TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/8 W205 1421315-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.11.2021
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Entscheidungsdatum

08.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


W205 1421315-3/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.10.2020, Zl. 563879406/200571515, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 55 AsylG 2005, § 10 Abs. 3 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 3 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 46 FPG, § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Vorverfahren:

1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsbürger, stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 22.08.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs am 21.03.2012, C12 421.315-1/2011/12E, in zweiter Instanz rechtskräftig negativ entschieden und gegen ihn eine Ausweisung erlassen wurde.

Mit im Akt befindlichem Schreiben vom 11.04.2012 gab der damalige Rechtsvertreter des Beschwerdeführers seine Vertretung bekannt, stellte einen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht und ersuchte um Abstandnahme von fremdenrechtlichen Maßnahmen.

Am 04.05.2012 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich von der Bundespolizeidirektion (BPD) Wien einvernommen. Hierbei gab er zusammengefasst an, er sei ledig und für niemanden sorgepflichtig. Seine Familie lebe in Indien, in Österreich habe er keine Angehörigen. Er arbeite derzeit als Zeitungszusteller. In weiterer Folge wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht, dass er in Vollstreckung einer gegen ihn vom Bundesasylamt erlassenen durchsetzbaren und rechtskräftigen Ausweisung das Bundesgebiet zu verlassen habe. Der Beschwerdeführer gab an, zu wissen, dass gegen ihn eine durchsetzbare Ausweisung bestehe. Er gab weiters an, dass er bereit sei, das österreichische Bundesgebiet zu verlassen und sich an die Rückkehrhilfe wenden werde.

Mit Schreiben vom 09.05.2012 teilte die BPD Wien der Botschaft der Republik Indien in Wien mit, dass der Beschwerdeführer nicht im Besitz eines Reisedokumentes sei und suchte um Ausstellung eines Heimreisezertifikates an. Gegen ihn sei eine Ausweisung erlassen worden und es werde beabsichtigt, ihn nach Ausstellung eines Heimreisezertifikates in seine Heimat abzuschieben.

Der Beschwerdeführer wurde am 16.06.2012, am 28.11.2012, am 02.09.2013 und am 06.03.2020 wegen rechtswidrigen Aufenthalts gemäß § 120 Abs. 1a FPG angezeigt.

Gegenständliches Verfahren:

2. Mit E-Mail vom 30.06.2020 teilte die nunmehrige Rechtsvertretung des Beschwerdeführers mit, dass dem Beschwerdeführer am 25.08.2011 vom BFA eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt worden sei, woraus zu entnehmen sei, dass der Beschwerdeführer sich schon seit etwa neun Jahren in Österreich aufhalte. Der Beschwerdeführer habe eine Gesundheitsversicherung, verfüge über ein monatliches Einkommen von EUR 700,00 und habe auch einen Mietvertrag. Somit erfülle er eigentlich alle Bedingungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Zur Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens werde daher ersucht, dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 Abs. 1 AsylG zu erteilen. Dem ausgefüllten Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG waren noch folgende Dokumente beigelegt:

-        (teils ausgefüllter) Dienstvertrag („aufschiebend bedingt mit Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung“) vom 29.06.20(nicht lesbar)

-        Versicherungsdatenauszug vom 26.06.2020

-        Gutschrift betreffend Zustellhonorar vom 31.05.2020, 31.01.2020, 31.03.2020 und 30.04.2020

Im Übrigen wurde im ausgefüllten Erstantrag auf einen am 27.05.2020 ausgestellten Reisepass verwiesen.

Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 11.09.2020 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass die Abweisung seines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels beabsichtigt sei, da er nicht im Besitz eines Reisepasses sei. Gleichzeitig wurde ihm die Möglichkeit gegeben, binnen zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Am 23.09.2020 gab der Rechtvertreter des Beschwerdeführers mittels E-Mail eine Stellungnahme ab. Er erklärte, der Beschwerdeführer sei im Jahr 2011 nach Österreich eingereist. habe einen Asylantrag gestellt, welcher letztlich abgewiesen worden sei. Der Beschwerdeführer halte sich seit 2011 in Österreich auf und sei rechtmäßig aufhältig gewesen, solange sein Asylverfahren nicht abgeschlossen worden sei. In seiner Heimat habe der Beschwerdeführer zehn Jahre die Schule besucht und im Punjab gelebt. In Österreich habe er keine Familienangehörigen, arbeite selbstständig als Zeitungszusteller, sei krankenversichert und erteile Einkommenssteuererklärungen. Das Einkommen belaufe sich auf etwa EUR 900 pro Monat und es gebe einen Dienstvorvertrag, wonach der Beschwerdeführer als Küchenhilfe weitere EUR 735 brutto monatlich verdienen würde. Der Beschwerdeführer sei im Besitz einer e-card, sei krankenversichert und habe eine ortsübliche Wohnung gemietet – auf die Einzahlung der Mietzinsraten werde verwiesen. In seiner Heimat sei er weder strafrechtlich noch politisch verfolgt worden. Der Beschwerdeführer wolle seinen Aufenthalt in Österreich aufrechterhalten, da er Bedenken habe, dass er in seinem Heimatland keine Arbeit finden würde und könne sowie müsse er hier in Österreich arbeiten, was ihn sehr befriedige.

Der Eingabe beigelegt waren:

-        Kopie der Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG

-        Kopie einer Geburtsurkunde (englisch, deutsche Übersetzung)

-        Mietvertrag vom 31.03.2016

-        Schreiben des Beschwerdeführers vom 19.02.2019 über seine persönlichen Verhältnisse

-        Reisepasskopie

-        Distributionsvertrag (Seite 1 von 13)

-        Reisepasskopie, ZMR-Auszug und Kopie eines Aufenthaltstitels einer indonesischen Staatsangehörigen

-        Jahreskarte der Wiener Linien

-        Gutschrift betreffend Zustellhonorar vom 31.08.2020 und vom 31.07.2020

-        Einzahlungsbelege

-        „Mitteilung der Abgabenkontonummer und Abgaben“ eines Finanzamtes vom 08.07.2016

-        ÖIF – Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachkompetenz / Werte- und Orientierungswissen Niveau: A2 vom 07.05.2019

-        Bereits vorgelegter Dienstvertrag vom 29.06.20(nicht leserlich), diesmal umfassender ausgefüllt

Mit in Beschwerde gezogenem Bescheid vom 21.10.2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus den Gründen des Artikels 8 EMRK gemäß § 55 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II.), stellte fest, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der junge, gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer sei mit Entscheidung des Asylgerichtshofs vom 21.03.2012 rechtskräftig nach Indien ausgewiesen worden, sei er der Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und halte sich seither unrechtmäßig in Österreich auf. Er sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Sämtliche Familienmitglieder würden in Indien wohnen, zu Österreich bestünden keine familiären Bindungen oder Beziehungen. Es sei somit davon auszugehen, dass ein Anschluss an ein Familienleben in Indien neuerlich stattfinden könne. Der Beschwerdeführer sei im Besitz eines Dienstvertrages, habe sich selbst versichert und sei im Bundesgebiet wohnhaft sowie behördlich gemeldet. Er habe auch einen Mietvertrag vorgelegt. Einer erlaubten Erwerbstätigkeit gehe er nicht nach. Der Beschwerdeführer habe seit seinem Asylverfahren auch zu seinem Privatleben und seiner Integration keine neuerlichen bzw. tatsächlichen Änderungen im Sinne des Art. 8 EMRK gemacht, welche zu berücksichtigen wären. Der Beschwerdeführer halte sich seit 2012 unrechtmäßig in Österreich auf. Er habe trotz aufrechter Ausweisung und abgewiesenen Asylantrags keinen Versuch unternommen, Österreich zu verlassen oder seinen Aufenthalt hier zu legalisieren. Erst im Juli 2020 habe er den gegenständlichen Antrag gestellt. Eine von Art. 8 EMRK geschützte „Aufenthaltsverfestigung“ könne nicht angenommen werden. Es sei somit keine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers beziehe sich lediglich auf seinen negativ abgeschlossenen Asylantrag und dem darauffolgenden unrechtmäßigen Aufenthalt. Er habe somit mit der Stellung eines unbegründeten Antrages auf internationalen Schutz versucht, die Einreisebestimmungen Österreichs zu umgehen und habe nach negativer Beendigung seines Asylverfahrens seine zwangsweise Außerlandesbringung zu verhindern versucht, indem er gegenüber der Behörde bis 2020 keinen Reisepass vorgelegt habe. Erst durch Vorlage der Kopie desselben sei festgestellt worden, dass die ursprünglich angegebene Identität richtig sei; der originale Reisepass sei bis dato nicht vorgelegt worden. Der Beschwerdeführer habe nach der Ausweisungsentscheidung nie davon ausgehen können, dass er ein dauerndes Aufenthaltsrecht in Österreich erlange. Daher könne in einer Abwägung nicht festgestellt werden, dass dem subjektiven Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Inland Vorzug gegenüber den maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften zu geben sei. Eine Unzulässigkeit der Abschiebung sei im Fall des Beschwerdeführers angesichts der Feststellungen zur Lage im Zielstaat sowie des Vorbringens nicht auszusprechen.

In der dagegen erhobenen Beschwerde vom 27.10.2020 wurde vorgebracht, die indische Botschaft sei nicht bereit, ein Heimreisezertifikat auszustellen, sodass ihm eine Aufenthaltsberechtigung oder eine Duldungskarte zu erteile wäre, da das BFA deshalb nicht in der Lage sei, ihn aus Österreich abzuschieben. Er arbeite, sei krankenversichert und verfüge über eine ortsübliche Unterkunft, sodass er die Bedingungen für eine Aufenthaltsbewilligung nach den Bestimmungen des NAG erfülle. Im Übrigen leiste er Sozialversicherungsbeiträge und bezahle Einkommenssteuer. Er sei auch seit längerer Zeit bereits Lebenspartner von einer namentlich genannten indonesischen Staatsbürgerin, die eine unbefristete Niederlassungsbewilligung, nämlich einen Daueraufenthalt-EU, habe. Er habe daher aufgrund seines bereits neunjährigen Aufenthalts in Österreich sein Privat- und Familienleben, was von der Erstbehörde nicht berücksichtigt worden sei. Beantragt wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung sowie die zeugenschaftliche Einvernahme der indonesischen Lebenspartnerin zum Beweis des Privat- und Familienlebens in Österreich.

Die Beschwerdevorlage samt den Verwaltungsakten langte am 03.11.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 16.08.2021 brachte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung einen Fristsetzungsantrag ein.

Am 22.09.2021 langte die verfahrensleitende Anordnung des Verwaltungsgerichtshofs gemäß § 38 Abs. 4 VwGG beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Das Bundesverwaltungsgericht gewährte dem Beschwerdeführer am 22.09.2021 über seine Rechtsvertretung Parteiengehör zu seinen persönlichen Verhältnissen, zum Gesundheitszustand und zur aktuellen Lage in Indien.

Mit Schreiben vom 28.09.2021 erstattete der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung eine Stellungnahme, in der insbesondere ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer lebe bereits seit über 10 Jahren in Österreich, habe nur hier soziale Kontakte mit Mitmenschen. In Indien lebe nur noch seine Mutter und eine verheiratete Schwester, mit denen er jedoch schon seit langer Zeit keinen Kontakt mehr habe. Der Beschwerdeführer sei gesund und sei bereits einmal gegen COVID-19 geimpft worden. Er verfüge über ein monatliches rechtmäßiges Einkommen als Zeitungszusteller für eine genannte Firma. Diesbezüglich verweise er auf die Zustellhonorarabrechnungen für Juli und August 2021. Der Mietvertrag sei nach wie vor aufrecht. Zu den übermittelten Länderinformationen führte er aus, die geistige Wiege der Taliban befinde sich nicht in Afghanistan, sondern in Nordindien. Es gebe viele Tote bei Erdrutschen in Indien und mehr Tote durch COVID-19. Auch habe ein Wirbelsturm die Ostküste Indiens stark verletzt. Seit 15.08.2021 gelte ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 4) im Zusammenhang mit der Ausbreitung des COVID-19, mit Einschränkungen von Flug- und Reiseverkehr, was ebenfalls zu berücksichtigen sei. Der Beschwerdeführer sei selbstverständlich bereit, zu einer Beschwerdeverhandlung zu erscheinen.

Der Eingabe beigelegt waren:

-        Gutschrift betreffend Zustellhonorar vom 31.07.2021, 31.08.2021

-        Kopie der ecard

-        ÖIF – Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachkompetenz / Werte- und Orientierungswissen Niveau: A2 vom 07.05.2019

-        Kopie einer Geburtsurkunde (englisch, deutsche Übersetzung)

-        Korrespondenz der Rechtsvertretung mit Beschwerdeführer

-        Mietvertrag vom 31.03.2016

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, seiner Situation in Österreich und zum Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger Staatsangehöriger Indiens und stammt aus dem Bundesstaat Punjab. Er hat zehn Jahre die Schule besucht, spricht Punjabi und hat in seiner Heimat zuletzt als Hilfsarbeiter gearbeitet. In seiner Heimat leben nach wie vor seine Mutter sowie eine verheiratete Schwester. Er verfügt weiters über drei weitere Schwestern sowie einen Bruder.

Der Beschwerdeführer stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 22.08.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 21.03.2012 rechtskräftig abgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen wurde.

Seit rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz kam der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und verblieb unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer verfügte in Österreich niemals über ein Aufenthaltsrecht, außer der ihm während des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz zukommenden vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung.

Mit Eingabe vom 30.06.2020 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikels 8 EMRK zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.

Eine Kopie seines – am 27.05.2020 in Wien ausgestellten – indischen Reisepasses legte er dem Bundesamt für Fremdenwesen mit Schreiben vom 23.09.2020 vor. Der Beschwerdeführer legte im Verfahren weder seinen Reisepass noch seine Geburtsurkunde im Original vor.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er hat in Österreich eine daueraufenthaltsberechtigte Freundin mit indonesischer Staatsbürgerschaft und lebt mit dieser nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem Beschwerdeführer einerseits sowie seiner Freundin andererseits ist nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer wohnt, seit August 2015 gemeldet, in einer 46m2 großen Wohnung, wo neben ihm noch drei andere indische Staatsbürger gemeldet sind. Der Beschwerdeführer verfügt über einen Mietvertrag. Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse besucht und zuletzt die Prüfung auf dem Niveau A2 abgelegt; er kann sich in einfachem Deutsch unterhalten. Er arbeitet als Zeitungszusteller und bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung. Durch seine Tätigkeit als Zeitungszusteller bringt der Beschwerdeführer regelmäßig etwa EUR 900 bis EUR 1.150 monatlich ins Verdienen. Über ein Aufenthaltsrecht, welches zur Erwerbstätigkeit in Österreich berechtigt, verfügt er nicht. Es besteht eine aufrechte Krankenversicherung, für welche er auch Beiträge entrichtet. Der Beschwerdeführer ist steuerlich zur Veranlagung der Einkommensteuer beim Finanzamt erfasst. Er verfügt über einen mit Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung aufschiebend bedingten arbeitsrechtlichen Vorvertrag. In einem Verein in Österreich ist der Beschwerdeführer nicht tätig. Sonstige soziale Aktivitäten oder Aktivitäten in seiner Freizeit im Bundesgebiet sind nicht hervorgekommen.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er wurde bereits einmal wegen COVID-19 geimpft.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers nach Indien:

Der Beschwerdeführer läuft nicht konkret Gefahr, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie stellt kein Rückkehrhindernis dar. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Der Beschwerdeführer ist körperlich gesund und gehört im Hinblick auf sein Alter von dreiunddreißig Jahren sowie aufgrund des Fehlens einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Er ist zu mindestens bereits einmal wegen COVID-19 geimpft. Gründe, die gegen eine allfällige weitere Impfung des Beschwerdeführers sprechen, sind nicht hervorgekommen. Aktuell besteht in Österreich (auch für nicht sozialversicherte Personen) niederschwellig die Möglichkeit einer Impfung gegen SARS-CoV-2, die nach derzeitigem Wissensstand jedenfalls einen weitgehenden Schutz vor schweren Krankheitsverläufen bildet.

Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Indien eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre, konnten nicht festgestellt werden und sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Eine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte betreffend den Beschwerdeführer besteht gegenständlich nicht.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Indien:

Zur allgemeinen Lage in Indien werden folgende, für das gegenständliche Verfahren relevante Länderfeststellungen der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt (Wiedergabe der relevanten Auszüge):

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Indien vom 02.06.2021 (Version 4, 31.5.2021; ecoi.net)

COVID-19

Letzte Änderung: 21.05.2021

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugang zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrechterhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession

(PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).

Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).

Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19

Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner

Pharmaindustrie, als „Apotheke der Welt“ durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).

Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinduistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen Regierung eine „praktizierte Sorglosigkeit“. Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, „Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei“, wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren

Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeinschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staatlichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).

Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).

Quellen:

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://ww

w.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/

briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.inte rnet572?__blob=publicationFile&v=4 , Zugriff 12.10.2020

DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien]

(10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2 043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021

FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.c om/lifestyle/health/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march -20-updates-narendra-modi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-na gpur-uttar-pradesh-delhi-bengaluru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021

FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.n et/de/dokument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021

GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien -sieht-erste-anzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021

HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorg losigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021

HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.n et/de/dokument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fa ct-tank/2021/03/18/in-the-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-whi le-china-sees-smaller-changes/, Zugriff 22.3.2021

TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,

http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinter est&utm_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021

WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff

18.1.2021

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 28.05.2021

Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung

(GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es

weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).

Das SouthAsia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).

Indien und Pakistan

Indien und Pakistan teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch Indiens im Jahr 1947, dem Jammu & Kashmir-Konflikt und die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 1.2021; vgl. BBC 23.1.2018, DFAT 10.12.2020). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten „Line of Control (LoC)“ haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).

Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 1.2021). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC

1.2021). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14. Februar 2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ

26.2.2019, WP 26.2.2019).

Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute

Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von

Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan („Line of Control“) deutlich zugenommen (bpb 29.4.2021).

In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel „einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen“, heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe „in Wort und Geist“ ab dem 25.

Februar 2021 umsetzen ist (Gov. o. I. 25.2.2021; vgl. SZ 26.2.2021).

Indien und China

Indien und China teilt eine 4.056 km lange Grenze (DFAT 10.12.2020). Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Nach wie vor gibt es zwischen Indien und China eine Reihe ungelöster territorialer Streitigkeiten, die 1962 zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten und zu mehreren Unruhen führten, darunter 2013, 2017 und 2020. Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten „Line of Actual Control“ (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin sind häufig (DFAT

10.12.2020; vgl. FIDH 23.6.2020) und forderten am 15.6.2020 mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC

3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Dies waren die ersten Todesopfer an der LAC seit 1975. Von beiden Seiten wurden eine Reihe von Gesprächen auf politischer, diplomatischer und militärischer Ebene geführt. Die Situation bleibt jedoch festgefahren (DFAT 10.12.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner

C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in der letzten Zeit gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 1.2021).

Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020).

Indien und Bangladesch

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 1.2021a). In Nordost-Indien leben etwa 100.000 illegal eingewanderte Personen aus Bangladesch. Diese Einwanderer werden als ein erhöhtes Konfliktpotential wahrgenommen (BICC 1.2021). Auch bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 1.2021).

Indien und Nepal

Die Beziehungen zwischen Indiens zu Nepal haben sich im Laufe des vergangenen Jahres [2020] verschlechtert (HRW 13.1.2021), nachdem das nepalesische Parlament im Juni 2020 eine Aufnahme dreier umstrittener Grenzgebiete in das nepalesische geographische Kartenwerk abgesegnet hat. Die kartographische Erfassung der umstrittenen Gebiete ist eine Reaktion auf den Bau einer Straße durch eines der umstrittenen Gebiete durch Indien, von welchem in einer im November 2019 überarbeitete Karte als zu Indien gehörig ausgewiesen wurde (HRW 13.1.2021). Nepal ist für Indien von besonderer sicherheitspolitischer Bedeutung (GIZ 1.2021a). Indien unterstützt die nepalesische Regierung mit Waffen und Gerät in ihrem Kampf gegen die maoistischen Guerilla (BICC 1.2021).

Indien und Sri Lanka

Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis (GIZ 1.2021a). Indien belieferte in der Vergangenheit Waffen die LTTE („Tamil Tigers“) in Sri Lanka (BICC 1.2021). Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 1.2021a). Indiensetzt sich für einen Prozess der Versöhnung der ehemaligen Gegnerschaften des Bürgerkrieges in Sri Lanka ein (HRW

13.1.2021).

Quellen:

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BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.3.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Bri efingNotes/2021/briefingnotes-kw12-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 11.5.2021

BBC – British Broadcasting Corporation (3.7.2020): Locals remain anxious amid IndiaChina border stand-off, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-53020382 , Zugriff

22.7.2020

BBC – British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile – Overview, http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384 , Zugriff 29.1.2019

BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/20 20_Indien.pdf , Zugriff 23.3.2021

bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (Deutschland) (29.4.2021): Kaschmir,https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54616/kaschmir, Zugriff 7.5.2021

bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (Deutschland) (12.12.2017): Konfliktporträt:

Indien, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien , Zugriff 18.3.2020

DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/count ry-information-report-india.pdf, Zugriff 22.3.2021

EFSAS – European Foundatition for South Asia Studies, Topics Indo-Pak Relations, https: //www.efsas.org/topics/indo-pak-relations.html, Zugriff 23.3.2021

FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2019): Pakistan: Wir behalten uns vor, auf Indiens Angriffe zu reagieren, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indische-luftwaffe -verletzt-den-pakistanischen-luftraum-16061769.html, Zugriff 6.8.2019

FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.n et/de/dokument/2046516.html, Zugriff 23.3.2021

FIDH – International Federation for Human Rights (23.6.2020): China/India/Pakistan: Deescalate tensions along border lines and seek peaceful resolution of disputes, 23.6.2020 https://www.fidh.org/en/region/asia/india/china-india-pakistan-de-escalate-tensions-alongborder-lines-and-seek , Zugriff 22.7.2020

GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/ , Zugriff 23.3.2021

Gov.o.I. PIB – Government of India, Press Information Bureau (25.2.2021): Joint Statement, https://www.pib.gov.in/PressReleseDetail.aspx?PRID=1700682, Zugriff 7.5.2021

HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.n et/de/dokument/2043608.html, Zugriff 23.3.2021

KO – Kaschmir Observer (25.6.2020): Indian, Pakistani Troops Trade Fire In North Kashmir, https://kashmirobserver.net/2020/06/25/indian-pakistani-troops-trade-fire-in-north-kashm ir/ , Zugriff 22.7.2020

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien • Piazolo, Michael (2008): Macht und Mächte in einer multipolaren Welt. Springer Verlag. Seite 201

SATP – South Asia Terrorism Portal (3.5.2021a): Data Sheet - Punjab, Number of Terrorism Related Incidents Year Wise, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-da ta/india-punjab, Zugriff 6.5.2021

SATP – South Asia Terrorism Portal (3.5.2021b): Data Sheet - India Yearly Fatalities: 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/fatalities/india, Zugriff 6.5.2021

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2020): Indisch-chinesische Konfrontation im Himalaya. Eine Belastungsprobe für Indiens strategische Autonomie, Juli 2020 https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A63_IndienChina.pdf , Zugriff 22.7.2020

SZ – Süddeutsche Zeitung (26.2.2021): Wenn plötzlich Frieden ausbricht, https://www.su eddeutsche.de/politik/line-of-control-kaschmir-indien-waffenruhe-pakistan-1.5219103, Zugriff 7.5.2021

SZ – Süddeutsche Zeitung (26.2.2019): Indien bombardiert pakistanischen Teil Kaschmirs, https://www.sueddeutsche.de/politik/indien-pakistan-luftangriff-1.4345509 , Zugriff 6.8.2019

Wagner, C. (2020). The Indian-Chinese confrontation in the Himalayas: a stress test for India’s strategic autonomy.

(SWP Comment, 39/2020). Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik -SWP- Deutsches Institut für Internationale Politik

und Sicherheit. https://doi.org/10.18449/2020C39, Zugriff 22.10.2020

WP – The Washington Post (26.2.2019): India strikes Pakistan in severe escalation of tensions between nuclear rivals, https://www.washingtonpost.com/world/pakistan-says-i ndian-fighter-jets-crossed-into-its-territory-and-carried-out-limited-airstrike/2019/02/25/9 01f3000-3979-11e9-a06c-3ec8ed509d15_story.html?utm_term=.ee5f4df72709 , Zugriff

6.8.2019

Punjab

Letzte Änderung: 31.05.2021

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 9.2020).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Es gibt Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die aufständische Bewegung in Punjab wiederzubeleben. Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden Kämpfer der Babbar Khalsa International (BKI), einer militanten Sikh-Organisation in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert, BKI hat angeblich ein gemeinsames Büro mit der LeT im pakistanischen West-Punjab errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der aufständischen Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 9.2020). Im Punjab (und anderen Konfliktzonen) haben die Behörden besondere Befugnisse, ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 30.3.2021; vgl. BBC 20.10.2015). Die Menschenrechtslage im Punjab stellt sich nicht anders dar als im übrigen Indien (ÖB 9.2020).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in Punjab (sowie Uttar Pradesh und Haryana) weiterhin ein Problem dar (USDOS 30.3.2021).

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.). Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden. Auch stellen die Sikhs 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 9.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 25 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2018 wurden drei Personen durch Terrorakte getötet, 2019 waren es zwei Todesopfer und im Jahr 2020 wurden durch terroristische Gewalt drei Todesopfer registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen]. Bis zum 3.5.2021 wurden für Beobachtungszeitraum 2020 keine Opfer von verübten Terrorakten aufgezeichnet (SATP 3.5.2021).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert. In manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben (ÖB 9.2020).

Im Zuge der Bauernproteste gegen die 2020 beschlossene Liberalisierung des Agrarsektors ist ein neues, gegen die religiöse Minderheit der Sikhs gerichtetes politisches Narrativ von der hindunationalistischen BJP instrumentalisiert worden, nachdem sich Widerstand gegen die Marktreform auch bei den Sikhs aus dem Punjab formiert hatte. Politiker der Bharatiya Janata Party (BJP) unterstellten den protestierenden Sikhs vereinzelt, für ein unabhängiges Khalistan zu kämpfen und weckten damit in der Bevölkerung Erinnerungen an die Bewegung aus den 1980er und 1990er Jahren (BAMF 12.4.2021).

Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 9.2020).

Quellen:

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.4.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Bri efingNotes/2021/briefingnotes-kw15-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 6.5.2021

BBC – British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?, http: //www.bbc.com/news/world-asia-india-34578463 , Zugriff 18.10.2018

MoHA – Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India [Indien] (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusindia.gov.in/2011census/C-01.html , Zugriff 18.10.2018

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien • SATP – South Asia Terrorism Portal (3.5.20201c): Datasheet – Punjab, Data View, https: //www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/fatalities/india-punjab, Zugriff 6.5.2021

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human

Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 6.5.2021

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 31.05.2021

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 23.9.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 23.9.2020). Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung, vor Gericht häufig nicht frei aussagen (AA 23.9.2020). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 23.9.2020; vgl. FH 3.3.2021).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 3.3.2021). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberste Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 9.2020).

Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre. Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen erlaubt die Inhaftierung ohne Anklage oder aufgrund von vage definierten Vergehen (FH 3.3.2021). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei mit Todesstrafe bedrohten Delikten, soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 23.9.2020).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 23.9.2020).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen

Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit („National Security Act“, 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit („Jammu and Kashmir Public Safety Act“, 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem bzw. zwei Jahren (in Fällen des Public Safety Act) ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Pers

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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