TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/10 95/20/0539

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Veröffentlicht am 10.10.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Jänner 1995, Zl. 4.304.038/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und reiste am 1. August 1990 in das Bundesgebiet ein. Er stellte am 3. August 1990 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner am 12. Oktober 1990 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien erfolgten niederschriftlichen Befragung gab er zu seinen Fluchtgründen an:

"Ich war Lehrer in einer Höheren Schule in Kamishli. In meiner Klasse war eine Schülerin registriert, welche den Unterricht niemals besuchte. Sie war die Tochter des Chefs des Sicherheitsdienstes von Kamishli. Nachdem sie den Unterricht nie besucht hatte, habe ich sie durchfallen lassen. Daraufhin wurde ich vom Direktor aufgefordert, sie durchkommen zu lassen, was ich jedoch verweigerte. Daraufhin wurde ich vom Sicherheitsdienst von der Schule abgeholt und in die Sicherheitsdirektion verschafft. Ich war dort zwei Wochen in Haft und wurde auch geschlagen. Im Zuge der Verhöre wurde mir vorgeworfen, im Libanon für die Falangisten tätig zu sein, was jedoch nicht stimmt. Ich habe mich daraufhin bereit erklärt, die Tochter des Sicherheitsdienstchefs durchkommen zu lassen. Dies hatte zur Folge, daß ich unter der Kollegenschaft lächerlich gemacht wurde. Bei meiner Entlassung aus der Haft wurde mir aufgetragen, mich einen Monat und 10 Tage lang täglich bei der Polizei zu melden. Während meiner Abwesenheit kam der Sicherheitsdienst wieder nach Hause und fragte nach mir. Da ich befürchtete, daß man mir neuerlich Komplizenschaft mit den Falangisten vorwerfen würde, beschloß ich zu flüchten. Ich nahm Kontakt zu einer Menschenschmugglerorganisation auf, besorgte mir diese einen verfälschten italienischen Reisepaß, in welchem mein Foto montiert wurde. Mit diesem Reisepaß flog ich nach Rom. Wenn mir vorgehalten wird, daß meine Ausreise mit einem italienischen Reisepaß nicht möglich ist, da Ein- und Ausreise von syrischen Grekobehörden registriert werden und eine fehlende Einreise bzw. eine erfolgte Ausreise mittels Duplikat des Italieners registriert werden, bleibe ich bei meinen Angaben. Der italienische Reisepaß verblieb beim Schmuggler."

Mit Formularbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. Jänner 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle. Ein Eingehen auf die von ihm geltend gemachten Fluchtgründe erfolgte in diesem Bescheid nicht.

In der diesen Bescheid bekämpfenden Berufung wiederholte der Beschwerdeführer seine Angst vor Verfolgung durch die Polizei in Syrien, bekräftigte sein bisheriges Vorbringen und ergänzte dieses wie folgt:

"Diese Schülerin erschien fast nie zum Unterricht und bestand in meinem Fach auch die praktische Prüfung nicht, die Voraussetzung für das Zulassen zur schriftlichen Prüfung ist. Dies bedeutete, daß sie Gefahr lief, das Jahr wiederholen zu müssen. Als ihr Vater davon erfuhr, schickte er eine Patrouille zur Schule, die mich mit Gewalt aus meiner Klasse holte und besagtem Offizier vorführte. Dieser verlangte von mir, seiner Tochter in oben genannter praktischer Prüfung eine positive Note zu geben, da er mich ansonsten mit fiktiven politischen Verbrechen belasten würde. Ich bestand darauf, daß seine Tochter diese Prüfung nicht bestanden hätte. Daraufhin befahl der Offizier, mich ins Gefängnis zu stecken, mich zu schlagen, zu beleidigen und mir erfundene politische Delikte anzulasten (so z.B. daß ich Mitglied der Kataib-Partei im Libanon oder der Assorish Party sei, beides in Syrien verbotene Parteien).

Ich blieb 40 Tage in Haft, wurde dabei beleidigt und mißhandelt, bis ich mich letztendlich einverstanden erklärte, die Forderung des Offiziers zu erfüllen, um entlassen zu werden.

Doch damit war die Angelegenheit nicht beendet, ich wurde ab nun durch den Offizier und seine Männer ständig unter Druck gesetzt. Sie kamen mehrmals pro Woche, um mich zu verhören, wobei sie sich auf erfundene politische Vergehen beriefen. Sie taten alles, damit ich meinen Posten in der Schule verliere.

Auf Grund dieses ständigen Druckes und der Angst vor der Verfolgung und weiteren Inhaftierungen habe ich beschlossen, Syrien zu verlassen und bei meinen Brüdern in Wien zu leben.

...

Bei einer Rückkehr nach Syrien wäre ich nicht nur der schon vorher bestehenden Verfolgung ausgesetzt, sondern wäre auf Grund meiner Flucht von allerhöchster Gefahr bedroht."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Sie begründete ihre abweisende Entscheidung nach Darstellung des Verfahrensganges und der in Anwendung gebrachten Rechtslage sowie in Entgegnung der in der Berufung geltend gemachten Begründungsmängel dahingehend, aus der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides gehe klar hervor, auf welchen Tatsachen die rechtlichen Überlegungen der Behörde erster Instanz beruhten, die gewiß knappe Begründung des erstinstanzlichen Bescheides entspreche jedoch den Bestimmungen des § 60 AVG.

Des weiteren führte die belangte Behörde "im Rahmen der Beweiswürdigung" aus, die vom Beschwerdeführer geschilderte Verfolgungssituation habe ihre Ursache nicht in einem der in § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten (insbesondere politischen) Gründe. Ausschlaggebend für die gegen ihn ergriffenen Maßnahmen seien private Motive des Polizeioffiziers gewesen, nämlich die Prüfung seiner Tochter und nicht etwa die politische Gesinnung des Beschwerdeführers oder sonst ein asylrechtlich relevanter Grund. Überdies sei der Beschwerdeführer freigelassen worden, ohne daß der Vorwurf einer strafbaren Handlung gegen ihn erhoben worden sei, was die schlüssige Vermutung zulasse, daß die maßgeblichen staatlichen Stellen davon überzeugt gewesen seien, daß zwischen ihm und etwaigen oppositionellen Gruppen keine ernstzunehmenden Verbindungen bestünden. Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer aus diesen Gründen Verfolgung ausgesetzt gewesen sein solle bzw. dies bei seiner Rückkehr hätte befürchten müssen. Diesen Ausführungen könne daher nicht die volle Glaubwürdigkeit zukommen. Diese seien auch schon deshalb nicht glaubhaft, weil das Ziel, nämlich die bestandene Prüfung der Tochter des Polizeioffiziers, von diesem erreicht worden sei und der Beschwerdeführer sich nach seinen Angaben gar nicht oppositionell betätigt habe, sondern ihm dies nur unterstellt worden sei, um dieses Ziel zu erreichen. Mit der bestandenen Prüfung der Tochter sei aber der Grund seiner weiteren Verfolgung weggefallen. Auf das "überschießende Berufungsvorbringen" sei gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 nicht einzugehen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer wendet sich unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit zunächst dagegen, die gegen ihn ergriffenen Maßnahmen als "Privataktion" einer Person umzudeuten, die Behörde lasse dabei außer acht, daß nicht nur ein einziger Beamter, welcher Vorteile für seine Tochter habe durchzusetzen versucht, in die Vorgänge involviert gewesen sei, sondern dieser Beamte sich die herrschende politische Konstellation in seinem Heimatland zunutze gemacht habe, in der willkürliche Vorgangsweisen möglich seien, indem eben fälschlicherweise eine Komplizenschaft zu politisch mißliebig eingestuften Personengruppen unterstellt werde. Willkür sei an der Tagesordnung. Damit erhalte aber die von ihm dargestellte Verfolgung zweifellos einen politischen Charakter. Im übrigen sei eine zukünftige Verfolgung wegen des von ihm dargelegten Anlaßfalles keineswegs ausgeschlossen, da er sich nur bereit erklärt habe, die Tochter des Polizeibeamten durchzulassen, dies jedoch tatsächlich nicht getan habe. Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde hätte festzustellen gehabt, daß der Polizeioffizier sich das konkrete politische Umfeld in dem Heimatstaat des Beschwerdeführers zunutze gemacht habe, um für sich bzw. seine Tochter Vorteile durchzusetzen, sowie daß derartige Vorgangsweisen nur in dem konkreten politischen Umfeld, welches Repräsentanten des Staates Tür und Tor für Willkürakte öffne, möglich seien. Der Beschwerdeführer wies auch darauf hin, er fürchte sich nicht davor, auf Grund von Verbindungen zu den Falangisten verfolgt zu werden, sondern davor, solcher Verbindungen fälschlicherweise bezichtigt zu werden.

