TE Bvwg Beschluss 2021/12/9 W240 2247843-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.12.2021
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Entscheidungsdatum

09.12.2021

Norm

AsylG 2005 §4a
AsylG 2005 §57
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61 Abs1 Z1
FPG §61 Abs2

Spruch


W240 2247843-1/4E

BeschlusS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2021, Zl. 1279695006-210929093, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.





Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer (auch BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 06.07.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Laut dem vorliegenden EURODAC-Treffer suchte der BF am 03.01.2020 in Griechenland um Asyl an (GR1 … vom 03.01.2020).

Im Zuge seiner Erstbefragung vom 09.07.2021 gab der BF an, er sei verheiratet und habe zwei asylberechtigte Brüder in Österreich. Seine Mutter und Schwester würden im Iran leben, seine Frau, mit der er in Scheidung lebe, befinde sich in Bosnien. Der Einvernahme könne er ohne Probleme folgen. Er habe bis zu seinem fünften Lebensjahr in Afghanistan und danach im Iran gelebt. Den Entschluss zur Ausreise aus dem Iran habe er vor zweieinhalb Jahren gefasst. Ein Zielland habe er nicht gehabt, er habe nur in ein sicheres Land gewollt. Vom Iran sei er über die Türkei nach Griechenland gereist und von dort legal im Luftweg vor ca. zwei Wochen nach Österreich gelangt. In Griechenland habe er seine Fingerabdrücke abgegeben und sei befragt worden. Im Lager Moria, in dem er untergebracht gewesen sei, habe es gebrannt. Die Situation sei schlecht gewesen. Er habe sich insgesamt ca. zwei Jahre in Griechenland aufgehalten. Sein Asylantrag sei akzeptiert worden. In Griechenland sei es schlecht gewesen und als seine Frau ihn verlassen habe, sei es ihm auch psychisch schlecht gegangen. Er wolle aus Sicherheitsgründen nicht zurück nach Griechenland. Er habe den Iran verlassen, da die Familie seiner Frau nicht mit ihrer Ehe einverstanden war. Aufgrund seiner psychischen Problemen müsse er jetzt bei seinen Brüdern sein.

Vorgelegt wurden der griechische Fremdenreisepass und der griechische Aufenthaltstitel des BF.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 13.07.2021 ein auf Art. 34 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestütztes Informationsersuchen an Griechenland.

Mit Schreiben vom 15.09.2021 beantworteten die griechischen Behörden das Informationsersuchen und führten an, dass der BF am 03.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und ihm am 20.11.2020 subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Seine Aufenthaltsberechtigung sei bis 23.11.2021 gültig.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 06.10.2021 gab der BF unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Körperlich gehe es ihm gut, er habe keine schwerwiegenden Erkrankungen, jedoch seit eineinhalb Jahren einige psychische Probleme wegen der Scheidung von seiner Frau. Er habe weder in Griechenland noch in Österreich eine medizinische Behandlung in Anspruch genommen und nehme keine Medikamente. Seine Angaben in der Erstbefragung würden der Wahrheit entsprechen. Er habe sich aber in Griechenland älter gemacht und sei eigentliche 1997 geboren. In Österreich würden zwei Brüder des BF leben – einer davon befinde sich seit neun Jahren und der andere seit 2015 im Bundesgebiet. Beide seien anerkannte Flüchtlinge. Er habe Kontakt zu seinen Brüdern, brauche ihre Hilfe aber nicht. Seit er in Österreich sei, habe er Geld von seinen Brüdern bekommen, um sich Kleidung zu kaufen. In Griechenland habe er sich eineinhalb bis zwei Jahre lang durchgehend in einem Camp aufgehalten. Von seinen Brüdern sei er in Griechenland nicht finanziell unterstützt worden, er habe von den Behörden EUR 70,- monatlich erhalten. Über Vorhalt des subsidiären Schutzes des BF in Griechenland und der Absicht des Bundesamtes, den Asylantrag des BF zurückzuweisen und eine Außerlandesbringung nach Griechenland anzuordnen, erklärte der BF, dass er nicht nach Griechenland zurückkehren könne. In der Türkei sei er von zwei Männern angegriffen und verletzt worden. Eine Anzeige habe er nicht erstatten können, weil er sich dort illegal aufgehalten habe. Er nehme an, dass die Männer vom Vater seiner Frau geschickt worden seien, um ihn umzubringen. Er habe mit seiner Frau nach Österreich kommen wollen. In Griechenland habe diese ihn verlassen, da sie erfahren habe, dass ihre Chancen nach Europa zu kommen alleine besser seien. Er habe Angst, dass die Männer des Vaters ihn erwischen könnten. In Griechenland würden viele Asylwerber leben und er fühle sich nicht sicher. Der Vater seiner Frau habe ihn im Iran persönlich bedroht und gesagt, er würde ihn überall finden. An die Polizei habe er sich nicht gewandt, da auch andere keine Hilfe bekommen hätten. In Griechenland habe es keine Vorfälle gegen ihn gegeben. Er habe nur an Selbstmord gedacht und beschlossen zu seinen Brüdern zu gehen, als er seine Dokumente erhalten habe. Er fühle sich jetzt besser und nicht mehr so einsam.

2. Mit Bescheid des BFA vom 11.10.2021 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 06.07.2021 gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich der BF nach Griechenland zurückzubegeben habe (Spruchpunkt I.). Es wurde festgehalten, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß
§ 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt II.). Gemäß § 61 Abs. 1 Z. 1 FPG wurde gegen den BF die Außerlandesbringung gemäß angeordnet und festgestellt, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung des BF nach Griechenland zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Griechenland wurden im angefochtenen Bescheid, wie folgt, wiedergegeben (unkorrigiert und ungekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):

COVID-19

Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 wird durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte. In Griechenland wurden bisher 666.799 Fälle von mit diesem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher 15.135 Personen verstorben sind.

Quellen:

•        https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 11.10.2021

COVID-19-Pandemie

Letzte Änderung: 28.05.2021

Griechenland ist von COVID-19 stark betroffen. Es kommt weiterhin zu Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und zu Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens. Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet das European Centre for Disease Prevention and Control (AA 29.4.2021). Weitere Informationen bezüglich aktueller Covid-19-Maßnahmen in Griechenland können unter folgendem Link abgerufen werden: https://help.unhcr.org/greece/coronavirus/.

Ab Mai 2021 erfolgt eine sukzessive Öffnung des Landes, wobei auch die überregionale Bewegungsfreiheit wiederhergestellt werden soll (WKO 27.4.2021).

