RS Vfgh 2021/12/14 G232/2021 (G232/2021-14)

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 14.12.2021
beobachten
merken

Index

62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 litb
AuslBG §4 Abs3, §4b, §19, §20, §20a
ArbeitsmarktserviceG §1, §3, §20, §21, §24, §58, §59
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip durch Bindung der regionalen Geschäftsstelle des AMS und des Bundesverwaltungsgerichts an die Nichtzustimmung des Regionalbeirates zum Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung; Regionalbeirat hat keine Behördenfunktion und sichert nichtbehördlichen Sachverstand durch die Einbeziehung der Sozialpartner; Bindung der Behörde an die Befürwortung durch ein nichtbehördliches Organ verhindert eigenständige Beurteilung und damit den eigentlichen behördlichen Vollzug

Rechtssatz

Aufhebung des §4 Abs3 AuslBG idF BGBl I 56/2018 unter Fristsetzung mit Ablauf des 30.06.2023.

§4 Abs3 AuslBG enthält eine taxative Aufzählung von Voraussetzungen für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung, die abgesehen von der einhelligen Befürwortung des Regionalbeirates ausschließlich einzelne besondere Sachverhalte und bestimmte Personengruppen umfasst. Bei nicht unter Z1 bis 14 leg cit subsumierbaren Sachverhalten scheidet eine Bewilligungserteilung aus, zB selbst bei Vorliegen von besonderen in der Arbeitsmarktlage gelegenen Gründen oder bei einer aus öffentlichen oder gesamtwirtschaftlichen Interessen erforderlichen Beschäftigung des Ausländers nach der geltenden Rechtslage. Da es zur Bewilligungserteilung jedenfalls einer einhelligen Befürwortung des Regionalbeirates bedarf, wenn ein Sachverhalt nicht unter §4 Abs3 Z5 bis 14 AuslBG fällt, besteht nach §4 Abs3 Z1 AuslBG eine Bindung der Behörde an die verweigerte Befürwortung.

Nach der geltenden Rechtslage hat der Leiter der regionalen Geschäftsstelle als Behörde aber gemäß §4 Abs3 Z1 AuslBG grundsätzlich - soweit also nicht ein Sonderfall nach Z5 bis 14 leg cit vorliegt - keine Möglichkeit mehr (vgl zur früheren Rechtslage VfSlg 12506/1990), ohne Zustimmung des Regionalbeirates eine Beschäftigungsbewilligung zu erteilen, selbst wenn die Arbeitsmarktlage dies zulässt und ein dringender Arbeitskräftebedarf vorliegt. Der Leiter der regionalen Geschäftsstelle ist daher nunmehr bei seiner Entscheidung an die (negative) Willensbekundung des Regionalbeirates gebunden.

Gemäß §24 Abs2 AMSG übt die behördlichen Befugnisse des AMS auf regionaler Ebene ausschließlich der Leiter der regionalen Geschäftsstelle aus, der gemäß §22 AMSG die Geschäfte des AMS auf regionaler Ebene unter Beachtung der Richtlinien der Bundes- und der Landesorganisation sowie der vom Regionalbeirat beschlossenen Grundsätze unter eigener Verantwortung zu leiten und nach außen zu vertreten hat. Der Leiter der regionalen Geschäftsstelle entscheidet über alle Leistungen des AMS seines Zuständigkeitsbereiches und spricht nach §20 AuslBG mit Bescheid über Anträge auf Beschäftigungsbewilligung ab.

Demgegenüber verfügt der Regionalbeirat weder nach dem AMSG noch nach dem AuslBG über eine (behördliche) Entscheidungsbefugnis; ihm kommt keine Behördenfunktion zu. Insbesondere ist der Regionalbeirat nicht ermächtigt, selbst Hoheitsakte zu erlassen. Zwar wirkt der Regionalbeirat insofern an der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung mit, als §4 Abs3 Z1 AuslBG voraussetzt, dass er die Erteilung einhellig befürwortet. Schon der Wortlaut ("befürwortet") spricht jedoch für eine Einbindung des Regionalbeirates im Verwaltungsverfahren, das der behördlichen Entscheidung vorangeht, nicht aber für eine Mitwirkung des Regionalbeirates an der behördlichen Entscheidung (Bescheiderlassung) selbst. Aus dieser Einbindung des Regionalbeirates folgt also keine Behördenfunktion des Regionalbeirats, die bescheidmäßige Entscheidung der Sache - und damit auch der Frage, ob sämtliche Erteilungsvoraussetzungen vorliegen - obliegt allein dem Leiter der regionalen Geschäftsstelle. Gegen eine Behördenfunktion des Regionalbeirates spricht des Weiteren der Mangel einer gesetzlich vorgesehenen Weisungsbindung. Eine derartige Weisungsbindung erschiene freilich schon mit Blick auf die Zielsetzung der Einbindung des Sachverstandes eines sozialpartnerschaftlich besetzten Gremiums wenig zweckmäßig.