Diese Ausführungen erweisen sich als nicht geeignet, eine andere Sachentscheidung zu rechtfertigen, sind doch die Erwägungen der belangten Behörde im Ergebnis zutreffend. Gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991, welche Bestimmung die belangte Behörde im Sinn des § 25 leg. cit. zutreffend angewandt hat, hat die belangte Behörde als Berufungsbehörde in der Sache selbst auf Grund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zu entscheiden, wenn sie nicht einen der Fälle des § 20 Abs. 2 leg. cit., auf Grund derer eine Wiederholung oder Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erster Instanz anzuordnen gewesen wäre, als gegeben erachtet. Da der Beschwerdeführer in seiner Berufung - mit Ausnahme des Begründungsmangels im Sinn des § 60 AVG - keine Verfahrensverletzungen, insbesondere auch keine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz geltend gemacht hat und sich aus dem Akteninhalt eine solche auch nicht ergibt, bestand für die belangte Behörde kein Anlaß zu einer Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens erster Instanz im aufgezeigten Sinn. Ausgehend von der Darstellung seiner Fluchtgründe im erstinstanzlichen Verfahren hat aber der Beschwerdeführer nicht dargetan, daß mit der Erreichung des Zweckes der "Erpressung" durch den Vater seiner Schülerin eine weitere Verfolgung seiner Person zu gewärtigen gewesen wäre. Zentraler Aspekt des von § 1 Z. 1 AsylG 1991 aus Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die WOHLBEGRÜNDETE Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Eine Verfolgungsgefahr ist auch nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. als Beispiel für viele hg. Erkenntnis vom 6. Februar 1996, Zl. 95/20/0057, und die dort wiedergegebene Judikatur). Auch unter den nunmehr in der Beschwerde dargestellten gesamtpolitischen Verhältnissen im Heimatland des Beschwerdeführers kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß mit der Erreichung des - persönlichen - Zieles eines der Proponenten des Staatssystems dieser auch an einer weiteren "Verfolgung" des Beschwerdeführers Interesse gehabt hätte, ganz davon abgesehen, daß fraglich erscheint, daß der Beschwerdeführer sich von dieser Art der "Erpressung" ausschließlich durch die Flucht aus seinem Heimatland hätte befreien können. Auf die Behauptung, der Beschwerdeführer habe auch für die Zukunft nicht vor der Unterstellung politischer Dissidenz freisein können, weil er die in Rede stehende Schülerin entgegen seiner diesbezüglichen Zusage nicht in die höhere Klasse hat aufsteigen lassen, kann nicht eingegangen werden, weil diese als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 41 VwGG unzulässige Neuerung nicht mehr aufgegriffen werden kann. Der relativ kurzfristigen Inhaftierung zum Zwecke der Verhöre unter den vom Beschwerdeführer geschilderten Umständen mangelt es aber auch an der für die Annahme einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung erforderlichen Intensität des Eingriffs in die zu schützende Rechtsspäre des Beschwerdeführers.

Aus diesem Grunde erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200539.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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