TE Vfgh Erkenntnis 2021/11/29 E3212/2020

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Veröffentlicht am 29.11.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen von Myanmar nach Bangladesch geflüchteten Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya mangels Auseinandersetzung mit den Länderberichten im Hinblick auf die Situation von Angehörigen dieser Volksgruppe

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der am 31. Dezember 1973 geborene Beschwerdeführer stellte am 19. Februar 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass er gemeinsam mit seinen Familienangehörigen im Jahr 1992 von Myanmar nach Bangladesch geflohen sei. Im Jahr 2000 habe er eine Bengalin gegen den Willen ihrer Familie geheiratet. Am 5. Oktober 2013 sei um Mitternacht sein Schwager mit zehn bis zwölf Polizisten gekommen, sie hätten ihn geschlagen und mitgenommen. Zwei Tage lang hätten sie ihn misshandelt und ihm aufgetragen, er solle sich von seiner Ehefrau und den gemeinsamen Söhnen fernhalten. Dieses Ereignis sei der Grund für seine Flucht aus Bangladesch im November 2013 gewesen.

2. Mit Bescheid vom 7. Jänner 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig ist, und setzte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 18. August 2020 als unbegründet ab.

3.1. Zunächst trifft das Bundesverwaltungsgericht ua folgende Feststellungen (ohne Hervorhebungen im Original):

"II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der volljährige BF ist in Myanmar geboren und als Flüchtling mit seinen Eltern und Geschwistern nach Bangladesch im Jahr 1992 eingereist. Der BF sieht sich als Rohingya und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Identität kann nicht festgestellt werden.

Der BF gab an, dass er als Rikscha-Fahrer gearbeitet und seine Ehefrau aus Liebe geheiratet habe; diese sei Bengalin und habe ihre Familie kein Verständnis für diese Verbindung mit einem Rohingya gehabt. Der BF habe sie traditionell geheiratet und umfasse die Familie mittlerweile zwei Söhne. Seine Familie wohne in einem Slum nahe Chittagong. Er habe regelmäßig Kontakt zu seiner Familie und vermisse sie. Er würde sie gerne nach Österreich bringen. […]

II.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Festgestellt wird, dass der BF behauptet ein Rohingya zu sein und deshalb in Bangladesch nicht als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft akzeptiert werde.

Das BVwG geht davon aus, dass der BF tatsächlich der Gruppe der Rohingyas angehört.

Gegen den BF liegt weder eine Anzeige noch ein Gerichtsverfahren – weder in Bangladesch noch in Österreich [–] vor. Das BVwG geht davon aus, dass das 'Rohingya-Familienbuch', dokumentiert durch das Gutachten des Bundeskriminalamtes, verfälscht ist, nimmt aber auch die Einstellung des Verfahrens nach §223 StGB der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gegen den BF zur Kenntnis; letztlich sind die Verfälschungen im 'Familienbuch' nicht für die vorliegende Entscheidung relevant.

Der BF ist im Jahr 2013 aus Bangladesch ausgereist, weil sein Schwager (mit polizeilicher Unterstützung) gegen ihn vorgegangen sei; die Familie der Ehefrau des BF habe nicht akzeptiert, dass diese, als Bengalin, einen Rohingya, (traditionell) geheiratet hat. Die Ausreise erfolgte jedoch erst einen Monat nach diesem Vorfall.

Jedenfalls besteht seit längerer Zeit kein Kontakt zwischen der Ehefrau des BF und ihrer Familie. Eine aktuelle oder konkrete 'Verfolgung' aus diesem Grund liegt jedenfalls nicht vor.