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Schutzmaßnahmen haben die griechische Wirtschaft hart getroffen. Diese wird 2020 um 10% schrumpfen und sich 2021 allmählich und 2022 in stärkerem Ausmaß erholen (OECD o.D.). Zudem hat Griechenland mit 15,8% (Stand: Dezember 2020) die höchste Arbeitslosenquote innerhalb der EU. Der Durchschnitt der EU-27 liegt bei 7,3% (Destatis o.D.).

Die COVID-19-Krise hat Griechenland dazu veranlasst, die Kapazitäten in allen Bereichen des - in den letzten Jahren vernachlässigten - Gesundheitssystems zu stärken (OECD 2021). Griechenland hat angekündigt, dass Asylsuchende und Flüchtlinge im griechischen Impfplan Berücksichtigung finden werden, wobei von den Asylwerbern erwartet wird, dass sie sich mit einer Krankenversicherungsnummer (AMKA-PAAYPA) registrieren (EASO 31.3.2021). Die Regierung wird beim Impfprogramm von UNHCR unterstützt, das Asylsuchende über Beratungsstellen und Dolmetscher mit Informationen über präventive und staatliche Maßnahmen versorgt und darüber hinaus bei der Einrichtung medizinischer Einheiten für Screening, Isolation und Quarantäne in der Nähe der Aufnahmezentren hilft. Die Hilfe wird allerdings durch den Mangel an medizinischem Personal erschwert (UNHCR 1.4.2021).

Während der Pandemie hat Griechenland durch Anpassung der festgelegten Gesundheitsstandards versucht, die Asylleistungen aufrechtzuerhalten. Um unnötige Wartezeiten zu vermeiden, wurden Termine telefonisch oder als elektronische Termine vereinbart (EASO 7.12.2020). Die damit verbundene zunehmende Digitalisierung öffentlicher Dienste hat die Barrieren beim Zugang zur Gesundheitsversorgung für international Schutzberechtigte verschärft. Nach Angaben von Hilfsorganisationen haben etwa obdachlose Menschen oftmals nicht die Möglichkeit, online Termine zu buchen, und sind daher auf Unterstützung angewiesen (ProAsyl 4.2021, vgl. Fisher 29.1.2021). Die Bereitstellung von Informationen zum Asylverfahren, zu den Rechten und Pflichten von Asylbewerbern und umfangreiche Informationen zu COVID-19-Maßnahmen wurden durch neue Kommunikationskanäle wie Poster, Piktogramme, YouTube-Videos, Hotlines und Online-Plattformen ergänzt oder ersetzt (EASO 7.12.2020).

Als Reaktion auf Covid-19 schränkte Griechenland die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden innerhalb und außerhalb der Aufnahmelager der überfüllten Aufnahme- und Identifizierungszentren (RICs) auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos sowie auf dem Festland in Evros teils erheblich ein (USDOS 30.3.2021, vgl. EASO 7.12.2020). Auf Anordnung der Behörden kann eine zeitlich begrenzte Quarantäne über die Betreuungseinrichtungen und deren Bewohner verhängt werden (EASO 7.12.2020). In vielen Einrichtungen kam es zur wiederholten und diskriminierenden Anordnung solcher Maßnahmen. Unter anderem wurden in den überfüllten Lagern auf Lesbos und Samos Covid-19-Ausbrüche registriert und Personen unter Quarantäne gestellt. Die schwierigen Lebensbedingungen führten dazu, dass bei der Durchführung dieser Quarantäne-Maßnahmen die Grundrechte der Menschen nicht immer gewahrt wurden (EASO 7.12.2020; vgl. AI 7.4.2021). Die strengen Hygiene-Auflagen und Aufrufe zum Social Distancing im Zuge der Bekämpfung von Covid-19 sind in den zahlreichen Flüchtlingslagern wegen der beengten Verhältnisse und der allgemein schwierigen Lebensumstände kaum effizient umzusetzen (RTI 06/2020).

Im Zuge der Covid-19-Schutzmaßnahmen wurde die Gültigkeit von Aufenthaltsgenehmigungen seit Juni 2020 mehrfach pauschal per Gesetz verlängert, zuletzt bis Ende Juni 2021 (ProAsyl 4.2021, vgl. EASO 7.12.2020); eine individuelle Verlängerung erfolgt nicht. Personen, deren Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist, sind daher aktuell nur im Besitz dieser abgelaufenen Aufenthaltsgestattung und damit vom Zugang zur staatlichen Gesundheitsversorgung faktisch ausgeschlossen. Hintergrund ist, dass die vorläufige Sozialversicherungsnummer (PAAYPA), die Asylbewerber seit April 2020 bei Ausstellung der Aufenthaltsgestattung erhalten und die ihnen Zugang zu Gesundheitsversorgung und theoretisch auch zum Arbeitsmarkt ermöglicht, an die Gültigkeitsdauer der ausgestellten Aufenthaltsgestattung geknüpft ist. Läuft die Aufenthaltsgestattung ab, wird die vorläufige Sozialversicherungsnummer automatisch deaktiviert. Im Zuge der pauschalen gesetzlichen Verlängerungen von Aufenthaltsgestattungen wurde nicht sichergestellt, dass die vorläufige Sozialversicherungsnummer aktiv bleibt (ProAsyl 4.2021).

Hinsichtlich der Anzahl von Dublin-Verfahren ist pandemiebedingt ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen (ECRE 7.12.2020).

Quellen:

•        AA – Auswärtiges Amt (29.4.2021): Griechenland: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/griechenlandsicherheit/211534, Zugriff 2.5.2021

•        AI - Amnesty International: Griechenland 2020 (7.4.2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048854.html, Zugriff 7.5.2021

•        Destatis – Statistisches Bundesamt (o.D.): March 2021. EU unemployment rate at 7,3%, https://www.destatis.de/Europa/EN/Topic/Population-Labour-Social-Issues/Labour-market/EULabourMarketCrisis.html, Zugriff 8.5.2021

•        EASO – European Asylum Support Office (31.3.2021): COVID-19 vaccination for applicantsand beneficiaries of international protection, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/publications/EASO_Situational_Update_Vaccination31March..pdf, Zugriff 6.5.2021

•        EASO – European Asylum Support Office (7.12.2020): COVID-19 emergency measures in asylum and reception-systems, file:///tmp/mozilla_wh72750/COVID-19%20emergency%20measures%20in%20asylum%20and%20reception%20systems-December-2020_new.pdf, Zugriff 5.5.2021

•        ECRE – European Council on Refugees and Exiles (7.12.2020): Covid-19 measures and updates related to asylum and migration across Europe, https://www.ecre.org/wp-content/uploads/2020/12/ECRE-COVID-information-sheet-Dec-2020.pdf, Zugriff 5.5.2021

