TE OGH 2022/1/25 10ObS107/21i

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Veröffentlicht am 25.01.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Haymo Modelhart, Dr. Elisabeth Humer-Rieger und Mag. Katrin Riesenhuber, Rechtsanwälte in Linz, wegen Krankengeld, über den außerordentlichen Revisionsrekurs und die Revision der beklagten Partei gegen den Beschluss und das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungs- und Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. April 2021, GZ 11 Rs 21/21v-9, womit der Beschluss und das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. Oktober 2020, GZ 16 Cgs 171/20y-5, abgeändert wurden, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]            Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Krankengeldanspruchs nach § 139 Abs 2a ASVG in Fällen, in denen das Krankengeld, das der Versicherte zum Zeitpunkt des Erreichens der Höchstdauer des Krankengeldanspruchs nach § 139 Abs 1 und 2 ASVG bezog, nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG zur Hälfte ruhte.

[2]            Der Kläger, der in einem aufrechten Dienstverhältnis steht, beantragte am 2. 12. 2019 bei der Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung einer Invaliditätspension. Gegen den ablehnenden Bescheid vom 13. 3. 2020 erhob er am 9. 6. 2020 zur AZ * Klage beim Landesgericht *. Dieses Verfahren war zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz im vorliegenden Verfahren noch anhängig.

[3]            Der Kläger ist seit 8. 3. 2019 arbeitsunfähig infolge Krankheit. Er bezog bis 12. 5. 2020 Krankengeld in Höhe von 47,27 EUR täglich. Vom 13. 5. 2020 bis zum 10. 7. 2020 hatte er gegenüber seinem Dienstgeber Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Ausmaß von 100 %. Vom 11. 7. 2020 bis zum 7. 8. 2020 hatte er gegenüber seinem Dienstgeber Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Ausmaß von 50 %. Er bezog daneben Krankengeld in Höhe von 23,64 EUR täglich, wobei sein Krankengeldanspruch aus diesem Versicherungsfall wegen Erreichens der Höchstanspruchsdauer von 52 Wochen am 21. 7. 2020 endete.

[4]            Für den anschließenden Zeitraum ab dem 22. 7. 2020 hatte der Kläger bereits im Mai 2020 Krankengeld gemäß § 139 Abs 2a ASVG beantragt. Mit Schreiben vom 4. 8. 2020 bescheinigte die beklagte Österreichische Gesundheitskasse die Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab dem 22. 7. 2020 und gab die Höhe seines Krankengeldanspruchs ab dem 22. 7. 2020 mit 23,64 EUR – somit in jener Höhe, in der dem Kläger bis 21. 7. 2020 das Krankengeld neben der Entgeltfortzahlung seines Dienstgebers im Umfang von 50 % ausgezahlt worden war – bekannt. Der Kläger beantragte daraufhin die Erlassung eines Bescheids mit der Begründung, die Höhe des Krankengeldes sei unrichtig.

[5]            Mit Bescheid vom 10. 8. 2020 sprach die Beklagte aus, der Antrag des Klägers auf Zahlung eines 23,64 EUR übersteigenden Krankengeldes gemäß § 139 Abs 2a ASVG ab 8. 8. 2020 – also für den Zeitraum nach Ablauf der Entgeltfortzahlung des Dienstgebers des Klägers im Umfang von 50 % – werde abgelehnt. Begründend wird ausgeführt, das dem Kläger zuletzt, nämlich am 21. 7. 2020 gebührende Krankengeld habe aufgrund der Lohnfortzahlung im Ausmaß von 50 % nur 23,64 EUR betragen. Dieser Betrag erhöhe sich auch nicht durch den Wegfall der Lohnfortzahlung ab dem 8. 8. 2020.

[6]            Mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger die Leistung eines Krankengeldes gemäß § 139 Abs 2a ASVG in Höhe von 47,27 EUR täglich ab dem 22. 7. 2020.

[7]            Die Beklagte bestritt das Klagebegehren mit der Begründung, aufgrund des Ruhens des Krankengeldanspruchs zur Hälfte habe der Kläger zum Zeitpunkt des Endens seines Krankengeldanspruchs (der Aussteuerung) Krankengeld nur in Höhe von 23,64 EUR gebührt.

[8]            Das Erstgericht wies das Klagebegehren für den Zeitraum von 22. 7. 2020 bis 7. 8. 2020 wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück, weil der Bescheid darüber nicht abgesprochen habe. Im Übrigen, also für den Zeitraum ab 8. 8. 2020, verpflichtete es die Beklagte zur Zahlung eines Krankengeldes von 23,64 EUR täglich und wies das Mehrbegehren auf Leistung eines höheren Krankengeldes ab.

[9]            Dagegen erhob der Kläger Rekurs und Berufung, wobei er für den Zeitraum von 22. 7. 2020 bis 7. 8. 2020 nur noch die Zuerkennung eines Krankengeldes von 23,64 EUR täglich begehrte.

[10]           Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs und der Berufung des Klägers Folge, behob den Zurückweisungsbeschluss und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger ein Krankengeld von 23,64 EUR für den Zeitraum von 22. 7. 2020 bis 7. 8. 2020 und von 47,27 EUR täglich ab 8. 8. 2020, solange die Arbeitsunfähigkeit des Klägers infolge Krankheit andauert, längstens bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens * des Landesgerichts *, zu zahlen.

[11]           Es sprach aus, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig sei, ließ jedoch die Revision zu, weil zur Höhe des Krankengeldanspruchs nach § 139 Abs 2a ASVG nach Wegfall der Entgeltfortzahlung durch den Dienstgeber keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

[12]           Rechtlich führte es aus, die Beklagte habe im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebracht, auch über die Höhe des Krankengeldes für den Zeitraum ab 22. 7. 2020 absprechen zu wollen. In der Sache erörterte es, § 139 ASVG regle nur die Anspruchsdauer, während sich die Höhe nach § 141 ASVG richte. Dabei sei auf die Ruhensbestimmung des § 143 ASVG Bedacht zu nehmen. § 139 Abs 2a ASVG sei eingeführt worden, um eine Versorgungslücke für Personen in einem aufrechten Dienstverhältnis, die die Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit beantragten, zu schließen. Unter Außerachtlassung der Ruhensbestimmungen betrage die Höhe des Krankengeldanspruchs des Klägers 42,27 EUR. Gemäß § 143 Abs 1 Z 3 ASVG ruhe das Krankengeld zur Hälfte, solange der Versicherte Anspruch auf Weiterleistung von 50 % der vollen Geld- und Sachbezüge vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit habe. Unter Berücksichtigung dieser Ruhensbestimmung ruhe der Krankengeldanspruch des Klägers im Zeitraum von 11. 7. 2020 bis 7. 8. 2020 zur Hälfte, sodass nur 23,67 EUR täglich auszuzahlen seien. Setze man für die Zeit nach dem Wegfall der Entgeltfortzahlung das Krankengeld in derselben Höhe fest, werde der Entfall des Ruhenstatbestands ab dem 8. 8. 2020 außer Acht gelassen. Die Ruhensbestimmungen bezweckten die Verhinderung einer Doppelversorgung durch Sistierung der Leistungspflicht des Versicherers, der Anspruch bleibe aber gewahrt. Mit Wegfall des Ruhensgrundes lebe die Wirksamkeit des Leistungsanspruchs wieder auf. Der Ruhensgrund der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber sei am 8. 8. 2020 weggefallen, sodass die Pflicht zur Leistung des Krankengeldes wieder in voller Höhe bestehe. Nur so könne die Zielsetzung des § 139 Abs 2a ASVG, Versorgungslücken zu schließen, erreicht werden.

[13]           Gegen diese Entscheidung richten sich der außerordentliche Revisionsrekurs und die Revision der Beklagten, mit denen sie beantragt, die klagezurückweisende und die klageabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

[14]     Der Kläger beantragt in seiner Rechtsmittelbeantwortung, den außerordentlichen Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben, und der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[15]           Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig. Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Zum Revisionsrekurs

[16]           1.1. Dass im vorliegenden Fall ein Bescheid vorliegt, ist nicht strittig; unterschiedliche Rechtsansichten werden zu der durch Auslegung zu klärenden Frage vertreten, ob im Bescheid auch über den Zeitraum von 22. 7. 2020 bis 7. 8. 2020 abgesprochen wurde.

[17]           1.2. Angesichts der im Bescheid enthaltenen ausdrücklichen Stellungnahme zur Anspruchshöhe ab 22. 7. 2020 ist die vom Rekursgericht vorgenommene Auslegung vertretbar und begründet wegen ihrer Einzelfallbezogenheit (vgl 4 Ob 193/15h; RS0044298 [T60]) keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung.

