TE OGH 2021/10/21 3Ob153/21b

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Veröffentlicht am 21.10.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei K* GmbH & Co KG, *, vertreten durch Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die verpflichtete Partei M* GmbH, *, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, über den Revisionsrekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Juli 2021, GZ 47 R 71/21w-126, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 11. März 2021, GZ 68 E 1228/19a-114, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der erstgerichtliche Beschluss einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die betreibende Partei ist schuldig, der verpflichteten Partei die mit 1.575,22 EUR (hierin enthalten 195,87 EUR USt und 400 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]       Mit einstweiliger Verfügung des Handelsgerichts Wien vom 9. November 2018 wurde der Verpflichteten zur Sicherung des Anspruchs der Betreibenden auf Unterlassung unlauterer Geschäftspraktiken ua geboten, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, die Tageszeitung „Ö*“ in einer Weise zu bewerben, die die Kategorie der ÖAK „verbreitete Auflage“ als wichtigsten und/oder aussagekräftigsten Maßstab für den Erfolg einer Zeitung darstellt, insbesondere dadurch, dass unter Bezugnahme auf die Kategorie der ÖAK „verbreitete Auflage“ wörtlich und/oder sinngleich behauptet wird, die Tageszeitung „Ö*“ sei erfolgreicher als die Tageszeitung „K*“. Das Titelgericht sprach in diesem Beschluss aus, die einstweilige Verfügung gelte bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Hauptverfahren.

[2]       Aufgrund dieser einstweiligen Verfügung wurde der Betreibenden mit Beschluss vom 9. April 2019 wegen eines Verstoßes gegen das Unterlassungsgebot am 24. März 2019 die Exekution nach § 355 EO bewilligt. In der Folge wurden wegen diverser Verstöße gegen diesen Titel zahlreiche weitere Geldstrafen über die Verpflichtete verhängt.

[3]       Am 26. und 27. Februar 2021 brachte die Betreibende jeweils einen weiteren Strafantrag wegen behaupteter Titelverstöße am 25., 26. und 27. Februar 2021 ein.

[4]            In der ihr vom Erstgericht eingeräumten Äußerung zu den Strafzumessungsgründen brachte die Verpflichtete insbesondere vor, das Verfahren über den durch die einstweilige Verfügung gesicherten Unterlassungsanspruch der Betreibenden sei bereits seit 25. September 2020 – also zu einem vor den nunmehr behaupteten Titelverstößen liegenden Zeitpunkt – im klagestattgebenden Sinn rechtskräftig beendet, sodass die einstweilige Verfügung seither nicht mehr wirksam sei; schon aus diesem Grund seien die beiden Strafanträge abzuweisen.

[5]            Die Betreibende erstattete dazu (unaufgefordert) eine Replik, in der sie darauf hinwies, dass die einstweilige Verfügung bisher noch nicht aufgehoben worden sei.

[6]            Das Erstgericht wies die Strafanträge ab. Die einstweilige Verfügung bestehe zwar mangels Aufhebung nach wie vor, die zeitliche Verfügungsfrist sei jedoch infolge der Rechtskraft des Urteils im Hauptverfahren abgelaufen. Nach diesem Zeitpunkt gesetzte Tathandlungen könnten angesichts der dadurch – unabhängig von einer Aufhebung – eingetretenen Unwirksamkeit der angeordneten Sicherungsmaßnahmen nicht mehr als Verstoß gegen die einstweilige Verfügung geltend gemacht werden.