•        Fisher Ariadne, Oxford University (29.1.2021): Impact of Covid-19 on Refugee Camps in Greece, https://www.law.ox.ac.uk/centres-institutes/centre-criminology/blog/2021/01/impact-covid-19-refugee-camps-greece, Zugriff 30.4.2021

•        OECD (o.D.): Greece, Economic Snapshot, https://www.oecd.org/economy/greece-economic-snapshot/, Zugriff 10.5.2021

•        OECD (2021): Greece, https://www.oecd.org/economy/growth/Greece-country-note-going-for-growth-2021.pdf, Zugriff 10.5.2021

•        Pro Asyl/RSA (4.2021): Stellungnahme; Zur Aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/Stellungnahme-International-Schutzberechtigt-Griechenland-PRO-ASYL_RSA-April-2021.pdf, Zugriff 5.5.2021

•        RTI - Refugee Trauma Initiative (06/2020): The Impact of Covid-19 on Refugees in Greece, https://static1.squarespace.com/static/577646af893fc0b5001fbf21/t/5ef0bb675598594c56fcad77/1592835023114/2020-06_RTI_COVID19_REFUGEESGR.pdf, Zugriff 30.4.2021

•        UNHCR (1.4.2021): Greece Fact-Sheet, February 2021, file:///tmp/mozilla_wh72750/Greece%20bi-annual%20Factsheet%20Feb%202021-1.pdf, Zugriff 5.5.2021

•        USDOS – US Department of State (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Greece, https://www.ecoi.net/en/document/2048407.html, Zugriff 2.5.2021

•        WKO - Wirtschaftskammer Österreichs (27.4.2021): Corona-Virus. Situation in Griechenland, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus:-situation-in-griechenland.html, Zugriff 2.5.2021

Schutzberechtigte

Letzte Änderung: 28.05.2021

Laut Gesetz haben Schutzberechtigte in Griechenland dieselben Rechte wie griechische Staatsangehörige. Im Jahr 2020 ist aufgrund von beschleunigten Asylverfahren im Vergleich zu den Vorjahren die Anzahl international Schutzberechtigter sprunghaft gestiegen: Insgesamt wurde 35.372 Menschen internationaler Schutz zuerkannt (ProAsyl 4.2021). Das sind mehr als doppelt so viele Menschen als 2019 (AIDA 6.2020).

Anerkannte Flüchtlinge erhalten zunächst eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr. Ein Recht auf Familienzusammenführung besteht zwar formal (allerdings nur für anerkannte Flüchtlinge), ist aber aufgrund der Auflagen in der Praxis nur schwer zu erreichen. Wird dieses innerhalb von drei Monaten ab Statuszuerkennung beantragt, entfallen Einkommenserfordernisse. Anerkannte Flüchtlinge haben das Recht auf ein Reisedokument. Das gilt auch für subsidiär Schutzberechtigte, wenn sie einen Nachweis ihrer diplomatischen Vertretung vorlegen können, dass es ihnen nicht möglich ist, einen nationalen Reisepass zu erhalten. Diese Voraussetzung ist für viele äußerst schwierig zu erfüllen und überdies von der diplomatischen Vertretung des Herkunftslandes abhängig (AIDA 6.2020).

Residence Permit Card

Eine Residence Permit Card (RPC) ist Voraussetzung für den Erhalt finanzieller Unterstützung, einer Wohnung, einer legalen Beschäftigung, eines Führerscheins und einer Steuer- bzw. Sozialversicherungsnummer, für die Teilnahme an Integrationskursen, für den Kauf von Fahrzeugen, für Auslandsreisen, für die Anmeldung einer gewerblichen oder geschäftlichen Tätigkeit und – abhängig vom jeweiligen Bankangestellten - oftmals auch für die Eröffnung eines Bankkontos (VB 19.3.2021).

Der Erhalt einer RPC dauert jedoch in der Praxis Monate und die Behördengänge sind für Personen ohne Sprachkenntnisse und Unterstützung äußerst schwierig zu bewerkstelligen. Zur Beantragung der RPC reicht in Griechenland ein bestandskräftiger Anerkennungsbescheid der Asylbehörde, mit dem einer Person internationaler Schutz zuerkannt wurde, nicht aus. Zusätzlich wird ein sogenannter „ADET-Bescheid“ benötigt. Bei diesem handelt es sich um einen Bescheid des zuständigen Regionalbüros der Asylbehörde, durch den die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis angewiesen wird. Der ADET-Bescheid wird nicht immer zusammen mit dem Anerkennungsbescheid zugestellt. In diesem Fall müssen Schutzberechtigte einen Termin beim zuständigen Regionalbüro vereinbaren, um sich den ADET-Bescheid aushändigen zu lassen (ProAsyl 4.2021).

Nach dem Erhalt des positiven Asylbescheides kann der Asylberechtigte zwei Ansuchen einreichen: eines für die Residence Permit Card (RPC) und ein weiteres für ein Reisedokument. Die Anträge erfolgen beim Asylservice. Mit dem Asylbescheid und dem Ansuchen für die RPC kann man per E-Mail einen Fingerabdruck-Termin beantragen. Die Antwort hierauf dauert zwischen zwei Wochen und zwei Monaten, COVID-bedingt oftmals länger. Von der Antwort bis zum Fingerabdruck-Termin dauert es in der Regel neuerlich mehrere Wochen, woraufhin bis zum tatsächlichen Erhalt der RPC nochmals drei bis acht Monate (COVID-bedingt teilweise länger) vergehen. Die Ausstellung der RPC erfolgt durch die griechische Polizei (VB 1.3.2021). Die Gültigkeit der RPC beträgt für Asylberechtigte drei Jahre (um weitere drei Jahre verlängerbar) und für subsidiär Schutzberechtigte ein Jahr (um ein weiteres Jahr verlängerbar) und geht durch Ausreise und spätere Wiedereinreise nach Griechenland nicht verloren (VB 12.4.2021).

Reisedokument

Um ein Reisedokument beantragen zu können, bestehen folgende Voraussetzungen:

•        Wenn die betreffenden Schutzberechtigten in einem Camp oder in einer anderen staatlichen Unterkunft untergebracht und dort registriert sind, können sie unmittelbar nach Erhalt des positiven Asylbescheides parallel die Residence Permit Card (RPC) und ein Reisedokument beantragen. Sie werden hierbei aktiv vom Management des Camps bzw. der Unterkunft unterstützt (VB 12.4.2021).

•        Wenn anerkannte Schutzberechtigte hingegen nicht in einem Camp oder einer staatlichen Einrichtung untergebracht und registriert sind, ist für den Antrag eines Reisedokumentes eine RPC erforderlich (VB 12.4.2021).

Das Ausstellungsdatum des Asylbescheids darf nicht länger als sechs Monate zurückliegen; andernfalls muss beim Asylservice eine Neuausstellung des Bescheides erwirkt werden. Der Asylbescheid und die RPC müssen eingescannt und bei der Fremdenpolizei online eingegeben werden. Die Gebühr hierfür beträgt derzeit 84,- Euro. Danach muss wiederum per E-Mail um einen Fingerabdruck-Termin angesucht werden (Wartezeit: eine Woche bis zwei Monate). Die Ausfolgung eines Reisedokuments erfolgt dann nach drei bis acht Monaten (COVID-bedingt auch länger) durch die griechische Polizei (VB 1.3.2021).

Nach Erfahrung des letzten Jahres suchen fast alle anerkannten Flüchtlinge um ein Reisedokument an (VB 24.2.2021). Syrische Schutzberechtigte werden hierbei in der Praxis bevorzugt behandelt; für andere Nationalitäten kann das Prozedere Monate dauern (VB 12.4.2021).

HELIOS Programm („Hellenic Support for Beneficiaries of International Protection“)

Nach Ausfolgung des Asylbescheides erhält der Asylberechtigte eine SMS-Mitteilung, dass er nun vom Cash Card Programm für Asylwerber abgemeldet wird und dass er die zur Verfügung gestellte Unterkunft sofort verlassen muss (das Gesetz sieht hier eine Frist von einem Monat vor). Nur Schwangere ab dem 7. Schwangerschaftsmonat bekommen inkl. Familie einen Aufschub von 2 Monaten (VB 1.3.2021). Der Verbleib mehrerer tausend Menschen in diversen Camps und Flüchtlingsunterkünften wird von der griechischen Regierung aufgrund fehlender Alternativen und der auch für Griechen schwierigen Situation einstweilen toleriert, allerdings ist nicht absehbar, für wie lange. Die Versorgung dieser in den Unterkünften noch geduldeten Flüchtlinge wird zum größten Teil von NGOs und Freiwilligen übernommen, wobei offensichtlich die jeweiligen Camp- oder Sitemanager eher willkürlich über Verfügbarkeit und Vergabe entscheiden (VB 19.3.2021).

Die griechische Regierung verweist anerkannte Schutzberechtigte für Unterstützungsmaßnahmen bei der Integration meist auf das Programm HELIOS. Zusätzlich hat die griechische Regierung im September 2020 mit IOM ein ergänzendes Programm ins Leben gerufen, das anerkannten Schutzberechtigten eine zweimonatige Unterbringung in Hotels ermöglichen soll. Gedacht ist dieses Programm als eine Art Puffer für Schutzberechtigte von den Inseln, die auf das Festland verbracht wurden und sich noch nicht bei Helios einschreiben konnten. Geplant war dieses Programm für 1.500 bis 2.000 Personen. Laut IOM haben insgesamt 2.504 Personen von dieser Maßnahme profitiert. Das Programm lief regulär Ende 2020 aus, wurde einmal bis Ende Februar 2021 verlängert. Anfang März hat Griechenland bei der EU-Kommission einen Antrag auf Weiterfinanzierung gestellt (VB 12.4.2021).

Bei HELIOS handelt sich um ein Projekt von IOM zur Integration von Schutzberechtigten, die in einer offiziellen Unterbringungseinrichtung leben (AIDA 6.2020; vgl. IOM o.D.).

Helios ist das einzige aktuell in Griechenland existierende offizielle Integrationsprogramm für internationale Schutzberechtigte. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln des europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF); Umgesetzt wird das Programm von IOM in Zusammenarbeit mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Das Programm wurde im Juli 2019 gestartet und hat eine Laufzeit bis Juni 2021. Neben Integrationskursen sowie einzelnen Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration beinhaltet es Unterstützung bei der Anmietung von Wohnraum (ProAsyl 4.2021).

Voraussetzungen für den Zugang zu den Fördermaßnahmen von Helios:

•        Zugang haben Schutzberechtigte, denen nach dem 1.1.2018 internationaler Schutz zuerkannt wurde sowie deren Familienangehörige, die mittels Familienzusammen¬führung nach Griechenland gekommen sind (solange ihre Angehörigen Helios-berechtigt sind) (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).

•        Die betreffenden Schutzberechtigten müssen darüber hinaus zum Zeitpunkt der Zustellung ihres Anerkennungsbescheids offiziell in einem Flüchtlingslager, einem Empfangs- und Identifikationszentrum (RIC), einem Hotel im Rahmen des IOM-Programms FILOXENIA oder einer Wohnung des ESTIA-Programms registriert gewesen sein und tatsächlich dort gelebt haben (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).

•        Die Anmeldung zu Helios darf nicht später als 12 Monate nach Anerkennung des Schutzstatus erfolgen. Das Mindestalter beläuft sich auf 16 Jahre (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).

•        Es erfolgt eine Beitrittserklärung (Declaration of Participation) mit Unterschrift aller volljährigen Familienangehörigen und Kenntnisnahme aller Rechte und Pflichten aus dem Helios Programm. Diese ist nicht bindend und kann jederzeit widerrufen werden (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).

•        Zudem benötigen die Teilnehmer zumindest Residence Permit Card (RPC), Steuernummer, Bankkonto, Sozialversicherungsnummer und Wohnungsnachweis. Diese sind schwierig zu erlangen, der Erhalt dauert Wochen bis Monate (VB 19.3.2021) .

Keinen Zugang zu Fördermaßnahmen aus dem HELIOS-Programm haben demzufolge international Schutzberechtigte, die entweder vor dem 1. Januar 2018 internationalen Schutz erhalten haben oder die zwar nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden, jedoch zum Zeitpunkt ihrer Anerkennung nicht in einer offiziellen Unterkunft in Griechenland gelebt haben, oder die sich nicht innerhalb eines Jahres nach Anerkennung für HELIOS registriert haben. Somit besteht in aller Regel für Schutzberechtigte, die aus anderen Ländern nach Griechenland zurückkehren, keine Möglichkeit, von Helios zu profitieren (ProAsyl 4.2021).

Helios bietet folgende Leistungen an:

•        Durchführung von Integrationskursen in Integrationslernzentren, die in ganz Griechenland eingerichtet wurden. Jeder Kurszyklus dauert sechs Monate und besteht aus Modulen zum Erlernen der griechischen Sprache, zur kulturellen Orientierung, zur Berufsvorbereitung und zu Lebenskompetenzen (IOM o.D.).