Zur Revision

[18]           2.1. Nach der mit dem SozialrechtsÄnderungsgesetz 2015 (SRÄG 2015, BGBl I 2015/162) neu geschaffenen Bestimmung des § 139 Abs 2a ASVG ist Personen in einem aufrechten Dienstverhältnis, bei denen die Höchstdauer ihres Krankengeldanspruchs [ergänze: nach § 139 Abs 1 und 2 ASVG] abgelaufen ist, die einen ablehnenden Bescheid des Pensionsversicherungsträgers über eine beantragte Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension erhalten haben und keinen Anspruch auf Rehabilitationsgeld haben, Krankengeld in der zuletzt bezogenen Höhe ab dessen Antragstellung beim Krankenversicherungsträger und längstens bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens vor den ordentlichen Gerichten zu gewähren, jedoch nur solange die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit andauert.

[19]           2.2. Nach den Materialien sollte mit dieser Bestimmung eine Versorgungslücke beseitigt werden, die durch die Änderungen beim Pensionsvorschuss im Rahmen des 2. Stabilitätsgesetzes 2012 (BGBl I 2012/35) für Personen, die sich trotz langem Krankenstand noch in einem aufrechten Dienstverhältnis befinden, entstehen konnte. Das sei dann der Fall, wenn diese Personen einen ablehnenden Bescheid des Pensionsversicherungsträgers über eine beantragte Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension erhalten hätten, da das Kompetenzzentrum Begutachtung die Arbeitsfähigkeit festgestellt habe, und sie diesen vor dem Arbeits- und Sozialgericht bekämpften. Wegen des langen Krankenstands bestehe für diese Personen wegen Ablaufs der Höchstdauer kein Anspruch auf Krankengeld mehr, aufgrund des aufrechten Dienstverhältnisses hätten sie auch keinen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, da der Anspruch auf Pensionsvorschuss nur mehr bis zur Entscheidung des Pensionsversicherungsträgers gewährt werde. Dadurch hätten diese Personen für die Zeit des laufenden Pensionsverfahrens, in der das Dienstverhältnis aufrecht bleibe, keinerlei Einkommen. Diese Versorgungslücke solle durch § 139 Abs 2a ASVG geschlossen werden (ErläutRV 900 BlgNR 25. GP 20).

[20]           3.1. Die Höhe des Krankengeldes ist, wie das Berufungsgericht bereits zutreffend ausführte, in § 141 ASVG geregelt. § 143 ASVG ordnet das Ruhen des Krankengeldanspruchs in den dort normierten Fällen an. Nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange der Versicherte aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Weiterleistung von mehr als 50 vH der vollen Geld- und Sachbezüge vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hat; besteht ein Anspruch auf Weiterleistung von 50 vH dieser Bezüge, so ruht das Krankengeld zur Hälfte.

[21]           3.2. Das Ziel der meisten Ruhensbestimmungen besteht darin, Leistungen dann nicht zu gewähren, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist. Der Grund für diesen Wegfall des Sicherungsbedürfnisses kann im Bezug einer anderen funktionsgleichen Leistung liegen. Den Zielsetzungen entsprechend bleibt trotz des Eingreifens von Ruhensbestimmungen der Anspruch auf die ruhenden Leistungen gewahrt, es wird lediglich die Leistungspflicht des Versicherungsträgers sistiert, solange der Ruhensgrund andauert (vgl RIS-Justiz RS0083756). Fällt der Ruhensgrund weg, so lebt die Wirksamkeit des Leistungsanspruchs von selbst wieder auf, und zwar mit dem Zeitpunkt des Wegfalls des Ruhensgrundes (RS0083756 [T1] = 10 ObS 33/95 SSV-NF 9/33).

[22]           4.1. Entscheidend ist im vorliegenden Fall die Auslegung der Wortfolge „ist Krankengeld in der zuletzt bezogenen Höhe […] zu gewähren“ in § 139 Abs 2a ASVG. Einigkeit besteht darüber, dass der angesprochene Vergleichszeitpunkt („zuletzt“) der Zeitpunkt des Endens des Krankengeldanspruchs nach Ablauf der Höchstanspruchsdauer nach § 139 Abs 1 und 2 ASVG ist.

[23]           4.2. Die Beklagte leitet aus der Bezugnahme auf die „bezogene“ Höhe ab, dass der Auszahlungsbetrag maßgeblich sei, sodass ein teilweises Ruhen des Anspruchs zum Zeitpunkt des Erreichens der Höchstbezugsdauer nach § 139 Abs 1 und 2 ASVG auf die Höhe des Krankengeldes gemäß § 139 Abs 2a ASVG durchschlage.

[24]           4.3. Die systematische Interpretation sowie teleologische Erwägungen sprechen jedoch gegen dieses Auslegungsergebnis.