Ein weiteres substantiiertes Fluchtvorbringen wurde nicht erstattet. […]"

3.2. Beweiswürdigend hält das Bundesverwaltungsgericht dazu auszugsweise fest (ohne Hervorhebungen im Original):

"Die Identität, auch nicht die behauptete Zugehörigkeit zu den Rohingya, konnte mangels Vorlage unbedenklicher und unverfälschter Dokumente nicht festgestellt werden, das BVwG geht jedoch in der Beurteilung des Falles davon aus, dass die Eltern des BF mit ihren drei Kindern, darunter der BF, als Flüchtlinge von Myanmar nach Bangladesch gekommen sind. […]

II.2.2. Dem Fluchtvorbringen des BF, aufgrund seiner behaupteten Zugehörigkeit zu den Rohingyas einer besonderen persönlichen Verfolgung ausgesetzt zu sein, sprach bereits das BFA die Glaubhaftigkeit ab. Diese Beurteilung ist nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis nicht zu beanstanden, das konkrete Fluchtvorbringen des BF ist unter Berücksichtigung der folgenden Erwägungen jedenfalls als nicht glaubhaft zu bewerten. […]

Es ist dem BF nicht gelungen, eine persönliche, individuelle Verfolgung allein und ausschließlich auf Grund der Tatsache, dass er der Volksgruppe der Rohingyas zugehörig sei, glaubhaft zu machen. Zwar mag es den Tatsachen entsprechen, dass die Familie der Ehefrau nicht einverstanden war mit der (traditionellen) Verehelichung mit einem wenig gebildeten, von der sozialen Stellung wenig geachteten sowie in einem Slum wohnenden Rohingya, aber ist dies für sich genommen noch kein ausreichender Fluchtgrund. Eine darüber hinaus gehende Verfolgung, welche seine Person betreffe, hat der BF nicht ausgeführt oder behauptet. Die Stellung des BF auch innerhalb der Volksgruppe der Rohingyas war nicht herausragend, sodass auf Grund dieser Stellung eine besondere Verfolgung des BF hervorgekommen wäre. Die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe ist jedoch für sich allein genommen noch kein Asylgrund (VwGH 23.05.1995, 94/20/0816), es bedarf einer individuellen Verfolgung. Eine derartige Verfolgung konnte der BF auch in der Verhandlung vor dem BVwG nicht darlegen.

Eine derartige Verfolgung bzw (sowohl subjektive als auch objektive) Furcht vor einer Verfolgung ist deshalb unglaubwürdig, weil der BF im Rahmen der Verhandlung vor dem BVwG zugeben musste, dass zwar die Familie seiner Ehefrau nicht mit ihrer Heirat einverstanden war, jedoch der Kontakt zwischen seiner Ehefrau und ihrer ursprünglichen Familie offensichtlich schon seit längerem nicht mehr besteht und mittlerweile ein derartiger Kontakt auch wechselseitig gar nicht mehr gesucht oder angestrebt wird. Es ist festzuhalten, dass die Familie der Ehefrau des BF mit dieser die Familienbande gebrochen hat und umgekehrt. Ein weitergehender Vorfall [–] nach dem im Jahr 2013 [–] ist nicht wahrnehmbar.

Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen vermochte der BF im Ergebnis vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht glaubhaft darzulegen, dass die von ihm vorgebrachten Auseinandersetzungen tatsächlich so stattgefunden haben und der BF einer unmittelbaren persönlichen Verfolgungsgefährdung – ausschließlich [–] wegen der Abstammung von Rohingyas – sei es durch die Polizei oder durch Privatpersonen – ausgesetzt gewesen sei.

Im Ergebnis ist dem BF hinsichtlich seines auf Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe bezogenes Fluchtvorbringens bereits auf Grund der oben aufgezeigten Gründe die Glaubwürdigkeit abzusprechen. In einer Gesamtschau der Ausführungen des BF zu seinen Fluchtgründen vermittelte dieser letztlich den Eindruck, eine Verfolgungsgefährdung seiner Person auf Grundlage eines in Bangladesch vorherrschenden Spannungsverhältnisses zu einer Minderheit konstruieren zu wollen. Die Motivation für ein derartiges Vorbringen liegt zweifelsohne in einer schwierigen wirtschaftlichen persönlichen Lage des BF begründet. Diese Beurteilung konnte allein auf Grund der vom BF vor dem BFA bzw dem Bundesverwaltungsgericht getätigten (letztlich im 'Fluchtgeschehen' wenig substantiierten und teilweise nicht plausiblen Angaben) im Rahmen der freien Beweiswürdigung vorgenommen werden. […]"

3.3. In der rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht sodann bezugnehmend auf die Beweiswürdigung auszugsweise weiter aus (ohne Hervorhebungen im Original):

"Auch wenn dem Vorbringen des BF, in Bangladesch aufgrund einer Zugehörigkeit zu den Rohingyas – wobei der BF bereits in Bangladesch geboren wurde [–] seiner Verfolgung durch die Mehrheitsbevölkerung bzw durch die inländischen Behörden ausgesetzt zu sein, die Glaubhaftigkeit abgesprochen wurde, ist der Vollständigkeit halber – wie oben bereits ausgeführt – dennoch darauf hinzuweisen, dass auf Grundlage der getroffenen Länderfeststellungen – auch wenn das politische und rechtsstaatliche System Bangladeschs nicht mitteleuropäischen Standards entspricht – in Bangladesch nicht von einer generellen Schutzunfähigkeit des Staates oder einer flächendeckenden Inhaftierung oder Benachteiligung von Rohingyas (lediglich aufgrund ihrer Zugehörigkeit) auszugehen ist. Es wäre deshalb dem BF auch möglich innerhalb von Bangladesch in andere Landesteile auszuweichen, falls er tatsächlich an seinem bisherigen Aufenthaltsort einer persönlichen Gefährdung ausgesetzt wäre. […]"

4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Beurteilung der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu der Volksgruppe der Rohingya mehrfach widerspreche. Diesbezüglich brachte der Beschwerdeführer zudem erneut vor, dass ihm als Rohingya Verfolgung in Bangladesch bzw im Falle einer Abschiebung in Myanmar drohe, wobei dieses Vorbringen auch mit den Länderberichten im Einklang stünde.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt zunächst fest, "dass der BF tatsächlich der Gruppe der Rohingyas angehört" und gibt in seinem Erkenntnis folgende Länderfeststellungen wieder:

"In Bangladesch halten sich bis zu einer Million Flüchtlinge aus der Volksgruppe der Rohingya auf […]. Etwa 270.000 von ihnen leben in den Dörfern und Städten um Cox's Bazar, seit sie ab den 1990er-Jahren aus Myanmar geflüchtet sind […]. Die Regierung gewährt den Rohingya u. a. mangels Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention kein Asyl und stuft sie als illegale Wirtschaftsflüchtlinge ein […]. Von ihnen leben 33.000 in den zwei offiziellen Flüchtlingslagern Kutupalong und Nqayapara als registrierte, offizielle Flüchtlinge. Zusätzlich befanden sich bereits vor der Flüchtlingswelle 2017 mindestens 200.000 in den Dörfern und Städten um Cox's Bazar, denen die Regierung — u. a. mangels Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention — kein Asyl gewährt, und die daher als illegale Wirtschaftsflüchtlinge gelten. 63.000 leben bei Gastfamilien […]. Die überwiegende Mehrheit der Rohingya verfügt über keinen offiziellen Flüchtlingsstatus und leidet unter einem völligen Mangel an Zugang zu medizinischer Versorgung, Beschäftigung und Bildung und ist erheblichen Schikanen ausgesetzt […]. 2017 setzte eine neue Flüchtlingswelle der Rohingya-Minderheit von Myanmar Richtung Bangladesch ein [...], die mit ca. 700.000 Ankünften bis zum Jahresende 2017 eine humanitäre Krise auslöste […]. Die Regierung Bangladeschs will eine dauerhafte Ansiedlung vermeiden […]. Die Bedingungen in den Lagern verschlechterten sich, als die Regierung den Druck auf die Flüchtlinge erhöhte, nach Myanmar zurückzukehren. Im August 2019 begann Bangladesch zum zweiten Mal damit, Rückführungen von Flüchtlingen nach Myanmar einzuleiten. Dies wurde von den Flüchtlingen aus Sorge darüber, dass sie in Myanmar der gleichen Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt sein würden, abgelehnt […]. Aufgrund der bestehenden Gewalt und Menschenrechtsverletzungen gegen Rohingyas in Myanmar war eine sichere und freiwillige Rückkehr in ihr Herkunftsland bisher nicht möglich […]. Dennoch beharrt die Regierung von Bangladesch weiterhin darauf, dass die Lager nur vorübergehend seien und behinderte Verbesserungen der Infrastruktur, insbesondere in Bezug auf Unterkünfte und Bildung. Auch wurde der Zugang zu Internet und Online-Kommunikation für die Flüchtlinge in den Lagern eingeschränkt. Darüber hinaus wurde mit dem Bau von Zäunen um die Flüchtlingslager in Cox's Bazar begonnen. Diese Maßnahme, welche mit der Aufrechterhaltung der Sicherheit des Lagers begründet wird, verstößt gegen die internationalen Menschenrechtsvorschriften […]. Die Grundversorgung wird durch die bangladeschische Regierung sowie von UN-Organisationen und NGOs gesichert […].