•        Unterstützung der Begünstigten auf dem Weg zu einer eigenständigen Unterkunft in Wohnungen, die auf ihren Namen angemietet wurden, u. a. durch die Bereitstellung von Beiträgen zu den Miet- und Einzugskosten und die Vernetzung mit Wohnungseigentümern.

d.h. es erfolgt keine Beistellung von Wohnraum, es können aber Mietzuschüsse gewährt werden (IOM o.D.).

•        Bereitstellung von individueller Unterstützung u.a. durch Berufsberatung, Zugang zu berufsbezogenen Zertifizierungen und Vernetzung mit privaten Arbeitgebern (IOM o.D.).

•        Regelmäßige Bewertung des Integrationsfortschritts der Begünstigten, um sicherzustellen, dass sie in der Lage sind, sich sicher bei griechischen öffentlichen Dienstleistern zurechtzufinden, sobald sie das HELIOS-Projekt verlassen und anfangen, unabhängig in Griechenland zu leben (IOM o.D.).

•        Organisation von Workshops, Aktivitäten und Veranstaltungen sowie Erstellung einer landesweiten Medienkampagne, um den Wert der Integration von Migranten in die griechische Gesellschaft hervorzuheben (IOM o.D.).

Für anerkannte Schutzberechtigte in den Camps erfolgt die Einschreibung in Helios relativ rasch. Wenngleich die Schutzberechtigten dann das Camp verlassen müssen, werden viele nach wie vor geduldet. Anschließend gibt es zwei Mal pro Woche Sprach- und Ethikunterricht sowie eine finanzielle Unterstützung in Höhe von etwa 390 Euro/Monat als Mietzuschuss (VB 12.4.2021). Bedingung für den Mietenzuschuss ist die Vorlage eines Mietvertrags mit einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten sowie ein griechisches Bankkonto und eine Steueridentifikationsnummer. Die Zuschüsse werden immer nur rückwirkend ausgezahlt (ProAsyl 4.2021). Das bedeutet, dass Schutzberechtigte bereits eine Wohnung gefunden und in der Praxis auch die erste Monatsmiete sowie die Mietkaution aus eigenen Mitteln bezahlt haben müssen. Zudem findet eine Wohnung in der Praxis nur, wer einen festen Job hat. Das ist für Flüchtlinge in einem Land mit 16% Arbeitslosigkeit nahezu aussichtslos (PNP – 8.3.2021). Zudem sind die Mieten vor allem in Athen in den vergangenen beiden Jahren um bis zu 30% gestiegen. Die Zuschüsse reichen daher zur Begleichung der Miete oftmals nicht aus. Nur etwa 16% aller international Schutzberechtigten haben Mietbeihilfen aus dem Helios-Programm erhalten (ProAsyl 4.2021). Laut IOM haben bis 26.02.2021 7.571 Personen im Rahmen von Helios Mietbeihilfe in Anspruch genommen (VB 12.4.2021).

Das Programm endet nach sechs Monaten (VB 12.4.2021). Je nach Unterkunft beginnt der Start der Ausbildung (Bildungsprogramme; vor allem Sprachen) unterschiedlich – es kann sein, dass erst zwei Monate nach der Einschreibung mit der Ausbildung begonnen wird – dann bleiben noch 4 Monate Nettozeit; derzeit werden viele Unterrichtseinheiten online unterrichtet, was Probleme mit Internet, Technik, Übersetzern usw. verursacht. Ist während der Laufzeit Unterricht aus verschiedenen Gründen nicht möglich, werden die 390 Euro an finanzieller Unterstützung pro Monat nicht ausbezahlt. Aus genannten Gründen wird das Helios Programm von den Betroffenen nur in wenigen Fällen als wirkliche Unterstützung wahrgenommen (VB 1.3.2021).

Phase zwischen positivem Bescheid und dem tatsächlichen Erhalt der RPC-Card

Tatsächlich gibt es bis zum Erlangen der RPC oder bis zur Teilnahme am Helios Programm keinerlei finanzielle oder anderweitige Unterstützung. Ohne gültige Aufenthaltserlaubnis können international Schutzberechtigte keine Sozialversicherungsnummer (AMKA) erhalten und diese wiederum ist Voraussetzung für den Zugang zu Sozialleistungen, zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung. Ärztliche Untersuchungen und Behandlungen sowie ggf. benötigte Medikamente müssen ohne Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer privat bezahlt werden (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).

Wohnungsmöglichkeiten

Ab Juni 2020 sind alle Schutzberechtigten gesetzlich verpflichtet, die Flüchtlingslager beziehungsweise Unterkünfte, in denen sie während des Asylverfahrens untergebracht waren, innerhalb von 30 Tagen ab Schutzzuerkennung zu verlassen. Verlängerungen des Aufenthalts in den Unterkünften sind nur in außergewöhnlichen Fällen möglich. In der Folge mussten in den vergangenen Monaten Tausende Menschen ihre Unterkünfte räumen, auch wenn eine Verlängerung des Aufenthalts in diversen Camps und Flüchtlingsunterkünften von der griechischen Regierung aufgrund fehlender Alternativen und der auch für Griechen schwierigen Situation toleriert wurde. Jedenfalls gab es zahlreiche Berichte über obdachlose Flüchtlinge. Medien und NGOs dokumentierten, dass viele von ihnen Schwierigkeiten beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen auf dem Festland hatten und in Athen im Freien schliefen (AI 7.4.2021, vgl. ProAsyl 4.2021, VB 19.3.2021).

