gutachten im Sinne des § 57a KFG 1967 vorzunehmen,

1.   im Zeitraum von 27.1.2016 bis 7.4.2016 bei insgesamt 17 Überprüfungen von einspurigen Kraftfahrzeugen die Abbremsung, bezogen auf die Hinterradbremse, tatsachenwidrig jeweils mit 71,05 % im Gutachten vermerkte, ohne tatsächlich eine derartige Überprüfung der Bremswerte vorgenommen zu haben;

2.   im Zeitraum 2.1.2016 bis 2.4.2016 bei 38 Gutachten bezüglich einer Überprüfung gemäß § 57a KFG 1967 von mehrspurigen Kraftfahrzeugen tatsachenwidrig, ohne tatsächlich eine derartige Überprüfung der Bremswerte vorgenommen zu haben, völlig idente Bremswerte an der zweiten Achse (links 0,84 kN und rechts 0,96 kN) eintrug.

Bereits mit Bescheid vom 24.4.2006, ***, sei die erteilte Ermächtigung zur wiederkehrenden Begutachtung von Fahrzeugen für Herrn A in der Prüfstelle ***, Grundstück Nr. ***, widerrufen worden. Dieser Widerruf sei damit begründet worden, dass mangels beigebrachter Aufzeichnungen über die Plankettenausgabe für das Jahr 2005 der Verbleib von ca. 1500 Begutachtungsplanketten ungeklärt sei. Ebenso sei ungeklärt, welcher Begutachtungsstempel bei den Begutachtungen verwendet werde. Bei einem ermächtigten Gewerbetreibenden, der sich trotz einer Vielzahl festgestellter schwerer Mängel in seiner Prüfstelle beharrlich weigere, den behördlichen Anordnungen Folge zu leisten, Mängel zu beheben und keine Bereitschaft zur gesetzeskonformen Begutachtung zeige, sei die erforderliche Vertrauenswürdigkeit im Sinne des § 57a Abs. 2 KFG nicht mehr gegeben. Dieser Bescheid sei infolge der dagegen erhobenen Beschwerde erst mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 27.10.2016, LVwG-AV-1/001-2006, in Rechtskraft erwachsen.

Mit rechtskräftigem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 11.2.2021, ***, sei für Herrn A die Bewilligung zur Durchführung von Probefahrten mit nicht zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeugen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr aufgehoben worden und die Ablieferung der Probekennzeichen sowie der Probefahrtschein an die Bezirksverwaltungsbehörde angeordnet worden. Diese Maßnahme sei damit begründet worden, dass am Standort ***, ***, keine KFZ-Werkstätte betrieben werde, sondern nur ein Bürobetrieb stattfinde. Darüber hinaus sei der Behörde von Seiten des zuständigen Finanzamtes bekannt gegeben worden, dass die Vergabe eines Probefahrtkennzeichens aus steuerlichen Gründen abgelehnt werde. Liegen steuerliche Bedenken gegen die Vergabe eines Probefahrtkennzeichens vor, sei die für die ordnungsgemäße Verwendung der Probefahrtkennzeichen erforderliche Verlässlichkeit gemäß § 45 Abs. 3 Z. 4 KFG nicht mehr gegeben. Trotz mehrmaliger Aufforderung durch die Behörde sei jedoch die Rückgabe der Probefahrtkennzeichen von Herrn A verweigert worden und würden sich diese laut Polizeibericht vom 17.5.2021 und eigenen Angaben von Herrn A nach wie vor in seinem Besitz befinden und seien in Verwendung.

Weiters würden bei der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten mehrere im Einzelnen angeführte Verwaltungsstrafvormerkungen betreffend Herrn A aufscheinen. Herr A zeige sich auch in den meisten Verwaltungsstrafverfahren uneinsichtig, bestreite seine Übertretungen vehement durch Nutzung der Rechtsmittelmöglichkeit und fühle sich von der Polizei schikaniert.

Zwar sei es richtig, dass Herr A durch den Widerruf der Ermächtigung zur wiederkehrenden Begutachtung von Fahrzeugen den „Beamtenstatus“ verloren habe, wodurch die Wiederholung dieser Straftat ausgeschlossen sei. Nicht auszuschließen seien jedoch ähnliche Delikte im Zusammenhang mit der Gewerbeausübung.