Die Regierung Bangladeschs drohte wiederholt damit, die Flüchtlinge auf die Insel Bhasan Char umzusiedeln, obwohl die Bewohnbarkeit der Insel ernsthaft infrage gestellt wurde […].

Die Gefahr von Seuchen und Epidemien ist aufgrund der beengten Verhältnisse hoch. Es gibt nur unzureichend Möglichkeiten im Bildungsbereich und die Menschen leben in einem quasi rechtsfreien Raum. Vor allem Frauen und Kinder, die den Großteil der letzten Fluchtwelle ausmachen, befinden sich in großer Gefahr, ua sexueller und körperlicher Gewalt, Zwangsheirat, Kinderarbeit, Organ- und Menschenhandel zum Opfer zu fallen […]. Die bangladeschische Stammbevölkerung fühlt sich in den Kernflüchtlingszonen durch die große Zahl von Rohingyas zunehmend be- und verdrängt (ua Sinken des lokalen Lohnniveaus), was nunmehr häufiger zu Repressalien durch die Bevölkerung — aber auch seitens bangladeschischer offizieller Stellen — führt und das allgemeine Klima verschlechtert […]. Die Regierung kooperiert und unterstützt UNHCR und andere humanitäre Organisationen nur mangelhaft, nicht zu allen betroffenen, hilfesuchenden Personen wird der Zugang gestattet […]. UNHCR und das Welternährungsprogramm weisen weiters darauf hin, dass Unterernährung besonders bei Kindern in Flüchtlingslagern verbreitet ist […].

[…]

Stand 2018 leben mehr als 6.000 unbegleitete oder verwaiste Kinder der Rohingya in Cox's Bazar, wo die Hilfsorganisation 'Save the Children' für 40.000 Kinder sichere Orte zur Verfügung stellt […]. Im Februar 2019 kündigte Österreichs (Anm. Ex-)Außenministerin Karin Kneissl im Zuge ihres Staatsbesuches in Bangladesch an, dass Österreich Bangladesch mit 500.000 Euro bei der Bewältigung des Rohingya-Flüchtlingsstroms aus Myanmar unterstützen werde […]."

2.2. Der pauschale Hinweis in der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Erkenntnisses, dass von einer "flächendeckenden Inhaftierung oder Benachteiligung von Rohingyas (lediglich aufgrund ihrer Zugehörigkeit) [nicht] auszugehen ist", findet daher keine Deckung in den aus den Länderberichten gewonnenen Feststellungen (vgl VfGH 25.2.2021, E2687/2020).

Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt es damit bei seiner Prüfung, auf die von ihm selbst festgestellte Tatsache, dass der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Rohingya angehört, einzugehen und diese in Bezug zu der in den von ihm selbst wiedergegebenen Länderberichten gezeichneten kritischen Lage von Angehörigen dieser Volksgruppe zu setzen. Das Bundesverwaltungsgericht wird sich im fortgesetzten Verfahren daher nicht nur mit der Frage zu befassen haben, inwieweit dem Beschwerdeführer eine individuelle Verfolgung im Zusammenhang mit einer etwaigen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya droht, sondern auch, ob die Zugehörigkeit zur Volksgruppe für sich genommen bereits Asylrelevanz hat (vgl zur Asylrelevanz von Gruppenverfolgungen im Allgemeinen zuletzt VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407 und VfGH 25.2.2021, E2687/2020 jeweils mwN).

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet, weshalb das Erkenntnis schon aus diesem Grund aufzuheben ist.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3212.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.02.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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