In Griechenland existiert keine staatliche Unterstützung für international Schutzberechtigte beim Zugang zu Wohnraum, es wird auch kein Wohnraum von staatlicher Seite bereitgestellt (ProAsyl 4.2021). Auch gibt es keine Sozialwohnungen (VB 12.4.2021) und auch keine Unterbringung dezidiert für Schutzberechtigte. Laut einer Webseite der Stadt Athen gibt es vier Unterbringungseinrichtungen mit insgesamt 600 Plätzen, die jedoch bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Viele Betroffene sind daher obdachlos, leben in besetzten Gebäuden oder überfüllten Wohnungen (AIDA 6.2020; vgl. VB 12.4.2021). Legale Unterkunft ohne RPC zu finden, ist fast nicht möglich. Da z.B. bei Arbeitssuche, Bankkontoeröffnung, Beantragung der AMKA usw. oftmals ein Wohnungsnachweis erforderlich ist, werden oft Mietverträge für Flüchtlinge gegen Bezahlung (300-600 Euro) temporär verliehen: d.h., der Mieter wird angemeldet, ein Mietvertrag ausgestellt und nach kurzer Zeit wieder aufgelöst. Wohnbeihilfe bekommt man erst, wenn man per Steuererklärung seinen Wohnsitz über mehr als 5 Jahre in Griechenland nachweisen kann (VB 1.3.2021). NGOs wie etwa Caritas Hellas bieten gemischte Wohnprojekte an. Die Zahl der Unterkünfte in Athen – auch der Obdachlosenunterkünfte - ist jedoch insgesamt nicht ausreichend (VB 1.3.2021). Dass trotz dieses Umstandes Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen darstellt, ist auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Nationalitäten zurückzuführen, über die auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann. Wo staatliche Unterstützung fehlt, ist die gezielte Unterstützung der NGOs von überragender Bedeutung für Flüchtlinge und Migranten, wenngleich auch diese Organisationen nicht in der Lage sind, die erforderlichen Unterstützungen flächen- und bedarfsdeckend abzudecken (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).

Lebenshaltung

Auch die tägliche Lebenshaltung stellt viele Schutzberechtigte vor große Probleme. Da sie griechischen Staatsbürgern gleichgestellt sind, gibt es von offizieller Seite kaum Unterstützung für diesen Personenkreis. Einige NGOs in Athen (wie etwa KHORA, Network for Refugees, Hope Cafe,…) stellen kostenlos – aber bei weitem nicht in ausreichendem Maße, um alle Bedürftigen zu versorgen - Essen zur Verfügung. Die Bereitstellung von zB Hygiene- und Toilettenartikel gestaltet sich sehr schwierig; hierfür gibt es nur sehr wenige Anlaufstellen. Einige Gemeinden in Griechenland bieten anerkannten Schutzberechtigten auf freiwilliger Basis bzw. mittels Abkommen mit der griechischen Regierung monatliche Unterstützung für Essenszuteilungen an (nur Essen, kein Geld). Voraussetzungen hierfür sind das Vorliegen von RPC, AMKA-Nummer, Steuernummer, Bankkonto, Mietvertrag und Telefonvertrag für eine gültige SIM-Karte. Jede einzelne dieser Voraussetzungen ist schwierig zu erfüllen und mit mit großem Zeitaufwand verbunden. Somit kommen nur sehr wenige Berechtigte in den Genuss derartiger Unterstützungsleistungen (VB 12.4.2021).

Medizinische Versorgung

Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zu medizinischer Versorgung wie griechische Staatsangehörige, in der Praxis schmälert aber der Ressourcenmangel im griechischen Gesundheitssystem diesen Zugang, was aber in gleichem Maße auch für griechische Staatsbürger gilt. Bei Flüchtlingen kommen jedoch auch Verständigungsschwierigkeiten und Probleme beim Erlangen der Sozialversicherungsnummer (AMKA) hinzu (AIDA 6.2020).

Die AMKA kann bei der Gesundheitsbehörde (EKKA) elektronisch beantragt werden, man braucht dazu aber eine RPC und ein Jobangebot einer Firma. Ohne Jobangebot können Flüchtlinge eine PAAYPA (vorläufige AMKA für Fremde) beantragen. Mit AMKA ist voller Zugang zu öffentlichen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, usw. möglich, mit PAAYPA hingegen nur beschränkt. Manche Einrichtungen akzeptieren eine PAAYPA nicht. Jene Personen wären dann auf Privatärzte oder NGOs angewiesen (VB 1.3.2021). Zudem gibt es in Athen einige „Sozial-Apotheken“ wo billige oder sogar kostenlose Medikamente und medizinische Artikel erhältlich sind – diese unterstützen auch einkommenslose Griechen (VB 12.4.2021).

Um die Spitäler als erste Anlaufstelle für gesundheitliche Probleme zu entlasten, wurde mit dem Gesetz 4486/2017 24 die Grundlage für die Einführung eines medizinischen Erstversorgungsnetzwerkes (TOMY) geschaffen. Dieses Netzwerk orientiert sich an den Prinzipien der WHO, die seit 2018 in Griechenland ein Country Office unterhält (WHO 2019, WHO 20.6.2021). Das Team der Erstversorgung besteht aus Allgemeinmedizinern, Kinderärzten, Pflegefachpersonen und Sozialarbeitern und ist nun erste Anlaufstelle für Gesundheitsfragen der Menschen in den Regionen abseits der großen Ballungszentren. Sie übernehmen Behandlung und Pflege sowie die Überwachung von Krankheiten und arbeiten im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung. Bei Bedarf werden Patienten dann an andere Gesundheitszentren und städtische Tageskliniken überwiesen, wo spezialisierte und diagnostische Abklärungen, ein 24-Stunden-Betrieb und ambulante Behandlungen angeboten werden. Zudem übernehmen diese Zentren die Koordination der TOMYs ihres Sektors, die ambulante Pflege der Patienten, die Überweisungen an übergeordnete Spitäler und die Verantwortung für die psychologische und psychiatrische Gesundheitsversorgung in den Gemeinden. Im Sommer 2019 waren 120 solcher TOMY-Zentren in Betrieb (WHO 2019, vgl. OECD o.D.).

Durch die massiven Einsparungen am Gesundheitspersonal in den Jahren der Wirtschaftskrise kann der Zugang zum Gesundheitssystem mit langen Wartezeiten verbunden sein (AI 3.3.2021).

Für den Bezug von Medikamenten ist ein Rezept eines Arztes einer öffentlichen Gesundheitseinrichtung erforderlich. Rezepte werden über das Online-Portal https://www.e-prescription.gr elektronisch ausgestellt und können unter Angabe der AMKA dann in jeder Apotheke eingelöst werden (AI 3.3.2021). Handgeschriebene Rezepte werden nur von Sozialapotheken entgegen genommen. Ohne AMKA können Rezepte in der Krankenhausapotheke jenes Spitals, wo der betreffende Arzt praktiziert, eingelöst werden (UNHCR 4.3.2021). Die Kosten für verschreibungsfreie Medikamente müssen zur Gänze vom Patienten getragen werden; für verschreibungspflichtige Medikamente sind entsprechende Zuzahlungen erforderlich (WHO 2018).

Arbeitsmarkt

Anerkannte Schutzberechtigte und deren Familienangehörige mit gültiger Aufenthaltserlaubnis haben unter den gleichen Bedingungen wie griechische Staatsangehörige Zugang zu einer Beschäftigung im Angestelltenverhältnis, zur Erbringung von Dienstleistungen oder Arbeit sowie das Recht, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. Wichtig für eine legale Beschäftigung ist der Nachweis einer gültigen Aufenthaltserlaubnis. Allenfalls ist darauf zu achten, dass diese rechtzeitig verlängert wird (UNHCR o.D.).