[7]            Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Betreibenden Folge und verhängte über die Verpflichtete wegen der in den beiden Strafanträgen behaupteten Titelverstöße Geldstrafen von insgesamt 60.000 EUR. Der Oberste Gerichtshof habe zwar in den Entscheidungen 3 Ob 60/66 und 1 Ob 210/01s ausgesprochen, dass das mit der einstweiligen Verfügung ausgesprochene Verbot mit dem darin genannten Zeitpunkt ende, sodass wegen einer nach Ablauf dieser Verbotsfrist erfolgten Zuwiderhandlung die Exekution nicht bewilligt werden dürfe. Die Betreibende verweise allerdings zu Recht auf die Entscheidung 3 Ob 156/80, der ein mit dem hier zu beurteilenden vergleichbarer Sachverhalt zugrunde gelegen sei und in der der Oberste Gerichtshof auf den durch die Exekutionsbewilligung bejahten Vollstreckungsanspruch abgestellt habe, der bis zur Einstellung der Exekution aufrecht bleibe. Der Ablauf der zeitlichen Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung stehe daher der Bewilligung der Strafanträge nicht entgegen. Die behaupteten Titelverstöße seien auch zu bejahen.

[8]       Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil gesicherte Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein auf ein titelwidriges Verhalten nach Ablauf der Verfügungsfrist gestützter, der rechtskräftigen Exekutionsbewilligung nachfolgender Strafantrag bis zur Aufhebung des Exekutionstitels bzw einer darauf fußenden Einstellung des Exekutionsverfahrens zu bewilligen sei oder ob bereits der Ablauf der Verfügungsfrist zur Abweisung des Strafantrags führe, der nach der Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung liegende Verstöße behaupte.

Rechtliche Beurteilung

[9]            Der Revisionsrekurs der Verpflichteten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist auch berechtigt.

[10]           1. Vorauszuschicken ist, dass bei der Beurteilung des Vorliegens eines behaupteten Titelverstoßes grundsätzlich nur auf den Spruch des Titels und die Behauptungen der betreibenden Partei im Exekutions- oder Strafantrag (und allenfalls auf dazu vorgelegte Bescheinigungsmittel) abzustellen ist, während Vorbringen der verpflichteten Partei in der Äußerung gemäß § 358 Abs 2 EO, das nicht die Strafzumessungsgründe betrifft, unberücksichtigt zu bleiben hat (vgl RS0000217 [T10]). Da sich die Betreibende allerdings zu diesem Einwand der Verpflichteten in erster Instanz geäußert und im Ergebnis zugestanden hat, dass das Hauptverfahren über den durch die einstweilige Verfügung gesicherten Unterlassungsanspruch bereits vor den in den beiden Strafanträgen behaupteten Titelverstößen rechtskräftig beendet war, ist hier, wie bereits das Erstgericht richtig erkannt hat, ausnahmsweise auf dieses Vorbringen der Verpflichteten Bedacht zu nehmen.

[11]           2.1. Nach ständiger Rechtsprechung erlischt eine einstweilige Verfügung mit Ablauf der Frist, für die sie bewilligt wurde, nicht von selbst, vielmehr bedarf es einer ausdrücklichen Aufhebung durch das Gericht (vgl RS0005543 [T1]; E. Kodek in Angst/Oberhammer3 § 399 EO Rz 11). Ergeht – wie hier – ein den Hauptanspruch bejahendes Urteil, ist bei Eintritt von dessen Rechtskraft die einstweilige Verfügung auf Antrag wegen geänderter Verhältnisse aufzuheben (vgl RS0005543 [T14]).

[12]           2.2. Wurde aufgrund einer einstweiligen Verfügung die Exekution nach § 355 EO bewilligt und die einstweilige Verfügung in der Folge deshalb aufgehoben, weil an ihre Stelle ein den Unterlassungsanspruch des Gefährdeten bestätigendes Urteil getreten ist, so ist die aufgrund der einstweiligen Verfügung bewilligte Exekution mit Wirkung ab Rechtskraft deren Aufhebung einzustellen (vgl RS0001124). Im vorliegenden Fall wurde die einstweilige Verfügung allerdings bisher nicht aufgehoben.

[13]           2.3. Während nach älterer Auffassung eine einstweilige Verfügung nach Ablauf der Verfügungsfrist nicht mehr vollzogen werden durfte, kann sie nach neuerer Ansicht, solange sie nicht aufgehoben wurde, für ein während der Verfügungsfrist erfolgtes Zuwiderhandeln weiter als Grundlage einer Exekution, insbesondere der Verhängung von Strafen, dienen (vgl G. Kodek in Deixler-Hübner § 391 EO Rz 18 mwN). Auch die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung nach § 399 Abs 1 Z 2 EO wegen Ablaufs einer gemäß § 391 Abs 1 EO bestimmten Frist wirkt im Regelfall nur ab dem Zeitpunkt des Fristablaufs, weshalb sie ebenfalls keinen Einfluss auf ein Exekutionsverfahren hat, das wegen eines Zuwiderhandelns gegen die einstweilige Verfügung als Exekutionstitel noch vor deren Aufhebung eingeleitet wurde (vgl RS0122352).

[14]           2.4. Die gefährdete Partei kann also aufgrund der einstweiligen Verfügung weiterhin Exekution wegen solcher Verstöße gegen den Vollstreckungstitel führen, die vor Ablauf der Frist begangen wurden (4 Ob 96/07g mwN; in diesem Sinn auch 3 Ob 60/66 = RS0005582 und 1 Ob 210/01s mwN; vgl auch RS0004554). Umso weniger steht der bloße Fristablauf der einstweiligen Verfügung (ohne deren Aufhebung durch das Titelgericht) der Bewilligung der Unterlassungsexekution wegen vor Fristablauf erfolgter Verstöße gegen den Titel entgegen.

[15]           2.5.1. Das ausgesprochene Verbot endet allerdings mit dem in der einstweiligen Verfügung bestimmten Zeitpunkt, weil zwischen der einstweiligen Verfügung an sich und den angeordneten Sicherungsmaßnahmen zu unterscheiden ist (vgl 1 Ob 210/01s mwN; in diesem Sinn auch schon 3 Ob 60/66 = RS0005582). Damit scheidet aber die Bewilligung eines Exekutions- oder Strafantrags aus, wenn er sich auf einen nach Fristablauf begangenen Verstoß gegen die Unterlassungspflicht stützt (vgl 3 Ob 174/88 = RS0005543 [T8]).

[16]           2.5.2. Davon abweichend wurde in der Entscheidung 3 Ob 156/80 SZ 53/175 die Berechtigung der Erlassung eines weiteren Strafbeschlusses wegen eines nach Fristablauf der den Titel bildenden einstweiligen Verfügung (infolge Rechtskraft des mit der einstweiligen Verfügung deckungsgleichen Anerkenntnisurteils) – jedoch vor deren Aufhebung – erfolgten neuerlichen Verstoßes gegen das Unterlassungsgebot mit der materiellen Rechtskraft der Exekutionsbewilligung begründet; der damit bejahte Vollstreckungsanspruch der Betreibenden bleibe unabhängig vom weiteren Schicksal des Exekutionstitels bis zur Beendigung oder Einstellung der Exekution aufrecht (in diesem Sinn wohl auch 3 Ob 1009/89).

[17]           2.5.3. Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht aufrecht erhalten werden: So wie die materielle Rechtskraft der Exekutionsbewilligung der Einstellung der Exekution zumindest wegen nachträglich entstandener Einstellungsgründe nicht entgegensteht (vgl RS0001202 [T7]), hindert sie auch nicht die Wahrnehmung des nach ihrer Erlassung eingetretenen Ablaufs der Verfügungsfrist.

[18]           3. Das Erstgericht hat die Strafanträge daher zu Recht abgewiesen, sodass sein Beschluss wiederherzustellen ist.

[19]           4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 EO iVm §§ 41, 50 ZPO. Da das Exekutionsverfahren von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen nach wie vor einseitig ist, ist die von der Verpflichteten erstattete Rekursbeantwortung zwar mangels gesetzlicher Anordnung nicht zurückzuweisen (RS0118686 [T11]), sie diente allerdings nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und ist daher nicht zu honorieren (RS0118686 [T12]).

Schlagworte

Ablauf der Verfügungsfrist

Textnummer

E133385

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:E133385

Im RIS seit

03.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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