TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/12 95/20/0491

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Veröffentlicht am 12.09.1996
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs3;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des M in A, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. März 1995, Zl. 4.342.850/7-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste am 29. April 1993 am Flughafen Wien-Schwechat in das Bundesgebiet ein und stellte am 4. Mai 1993 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Bei seiner am selben und am darauffolgenden Tag vor dem Bundesasylamt niederschriftlich durchgeführten Einvernahme gab er an, seit 1991 Mitglied der MSF, Moslem Student Federation, zu sein, die eine Flügelpartei der Moslem-League sei. Seit dem Regierungsumsturz am 15. April 1993 hätten die Mitglieder vor einer Verhaftungswelle Angst gehabt, bis zu seiner Ausreise sei allerdings noch niemand verhaftet worden; die Angst vor Verhaftungen habe deshalb bestanden, da die Moslem-League vor drei Jahren im umgekehrten Falle viele Leute habe verhaften lassen; nun könnte die Übergangsregierung, die aus vielen verschiedenen Parteien bestehe, auf diese Art und Weise zurückschlagen. Der Regierungsumsturz sei auf gewaltsame Art und Weise erfolgt; die Regierung habe versprochen, binnen drei Monaten freie Wahlen abzuhalten. Als Mitglied der MSF habe er Studenten beim Inskribieren geholfen, und es sei seine Aufgabe gewesen, diese dann auch im Gespräch dazu zu bewegen, der MSF beizutreten, bei der es keine Mitgliedsausweise gegeben habe und auch kein Mitgliedsbeitrag zu zahlen gewesen sei. Er habe nie Probleme mit der Polizei oder sonstigen Behörden gehabt, seine Ausreise sei nur aus Angst vor einer Verhaftungswelle erfolgt, er sei sich sicher, verhaftet zu werden, sollte er jetzt in seine Heimat zurückkehren. Sollte seine Partei die Wahlen gewinnen, würde er in seine Heimat zurückkehren; andere Gründe habe er bezüglich seines Asylantrages nicht anzugeben.

Das Bundesasylamt wies den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 6. Mai 1993 ab, wogegen der Beschwerdeführer am 13. Mai 1993 Berufung erhob, zu deren Begründung er im wesentlichen anführte, angegeben zu haben, Generalsekretär der MSF gewesen zu sein und aufgrund dieser exponierten Position mit besonderen Gegenmaßnahmen der alten politischen Feinde und neuen Machthaber zu rechnen zu haben; weiters sei im erstinstanzlichen Bescheid überhaupt nicht berücksichtigt worden, daß gegen den Beschwerdeführer ein Haftbefehl existiere, dessentwegen er geflohen sei.

In einer (ersten) Berufungsergänzung vom 7. Juni 1993 legte der Beschwerdeführer zwei Urkunden vor, nämlich seine Identitätskarte sowie ein Schreiben des Abgeordneten zum Provinzialparlament von Punjab Ch. Mohammad Riaz vom 2. Mai 1993, jeweils in Ablichtung. Das in englischer Sprache abgefaßte Schreiben, zu dem das Bundesasylamt von Amts wegen eine Übersetzung anfertigen ließ, ist seinem Inhalt nach eine Bestätigung des genannten Parlamentsmitgliedes, daß der Beschwerdeführer ein sehr aktives und loyales Mitglied der Nawaz Sharif-Gruppe der Pakistan Muslim-League sei und daß infolge der Auflösung der "Nawaz Sharif-Gruppe" (gemeint: durch die Regierung) die große Wahrscheinlichkeit bestehe, daß der Beschwerdeführer bei der ersten Gelegenheit von der Polizei festgenommen werde; es sei dem Beschwerdeführer daher anzuraten, während der gegenwärtigen Krisenperiode außer Landes zu bleiben.

Hierauf erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 14. Dezember 1993, welcher aufgrund der hiegegen erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Oktober 1994, Zl. 94/20/0299, aus Anlaß der Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, aufgehoben wurde.

Die belangte Behörde räumte dem Beschwerdeführer im fortgesetzten Verfahren die Möglichkeit ein, einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende mangelhafte Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz in einer Ergänzung zur Berufung zu relevieren, und hielt ihm unter anderem vor, sie erachte es als "notorische Tatsachen", daß aufgrund des Ausgangs der Wahlen vom 6. Oktober 1993 die Partei des Beschwerdeführers zweitstärkste Partei des nationalen Parlaments, aufgrund der Provinzwahlen vom 9. Oktober 1993 sogar stärkste Partei in der Provinz Punjab, wo der Wohnort des Beschwerdeführers liege, sei, weshalb der Beschwerdeführer in seinem Heimatland nicht mit politisch motivierter Verfolgung zu rechnen habe und von einer Verhaftungswelle einfacher Mitglieder der Partei des Beschwerdeführers keine Rede sein könne.

In seiner (zweiten) Berufungsergänzung vom 28. Dezember 1994 rügte der Beschwerdeführer zum einen den Mangel an Feststellungen über die konkrete innenpolitische Situation in Pakistan, soweit sie den Beschwerdeführer im Zusammenhang mit seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppe beträfen, und setzte zum anderen den ihm von der belangten Behörde vorgehaltenen "notorischen Tatsachen" entgegen, diese seien "schlicht falsch", wobei er sich mit diesen Umständen im einzelnen auseinandersetzte. Weiters ergänzte er sein Vorbringen dahingehend, er werde im Wege einer fingierten Mordanklage politisch verfolgt, und rügte schließlich, seine niederschriftliche Einvernahme im Verfahren erster Instanz habe insgesamt nur 25 Minuten gedauert, wobei er aufgefordert worden sei, nur die an ihn gestellten Fragen zu beantworten, und man ihm keine Gelegenheit gegeben habe, weiteres zu ergänzen und hinzuzufügen.