Voraussetzungen ist u.a. der Nachweis der Unterkunft: Wenn der Schutzberechtigte in einer offenen Unterkunft, einer Wohnung oder einer Aufnahmeeinrichtung einer NGO oder eines anderen Akteurs wie z. B. einer Gemeinde wohnt, kann er von der die Unterkunft verwaltenden Stelle eine Bescheinigung zum Nachweis der Adresse anfordern. Bei Miete ist der Mietvertrag oder eine entsprechende Stromabrechnung vorzulegen. Bei Beherbergung durch eine griechische Person oder einen anderen Migranten oder anerkannten Flüchtling muss der Schutzberechtigte von eben dieser Person eine offizielle, schriftliche Beherbergungsbestätigung vorlegen, die zudem die Steuernummer und die in einem Bürgerzentrum beglaubigte Unterschrift des Unterkunftsgebers enthält (UNHCR o.D., vgl. ProAsyl 4.2021).

Eine weitere Voraussetzung ist das Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer (AMKA). Diese ist auch erforderlich, um versichert zu sein und von den Sozialversicherungsbestimmungen für Arbeitsunfall, Mutterschaft, Krankheit, Behinderung, Arbeitslosigkeit und Familienpflichten zu profitieren. Die ???? sichert die Rechte des Schutzberechtigten in Bezug auf Arbeit und Rente und erleichtert auch den Zugang zu Krankenhaus- und pharmazeutischer Versorgung. Den Antrag auf eine AMKA kann in einem AMKA-Büro der Sozialversicherungsanstalt oder in einem Bürgerservicezentrum (KEP) gestellt werden. An manchen Orten wird die AMKA schnell an Asylbewerber vergeben, an anderen Orten verlangen die Behörden zusätzliche Unterlagen (UNHCR o.D.).

Tatsächlich aber behindern die hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Sprachkenntnisse und bürokratische Hindernisse diesen Zugang, außer im informellen Sektor. Die meisten Schutzberechtigten sind daher auf Unterstützung angewiesen. Zugang zu Sozialhilfe ist gegeben, bürokratische Hürden stellen aber ein Problem dar (AIDA 6.2020).

Sechs Monate nach Einbringung eines Asylantrags ist legale Arbeit erlaubt, in Ausnahmefällen (Hochsaison Landwirtschaft oder Tourismus) kann bei Verfügbarkeit eines Arbeitsplatzes und Garantiestellung durch den Arbeitgeber schon ab acht bis zehn Wochen legal einer Beschäftigung nachgegangen werden. Allerdings wollen Arbeitgeber ohne vorhandene AMKA (permanente Sozialversicherungsnummer) keine Arbeitnehmer einstellen. Es ist keine Residence Permit Card (RPC) für die legale Ausübung einer selbstständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit erforderlich (VB 12.4.2021).

Quellen:

•        AIDA – Asylum Information Database (6.2020): Country Report: Greece, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2020/07/report-download_aida_gr_2019update.pdf, Zugriff 1.5.2021

•        AI – Amnesty International (7.4.2021): Greece 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048689.html, Zugriff 12.5.2021

•        AI – Amnesty International (3.3.2021): Resuscitation required. The Greek Health System after a decade of austerity, https://www.amnesty.org/download/Documents/EUR2521762020ENGLISH.PDF, Zugriff 13.5.2021

•        OM – International Organisation for Migration (o.D.): Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection (HELIOS), https://greece.iom.int/en/hellenic-integration-support-beneficiaries-international-protection-helios, Zugriff 1.5.2021

•        MIT – Mobile Info Team (2.2021): The living conditions of applicants and beneficiaries of international protection, https://www.antigone.gr/wp-content/uploads/library/selected-publications-on-migration-and-asylum/greece/en/Accommodation_report_MIT_2021_small.pdf, Zugriff 1.5.2021

•        OECD - European Observatory on Health Systems and Policies (o.D.): State of Health in the EU, 2019. Greece: Country Health Profile, https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/state/docs/2019_chp_gr_english.pdf, 13.5.2021.

•        Pro Asyl/RSA (4.2021): Zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/Stellungnahme-International-Schutzberechtigt-Griechenland-PRO-ASYL_RSA-April-2021.pdf, Zugriff 1.5.2021

•        UNHCR – The UN Refugee Agency (o.D.): Living in Greece, https://help.unhcr.org/greece/living-in-greece/, Zugriff 10.5.2021

•        VB des BM.I Griechenland (24.2.2021): Bericht des VB, per E-Mail

•        VB des BM.I Griechenland (1.3.2021): Bericht des VB, per E-Mail

•        VB des BM.I Griechenland (19.3.2021): Bericht des VB, per E-Mail

•        VB des BM.I Griechenland (12.4.2021): Bericht des VB, per E-Mail

•        WHO – World Health Organization (20.6.2018): WHO eröffnet neues Länderbüro in Griechenland, https://www.euro.who.int/de/media-centre/sections/press-releases/2018/who-opens-new-country-office-in-greece, Zugriff 13.5.2021

•        WHO – World Health Organization (2018): Medicines Reimboursement Policies in Europe, https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0011/376625/pharmaceutical-reimbursement-eng.pdf, Zugriff 10.5.2021

•        WHO – World Health Organization (2019): Monitoring and documenting systemic and health effects of health reforms in Greece, https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0011/394526/Monitoring-Documenting_Greece_eng.pdf, Zugriff 14.5.2021

Im Bescheid wurde insbesondere ausgeführt, dass die Identität des volljährigen BF aufgrund der vorgelegten Dokumente feststehe. Er leide an keinen schweren, lebensbedrohenden oder überstellungshindernden Krankheiten. Er sei in Griechenland subsidiär schutzberechtigt, was sich aus dem Schreiben der griechischen Behörden vom 15.09.2021 und den vorgelegten Dokumenten ergebe. Dass er in Griechenland systematischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder solche zu erwarten hätte, habe nicht festgestellt werden können. Der BF habe zwei Brüder, die in Österreich aufhältig und asylberechtigt seien. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Überstellung des BF eine Verletzung des Art. 8 EMRK bedeuten würde. Der BF sei volljährig und eine besondere Abhängigkeit habe nicht festgestellt werden können. Es würden keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration des BF in Österreich vorliegen. Ein „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohe dem BF in Griechenland aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht. Die gesundheitlichen Probleme des BF seien keine Erkrankungen, die ein Abschiebungshindernis darstellen würden.