Aufgrund der Eigenart der strafbaren Handlung, welche im Zusammenhang mit der Gewerbeausübung erfolgt sei, und der Persönlichkeit des Verurteilten könne die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes des Kraftfahrzeugtechnikers nicht ausgeschlossen werden. Sein wiederholtes aggressives und uneinsichtiges Auftreten gegenüber den Organen der Justiz und der Verwaltung zeige sich auch bei zahlreichen abgeschlossenen und anhängigen Verfahren der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten. Herr A sei für Erläuterungen zu Rechtsgrundlagen nicht zugänglich und fühle sich von der Justiz und sämtlichen Behörden ungerecht behandelt. Die Art der Tat, die Person des Rechtsbrechers, der Grad seiner Schuld und sein Verhalten sowohl vor als auch nach der Tat würden ein Charakterbild zeigen, aus dem der Schluss gezogen werden könne, dass er eine ablehnende Einstellung gegenüber rechtlich geschützten Werten und keinerlei Unrechtsbewusstsein aufweise.

Zudem sei mit Beschluss des Bezirksgerichts *** vom 17.3.2021, ***, Frau B zur einstweiligen Erwachsenenvertreterin zur Besorgung dringender Angelegenheiten für die Vertretung in Verwaltungsverfahren, verwaltungsgerichtlichen Verfahren und in gerichtlichen Verfahren für Herrn A bestellt worden. Die Abwicklung von Rechtsgeschäften sei bei einem Gewerbebetrieb unumgänglich. Herr A sei nicht gewillt, den Betrieb ordnungsgemäß zu führen und aufgrund der Bestellung einer Erwachsenvertretung auch nicht mehr eigenberechtigt.

Aufgrund der Gesamtumstände könne somit eine positive Prognose nicht abgegeben werden.

Dagegen hat Herr A persönlich mit Schreiben vom 17. August 2021 Beschwerde erhoben (von ihm als Einspruch bezeichnet) und vorgebracht, dass er aufgrund der Verweigerung der Akteneinsicht keinen vollständigen Einspruch machen könne. Die Angaben der Behörde seien nicht richtig. Es seien nur die Fakten verwendet worden, die den angedrohten Gewerbeentzug berechtigen würden. Fakten, die den Gewerbebezug nicht berechtigen würden, seien nicht berücksichtigt worden. Nach einem nicht an ihn adressierten Schreiben habe der Masseanwalt angeblich nicht richtig gehandelt.

Sinngemäß wurde damit die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Mit Schreiben vom 19. August 2021 hat die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten die Beschwerde samt dem bezughabenden Verwaltungsakt dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem Ersuchen um Entscheidung vorgelegt. Unter einem wurde mitgeteilt, dass auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werde.

Mit Schreiben das Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 31. August 2021 wurde die mit Beschluss des Bezirksgerichts *** vom 17.3.2020, ***, gemäß § 120 AußStrG bestellte einstweilige Erwachsenenvertreterin von Herrn A gemäß § 13 Abs. 3 AVG 1991 zur Erklärung aufgefordert, ob sie die Erhebung der Beschwerde im Sinne des § 865 Abs. 3 ABGB in Verbindung mit § 9 AVG genehmige.

Mit Schreiben vom 8. September 2021 wurde die Genehmigung zur Erhebung der Beschwerde durch den Betroffenen selbst bekannt gegeben.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten unbedenklichen Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten zur Zahl *** sowie in die Ediktsdatei betreffend A.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat dazu wie folgt erwogen:

Folgende Feststellungen sind entscheidungsrelevant:

Der nunmehrige Beschwerdeführer ist Inhaber der Gewerbeberechtigung für das reglementierte Gewerbe „Kraftfahrzeugmechaniker, am Standort eingeschränkt auf den Bürobetrieb“ im Standort ***, *** (GISA-Zahl ***).

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes *** vom 23. Februar 2018, ***, wurde der nunmehrige Beschwerdeführer für schuldig erkannt, dass er in *** als zur wiederkehrenden Begutachtung von Fahrzeugen und Ausstellung von Gutachten gemäß § 57a Abs. 4 KFG 1967 ermächtigte geeignete Person im Sinne des § 57a Abs. 2 KFG 1967, sohin als Beamter, mit dem Vorsatz, den Staat in seinem auf Überprüfung der Verkehrs- und Betriebssicherheit von Kraftfahrzeugen gemäß § 57a KFG 1967 gerichteten Recht zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung des Gesetzes Amtsgeschäfte, nämlich die wiederkehrende Begutachtung von Fahrzeugen und Ausstellung von Gutachten im Sinne des § 57a KFG 1967 vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht hat, dass er

1.   im Zeitraum vom 27.1.2016 bis 7.4.2016 bei insgesamt 17 Überprüfungen von einspurigen Kraftfahrzeugen der Klasse L1e (4 Stück) sowie L3e (13 Stück) die Abbremsung bezogen auf die Hinterradbremsanlage tatsachenwidrig jeweils mit 71,05 % im Gutachten vermerkt hat, ohne tatsächlich eine derartige Überprüfung der Bremswerte vorgenommen zu haben;

2.   im Zeitraum vom 2.1.2016 bis 2.4.2016 bei 38 Gutachten bezüglich einer Überprüfung gemäß § 57a KFG 1967 von mehrspurigen Kraftfahrzeugen tatsachenwidrig, ohne tatsächlich eine derartige Überprüfung der Bremswerte vorgenommen zu haben, völlig idente Bremswerte an der zweiten Achse (links 0,84 kN und rechts 0,96 kN) eingetragen hat.

Wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB wurde über ihn gemäß § 302 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Monaten verhängt, welche unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Diese Verurteilung ist noch nicht getilgt.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts *** vom 17.3.2020, ***, wurde Rechtsanwältin B, ***, *** für A gemäß § 120 AußStrG zur einstweiligen Erwachsenenvertreterin zur Vertretung in Verwaltungsverfahren und verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie zur Vertretung in gerichtlichen Verfahren bestellt.

Mit Beschluss des Landesgerichtes *** vom 17.2.2021 zur Zl. ***, wurde über das Vermögen von A, geb. ***, das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet und Rechtsanwalt C, ***, *** zum Masseverwalter bestellt, welcher mit Schreiben vom 4.3.2021 und vom 28.4.2021 den Fortbetrieb des Gewerbes angezeigt hat.

Mit Beschluss vom 23. September 2021 wurde die Bezeichnung des Verfahrens auf Konkursverfahren abgeändert.

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2021 wurde die Schließung des Unternehmens angeordnet, die Schlussrechnung des Masseverwalters genehmigt und der Konkurs mangels Kostendeckung aufgehoben.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rekurs eingelangt, über den noch nicht entschieden wurde. Das Konkursverfahren ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung nicht aufgehoben.

Zu diesen Feststellungen gelangt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich aufgrund folgender Beweiswürdigung:

Diese Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen vorgelegten Verwaltungsakt, in dem auch die Kopie des Urteils des Landesgerichtes *** vom 23. Februar 2018, ***, enthalten ist. Die Feststellungen betreffend das Insolvenzverfahren beruhen auf der Einsichtnahme in die Ediktsdatei.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat dazu in rechtlicher Hinsicht erwogen:

Gemäß § 17 VwGVG sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles ... und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Folgende rechtliche Bestimmungen kommen zur Anwendung:

§ 38 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) lautet auszugsweise:

(1) Das Recht, gewerbsmäßig Tätigkeiten auszuüben (Gewerbelizenz), und das Recht, ein Gewerbe auszuüben (Gewerbeberechtigung), sind persönliche Rechte, die nicht übertragen werden können; sie können durch Dritte nur insoweit ausgeübt werden, als in diesem Bundesgesetz bestimmt ist.

...

(5) Als Gewerbetreibender im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, sofern nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, der Gewerbeinhaber einschließlich des Fortbetriebsberechtigten zu verstehen.

§ 41 Abs. 1 Z. 4 und Abs. 5 GewO 1994 lauten auszugsweise:

(1) Das Recht, einen Gewerbebetrieb auf Grund der Gewerbeberechtigung einer anderen Person fortzuführen (Fortbetriebsrecht), steht zu:

        

4.

der Insolvenzmasse;

        

(5) Steht das Fortbetriebsrecht der Verlassenschaft oder der Insolvenzmasse zu, tritt der Vertreter der Verlassenschaft oder der Insolvenzverwalter mit dem Einlangen der Anzeige des Fortbetriebes in die Funktion des Geschäftsführers ein. Er gilt nicht als Geschäftsführer, wenn mit der Ausübung des Gewerbes ohne Geschäftsführer Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen verbunden sind. In diesem Fall hat der Fortbetriebsberechtigte einen Geschäftsführer zu bestellen.

§ 44 GewO 1994 lautet:

Das Fortbetriebsrecht der Insolvenzmasse entsteht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gewerbeinhabers. Der Insolvenzverwalter hat jedoch den Fortbetrieb ohne unnötigen Aufschub der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen (§ 345 Abs. 1). Er kann auch nach Maßgabe des § 43 Abs. 3 auf das Fortbetriebsrecht verzichten. Das Fortbetriebsrecht der Insolvenzmasse endet mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens.

§ 87 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 lautet:

(1) Die Gewerbeberechtigung ist von der Behörde (§ 361) zu entziehen, wenn

1.

auf den Gewerbeinhaber die Ausschlußgründe gemäß § 13 Abs. 1 oder 2 zutreffen und nach der Eigenart der strafbaren Handlung und nach der Persönlichkeit des Verurteilten die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes zu befürchten ist

….

§ 13 Abs. 1 GewO 1994 lautet:

(1) Natürliche Personen sind von der Ausübung eines Gewerbes ausgeschlossen, wenn sie

1.

von einem Gericht verurteilt worden sind

a)

wegen betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen und Zuschlägen nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (§ 153d StGB), organisierter Schwarzarbeit (§ 153e StGB), betrügerischer Krida, Schädigung fremder Gläubiger, Begünstigung eines Gläubigers oder grob fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (§§ 156 bis 159 StGB) oder

b)

wegen einer sonstigen strafbaren Handlung zu einer drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen und

2.

die Verurteilung nicht getilgt ist.

Von der Ausübung eines Gastgewerbes sind natürliche Personen ausgeschlossen, wenn gegen sie eine nicht getilgte gerichtliche Verurteilung wegen Übertretung der §§ 28 bis 31a des Suchtmittelgesetzes, BGBl. I Nr. 112/1997, in der jeweils geltenden Fassung, vorliegt. Bei Geldstrafen, die nicht in Tagessätzen bemessen sind, ist die Ersatzfreiheitsstrafe maßgebend. Bei Verhängung einer Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe sind Freiheitsstrafe und Ersatzfreiheitsstrafe zusammenzuzählen. Dabei ist ein Monat dreißig Tagen gleichzuhalten. Die Bestimmungen dieses Absatzes gelten auch, wenn mit den angeführten Ausschlussgründen vergleichbare Tatbestände im Ausland verwirklicht wurden.

Vorweg ist zur Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtes folgendes festzuhalten:

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid und die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Eine Auslegung des § 27 VwGVG dahingehend, dass die Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte stark eingeschränkt zu verstehen wäre, ist nach der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. VwGH 16.3.2016, Ra 2015/04/0042) unzutreffend. Der Wortlaut „auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4)“ in § 27 stellt nach Ansicht des VwGH lediglich klar, dass sich das Verwaltungsgericht sowohl mit den Beschwerdegründen als auch mit dem Begehren der beschwerdeführenden Partei im Rahmen der Prüfung des bei ihm angefochtenen Bescheids inhaltlich auseinanderzusetzen hat und dass der Gesetzgeber den Prüfungsumfang nicht ausschließlich an das Vorbringen der jeweiligen beschwerdeführenden Partei binden wollte (s etwa VwGH 9.9.2015, Ro 2015/03/0032, 0031; 6.4.2016, Ro 2015/03/0026; 16.3.2016, Ra 2015/04/0042). Von einem Beschwerdeführer kann nicht erwartet werden, dass er in seiner Beschwerde sämtliche rechtlichen Angriffspunkte aufzeigt. Die Prüfungsbefugnis der Verwaltungsgerichte ist aber keine unbegrenzte. Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis ist die „Sache“ des bekämpften Bescheides (vgl. VwGH 26.3.2015, Ra 2014/07/0077). Das bedeutet, dass das Verwaltungsgericht nicht an die geltend gemachten Beschwerdepunkte bzw. das Beschwerdevorbringen gebunden ist, sondern – solange die „Sache“ des bekämpften Bescheids nicht überschritten wird –befugt (und auch verpflichtet) ist, Rechtswidrigkeitsgründe aufzugreifen, die in der Beschwerde nicht vorgebracht wurden (vgl. insb. VwGH 26.3.2015, Ra 2014/07/0077; 29.4.2015, Ra 2015/03/0015; 12.1.2016, Ra 2014/08/0028; 27.1.2016, Ra 2014/10/0003; 16.3.2016, Ra 2015/04/0042; 16.4.2016, Ro 2015/03/0026; vgl. Müller in Raschauer/Wessely, VwGVG § 27 Rz 5, rdb.at, mwN).

