TE Vfgh Erkenntnis 2021/12/3 V613/2020 (V613/2020-13)

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Veröffentlicht am 03.12.2021
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Index

L1000 Gemeindeordnung

Norm

B-VG Art89 Abs1
B-VG Art139 Abs1 Z1
Oö GemeindeO 1990 §94
Oö RaumOG 1994 §33, §34
Bebauungsplans Nr 22 "Bergerndorf II" und Bebauungsplan Nr 22 – Satzungen "Bergerndorf II" des Gemeinderat der Marktgemeinde Thalheim bei Wels vom 28.03.2019
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Aufhebung des Bebauungsplans einer Oberösterreichischen Gemeinde auf Grund gesetzwidriger Kundmachung mangels durchgehenden öffentlichen Anschlags während der zweiwöchigen Frist an der Amtstafel nach der Oö GemeindeO 1990

Spruch

I. Der Hauptantrag wird – soweit er sich nicht auf das Grundstück Nr 1422/10, EZ 220, KG 51223 Ottsdorf, bezieht – zurückgewiesen.

II. Der Bebauungsplan Nr 22 "Bergerndorf II" samt Bebauungsplan Nr 22 – Satzungen "Bergerndorf II", beschlossen vom Gemeinderat der Marktgemeinde Thalheim bei Wels am 28. März 2019, laut Kundmachungsvermerk kundgemacht durch öffentlichen Anschlag an der Amtstafel vom 19. August bis 3. September 2019, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

III. Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aufhebung im Landesgesetzblatt für Oberösterreich verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich begehrt mit dem auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag,

"a) den Bebauungsplan Nr 22 "Bergerndorf II" samt Satzung, beschlossen vom Gemeinderat der Marktgemeinde Thalheim bei Wels am 28.3.2019, GZ 0313/2016, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel bis 3.9.2019,"

in eventu

"b) den Bebauungsplan Nr 22 "Bergerndorf II", samt Satzung, beschlossen vom Gemeinderat der Marktgemeinde Thalheim bei Wels am 28.3.2019, GZ 0313/2016, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel bis 3.9.2019, soweit dieser das Grundstück Nr 1422/10, EZ 220, KG 51223 Ottsdorf betrifft",

als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Oberösterreichischen Raumordnungsgesetzes 1994 (Oö. ROG 1994), LGBl 114/1993 idF LGBl 69/2015, wie sie zum Zeitpunkt der Erlassung des Bebauungsplanes in Kraft waren, lauteten bzw lauten auszugsweise:

"§33

Verfahren in der Gemeinde

(1) Die Absicht, einen Flächenwidmungsplan, einen Teil eines Flächenwidmungsplans (§18 Abs1 zweiter Satz) oder einen Bebauungsplan neu zu erlassen oder grundlegend zu überprüfen, ist vom Bürgermeister durch vierwöchigen Anschlag an der Amtstafel und – ohne Auswirkung auf die Kundmachung – im Internet unter der Adresse der Gemeinde mit der Aufforderung kundzumachen, dass jeder, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, innerhalb einer angemessen festzusetzenden Frist seine Planungsinteressen dem Gemeindeamt (Magistrat) schriftlich bekannt geben kann. Gibt die Gemeinde regelmäßig ein amtliches Mitteilungsblatt heraus, hat die Kundmachung auch dort zu erfolgen.

(2) Bei Erlassung oder Änderung eines Flächenwidmungsplans, eines Teils eines Flächenwidmungsplans (§18 Abs1 zweiter Satz) oder eines Bebauungsplans hat der Beschluss des Planentwurfs durch den Gemeinderat zu erfolgen. Nach Beschluss des Planentwurfs hat die Gemeinde

1. den in Betracht kommenden Bundesdienststellen,

2. der Landesregierung,

3. den benachbarten Gemeinden,

4. der Wirtschaftskammer Oberösterreich,

5. der Landwirtschaftskammer für Oberösterreich,

6. der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich,

7. der Oö. Umweltanwaltschaft, soweit Belange des Umweltschutzes in Frage stehen, sowie

8. sonstigen Körperschaften öffentlichen Rechts, von denen bekannt ist, dass ihre Interessen berührt werden,

innerhalb von acht Wochen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Landesregierung sind mit der Aufforderung zur Stellungnahme sechs Planentwürfe vorzulegen. Bei Flächenwidmungsplänen und Flächenwidmungsplanänderungen oder deren Teilen (§18 Abs1 zweiter Satz) ist, soweit nicht durch Verordnung anderes festgelegt ist, zur Frage der Umwelterheblichkeit gemäß den Abs7 und 8 und zur Frage des erforderlichen Prüfungsumfangs des Umweltberichts gemäß Abs11 Z1 eine Stellungnahme der Landesregierung einzuholen.