3. Gegen vorzitierten Bescheid des BFA betreffend den BF vom 11.10.2021 richtet sich die fristgerecht am 27.10.2021 eingebrachte Beschwerde, in der insbesondere ausgeführt wurde, dass der BF psychisch sehr belastet sei, ihm seine Brüder Rückhalt geben würden und sich seine psychische Situation in Österreich gebessert habe. Die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen seien unvollständig und die Berichte unrichtig sowie selektiv ausgewertet worden. Besonders für international Schutzberechtigte, welche nach Griechenland zurückkehren, bestehe die Gefahr ohne Zugang zum Arbeitsmarkt oder Sozialleistungen sowie ohne Zugang zu medizinischer Versorgung in der Obdachlosigkeit und extremer Not zu landen. Der BF würde bei seiner Rückkehr in eine prekäre Situation geraten und es sei davon auszugehen, dass der BF extremer materieller Not und somit einer drohenden Verletzung des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Behörde hätte angesichts der de facto nicht existierenden Versorgungs- und Unterbringungssituation für Schutzberechtigte in Griechenland konkret prüfen müssen, ob der BF in Griechenland in einer angemessenen Unterkunft untergebracht werden würde, Zugang zu Nahrungsmitteln, sanitären Einrichtungen, medizinischer Versorgung und sonstigen grundlegenden Versorgungsleistungen haben werde. Bei einwandfreier Verfahrensführung hätte die belangte Behörde feststellen müssen, dass der BF in Griechenland, unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen und auch unter Aufbringung einer erheblichen Eigeninitiative aufgrund der ihn erwartenden Lebensbedingungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine Situation extremer materieller Not geraten würde, die es ihm nicht erlaube, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG werde angeregt und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

4. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes (auch BVwG) vom 04.11.2021 wurde der Beschwerde gegen den nunmehr angefochtenen Bescheid aufschiebende Wirkung gemäß
§ 17 BFA-VG zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer (auch BF), ein volljähriger Staatsangehöriger Afghanistans, reiste im Luftweg in das Bundesgebiet ein und stellte am 06.07.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz im österreichischen Bundesgebiet. Betreffend den BF liegt ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 vom 03.01.2020 mit Griechenland vor.

Dem BF wurde am 20.11.2020 in Griechenland der Status des subsidiär Schutzberechtigten gewährt. Der BF machte im Zuge des Verfahrens geltend, dass er sich in Griechenland verfolgt gefühlt habe. Er leide unter psychischen Problemen, seine in Österreich lebenden und asylberechtigten Brüder hätten ihm bei der Bewältigung seiner psychischen Probleme sehr geholfen. Er fühle sich in Österreich sicher. In Griechenland habe er sich in einem Lager aufgehalten und monatlich EUR 70,- erhalten.

Ergänzende Ermittlungen zu den Lebensumständen des BF in Griechenland nach Zuerkennung des Schutzstatus liegen nicht vor und das BFA hat diesbezüglich im angefochtenen Bescheid keine hinreichenden Feststellungen betreffend den BF getroffen. Im angefochtenen Bescheid unterzieht das BFA die Unterbringungslage und die Versorgung in der Zeit nach Erteilung des Schutzstatus in Griechenland keiner Würdigung. Es wurde der gegenständliche Sachverhalt in Summe nicht abschließend ermittelt, um eine Grundlage für die Entscheidung zu schaffen.

Hinsichtlich des Verfahrensganges und festzustellenden Sachverhalt wird auf die unter
Punkt I. getroffenen Ausführungen verwiesen.

2. Beweiswürdigung:

Der für die gegenständliche Zurückverweisung des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei. Dass der BF jedenfalls volljährig ist ergibt sich aus dem vorgelegten Fremdenreisepasse, gegenteiliges wurde auch nicht behauptet. Der Einwand des BF, wonach er nicht im Jahr 1995, sondern 1997 geboren sei, wurde nicht gefolgt, da er keine entsprechenden Nachweise vorlegen konnte und nicht nachvollziehbar gemacht habe, warum er sich in Griechenland älter gemacht habe.

Insbesondere liegen nach Durchsicht des gegenständlichen Aktes keine ausreichenden Ermittlungen und in der Folge keine abschließende nachvollziehbare Beurteilung betreffend die Lebensumstände des BF nach Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Griechenland vor. Die Beweiserhebung des BFA stellt keine geeignete Ermittlungstätigkeit dar, um ausschließen zu können, dass der BF aufgrund der Lage für Schutzberechtigte in Griechenland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in Griechenland in eine Situation extremer materieller Not geraten werde.

Die erstinstanzliche Behörde hat in Summe eine abschließende Beurteilung des gegenständlich entscheidungsrelevanten Sachverhaltes nicht hinreichend durchgeführt.


3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

3.1.    Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:
„§ 4a Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat.

Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

----------

-1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

[…]

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.


§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1.       wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2.       zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3.       wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1.       der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

…“

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:
„§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“

§ 21 Abs. 3 BFA-VG lautet:
„(3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.“

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet:

„§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1.       dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. …

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.“

3.2. Gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine Überstellung des BF nach Griechenland nicht zulässig ist, da in casu die gegenständliche Entscheidung des Bundesamtes auf Basis eines insgesamt qualifiziert mangelhaften Verfahrens ergangen ist, weshalb eine Behebung und Zurückverweisung nach § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG zu erfolgen hatte. Dies aus folgenden Erwägungen:

Unbestritten ist, dass dem BF nach Antragstellung in Griechenland der Status eines subsidiär Schutzberechtigten erteilt worden ist.

Zusammenfassend brachte der BF im Zuge des Verfahrens vor, in Griechenland einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht gewesen zu sein und EUR 70,- monatlich erhalten zu haben. Seit ihn seine Frau verlassen habe, gehe es ihm psychisch nicht gut und er sei nach Österreich zu seinen Brüdern gereist, die hier asylberechtigt seien.

Im Zuge der Einvernahme vor dem BFA wurde der BF nur in Grundzügen zu seinem Aufenthalt in Griechenland befragt, ohne zwischen der Zeit des laufenden Verfahrens und jener nach Zuerkennung des Schutzstatus zu unterscheiden – obwohl es amtsbekannt ist, dass sich die Versorgungslage Geflüchteter in Griechenland nach Schutzzuerkennung verändert. Im angefochtenen Bescheid wurde im Hinblick auf die in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte des BF ausschließlich auf die gesundheitliche Überstellungsfähigkeit eingegangen.

Di

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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