TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/22 W169 2238206-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.12.2021
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Entscheidungsdatum

22.12.2021

Norm

BFA-VG §18
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W169 2238206-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Kenia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.10.2021, Zl. 335246903-200045015, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer wurde am 09.06.2005 in Österreich der Aufenthaltstitel „begünstigter Drittstaatsangehöriger“, gültig bis 08.06.2006, erteilt.

2. Am 22.08.2006 stellte der Beschwerdeführer bei der zuständigen Niederlassungsbehörde einen Verlängerungsantrag.

3. Ein Bescheid der Sicherheitsdirektion Niederösterreich vom 30.07.2007, Zl. Fr 420/07, mit welchem die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet ausgesprochen wurde, wurde – nachdem der Verwaltungsgerichtshof der dagegen eingebrachten Beschwerde mit Beschluss vom 10.01.2008 die aufschiebende Wirkung zuerkannte – mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 12.10.2010, Zl. 2007/21/0534-8, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

4. Am 23.11.2010 erteilte die zuständige Niederlassungsbehörde dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung“, gültig bis 23.11.2011.

5. Auf weiteren Verlängerungsantrag wurde dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“, gültig vom 24.11.2011 bis 21.04.2014. Dieser wurde mehrfach, zuletzt am 09.01.2018 mit Gültigkeit bis 09.01.2021 ausgestellt.

6. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 22.04.2020, AZ. XXXX , wären dem Beschwerdeführer das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB, das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB und das Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB zuzurechnen gewesen, wenn dieser zurechnungsfähig gewesen wäre. Der Beschwerdeführer wurde gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

7. Am 15.6.2020 teilte die Landespolizeidirektion auf Anfrage dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass sich bezüglich einer etwaigen Erwachsenenvertretung des Beschwerdeführers kein Vermerk in den Unterlagen befinden würde und auch eine Anfrage bei der Justizanstalt Wien-Josefstadt negativ verlaufen sei.

8. In der Folge wurde dem Beschwerdeführer am 07.09.2020 persönlich eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme mit der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme innerhalb von 14 Tagen übermittelt. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer zur Beurteilung seiner persönlichen Verhältnisse aufgefordert, entsprechende Fragen zu beantworten bzw. entsprechende Belege zur Vorlage zu bringen.

9. Mit Schreiben vom 11.09.2020 wurden von Seiten des Beschwerdeführers die Antworten der an ihn gerichteten Fragen an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl rückübermittelt.

Der Beschwerdeführer lebe demnach aufgrund eines Aufenthaltstitels seit 2005 in Österreich, da seine Mutter bereits hier gelebt und ihn nachgeholt habe. Er habe zuletzt in den Jahren 2011 und 2012 seinen Herkunftsstaat besucht. Er verfüge über einen Reisepass. Er habe kein Vermögen, kein Einkommen und bekomme von seiner Mutter Taschengeld. Er habe keine monatlichen Kosten, da er bei seiner Mutter lebe, wobei er sich aber derzeit in „Haft“ befinde. Er habe in keinem anderen Land einen Aufenthaltstitel. Er habe in Kenia die Grundschule sowie in Österreich zwei Jahre die Hauptschule besucht. Er habe weder in Kenia noch in Österreich je gearbeitet, habe hier aber AMS-Kurse besucht. In seiner Heimat würden noch sein Onkel und andere Angehörige leben. Der Beschwerdeführer sei ledig. Seine Mutter lebe auch in Österreich. Er sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Er verfüge aufgrund seines Schulbesuchs über gute Deutschkenntnisse. Der Beschwerdeführer werde in seiner Heimat nicht verfolgt, habe dort aber keine Zukunft. Er lebe seit 2005 in Österreich und sei hier aufgewachsen.

10. Am 17.09.2020 teilte die Staatendokumentation dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf Anfrage, ob in Kenia einerseits eine paranoide Schizophrenie und Cannabisabhängigkeit behandelbar sei und andererseits vom Bundesamt aufgezählte Medikamente bzw. Wirkstoffe in Kenia erhältlich sein würden, mit, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf Versorgungslage sowie auf die Bewegungs- und Reisefreiheit der BürgerInnen nur eingeschränkt zusammengestellt werden könnten.

Den Quellen sei zu entnehmen, dass stationäre Behandlung durch einen Psychiater, psychiatrische ambulante Langzeitbehandlung durch einen Psychiater, psychiatrische Behandlung der Drogenabhängigkeit (ambulante Versorgung), psychiatrische Behandlung der Drogenabhängigkeit in einer spezialisierten Klinik (Rehab) und psychiatrische klinische Langzeitbehandlung (z.B. für chronisch psychotische Patienten) verfügbar seien. Ebenso würden alle angefragten Wirkstoffe und diverse Alternativen verfügbar sein.

11. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.11.2020, Zl. 335246903-200045015, wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kenia zulässig sei (Spruchpunkt II.) und dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für seine freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt III.). Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV), sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein befristetes Einreiseverbot für die Dauer von sieben Jahren erlassen.

12. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.01.2021, W124 2238206-1/4E, stattgegeben, der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

In den Feststellungen wurde im Wesentlichen festgehalten, dass das Bundesamt keine ausreichenden Ermittlungen getroffen habe, inwieweit der Beschwerdeführer auf Grund seiner medizinisch indizierten Krankheit der paranoiden Schizophrenie und Cannabisabhängigkeit über die entsprechende Prozessfähigkeit verfüge, Verfahrenshandlungen durchzuführen ohne einen Erwachsenenvertreter bestellen zu müssen.

Das Bundesamt habe zudem keine ausreichenden Ermittlungen betreffend der privaten bzw. familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers in Österreich vorgenommen. Insbesondere sei das Bundesamt davon ausgegangen, dass im Falle des Beschwerdeführers keine Gründe vorliegen würden, die Art. 2 oder Art 3 der EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder 13 zur Konvention zum Schutz der Menschrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzen würden.

Das Bundesamt habe es im durchgeführten Ermittlungsverfahren diesbezüglich verabsäumt, die entsprechende Grundlage für eine umfassende abschließende Beurteilung entsprechend zu hinterfragen. Darüber hinaus habe das Bundesamt die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers nicht vollständig ermittelt und seine Entscheidung in wesentlichen Punkten auf diesbezüglich unvollständige und nicht schlüssige Ermittlungsergebnisse gestützt.

Aufgrund des Inhaltes des vorliegenden Verwaltungsaktes könne im gegenständlichen Beschwerdeverfahren nicht geklärt werden, ob eine Außerlandesbringung des Beschwerdeführers einen unzulässigen Eingriff in besonders durch Art. 2, 3 und 8 EMRK geschützte Rechte darstellt.

13. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 15.03.2021, AZ. XXXX , wurde ein Erwachsenenschutzverfahren hinsichtlich des Beschwerdeführers eingestellt. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die Voraussetzungen für die Fortführung des Verfahrens nicht vorliegen würden. Der Beschwerdeführer sei aufgrund des derzeit bestehenden stabilen Zustandsbildes, welches auf die regelmäßige Medikamenteneinnahme, welche vom Beschwerdeführer akzeptiert werden würde, zurückzuführen sei, entscheidungsfähig. Darüber hinaus könne er mit der ihm zur Verfügung stehenden Unterstützung, welche er annehmen würde, seine Angelegenheiten selbständig erledigen. Da der Beschwerdeführer derzeit mit Unterstützung seine Angelegenheiten erledigen könne, sei unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips, wonach ein Erwachsenenvertreter nicht tätig werden dürfe, wenn die betroffene Person entsprechend unterstützt werden würde, das Erwachsenenschutzverfahren (neuerlich) einzustellen.

14. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.05.2021, Zl. 335246903-200045015, wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kenia zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V).

15. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.07.2021, W124 2238206-2/4E, neuerlich stattgegeben, der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht hielt in seinen Feststellungen fest, dass die belangte Behörde den entsprechenden Rechtszustand unter Berücksichtigung des ergangenen verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 12.01.2021 nicht hergestellt habe.

Zwar sei zwischenzeitig mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 15.03.2021 das sogenannte Erwachsenenschutzverfahren eingestellt worden und werde dem Beschwerdeführer gegenwärtig insoweit zugebilligt, seine Angelegenheit mit entsprechender Unterstützung selbst durchführen zu können, doch würden unabhängig davon die darüber hinaus aufgetragenen Ermittlungen betreffend der privaten bzw. familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers in Österreich offenbleiben. Insbesondere sei das Bundesamt davon ausgegangen, dass im Falle des Beschwerdeführers keine Gründe vorliegen, die Art. 2 oder Art. 3 der EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder 13 zur Konvention zum Schutz der Menschrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe vorliegen.

Das Bundesamt habe es im durchgeführten Ermittlungsverfahren diesbezüglich weiterhin verabsäumt, die entsprechende Grundlage für eine umfassende abschließende Beurteilung entsprechend zu hinterfragen. Darüber hinaus habe das Bundesamt weiterhin die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers nicht vollständig ermittelt und seine Entscheidung in wesentlichen Punkten auf diesbezüglich unvollständige und nicht schlüssige Ermittlungsergebnisse gestützt.

Aufgrund des Inhaltes des vorliegenden Verwaltungsaktes kann im gegenständlichen Beschwerdeverfahren weiterhin nicht geklärt werden, ob eine Außerlandesbringung des Beschwerdeführers einen unzulässigen Eingriff in besonders durch Art. 2, 3 und 8 EMRK geschützte Rechte darstellt.

16. Daraufhin wurde der Beschwerdeführer am 30.09.2021 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in deutscher Sprache niederschriftlich einvernommen.

Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er Suaheli, Deutsch und Englisch spreche. Es gehe ihm gesundheitlich gut. Er nehme Medikamente, wisse aber nicht genau welche. Er besuche einmal wöchentlich einen Arzt. Er fühle sich psychische und physisch in der Lage, an der Einvernahme teilzunehmen. Er habe einen Reisepass und eine Geburtsurkunde, die bei seiner Mutter liegen würden. Er sei Christ und sei in Kenia, Bezirk XXXX , geboren. Er habe dort mit seinen Großeltern gelebt, wobei sein Großvater bereits verstorben sei. Von seinem Vater wisse er nichts. Seine Mutter lebe seit dem Jahr 2000 in Österreich, er selbst sei 2005 nachgereist. Er habe eine Halbschwester sowie Onkeln und Tanten in Kenia und habe vor seiner „Haft“, zuletzt 2019, noch Kontakt gehabt. Seine Großmutter betreibe eine Landwirtschaft, die anderen Angehörigen hätten keine festen Arbeitsplatz, manche würden Schrott sammeln. Der Beschwerdeführer sei ledig und habe einen Sohn von seiner ersten Freundin. Sie seien in Österreich, aber er wisse nicht genau wo. Sein Sohn sei 12 Jahre alt und der Beschwerdeführer habe kein Sorgerecht. Er habe sonst nur seine Mutter in Österreich. In Kenia habe der Beschwerdeführer die Grundschule bis zur siebten Klasse besucht, in Österreich dann zwei Jahre die Hauptschule. Er habe wegen fehlender Dokumente keine Lehre machen können. Er habe fünf Jahre auf seinen Aufenthaltstitel warten müssen. Danach sei er „krank“ geworden. Er habe „Jugend am Werk“ besucht sowie einen weiteren Kurs, dessen Namen er vergessen habe. Der Beschwerdeführer habe bislang vom Taschengeld seiner Mutter gelebt, die als Heimhilfe arbeite. Er sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Der Beschwerdeführer befinde sich noch im Maßnahmenvollzug, mache dort eine Therapie, arbeite und betreibe Sport. Danach wolle er wieder bei seiner Mutter leben – wobei die anwesende Vertrauensperson angab, dass der Beschwerdeführer nach Entlassung in eine betreute Wohneinrichtung übergeben werde, in welcher die Therapie fortgesetzt werde. Der Beschwerdeführer werde in seinem Herkunftsstaat nicht verfolgt, er habe aber keinen Bezug mehr zu jenem Land. Es würde „schwer“ sein, bei den Angehörigen in Kenia unterzukommen, da sie eigene Familien hätten.

Der Beschwerdeführer verzichtete auf die Ausfolgung der Länderberichte und es wurde ihm eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme gewährt.

Im Rahmen der Einvernahme wurde ein Kurzarztbrief einer Fachärztin für Psychiatrie vom 23.12.2020 vorgelegt, wonach der Beschwerdeführer an paranoider Schizophrenie leide und die Medikamente Allopurinol, Amlodipin, Depakine, Metaformin, Olanzapin und Risperdal einnehme. Zum aktuellen Zeitpunkt bestehe eine ausreichende Compliance bezüglich einer regelmäßigen Einnahme der erforderlichen Psychopharmaka. Der Beschwerdeführer sei kooperativ und krankheitseinsichtig, eine psychotische Symptomatik stehe nicht im Vordergrund. Es bestehe keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung.

17. Am 18.10.2021 teilte die Staatendokumentation dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf Anfrage, ob in Kenia auch angesichts der derzeitigen COVID-19-Pandemie einerseits eine paranoide Schizophrenie und Cannabisabhängigkeit behandelbar sei und andererseits vom Bundesamt aufgezählte Medikamente bzw. Wirkstoffe in Kenia erhältlich sein würden, mit, dass die bereits in der Anfragebeantwortung vom 17.09.2020 getätigten Ausführungen über die Behandelbarkeit bzw. die Medikamentenverfügbarkeit auch in Betrachtung der Pandemie Gültigkeit besitzen würden.

18. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kenia zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V).

Begründend ging das Bundesamt im Wesentlichen davon aus, dass der seit August 2005 in Österreich lebende Beschwerdeführer kein schützenswertes Privatleben und keine „tiefer greifende“ Integration in Österreich aufweise. Der an paranoider Schizophrenie leidende Beschwerdeführer sei zudem einer Straftat „schuldig gesprochen“ worden und in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden, weshalb er eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Da somit der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegenstehe, sei gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen, der das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers nicht entgegenstehe. Es seien keine Umstände hervorgekommen, die der Zulässigkeit seiner Abschiebung entgegenstehen würden, zumal im Herkunftsstaat eine medizinische Behandlungsmöglichkeit bestehe. Aufgrund der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sei die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers erforderlich und somit der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung abzuerkennen sowie ein Einreiseverbot zu erlassen gewesen.

19. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde ein und monierte nach Wiederholung der bisher getätigten Angaben im Wesentlichen, dass die belangte Behörde ihrer sich aus dem Zurückverweisungsbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts ergebenden Ermittlungspflichten nicht ausreichend nachgekommen sei. Der Beschwerdeführer richtete sich in weiterer Folge gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid und die rechtliche Beurteilung durch die belangte Behörde, wobei insbesondere unterstrichen wurde, dass der Beschwerdeführer über ein langjähriges und schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich verfüge und er keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, zumal die belangte Behörde insbesondere zum strafgerichtlichen Urteil von falschen Annahmen ausgegangen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Kenia und lebte bis zu seiner Ausreise im Bezirk XXXX . Er spricht die Sprachen Suaheli, Englisch und Deutsch. Im Herkunftsstaat besuchte er sieben Jahre lang die Grundschule. Der Beschwerdeführer ist ledig und steht im erwerbsfähigen Alter. In Kenia leben seine Großmutter, Onkeln und Tanten sowie eine Halbschwester des Beschwerdeführers. Seine Großmutter betreibt eine Landwirtschaft, die weiteren Angehörigen haben keinen festen Arbeitsplatz oder sind Schrottsammler. Der Beschwerdeführer hatte zuletzt im Jahr 2019 vor seiner Einweisung Kontakt zu seiner Verwandtschaft. Der Beschwerdeführer war zuletzt in den Jahren 2011 und 2012 sowie zumindest auch im Jahr 2014 in Kenia auf Urlaub.

Dem Beschwerdeführer wurde erstmals am 09.05.2005 ein Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz in Österreich gewährt. Dem Beschwerdeführer wurden im weiterer Folge wiederholt, und zwar jedenfalls seit 23.11.2010 durchgängig, Aufenthaltstitel gewährt. Zuletzt wurde ihm der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ am 09.01.2018 mit Gültigkeit bis 09.01.2021 ausgestellt. Er stellte am 30.12.2020 einen Verlängerungsantrag, über den noch nicht entschieden wurde.

Der Beschwerdeführer ist seit 19.08.2005 durchgehend in Österreich gemeldet und rechtmäßig aufhältig. Er hat nach seiner Einreise in Österreich zwei Jahre die Hauptschule besucht. Er ist nie einer Arbeit nachgegangen und bezog lediglich 2011 Arbeitslosengeld. Er lebte bis zu seiner Inhaftierung am 13.01.2020 bzw. der folgenden Einweisung im gemeinsamen Haushalt mit seiner erwerbstätigen Mutter, die seinen Unterhalt finanzierte und mit der er in regelmäßigem Kontakt steht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Österreich einen etwa 12-jährigen Sohn hat, für den er nicht obsorgeberechtigt ist.

1.2. Im Jahr 2011 wurde dem Beschwerdeführer eine paranoide Schizophrenie sowie Cannabismissbrauch diagnostiziert. Der Beschwerdeführer war bis ca. 2015 ungefähr einmal monatlich in Betreuung des psychosozialen Dienstes und war psychopharmakologisch auf Neuroleptika und eine Depotmedikation eingestellt. 2016 und 2017 kam er nur noch sehr selten und erklärte zuletzt, dass er keine Behandlung mehr benötige, da er der Prophet sei und daher keine Medikation mehr einnehmen brauche. Nach einer neuerlichen Selbstmedikation mit Cannabis wurde der Beschwerdeführer im September 2019 an der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses aufgenommen, wo er mit mehreren Unterbrechungen aufgrund von Entweichungen bis 24.12.2019 blieb. Der Beschwerdeführer wurde während des stationären Aufenthaltes nach dem Unterbringungsgesetz behandelt. Zuletzt bestand keine anhaltende Krankheitseinsicht und nach Entlassung setzt der Beschwerdeführer die verordnete Medikation sofort wieder ab.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 22.04.2020, AZ. XXXX , wären dem Beschwerdeführer das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB, das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB und das Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB zuzurechnen gewesen, wenn dieser zurechnungsfähig gewesen wäre.

Der Beschwerdeführer hat in XXXX unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer paranoiden Schizophrenie und einer Cannabisabhängigkeit,

A./ Polizeibeamte während der Vollziehung ihrer Aufgaben, nämlich der Sachverhaltsklärung anlässlich mehrerer strafbarer Handlungen und der Einwirkung auf den Beschwerdeführer zur Beendigung eines gefährlichen Angriffs gemäß § 33 SPG,

I./ verletzt, indem er einem Polizeibeamten einen Fußtritt gegen sein Knie versetzt hat, wodurch der Polizeibeamte eine leichte Körperverletzung, nämlich eine Prellung und Abschürfung des rechten Knies erlitt,

II./ zu verletzen versucht, und zwar indem er mit dem Fuß auf einen Polizeibeamten getreten und in weiterer Folge Faustschläge gegen seinen Kopf ausgeführt hat, wobei er ihn jedoch nicht getroffen hat;

B./ Polizeibeamte, mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich der Sachverhaltsklärung anlässlich mehrerer strafbarer Handlungen und der Einwirkung auf den Beschwerdeführer zu Beendigung eines gefährlichen Angriffs gemäß § 33 SPG zu hindern versucht, indem er die unter Punkt A./ genannten Tathandlungen wider die Polizeibeamten ausgeführt hat.

Der Beschwerdeführer stand im Rahmen seiner psychiatrischen Grunderkrankung zur Tatzeit unter dem Einfluss seiner abnormen Persönlichkeit und war nicht in der Lage, das Unrecht seiner Taten einzusehen bzw. sich einer derartigen Einsicht gemäß zu verhalten.

Nach der Person des Beschwerdeführers, nach seinem Zustand und der Taten sei zu befürchten gewesen, dass dieser unter Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit von höheren Grad eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen würde. Gemäß § 21 Abs. 1 StGB wurde der Beschwerdeführer in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Im vom Landesgericht für Strafsachen XXXX eingeholten psychiatrisch-neurologischen Sachverständigengutachten vom 06.02.2020 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass beim Beschwerdeführer die Erkenntnisfähigkeit zum mutmaßlichen Zeitpunkt der strafbaren Handlung aufgrund einer wahnhaften Überzeugung mit Größenideen aufgehoben und die Steuerungsfähigkeit des Verhaltens aufgrund des von der Psychose geleiteten Handelns bei ausgeprägter Impulshaftigkeit nicht mehr gegeben gewesen sei. Auch in Zukunft bestehe beim Beschwerdeführer aufgrund seiner paranoiden Schizophrenie, entsprechend einer geistigen oder höheren Abartigkeit höheren Grades, das Risiko einer mit Strafe bedrohten Handlung mit schweren Folgen. Beim Beschwerdeführer würden klinische Risikofaktoren bestehen, eine chronische Wahnsymptomatik, eine fehlende Krankheitseinsicht und das wiederholte Absetzen der Medikamente nach Entlassung oder Behandlungsabbruch stünden im Vordergrund. Da die aktuelle Krankheitsepisode noch nicht ausbehandelt sei, könne aus medizinischer Sicht nur eine vorläufige Gefährlichkeitsprognose durchgeführt werden und vom aktuellen Zustandsbild ausgehen.

Die zuständige Fachärztin für Psychiatrie der Justizanstalt führte in einem Kurzarztbrief vom 23.12.2020 zur Erkrankung des Beschwerdeführers aus, dass zum aktuellen Zeitpunkt eine ausreichende Compliance bezüglich einer regelmäßigen Einnahme der erforderlichen Psychopharmaka bestehe. Der Beschwerdeführer sei kooperativ und krankheitseinsichtig, eine psychotische Symptomatik stehe nicht im Vordergrund. Es bestehe keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung.

Das Bezirksgericht XXXX stellte mit Beschluss vom 15.03.2021, AZ. XXXX , fest, dass der Beschwerdeführer sich aufgrund der regelmäßigen Medikamenteneinnahme derzeit in einem sehr stabilen psychischen Zustandsbild befinde. Er sei aktuell sehr gut kontaktfähig und entscheidungsfähig.

Der Beschwerdeführer nimmt die folgenden Medikamente ein: Amlodipin, Dekapine, Metformin und Olanzapin jeweils täglich sowie Risperdal alle zwei Wochen.

Der Beschwerdeführer befindet sich bis dato im Maßnahmenvollzug.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Identität des Beschwerdeführers konnte aufgrund der ihm erteilten Aufenthaltstitel festgestellt werden.

Die Feststellungen über die Herkunft, Sprachenkenntnisse, den Schulbesuch im Heimatland, seinen Familienstand, seine Angehörigen im Heimatland sowie deren Erwerbstätigkeit und den Kontakt mit diesen folgen den plausiblen und unstrittigen Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren in Zusammenschau mit den im Akt enthaltenen Teilen seiner Niederlassungs- und Aufenthaltsverfahren. Zu seinem letzten Aufenthalt in Kenia gab der Beschwerdeführer zwar an, dass dieser in den Jahren 2011 und 2012 gewesen sei, da er sich allerdings 2014 von der Behörde „Passport Control Nairobi“ einen Reisepass ausstellen ließ, muss davon ausgegangen werden, dass er sich zumindest auch 2014 dort aufhielt (vgl. dazu den im Akt aufliegenden Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister).

Die Feststellungen über die dem Beschwerdeführer in Österreich ausgestellten Aufenthaltstitel beruhen ebenso auf dem unstrittigen Akteninhalt.

Dass der Beschwerdeführer seit 19.08.2005 durchgehende in Österreich gemeldet ist, ist einem Melderegisterauszug zu entnehmen. Dass er hier zwei Jahre die Hauptschule besucht hat, ist angesichts seines damaligen Alters auch glaubhaft – wobei mangels Vorlage von Zeugnissen hierzu keine genaueren Feststellungen getroffen werden konnten. Auch gab der Beschwerdeführer selbst an, in Österreich nie gearbeitet zu haben, was durch einen AJ-WEB-Auszug der belangten Behörde bestätigt ist. Entgegen den Feststellungen des Bundesamtes ist aus diesem Auszug aber auch ersichtlich, dass der Beschwerdeführer lediglich im Jahr 2011 Arbeitslosengeld bezog, wohingegen ein darüberhinausgehender Bezug – auch etwa von Notstandshilfe – daraus nicht hervorgeht. Umso plausibler ist das Vorbringen des Beschwerdeführers, von der Unterstützung seiner erwerbstätigen Mutter gelebt zu haben, mit der er bislang im gemeinsamen Haushalt lebte. Der Beschwerdeführer gab im Verfahren zwar an, einen etwa 12-jährigen Sohn in Österreich zu haben, dessen genauen Aufenthalt er aber nicht kenne und für den er nicht obsorgeberechtigt sei, und wurde dies auch vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgestellt, jedoch vermochte der Beschwerdeführer dies nicht hinreichend glaubhaft zu machen, zumal dem psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 06.02.2020 zu entnehmen ist, dass er bereits zuvor im Rahmen einer Unterbringung (widersprüchlich) behauptete, zwei Töchter zu haben (vgl. S. 8 des Gutachtens).

2.2. Die Feststellungen über die krankheitsbezogene Vorgeschichte des Beschwerdeführers beruhen auf dem psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 06.02.2020 (vgl. S. 10 f des Gutachtens).

Die Feststellungen über die vom Beschwerdeführer in nicht zurechnungsfähigen Zustand begangenen strafbaren Handlungen und seine Einweisung beruhen auf dem im Akt aufliegenden landesgerichtlichen Urteil vom 22.04.2020.

Die Feststellungen über seine Erkrankung sowie seine Krankheitseinsicht und Compliance zum Zeitpunkt des 06.02.2020, des 23.12.2020 und des 15.03.2021 folgen dem im Akt aufliegenden Sachverständigengutachten vom erstgenannten Datum, dem fachärztlichen Kurzarztbrief vom zweitgenannten Datum und dem pflegschaftsgerichtlichen Beschluss vom drittgenannten Datum.

Die festgestellte Medikamenteneinnahme beruht auf dem zuletzt in der Einvernahme vom 30.09.2021 vorgelegten Kurzarztbrief vom 23.12.2020. Da eine neuere Medikamentenliste nicht vorgelegt wurde, ist davon auszugehen, dass diese weiterhin aktuell ist.

Dass der Beschwerdeführer sich bis dato im Maßnahmenvollzug befindet, ist zweifelsfrei dem Akteninhalt, insbesondere auch einem aktuellen Melderegisterauszug zu entnehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zum Spruchteil A)

§ 52 Abs. 4 Z 1 FPG normiert, dass das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen hat, wenn nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn dessen Aufenthalt nicht öffentlichen Interessen widerstreitet.

Gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Bei der Prüfung, ob die Annahme, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten (zu ergänzen: unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat) eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. VwGH 14.04.2011, 2008/21/0257; zuletzt am 22.08.2019, Ra 2019/21/0062).

Zu den Fällen „gravierender Straffälligkeit“ bzw. „schwerer Straffälligkeit“ zählen jedenfalls die Einreiseverbotstatbestände nach den Z 6, 7 und 8 des § 53 Abs. 3 FPG, aber auch andere Formen gravierender Straffälligkeit (siehe zu solchen Fällen der Sache nach zuletzt VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, betreffend Vergewaltigung, und VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0207, betreffend grenzüberschreitenden Kokainschmuggel) (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0238; siehe zuletzt auch VwGH 27.08.2020, Ra 2020/21/0276-8).

Der Bejahung einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung steht nicht entgegen, dass er sein Verhalten nicht schuldhaft zu vertreten hat (VwGH 20.11.2020, Ra 2020/01/0109).

In Bezug auf die Erlassung eines Einreiseverbotes hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass auf den Zeitpunkt der hypothetischen Ausreise bzw. der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung abzustellen ist. Gemäß § 59 Abs. 4 FPG ist der Eintritt der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung aber für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde. Das gilt sinngemäß auch für die Dauer der gemäß § 21 Abs. 1 StGB verfügten Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Eine Abschiebung des Fremden während der Zeit des Maßnahmenvollzugs kommt daher nicht infrage. Vor allem bei der Gefährdungsprognose im Sinne des § 67 FPG ist daher auf den Zeitpunkt der (hypothetischen) Entlassung des Fremden aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher abzustellen. Entscheidend für die diesbezügliche Beurteilung ist, ob dann etwa eine Behandlung und Medikation Gewähr dafür bieten, dass eine Gefährdung auf Grund der psychischen Erkrankung künftig auszuschließen sein wird (mwN VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0088).

Gemäß § 9 Abs. 6 BFA-VG darf gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

Gemäß § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Im gegenständlichen Verfahren wurde der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits mehr als acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassene Beschwerdeführer mit landesgerichtlichem Urteil vom 22.04.2020 gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistige abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, nachdem er strafbare Handlungen beging, die, wäre er zurechnungsfähig gewesen, als die Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB sowie nach §§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB sowie als das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB zuzurechnen gewesen wären. Der Strafrahmen dieser Vergehen würde bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe betragen. Das Strafgericht ging dabei davon aus, dass der Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit außerhalb des geschützten Rahmens einer stationären Behandlung im Zuge seiner psychischen Erkrankung eine mit Strafe bedroht Handlung mit schweren Folgen begehen würde. Er würde nämlich außerhalb dieses Rahmens mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die erforderliche Bereitschaft aufbringen, sich freiwillig und kontinuierlich einer gezielten Behandlung zu unterziehen. Dies auch unter dem Eindruck, dass der Beschwerdeführer schon bislang mehrfach in Unterbringung war, nach seiner Entlassung aber die notwendige Medikation absetzte. Nach seiner Einweisung führte die zuständige Fachärztin für Psychiatrie am 23.12.2020 aus, dass aktuell eine ausreichende Compliance bezüglich einer regelmäßigen Einnahme der erforderlichen Psychopharmaka bestehe, er kooperativ und krankheitseinsichtig sei und eine psychotische Symptomatik nicht im Vordergrund stehe. Es bestehe keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung. Zuletzt hielt das Pflegschaftsgericht im Beschluss vom 15.03.2021 fest, dass der Beschwerdeführer sich aufgrund der regelmäßigen Medikamenteneinnahme derzeit in einem sehr stabilen psychischen Zustandsbild befinde. Er sei aktuell sehr gut kontaktfähig und entscheidungsfähig. Wiewohl der Beschwerdeführer in der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2021 den Wunsch äußerte, nach seiner Entlassung wieder bei seiner Mutter zu wohnen, wurde seitens der anwesenden Vertrauensperson der Justizanstalt angemerkt, dass eine Entlassung nur zielgerichtet in eine betreute Wohneinrichtung erfolgen würde.

Es ist somit zunächst festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer – wäre er zurechnungsfähig gewesen – jedenfalls keine Verbrechen, sondern „nur“ Vergehen zur Last gelegt worden wären, somit auch keineswegs von einer gravierenden Straffälligkeit gesprochen werden könnte. Darüber hinaus handelt es sich um die einzige im Strafregister aufscheinende Tat. Desweiteren ist ersichtlich, dass die psychische Erkrankung des Beschwerdeführers, nämlich seine paranoide Schizophrenie, solange zu keiner Gefährdung für andere führt, solange er krankheitseinsichtig ist und die notwendige Medikation einhält. Die Einweisung des Beschwerdeführers in eine stationäre Betreuung erfolgte gerade auch vor dem Hintergrund, dass aufgrund schon bisheriger „Rückfälligkeit“ nach erfolgten Unterbringungen, d.h. das Absetzen der Medikamente, eine lediglich ambulante Betreuung nicht als ausreichende Maßnahme angesehen wurde, sondern der Beschwerdeführer ein stabiles Umfeld zur Einhaltung und erfolgreichen Fortsetzung der Behandlung benötigte. Wie insbesondere aus dem fachärztlichen Kurzarztbrief sowie auch aus dem pflegschaftsgerichtlichen Beschluss zu erkennen ist, zeigt diese Maßnahme bereits gute Wirkung. Der Beschwerdeführer wird inzwischen als kooperativ und krankheitseinsichtig beschrieben, er befinde sich in einem sehr stabilen psychischen Zustand und bestehe insbesondere auch keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung.

Vor dem Hintergrund der obzitierten Judikatur ist für die Erstellung einer Gefährdungsprognose weder auf den Zeitpunkt des strafgerichtlichen Urteils, noch auf den aktuellen Zeitpunkt, sondern auf den Zeitpunkt der Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug abzustellen, da die (allfällige) Rückkehrentscheidung erst zu diesem Zeitpunkt durchsetzbar wird. Wenn auch diese Judikatur konkret auf den § 53 FPG (Einreiseverbot) sowie § 67 FPG (Aufenthaltsverbot) Bezug nimmt, kann doch für eine Gefährdungsprognose im Rahmen der Rückkehrentscheidung selbst nichts anderes gelten. Da gemäß § 25 Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 21 Abs. 1 StGB eine Unterbringung so lange zu vollziehen ist, wie es ihr Zweck erfordert, also so lange, wie zu befürchten ist, dass der Betroffene sonst unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde, kann schon daher eine derartige (d.h. im StGB umschriebene) vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung zum Zeitpunkt seiner Entlassung jedenfalls ausgeschlossen werden. Aber auch eine den Maßstab des StGB unterschreitende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist auf Grundlage der bisherigen Entwicklung des Beschwerdeführers nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Die letzten Beurteilungen des Beschwerdeführers zeichnen ein eindeutig positives Bild einer krankheitseinsichtigen, kooperativen Person, von der aktuell keine Eigen- oder Fremdgefährdung ausgeht – es besteht somit eine klar positive Zukunftsprognose. Da der Beschwerdeführer nur in eine betreute Wohneinrichtung entlassen wird, ist mit umso größerer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er auch nach Aufhebung des Maßnahmenvollzugs die notwendige Behandlung einhalten wird. Anhaltspunkte für die Annahme, dass vom Beschwerdeführer unter diesen Umständen noch eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgehen würde, sind dem Akt aber nicht zu entnehmen. Dies auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer bereits zuvor mehrfach in Unterbringung war, ist dieser Hintergrund doch zum einen schon in der Aussprechung der Einweisung miteinbezogen worden, sodass er umgekehrt auch bei der Beurteilung der Möglichkeit seiner Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug beachtet werden wird. Zum anderen wiegt die nunmehrige positive ärztliche Beurteilung des Beschwerdeführers schwerer als seine bisherige „Rückfälligkeit“, zumal auch davon auszugehen ist, dass das nunmehrige strafgerichtliche Urteil dem Beschwerdeführer die Folgen eines neuerlichen Behandlungsabbruchs vor Augen geführt hat.

In Gesamtbetrachtung dieser Umstände – insbesondere des (hypothetisch) relativ geringen Strafrahmens, der sonstigen Unbescholtenheit des bereits mehr als 15 Jahre in Österreich aufhältigen Beschwerdeführers und der eindeutig positiven Entwicklung in Bezug auf die Einsicht und Behandlungswilligkeit des Beschwerdeführers – ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug noch eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Jedenfalls aber geht vom Beschwerdeführer keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne des § 9 Abs. 6 BFA-VG iVm § 53 Abs. 3 FPG aus.

Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seiner rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes teilweise aktenwidrige Annahmen traf oder jedenfalls offenkundig die Umstände des strafgerichtlichen Urteils falsch interpretierte, wenn es fälschlich davon ausging, dass der Beschwerdeführer „schuldig gesprochen“ worden sei und es ihm zu Last legte, dass er versucht habe „sich durch Diebstähle zu bereichern“ und das „Motiv“ des Beschwerdeführers die „Aufbesserung [seiner] Finanzen“ gewesen sei (Bescheid S. 21 f). Desweiteren nahm das Bundesamt entgegen dem Strafregisterauszug und dem gegenständlichen Urteil fälschlich mehrere „schwerwiegende strafrechtliche Verurteilungen“ des Beschwerdeführers an (Bescheid S. 27), warf ihm fälschlich den „Missbrauch“ seines Aufenthaltsrechts zur Begehung von Straftaten vor (Bescheid S. 29), ging schon dem Wortlaut nach fälschlich davon aus, dass die vom Beschwerdeführer (wäre er zurechnungsfähig gewesen) begangenen Vergehen „besonders schwerwiegende Verbrechen“ seien (Bescheid S. 32), ging nicht nachvollziehbar davon aus, dass die Gefahr bestünde, dass der Beschwerdeführer zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes (wieder) Straftaten begehen würde (ibid.) bzw. er seinen Lebensunterhalt durch die Begehung von Straftaten bestreiten würde (Bescheid S. 35) und warf ihm erneut fälschlich ein „wiederkehrende[s] strafbare[s] Verhalten“ vor (Bescheid S. 36) sowie, dass er überhaupt „vehement“ die gesetzlichen Bestimmungen Österreichs missachte und seine „eigenen Regeln aufstellen“ wolle respektive „die gute wirtschaftliche Lage Österreich ausnutzen und ausbeuten“ wolle (Bescheid S. 38). Letztlich ging das Bundesamt noch fälschlich von einer „Wissentlichkeit und Absichtlichkeit“ des Beschwerdeführers bei der Begehung eines (nunmehr geändert) „sehr schwerwiegenden Vergehens“ aus, und dass ein längerer Zeitraum nötig sei, um von einem „Gesinnungswandel“ des Beschwerdeführers und einer Stabilisierung seiner finanziellen Verhältnisse ausgehen zu können (Bescheid S. 38). Der Beschwerdeführer habe „bewusst“ Vorschriften missachtet und anderen Schaden zugefügt (Bescheid S. 39).

Dem Bundesamt konnte daher nicht in seiner auf falschen Parametern beruhenden Gefährdungsprognose gefolgt werden.

Da somit die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 Z 4 FPG nicht vorliegen, war der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und dieser zu beheben.

Da die weiteren Spruchpunkte II. bis V. des angefochtenen Bescheides auf Spruchpunkt I. aufbauen, waren in weiterer Folge auch diese zu beheben.

Zum Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, sondern ausschließlich tatsachenlastig ist. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Einreiseverbot aufgehoben Gefährdungsprognose Maßnahmenvollzug psychische Erkrankung Rückkehrentscheidung behoben Straffälligkeit Zukunftsprognose Zurechnungsfähigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W169.2238206.3.00

Im RIS seit

24.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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