(3) Vor Beschlußfassung eines Flächenwidmungsplanes, eines Teils eines Flächenwidmungsplans (§18 Abs1 zweiter Satz) oder eines Bebauungsplanes durch den Gemeinderat ist der Plan durch vier Wochen zur öffentlichen Einsichtnahme beim Gemeindeamt (Magistrat) aufzulegen. Die Eigentümer jener Grundstücke, an deren Flächenwidmung oder Bebaubarkeit sich Änderungen ergeben, sind von der Planauflage nachweislich zu verständigen. Eine Verständigung kann unterbleiben, wenn die Änderung generelle Regelungen begriffsdefinitorischen Inhalts in den schriftlichen Ergänzungen von Bebauungsplänen betrifft. Auf die Auflage zur öffentlichen Einsichtnahme und die Möglichkeit der Einbringung von Anregungen oder Einwendungen ist während der Auflagefrist durch Anschlag an der Amtstafel und im amtlichen Mitteilungsblatt hinzuweisen, wenn die Gemeinde ein solches regelmäßig herausgibt.

(4) Jedermann, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, ist berechtigt, während der Auflagefrist schriftliche Anregungen oder Einwendungen beim Gemeindeamt (Magistrat) einzubringen, die mit dem Plan dem Gemeinderat vorzulegen sind. Eine Beschlußfassung des Planes in einer anderen als der zur Einsichtnahme aufgelegten Fassung ist nur nach vorheriger Anhörung der durch die Änderung Betroffenen zulässig. […]

§34

Aufsichtsverfahren und Kundmachung

(1) Beschließt der Gemeinderat einen Flächenwidmungsplan, eine Änderung eines Flächenwidmungsplans oder eines Teils eines Flächenwidmungsplans (§18 Abs1 zweiter Satz), so ist dieser mit dem dazugehörigen Akt und den Planungsunterlagen vor Kundmachung des Beschlusses der Landesregierung als Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vorzulegen. Ein Bebauungsplan ist der Landesregierung vor Kundmachung des Beschlusses nur dann zur Genehmigung vorzulegen, wenn überörtliche Interessen im besonderen Maß berührt werden. Überörtliche Inter-essen werden dann besonders berührt, wenn dies der Gemeinde von der Landesregierung anläßlich ihrer Stellungnahme gemäß §33 Abs2 mitgeteilt wurde.

(2) Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn der Plan

1. Raumordnungszielen und -grundsätzen einschließlich den aus der Seveso III-Richtlinie erwachsenden Pflichten oder festgelegten Planungen angrenzender Gemeinden oder

2. einem Raumordnungsprogramm oder einer Verordnung gemäß §11 Abs6 oder

3. – soweit nur der Flächenwidmungsteil (§18 Abs1 zweiter Satz Z1) betroffen ist – dem örtlichen Entwicklungskonzept (§18 Abs1 zweiter Satz Z2) oder

4. sonstigen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere den Baulandanforderungen gemäß §21 und den Verfahrensbestimmungen,

widerspricht oder

5. die geordnete wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung anderer Gemeinden oder des Landes wesentlich beeinträchtigen würde.

(3) Vor Versagung der Genehmigung hat die Landesregierung der Gemeinde den Versagungsgrund mitzuteilen und ihr Gelegenheit zu geben, hiezu binnen einer angemessenen, jedoch mindestens sechs Wochen betragenden Frist Stellung zu nehmen.

(4) Die Genehmigung gilt als erteilt, wenn

1. der Gemeinde nicht innerhalb von vier Monaten nach Einlangen des genehmigungspflichtigen Planes und der nötigen Unterlagen (Abs1) beim Amt der Landesregierung ein Versagungsgrund mitgeteilt wird oder

2. der Gemeinde innerhalb von drei Monaten nach Einlangen ihrer Stellungnahme zu den mitgeteilten Versagungsgründen kein das Verfahren abschließender Bescheid zugestellt wird.

(5) Nach Einlangen des genehmigten Plans bei der Gemeinde oder nach Fristablauf ist der Plan kundzumachen. Bei Versagung der Genehmigung hat eine Kundmachung des Planes zu unterbleiben. Drei Ausfertigungen des kundgemachten Planes sind dem Amt der Landesregierung vorzulegen."

2. §94 der Oberösterreichischen Gemeindeordnung 1990 (Oö. GdO 1990), LGBl 91/1990 idF LGBl 91/2018, lautete:

"VI. HAUPTSTÜCK

Kundmachungen und Verfahren

§94

Kundmachung

(1) Verordnungen der Gemeinde bedürfen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, zu ihrer Rechtswirksamkeit der öffentlichen Kundmachung nach Maßgabe der Abs2 bis 4.