Die belangte Behörde erließ daraufhin den nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid, mit dem sie die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) abwies. Sie begründete ihn im wesentlichen damit, die vom Beschwerdeführer behauptete, "bloß subjektive Angst" vor einer "eventuellen Verhaftung", ohne dies jedoch durch nähere, konkret seine Person speziell betreffende Umstände begründen zu können, könne nicht seine Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 begründen. Da er ja lediglich Studenten beim Inskribieren geholfen habe, sei er nicht derart politisch engagiert gewesen, daß er mit einer Verhaftung habe rechnen müssen; dasselbe gelte für die Tätigkeit des Anwerbens von Parteimitgliedern. In Auseinandersetzung mit seinem Berufungsvorbringen, er habe das Amt des Generalsekretärs der MSF innegehabt und es existiere ein Haftbefehl gegen ihn, verwies die belangte Behörde darauf, daß der Beschwerdeführer diese Umstände im Verfahren erster Instanz nicht releviert habe, ebensowenig die erst in der Stellungnahme vom 28. Dezember 1994 behauptete fingierte Mordanklage. Die belangte Behörde versagte diesen Ausführungen als über die Angaben im erstinstanzlichen Verfahren hinausgehend die Glaubwürdigkeit, da erfahrungsgemäß Asylwerber gerade bei der ersten Befragung spontan jene Angaben machten, die der Wahrheit am nächsten kämen. Zur Rüge des Beschwerdeführers, die Ersteinvernahme habe nur 25 Minuten gedauert, weshalb er näher genannte Umstände nicht habe geltend machen können, führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe selbst die Richtigkeit und Vollständigkeit der damaligen Angaben mit seiner Unterschrift bestätigt, die Dauer der Befragung hänge davon ab, wie umfangreich der Asylwerber sein Vorbringen gestalte. Da es aber keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, daß dem Beschwerdeführer nicht ausreichend Zeit für die Darlegung seiner Fluchtgründe gegeben worden sei und er am Ende der niederschriftlichen Befragung ausdrücklich angeführt habe, andere Gründe bezüglich seines Asylantrages nicht anzugeben zu haben, ergebe sich, daß dieser Rüge keine Berechtigung zukomme.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie ergänzend und unter Verletzung des auch sie treffenden Neuerungsverbotes des § 41 VwGG geltend machte, der Beschwerdeführer habe den Asylausschließungstatbestand gemäß § 2 Abs. 2 Z. 1 AsylG 1991 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention schon vor Erlassung des angefochtenen Bescheides verwirklicht, und die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Bei Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 AsylG 1991 hat die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz ihrer Entscheidung zugrundezulegen, es sei denn (Abs. 2 leg. cit.), sie fände eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen für notwendig, weil dieses mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren vor dem Bundesasylamt nicht zugänglich waren, oder sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrundegelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat. Dem angefochtenen Bescheid ist nicht zu entnehmen, ob die belangte Behörde nun im vorliegenden Fall die vom Beschwerdeführer im einzelnen geltend gemachten Verfahrensmängel im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 aufgreifen wollte oder nicht, obwohl sie inhaltlich die von ihm behauptete unvollständige Protokollierung mit einem Hinweis auf § 15 AVG abtat und auch im weiteren die vorgetragenen Sachverhaltsergänzungen keiner weiteren rechtlichen Überlegung unterzog. Geht man davon aus, daß die belangte Behörde unter Verweis auf § 15 AVG die vom Beschwerdeführer behaupteten Protokollierungsmängel nicht als wesentliche Verfahrensverletzungen des Verfahrens erster Instanz qualifiziert hat, daher nach Ansicht der belangten Behörde die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 insoweit, als nicht neu erlangte Bescheinigungsmittel vorgelegt oder Änderungen im Sachverhalt geltend gemacht worden waren, nicht vorlagen, wäre sie in dieser Hinsicht verhalten gewesen, gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 LEDIGLICH die Ermittlungsergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens ihrer Entscheidung zugrundezulegen. Auf die erstmals im Berufungsverfahren neu angebotenen Zeugen, Urkunden oder Argumente wäre daher unter Zugrundelegung dieser Bestimmung insoweit nicht Bedacht zu nehmen gewesen. Die belangte Behörde hätte aber im Sinn des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 das über ihren eigenen Vorhalt hin erstattete Vorbringen allenfalls durch eigene Ermittlungen zu ergänzen, zu überprüfen und die Wohlbegründetheit der vom Beschwerdeführer behaupteten Furcht vor Verfolgung einer vor dem Hintergrund dieser dann festzustellenden aktuellen politischen Verhältnisse einer Beurteilung zu unterziehen gehabt. Auch gegen die detailliert in der Berufungsergänzung enthaltene Darstellung zur politischen Lage im Heimatland des Beschwerdeführers ist im angefochtenen Bescheid keine Entgegnung zu finden.

Damit hat aber der Beschwerdeführer Verfahrensverletzungen aufgezeigt, die wesentlich sind, weil nicht gesagt werden kann, ob die belangte Behörde bei Einhaltung der verletzten Verfahrensbestimmungen nicht zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid hätte kommen können.

Den Ausführungen der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift, wonach der Beschwerdeführer sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides dadurch unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt habe, daß er sich einen Reisepaß habe ausstellen lassen, weshalb ihm gemäß § 2 Abs. 2 Z. 1 AsylG 1991 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention keineswegs Asyl gewährt hätte werden können, ist entgegenzuhalten, daß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Gegenschrift kein geeigneter Platz ist, um im angefochtenen Bescheid Versäumtes nachzuholen (vgl. statt vieler das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1990, Zl. 90/19/0469). Dies gilt umso mehr, wenn dem Beschwerdeführer im verwaltungsbehördlichen Verfahren keine Gelegenheit geboten worden war, zum der Entscheidung gar nicht zugrunde gelegten Sachverhalt Stellung zu nehmen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 4. Oktober 1991, Zl. 91/18/0161, vom 25. Juni 1993, Zl. 92/17/0058, uam.).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalverordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Angenommener Sachverhalt (siehe auch Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein und Sachverhalt Verfahrensmängel)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200491.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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