[25]           4.4. In den von § 139 Abs 2a ASVG geregelten Fällen tritt nach Ablauf der Höchstbezugsdauer gemäß § 139 Abs 1 und 2 ASVG kein neuer Versicherungsfall ein. § 139 ASVG regelt nur die Dauer des Krankengeldanspruchs, während sich die Höhe des Krankengeldes aus § 141 ASVG ergibt. Aus der systematischen Stellung des § 139 Abs 2a ASVG ergibt sich somit, dass es sich bei dieser Bestimmung lediglich um eine Verlängerung der Anspruchsdauer handelt, wobei dafür neben den allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des § 138 ASVG (zur Maßgeblichkeit des § 138 ASVG für die Anspruchsberechtigung nach § 139 Abs 2a ASVG vgl 10 ObS 84/18b SSV-NF 32/65) zusätzlich die in § 139 Abs 2a ASVG normierten Voraussetzungen (aufrechtes Dienstverhältnis, ablehnender Pensionsbescheid des Pensionsversicherungsträgers, kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld, Antragstellung) erfüllt sein müssen. Die systematische Stellung der Regelung in der die Anspruchsdauer betreffenden Norm spricht auch dagegen, den Verweis auf die „zuletzt bezogene Höhe“ als eigenständige Regelung der Anspruchshöhe aufzufassen. Darin ist vielmehr bloß ein Verweis auf die nach § 141 ASVG zu ermittelnde Höhe des Krankengeldes zu sehen.

[26]           4.5. Gegen die von der Beklagten vertretene Auffassung sprechen darüber hinaus der vom Gesetzgeber mit der Schaffung des § 139 Abs 2a ASVG angestrebte Versorgungszweck und der Zweck der Ruhensbestimmung des § 143 ASVG. § 143 ASVG soll eine Doppelversorgung des Versicherten für Zeiträume des Bestehens eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung gegen den Dienstgeber vermeiden (vgl RS0083756). Fällt der Ruhenstatbestand weg, besteht auch kein Grund mehr für eine (teilweise) Sistierung der Leistungspflicht des Versicherungsträgers.

[27]           4.6. Sachliche Gründe dafür, den Umfang der Absicherung der Versicherten für den gesamten Zeitraum der durch § 139 Abs 2a ASVG eröffneten Verlängerung der Bezugsdauer davon abhängig zu machen, ob punktuell am letzten Tag der Höchstbezugsdauer des § 139 Abs 1 oder 2 ASVG ein Ruhenstatbestand erfüllt war, sind nicht ersichtlich. § 143 ASVG ist – mangels Ausnahme – zudem ohnehin auch auf den durch § 139 Abs 2a ASVG verlängerten Anspruchszeitraums anzuwenden. Liegt daher am Beginn oder während dieses Zeitraums ein Ruhensgrund vor, so tritt (teilweises) Ruhen des Anspruchs ein; fällt der Ruhensgrund weg, erlangt der Leistungsanspruch wieder seine volle Wirksamkeit.

[28]           5.1. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger von 22. 7. 2020 bis 7. 8. 2020 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Umfang von 50 % gegen seinen Dienstgeber. Während dieses Zeitraums war der Ruhenstatbestand des § 143 Abs 1 Z 3 zweiter Fall ASVG erfüllt. Der Kläger hatte daher für diesen Zeitraum nur Anspruch auf die Leistung von Krankengeld in Höhe von 50 %, also in Höhe von 23,47 EUR täglich. Diesem Umstand trug er durch seinen eingeschränkten Berufungsantrag Rechnung.

[29]           Ab dem 8. 8. 2020 war der Ruhensgrund weggefallen, sodass der Kläger ab diesem Tag Anspruch auf Krankengeld in Höhe von 47,27 EUR hat.

[30]           6. Der Revision der Beklagten ist daher nicht Folge zu geben.

[31]           Im Ergebnis ist festzuhalten: § 139 Abs 2a ASVG normiert unter bestimmten Voraussetzungen eine Verlängerung der Dauer des Krankengeldanspruchs, enthält aber keine eigenständige Regelung der Höhe des Krankengeldes. § 143 ASVG ist auch auf den durch § 139 Abs 2a ASVG verlängerten Anspruchszeitraums anzuwenden. Liegt zu Beginn oder während dieses Zeitraums ein Ruhensgrund vor, so tritt (teilweises) Ruhen ein; fällt der Ruhensgrund weg, erlangt der Leistungsanspruch wieder seine volle Wirksamkeit.

[32]           7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

Textnummer

E134078

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00107.21I.0125.000

Im RIS seit

11.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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