(2) Die Rechtswirksamkeit von Verordnungen beginnt frühestens mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist folgenden Tag. Bei Gefahr im Verzug kann jedoch in der Verordnung angeordnet werden, daß ihre Rechtswirksamkeit bereits vor diesem Zeitpunkt beginnt, frühestens jedoch mit Ablauf des Kundmachungstages. Die Rechtswirksamkeit von Verordnungen erstreckt sich, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, auf das gesamte Gemeindegebiet.

(3) Die Kundmachung ist von der Bürgermeisterin bzw vom Bürgermeister binnen zwei Wochen nach der Beschlussfassung an der Amtstafel durchzuführen. Die Kundmachungsfrist beträgt zwei Wochen; hinsichtlich Beginn, Lauf und Ende der Frist gelten §32 Abs2 und §33 Abs1 und 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz – AVG, BGBl Nr 51/1991, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 58/2018, sinngemäß. Neben der Kundmachung an der Amtstafel und ohne Einfluss auf die Rechtswirksamkeit sind Verordnungen der Gemeinde von der Bürgermeisterin bzw vom Bürgermeister auch auf andere Art ortsüblich bekanntzumachen, wenn dies notwendig oder zweckmäßig ist.

(4) Wenn auf Grund des Umfangs oder der Art der Verordnung eine Kundmachung an der Amtstafel nicht möglich oder nicht zweckmäßig ist, ist sie im Gemeindeamt zur öffentlichen Einsicht während der Amtsstunden innerhalb der zweiwöchigen Kundmachungsfrist aufzulegen. In diesen Fällen ist die Tatsache der Auflegung kundzumachen.

(5) Der Text geltender Verordnungen ist im Gemeindeamt zur Einsichtnahme bereitzuhalten. Jedermann hat das Recht, Abschriften zu erstellen oder gegen Kostenersatz die Herstellung von Kopien oder Ausdrucken zu verlangen.

(6) Die Bestimmungen der Abs3 und 4 gelten, sofern die Gesetze nichts anderes bestimmen, sinngemäß auch für alle jene Fälle, in denen die Kundmachung von anderen Beschlüssen der Gemeinde gesetzlich angeordnet ist oder solche Beschlüsse die Öffentlichkeit berühren."

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Mit Beschluss des Gemeinderates der Marktgemeinde Thalheim bei Wels vom 17. Dezember 2015 wurde die Änderung des Flächenwidmungsplanes, Flächenwidmungsteil Nr 5, Änderung Nr 5.11 beschlossen. Auf Grund dieser Änderung wurde mit der Überarbeitung des Bebauungsplanes betreffend mehrere Grundstücke in der KG Ottsdorf begonnen. Diese Bebauungsplanänderung Nr 22 "Bergerndorf II" betrifft ua auch das Grundstück Nr 1422/10, KG Ottsdorf.

2. Mit Beschluss des Gemeinderates der Marktgemeinde Thalheim bei Wels vom 28. März 2019 wurde der Bebauungsplan Nr 22 "Bergerndorf II" samt Bebauungsplan Nr 22 – Satzung "Bergerndorf II" beschlossen.

3. Am 15. April 2019 beantragten die Beschwerdeführer des ersten Anlassverfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Z LVwG 152534 – 152535) die Erteilung einer Bauplatzbewilligung und Änderung von Bauplätzen, wobei das bestehende Grundstück Nr 1422/10 mit einer Fläche von 1152 m² in dieses mit einer verbleibenden Fläche von 609 m² und in das neu zu bildende Grundstück – Nr 1422/11 – mit einer Fläche von 543 m² geteilt werden sollte.

4. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2019 wies der Bürgermeister der Marktgemeinde Thalheim bei Wels diesen Antrag ab.

5. Gegen diesen Bescheid wendet sich die beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich anhängige Beschwerde der Beschwerdeführer zu Z LVwG 152534 – 152535.

6. Am 29. April 2019 beantragte der Bauwerber und Beschwerdeführer des zweiten Anlassverfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Z LVwG 152536) die baurechtliche Bewilligung für den Neubau einer Doppelgarage als Nebengebäude auf Grundstück Nr 1422/10, KG Ottsdorf.

7. Mit Bescheid vom 27. November 2019 wies der Bürgermeister der Marktgemeinde Thalheim bei Wels diesen Antrag ab.

8. Gegen diesen Bescheid wendet sich die beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich anhängige Beschwerde des Bauwerbers zu Z LVwG 152536.

9. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich legt seine Bedenken hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit des angefochtenen Bebauungsplanes, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof veranlasst haben, wie folgt dar:

"[…] II.2.1.

Zum Verfahren betreffend die erhobene Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages um Änderung von Bauplätzen und bebauten Grundstücken für das Grundstück Nr 1422/10, EZ 220, KG 51223 Ottsdorf:

Die vorliegende Beschwerde der Beschwerdeführer richtet sich gegen den abweisenden Bescheid vom 22.10.2019, GZ 1311-10/2019-Ke, unter anderem mit der Begründung, dass der Bebauungsplan Nr 22 'Bergerndorf II' fehlerhaft kundgemacht worden wäre.

Laut Kundmachungsformular sei ausgewiesen, dass der Bebauungsplan samt Satzungen am 19.8.2019 auf der Amtstafel angeschlagen worden wäre, wohingegen die gegenständliche Kundmachung tatsächlich jedoch am 23.8.2019 nicht an der Amtstafel angeschlagen gewesen wäre, weshalb die gesetzliche Kundmachungsfrist von zwei Wochen nicht eingehalten worden wäre.

II.2.2.

Zum Verfahren betreffend die erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Abweisung eines Baubewilligungsansuchens für ein Bauprojekt auf Grundstück Nr 1422/10, EZ 220, KG 51223 Ottsdorf:

Die gegenständliche Beschwerde richtet sich gegen die Abweisung des Ansuchens des Beschwerdeführers und Bauwerbers vom 29.4.2019, mit welcher der Antrag um baubehördliche Bewilligung für den Neubau einer Doppelgarage (Nebengebäude) auf der gegenständlichen Parzelle Nr 1422/10, EZ 220, KG Ottsdorf, gemäß §30 Abs6 Oö. BauO 1994 abgewiesen wurde. Auch in jener Beschwerde wird die fehlerhafte Kundmachung des Bebauungsplanes Nr 22 'Bergerdorf II' gleichlautend vorgebracht, welche zur Nichteinhaltung der gesetzlich festgelegten Kundmachungsfrist von zwei Wochen geführt hätte.

Zu beiden genannten Verfahren wurde eine erste mündliche Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich am 10.8.2020 abgeführt, in welcher jeweils die fehlerhafte Kundmachung des Bebauungsplanes neuerlich aufgeworfen wurde und sind in beiden mündlichen Verhandlungen zur Illustration der behaupteten fehlerhaften Kundmachung vom Beschwerdeführer auf dem mitgebrachten Computer (Laptop) Fotos der äußeren Amtstafel der Marktgemeinde Thalheim bei Wels gezeigt worden, welche mit Mobiltelefon aufgenommen worden waren, und zeigen, dass am 23.8.2019, 13:58 Uhr, eine Kundmachung zu dieser Zeit an der äußeren Amtstafel nicht angebracht war.

Am 29.8.2019 war auf der Aufnahme des Mobiltelefons (29.8.2019, 14:51 Uhr) die Kundmachung sodann ersichtlich.

Auf Ersuchen des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich hat die rechtsfreundliche Vertretung sämtlicher Beschwerdeführer in beiden Verfahren das Fotomaterial, welches diesen Umstand dokumentiert, in ausgedruckter Form dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zur Verfügung gestellt.

Nachdem in der mündlichen Verhandlung vom 10.8.2020 betreffend die erhobene Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Bauplatzbewilligung und Änderung von Bauplätzen (LVwG-152534 – 152535) vom Vertreter der belangten Behörde Auskünfte über die Person, welche den Aushang tatsächlich bei der Gemeinde angeblich vorgenommen hätte, gemacht wurden, wurde vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Kundmachung vom 7.9.2020 eine mündliche Fortsetzungsverhandlung in dieser Angelegenheit für den 1.10.2020 anberaumt und an diesem Tage auch durchgeführt.

Dort hat die von der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung vom 10.8.2020 benannte Mitarbeiterin der Gemeinde, welche den Aushang angeblich vorgenommen hätte, zeugenschaftlich einvernommen, ausgeführt, dass sie vom 14.8.2019 bis inklusive 19.8.2019 (erster Tag der angeblichen Kundmachung des Bebauungsplanes) auf Urlaub gewesen sei, was von dem bei der Verhandlung anwesenden Vertreter der belangten Behörde und Kollegen der Zeugin bestätigt wurde.

Die Zeugin gab weiter an, dass sie somit lediglich zum Vorgang des Abnehmens der Kundmachung eine Aussage machen könne und würden solche Kundmachungen üblicherweise von der außenliegenden Tafel (Außenbereich vor dem Haupteingang) abgenommen werden. Zum konkreten Vorgang könne sie aber keine Angabe mehr machen.

In der Verhandlung sind vom Vertreter der belangten Behörde unter Bezugnahme auf diesen neu hervorgekommenen Sachverhalt sodann keine eindeutigen Aussagen gekommen, wie sich die näheren Umstände der Kundmachung des gegenständlichen Bebauungsplanes abgespielt haben. (Es wurde in der Verhandlung sodann neuerlich auf eine weitere Person verwiesen, welche die zuständige Sachbearbeiterin sei.)

Eine vollständige Aufklärung konnte unter Konfrontation mit dem im Akt befindlichen Lichtbildmaterial zu den näheren Modalitäten der Kundmachung der Verordnung von der Gemeinde nicht mehr gemacht werden. Auch konnte nicht mehr gesagt werden, wer (überhaupt) von der Gemeinde konkret den Aushang, und wie, vorgenommen hat.

Die Zeugin hat schließlich unter Konfrontation mit dem ihr gezeigten Fotomaterial diese Situation in rein optischem Sinne als gut nachvollziehbare Situation bezeichnet.

Für das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich stellt sich nach vollständiger Würdigung dieses Ermittlungsstandes aus den beiden genannten Verfahren mit Verhandlung und Fortsetzungsverhandlung (jene in der Causa betreffend den Antrag auf Erteilung einer Bauplatzbewilligung) die Sache so dar, dass es ein konkretes fotografisches Beweismittel gibt, welches einen Aushang des Bebauungsplanes Nr 22 'Bergerndorf II' an der äußeren Amtstafel am 29.8.2019 – und jedenfalls dessen Nichtaushang am 23.8.2019 – belegt, wobei ferner der dortige Nichtaushang zumindest in der Zeit von 19.8. bis 23.8. 2019 als äußerst wahrscheinlich gelten muss. Als sicher gilt für das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich aber ein Anschlag an der äußeren Amtstafel am 29.8.2019, 14:51 Uhr.

Zu den näheren Aushangmodalitäten wird noch einmal ausgeführt, dass an der innenliegenden Amtstafel (Foyer) der Marktgemeinde Thalheim bei Wels (was in den mündlichen Verhandlungen bestätigt wurde) eine schriftliche Information in großen Buchstaben kundgemacht ist, wonach die Amtstafel für Bauangelegenheiten sich im Außenbereich vor dem Haupteingang befände (fotographisch dokumentiert). Die als widrig erkannten Kundmachungsaspekte gelten nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich auch für die Satzungen des Bebauungsplanes, welche gemäß Plankopf den gleichen Kundmachungsmodalitäten unterworfen wurden.

[…]

IV. Zulässigkeit des Antrages/Präjudizialität:

IV. 1.

Voraussetzung für die Anfechtung einer Verordnung gemäß Art139 Abs1 Z1 B-VG ist das Vorliegen einer kundgemachten Verordnung.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine Verordnung eine von einem Verwaltungsorgan erlassene, an die Allgemeinheit überhaupt oder an einen nach Gattungsmerkmalen bezeichneten Personenkreis adressierte Rechtsnorm, welche die Rechtslage der Betroffenen gestaltet (vgl etwa VfGH 19.6.2006, G145/05, u. a.).

Bei dem hier gegenständlichen Bebauungsplan Nr 22 handelt es sich um eine Verordnung im Sinne dieser Definition. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes liegt eine 'gehörig kundgemachte' generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vor, wenn eine solche Norm ausreichend allgemein kundgemacht wurde (vgl VfGH 28.6.2017, V4/2017). Rechtsverordnungen müssen, um rechtliche Existenz zu erlangen, jedenfalls in einer ein Mindestmaß an Publizität gewährleistenden Form gehörig kundgemacht werden. Die geforderte Publizität ist erreicht, wenn die Normadressaten Kenntnis vom Inhalt der Verordnung erlangen können (vgl etwa VfGH 15.6.1990, V114/89).

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht vorerst davon aus, dass die gegenständliche Verordnung ein Mindestmaß an Publizität aufgrund der (in seiner Dauer allenfalls verkürzten) Kundmachung während des Zeitraumes von wenigstens 29.8.2019 bis 3.9.2019 erreicht hat und wird diese Verordnung auch vollzogen, weshalb auch aus diesem Grunde von einem Mindestmaß an Publizität auszugehen ist.

IV. 2.

Weitere Voraussetzung eines auf Antrag des Gerichtes eingeleiteten Normenprüfungsverfahrens ist die Präjudizialität der zu prüfenden Bestimmungen. Präjudizialität liegt vor, wenn das Gericht die fragliche Norm in einem anhängigen Verfahren anzuwenden hat.

In den genannten Verfahren betreffend die Abweisung eines Ansuchens um Bauplatzbewilligung bzw Änderung von Bauplätzen und bebauten Grundstücken für das vom gegenständlichen Bebauungsplan Nr 22 betroffene Grundstück Nr 1422/10, EZ 220, KG 51223 Ottsdorf (Verfahren LVwG-152534 – 152535), sowie im Verfahren betreffend die Abweisung eines Baubewilligungsantrages für ein Nebengebäude auf dem oben genannten, vom Bebauungsplan Nr 22 erfassten, Grundstück ist vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich jeweils eine Vereinbarkeit der beantragten Bewilligungen mit den Bestimmungen des Bebauungsplanes Nr 22 zu prüfen.

In concreto war die Frage zu lösen, ob im Bewilligungsverfahren betreffend die Änderung von Bauplätzen und bebauten Grundstücken, welche gemäß §9 Abs1 und 3 Oö. BauO 1994 einer Bewilligung der Baubehörde bedürfen, zu Recht wegen Vorliegens von Abweisungsgründen der §§5 und 6 Oö. BauO 1994, konkret §5 Abs1 Z2 Oö. BauO 1994, die beantragte Bewilligung versagt wurde.

Im Verfahren betreffend die Abweisung eines Antrages auf Baubewilligung hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich anlässlich der vorliegenden Beschwerde zu prüfen, ob dem Bauwerber die Baubewilligung – unter Zugrundelegung des Bebauungsplanes Nr 22 – zu Recht gemäß §30 Abs6 Oö. BauO 1994 wegen Widerspruches zu zwingenden Bestimmungen eines Bebauungsplanes versagt wurde.

V. Begründung (verfassungsrechtliche Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich):

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hegt aus nachfolgenden Überlegungen Bedenken gegen den Bebauungsplan Nr 22 'Bergerndorf II':

V.1.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes belastet es eine Verordnung mit Gesetzwidrigkeit, wenn Vorschriften betreffend die Kundmachungsdauer einer Verordnung nicht eingehalten werden (hierzu VfSlg 6949/1972, 16031/2000; VfGH 2.10.1972, V11/1972; sowie zuletzt 30.11.2007, V54/07).

Aus dem oben geschilderten Sachverhalt ergibt sich auf Grund der letztlich nicht substantiell widersprochenen Aussage des Antragstellers im Verfahren auf Erteilung einer Baubewilligung (Verfahren zu LVwG-152536), welcher in der mündlichen Verhandlung vom 10.8.2020 betreffend die Abweisung eines Antrages auf Bauplatzbewilligung und Änderung von Bauplätzen (LVwG-152534 – 152535) ferner als Zeuge geladen war, dass von einer nicht ordnungsgemäßen Kundmachung des gegenständlichen Bebauungsplanes Nr 22 während eines zeitlichen Teilbereiches seiner per Kundmachungsformular ausgewiesenen gesamten Kundmachungsdauer (19.8.2019 bis 3.9.2019), nämlich zumindest am 23.8.2019, auszugehen sein wird, weshalb nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich durch die schon dadurch verkürzte Kundmachungsdauer (Dauer des Anschlages) die Verordnung mit Gesetzeswidrigkeit belastet ist und ist dieser Umstand für beide genannte Verfahren nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich auch präjudiziell.

In diesem Zusammenhang ist schließlich auf §94 Abs3 Oö. Gemeindeordnung 1990, LGBl Nr 91/1990 idgF. zu verweisen, welcher eine Kundmachungsdauer von zwei Wochen für Verordnungen der Gemeinde vorsieht.

V.2.

Im von Amts wegen eingeleiteten Normenprüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt.

Aus prozessualer Vorsicht werden nunmehr sowohl die Aufhebung der gesamten Verordnung: Bebauungsplan Nr 22 'Bergerndorf' samt Satzungen als auch – in eventu – die Aufhebung der Verordnung lediglich im Hinblick auf das Grundstück Nr 1422/10, EZ 220, KG 51223 Ottsdorf, beantragt."

10. Die Beschwerdeführer der Anlassverfahren erstatteten eine Äußerung, in der sie sich den Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich anschließen.

11. Die Oberösterreichische Landesregierung legte die Akten vor und gab eine Äußerung ab, in der sie den erhobenen Bedenken wir folgt entgegentritt:

"[…] Mit Grundsatzbeschluss des Gemeinderates der Marktgemeinde Thalheim bei Wels vom 15. Dezember 2016 erfolgte die Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Bebauungsplanes Nr 22 'Bergerndorf II'. Im Zuge des Vorverfahrens wurde von der Oö. Landesregierung in Ihrem Schreiben vom 6. März 2017 bekanntgegeben, dass überörtliche Interessen im besonderen Maße durch die Oberflächenwassergefährdung und die Nähe zum Wald berührt werden, was zur Folge hat, dass der Bebauungsplan gemäß §34 Abs1 der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vorzulegen ist. Mit diesem Schreiben wurden auch die Stellungnahmen der befassten Fachstellen mitübermittelt und die entsprechenden Bedenken bekannt gegeben.

Die Gemeinde legte schließlich mit Schreiben vom 17. April 2019 nach der Beschlussfassung im Gemeinderat am 28. März 2019 den Bebauungsplan Nr 22, 'Bergemdorf II' der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vor.

Nach nochmaliger Befassung der Fachdienststellen durch die Aufsichtsbehörde, welche im Vorverfahren Bedenken hinsichtlich der Genehmigungsfähigkeit dieses Bebauungsplanes äußerten, wurde mit Bescheid vom 12. August 2019 die aufsichtsbehördliche Genehmigung für den gegenständlichen Bebauungsplan erteilt und begründend ausgeführt, dass sich im durchgeführten Raumordnungsverfahren aus Sicht der Aufsichtsbehörde keine Gründe für eine Versagung der Genehmigung ergeben hätten.

Nach §34 Abs5 Oö. ROG 1994 hat nach Einlangen des genehmigten Plans die Gemeinde den Plan kundzumachen.

Gemäß §101 Oö. Gemeindeordnung 1990 hat der Bürgermeister die von der Gemeinde erlassenen Verordnungen unverzüglich der Aufsichtsbehörde mitzuteilen.

Nach §94 Abs1 leg. cit. bedürfen Verordnungen der Gemeinde, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, zu ihrer Rechtswirksamkeit der öffentlichen Kundmachung nach Maßgabe der Abs2 bis 4. Nach Abs2 beginnt die Rechtswirksamkeit von Verordnungen frühestens mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist folgenden Tag.

§94 Abs3 leg. cit. normiert, dass die Kundmachung von der Bürgermeisterin bzw dem Bürgermeister binnen zwei Wochen nach Beschlussfassung an der Amtstafel durchzuführen ist. Die Kundmachungsfrist beträgt zwei Wochen; hinsichtlich Beginn, Lauf und Ende der Frist gelten §32 Abs2 und §33 Abs1 und 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz — AVG, sinngemäß.

Nach 32. Abs2 AVG enden nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat. Fehlt dieser Tag im letzten Monat, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monats.

Mit Schreiben vom 9. September 2019 erfolgte seitens der Marktgemeinde Thalheim die Vorlage zur Verordnungsprüfung. Dazu wurden neben der Kundmachung, die auch den Anschlagsvermerk mit 19. August 2019 und den Abnahmevermerk mit 3. September 2019 enthielt, auch vier Planausfertigungen mit dem jeweiligen Kundmachungsvermerk übermittelt.

Die formal durchgeführte Verordnungsprüfung hat keine Gesetzwidrigkeit ergeben. Dies wurde der Gemeinde mit Schreiben vom 16.9.2019 mit dem Hinweis mitgeteilt, dass der Plan seit dem 3. September 2019, also mit dem der zweiwöchigen Kundmachungsfrist folgenden Tag, rechtswirksam ist.

Seitens der Aufsichtsbehörde ergaben sich bei der Verordnungsprüfung keinerlei Hinweise, die auf Ungereimtheiten im Zusammenhang mit der Durchführung der Kundmachung hindeuteten, weshalb diese Prüfung positiv abgeschlossen und in der Folge der Gemeinde auch mitgeteilt werden konnte, dass die Verordnungsprüfung keine Gesetzwidrigkeiten ergeben hat."

12. Der Gemeinderat der Marktgemeinde Thalheim bei Wels legte ebenfalls die Akten vor, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt zu Art89 Abs1 B-VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017 mwN). Es ist dafür nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B-VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl VfSlg 20.251/2018).

Die Kundmachung des Bebauungsplanes Nr 22 "Bergerndorf II" samt Bebauungsplan Nr 22 – Satzungen "Bergerndorf II" durch Anschlag an der Amtstafel ist ausweislich des vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vorgelegten Bildmaterials jedenfalls mit 29. August 2019 erfolgt. Der angefochtene Bebauungsplan hat mit dieser Kundmachung sohin ein Mindestmaß an Publizität erreicht, sodass die Verordnung mit verbindlicher Wirkung zustande gekommen ist und in Geltung steht.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.3. Wenn das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich in seinem Antrag ausführt, dass es den in Rede stehenden Bebauungsplan anzuwenden habe, ist dies nicht denkunmöglich. Da es im zugrunde liegenden Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich aber nur um die Erteilung einer Bauplatzbewilligung und die Änderung von Bauplätzen bzw die Erteilung einer Baubewilligung hinsichtlich des Grundstückes Nr 1422/10, KG Ottsdorf, geht, ist der Hauptantrag auch nur insoweit zulässig, als er sich auf das Grundstück Nr 1422/10, KG Ottsdorf, bezieht, weil die Bestimmungen der Verordnung vor dem Hintergrund der vorgebrachten Bedenken offenkundig trennbar sind (vgl VfGH 27.11.2018, V50/2018; 28.11.2019, V43/2019; 22.9.2020, V67/2019). Im Übrigen ist der Hauptantrag als unzulässig zurückzuweisen.

1.4. Angesichts der Zulässigkeit des Hauptantrages hinsichtlich der Aufhebung der Verordnung in Bezug auf das Grundstück Nr 1422/10, KG Ottsdorf, erübrigt es sich, auf den Eventualantrag einzugehen, da sich dieser insoweit mit dem Hauptantrag deckt.

2. In der Sache

Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

Der Antrag ist begründet:

2.1. Gemäß §94 Abs1 Oö. GdO 1990 sind alle Verordnungen der Gemeinde für ihre Rechtswirksamkeit nach Maßgabe der Abs2 bis 4 leg. cit. öffentlich kundzumachen. §94 Abs3 leg. cit. fordert den Anschlag der Verordnung an der Amtstafel durch zwei Wochen.

2.2. Aus dem von der verordnungserlassenden Behörde im verfassungsgerichtlichen Verfahren unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes sowie dem vorgelegten Bildmaterial geht hervor, dass eine Kundmachung des Bebauungsplanes Nr 22 "Bergerndorf II" zumindest am 23. August 2019, 13:58 Uhr und somit innerhalb der für den angefochtenen Bebauungsplan im Kundmachungsvermerk ausgewiesenen Kundmachungsfrist an der für Bauangelegenheiten vorgesehenen äußeren Amtstafel der Marktgemeinde Thalheim bei Wels nicht angeschlagen war.

2.3. Die Kundmachung des angefochtenen Bebauungsplanes war daher entgegen der Anordnung des §94 Abs1 und 3 Oö. GdO 1990 keine zwei Wochen angeschlagen gewesen. Die nicht den Anforderungen des §94 GdO 1990 entsprechende Kundmachung des angefochtenen Bebauungsplanes bewirkt dessen Gesetzwidrigkeit.

2.4. Gemäß Art139 Abs3 Z3 B-VG hat der Verfassungsgerichtshof nicht nur die präjudiziellen Teile einer Verordnung, sondern die ganze Verordnung aufzuheben (vgl zB VfSlg 18.068/2007), wenn er zur Auffassung gelangt, dass die ganze Verordnung gesetzwidrig kundgemacht wurde. Diese Bestimmung ist von dem Gedanken getragen, den Verfassungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, in all jenen Fällen, in denen die festgestellte Gesetzwidrigkeit der präjudiziellen Verordnungsstelle offenkundig auch alle übrigen Verordnungsbestimmungen erfasst, die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben (vgl VfSlg 19.128/2010).

2.5. Der festgestellte Kundmachungsmangel betrifft die Verordnung nicht nur insoweit, als sie im Anlassverfahren hinsichtlich des Grundstückes Nr 1422/10, KG Ottsdorf, präjudiziell ist, sondern in ihrer Gesamtheit.

Die Verordnung ist daher zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben.

V. Ergebnis

1. Der Hauptantrag wird – soweit er sich nicht auf das Grundstück Nr 1422/10, EZ 220, KG 51223 Ottsdorf, bezieht – zurückgewiesen.

2. Der Bebauungsplan Nr 22 "Bergerndorf II" samt Bebauungsplan Nr 22 – Satzungen "Bergerndorf II", beschlossen vom Gemeinderat der Marktgemeinde Thalheim bei Wels am 28. März 2019, kundgemacht laut Kundmachungsvermerk durch öffentlichen Anschlag an der Amtstafel vom 19. August bis 3. September 2019, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

3. Die Verpflichtung der Oberösterreichischen Landeregierung zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z2 litb Oö. Verlautbarungsgesetz 2015.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Verordnung Kundmachung, Bebauungsplan, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:V613.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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