Voraussetzung einer Entziehung gemäß § 87 Abs. 1 Z. 1 Gewerbeordnung 1994 ist, dass auf einen Gewerbeinhaber ein Ausschlussgrund gemäß § 13 Abs. 1 oder 2 zutrifft, wobei als weiteres Tatbestandselement hinzukommt, dass nach der Eigenart der strafbaren Handlung und nach der Persönlichkeit des Verurteilten die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes zu befürchten ist.

Weitere Tatbestandsvoraussetzung für eine Entziehung der Gewerbeberechtigung nach § 87 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Gewerbeordnung 1994 ist, dass die strafgerichtliche Verurteilung doch nicht getilgt ist.

Dazu wurde festgestellt, dass der nunmehrige Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes *** von 23.2.2018, Zahl ***, gemäß § 302 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt worden ist, welche für die Dauer der Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Aufgrund dieser Verurteilung durch das Landesgericht *** zu einer Freiheitstrafe von 20 Monaten, welche noch nicht getilgt ist, liegt somit der Gewerbeausschlussgrund des § 13 Abs. 1 Z. 1 lit. b GewO 1994 vor, sodass zu prüfen ist, ob nach der Eigenart der strafbaren Handlung und nach der Persönlichkeit des Verurteilten die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes zu befürchten ist.

Ohne auf diese Prognose eingehen zu müssen, ob nach der Eigenart der strafbaren Handlung und nach der Persönlichkeit des Verurteilten die Begehung gleicher oder ähnlicher Straftaten zu befürchten ist, ist zum Tatbestandselement „bei Ausübung des Gewerbes“ folgendes festzuhalten:

Das Ermittlungsverfahren hat erbracht, dass mit Beschluss des Landesgerichtes *** vom 17. Februar 2021 das Konkursverfahren über das Vermögen von A eröffnet wurde, wobei der Konkurs nach wie vor nicht aufgehoben ist.

Nach § 38 Abs. 5 GewO 1994 ist als Gewerbetreibender im Sinne dieses Bundesgesetzes, sofern nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, der Gewerbeinhaber einschließlich des Fortbetriebsberechtigten zu verstehen. Das Recht, einen Gewerbebetrieb auf Grund der von einer anderen Person erstatteten Gewerbeanmeldung oder der dieser erteilten Konzession fortzuführen (Fortbetriebsrecht) steht nach § 41 Abs. 1 Z. 4 GewO 1994 der Insolvenzmasse zu, wobei im Fall der Insolvenz der Gewerbeinhaber sein Gewerberecht selbst nicht ausüben darf. Das Fortbetriebsrecht der Insolvenzmasse entsteht zusätzlich zur Gewerbeberechtigung des Gewerbeinhabers (vgl. VwGH 20.9.1994, 94/04/0039; 8.2.1994, 93/08/0161), welche erst mit einer allfälligen Entziehung der Gewerbeberechtigung durch die Behörde endet. Die Gewerbeberechtigung besteht, unbeschadet der fehlenden Berechtigung, diese während des Konkursverfahrens auszuüben, bis dahin - neben dem Fortbetriebsrecht des Masseverwalters auf Rechnung der Konkursmasse nach § 41 Abs. 1 Z. 4 und § 44 Gewerbeordnung weiter (vgl. VwGH 8.2.1994, 93/08/0161 mit Hinweis auf E 11.5.1977, 399/76, VwSlg 9318 A/1977; E 30.5.1980, 514/79; E 30.3.1993, 91/04/0020).

Aufgrund der Regelungen in der Gewerbeordnung steht somit fest, dass zwischen der Gewerbeberechtigung als höchstpersönlichem Recht des Gewerbeinhabers und dem Fortbetriebsrecht der Insolvenzmasse zu unterscheiden ist. Da der nunmehrige Beschwerdeführer aufgrund des nach wie vor nicht aufgehobenen Konkursverfahrens zwar weiterhin Inhaber der Gewerbeberechtigung ist, diese jedoch während des Konkursverfahrens nicht ausüben darf, ist die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bis zur Aufhebung des Konkurses gar nicht möglich. Damit war das Tatbestandsmerkmal der Befürchtung einer gleichen oder ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes gemäß § 87 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht gegeben und ist es auch nicht zum Zeitpunkt dieses Erkenntnisses.

Der angefochtene Bescheid war daher spruchgemäß aufzuheben.

Die mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht das gegenständliche Erkenntnis von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Gewerbliches Berufsrecht; Gewerbeberechtigung; Entziehung; Insolvenzverfahren;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.AV.1358.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.04.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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