Bei der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gemäß §4 Abs3 Z1 AuslBG durch den Leiter der regionalen Geschäftsstelle, die die einhellige Befürwortung des Regionalbeirats voraussetzt, liegt auch kein Fall des Zusammenwirkens zweier Behörden in Form der Bindung einer Behörde an von einer anderen Behörde festgestellte Tatbestandselemente vor.

Gegen die Einbeziehung nichtbehördlichen Sachverstands in Verwaltungsverfahren hegt der VfGH dem Grunde nach keine Bedenken, solange hiedurch Entscheidungsbefugnisse nicht endgültig auf nichtbehördliche Organe "ausgelagert" werden (VfSlg 16049/2000, 19804/2003). Der VfGH geht davon aus, dass das Gesetz in der vorliegenden Ausgestaltung die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung an die einhellige Befürwortung des Regionalbeirates bindet, der aber nicht als Behörde zu qualifizieren ist. Damit wird im Falle der Nichtzustimmung des Regionalbeirates die behördliche Entscheidungskompetenz an die Zustimmung eines nichtbehördlichen Organs gebunden. Es ist jedoch mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar, der zuständigen Behörde auf diese Weise die Verantwortung für eine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung der entsprechend vorgesehenen Bewilligung und damit die eigentliche behördliche Vollzugsentscheidung zu entziehen.

Ferner gibt es im Gesetz keine Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine Beschäftigungsbewilligung unter anderen Voraussetzungen zu erteilen hätte als der Leiter der regionalen Geschäftsstelle. Insbesondere hat es daher neben den Anforderungen gemäß §4 Abs1 bzw Abs2 AuslBG auch zu prüfen, ob die in §4 Abs3 AuslBG festgelegten Kriterien erfüllt sind. Daraus folgt, dass das BVwG eine Beschäftigungsbewilligung nur dann erteilen darf, wenn die einhellige Befürwortung des Regionalbeirates (für die jeglicher gesetzliche Maßstab fehlt) vorliegt. Die mangelnde einhellige Befürwortung kann sohin weder durch die Behörde noch durch das Verwaltungsgericht substituiert werden. Dieses Zustimmungserfordernis bindet damit nicht nur den Leiter der regionalen Geschäftsstelle, sondern auch das BVwG an die Beurteilung des Regionalbeirates und entzieht auf diese Weise auch dem BVwG die Verantwortung für eine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der gesetzlichen Bewilligungsvoraussetzungen und damit sowohl das Recht zur Entscheidung über den Antrag als auch die Möglichkeit zur Überprüfung der Entscheidung.

Nach der stRsp des VfGH ist die Einbeziehung des Sachverstandes von - insbesondere auch mit Sozialpartnern besetzten - Beiräten zur Vorbereitung von Entscheidungsgrundlagen verfassungsrechtlich zulässig sowie bei entsprechender gesetzlicher Verankerung auch geboten. Die vorliegende Konstellation, in der dem Regionalbeirat entgegen seiner sonstigen Konzeption als beratendes Organ nicht nur eine beratende Funktion zukommt, unterscheidet sich von den der bisherigen Rsp des VfGH zugrunde liegenden Regelungen zur Beiziehung von paritätisch besetzten, beratenden Gremien etwa bei der Erlassung von Verordnungen.

Die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung ist gemäß §4 Abs3 AuslBG - zusätzlich zu den in Abs1 oder Abs2 leg cit festgelegten Voraussetzungen - entweder von der einhelligen Befürwortung des Regionalbeirates oder vom Vorliegen besonderer Sachverhalte oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe abhängig. Die in §4 Abs3 AuslBG abschließend aufgezählten Alternativen - eine davon muss als zusätzliche Voraussetzung neben der Erfüllung des Abs1 bzw 2 leg cit hinzutreten - stehen in einem untrennbaren Zusammenhang, der es erfordert, §4 Abs3 AuslBG zur Gänze aufzuheben.

(Anlassfall E2420/2020, E v 15.12.2021; Aufhebung der angefochtenen Entscheidung).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Ausländerbeschäftigung, Arbeitsmarktservice, Rechtsstaatsprinzip, Sachverständige, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G232.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten