TE Lvwg Erkenntnis 2021/9/23 LVwG-AV-1247/001-2021

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Veröffentlicht am 23.09.2021
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Entscheidungsdatum

23.09.2021

Norm

VVG 1991 §4
ZustG §7
ZustG §13 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch seinen Richter
Hofrat Mag. Hubmayr über die Beschwerde des A und der B gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 21. Juni 2021, Zl. ***, betreffend die Vorauszahlung der Kosten der Ersatzvornahme eines Bauauftrages des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** für die Liegenschaft in ***, ***, zu Recht:

1.   Der Beschwerde wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

2.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 28 Abs. 2 Z. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG

§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG

Entscheidungsgründe:

1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:

Herr A und Frau B (in der Folge: Beschwerdeführer) sind Miteigentümer des Grundstückes mit der Adresse *** in *** (Grundstück Nr. ***, EZ ***, KG ***). Auf dem Grundstück befinden sich ein Wohnhaus sowie das nunmehr verfahrensgegenständliche Nebengebäude in der Flächenwidmung Grünland-Landwirtschaft. Das Gebäude existiert seit über 100 Jahren. Eine schriftliche Baubewilligung liegt nicht vor. Der Konsens wird vermutet.

Im Mai 2017 gab es ein Starkregenereignis und war das Nebengebäude mit Schlamm und Wasser angefüllt. Im Juni 2017 erfolgte aufgrund einer von den Beschwerdeführern erstatteten Katastrophenmeldung ein Lokalaugenschein durch die Baubehörde, bei welchem dieses Nebengebäude besichtigt wurde und diverse Baumängel am Nebengebäude festgestellt wurden.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 19. Juni 2017, AZ.: ***, wurde den Beschwerdeführern im Spruchpunkt I. aufgetragen, mehrere näher bezeichnete Sanierungsmaßnahmen zur Beseitigung von Baugebrechen an dem auf der Liegenschaft befindlichen Nebengebäude durchzuführen.

Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** als Baubehörde II. Instanz vom 24.November 2017, GZ: ***, wurde der gegen diesen erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung der Beschwerdeführer insoweit Folge gegeben, als dass dessen Spruchpunkt I. insofern abgeändert wurde, als die beauftragten Maßnahmen teilweise näher präzisiert wurden. Die beauftragten Maßnahmen seien der binnen vier Monaten ab Rechtskraft dieses Bescheides zu erfüllen.

Die dagegen erhobene Beschwerde vom 1. Jänner 2018 wurde vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit Erkenntnis vom 14. März 2019,
GZ.: LVwG-AV-71/001-2018, abgewiesen. Der baubehördliche Auftrag sei rechtsrichtig erlassen worden.

Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Juni 2019, ***, wurde die Behandlung einer gegen das genannte Erkenntnis des LVwG erhobenen Beschwerde abgelehnt. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Oktober 2019, ***, wurde eine gegen dieses Erkenntnis des LVwG vom 14. März 2019 erhobene außerordentliche Revision zurückgewiesen.

Bei einem Lokalaugenschein der Baubehörde am 17.Juni 2019 wurde festgestellt, dass die aufgetragenen Instandsetzungsmaßnahmen noch nicht vollständig erfüllt waren.

Mit einem weiteren Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 25. Juni 2019, AZ.: ***, wurde den Beschwerdeführers abermals der baubehördliche Auftrag zur Beseitigung von Baugebrechen an dem auf der Liegenschaft befindlichen Nebengebäude durchzuführen.

Inhaltsgleich zum Bauauftragsbescheid vom 19. Juni 2017, AZ.: ***, wurde insbesondere Folgendes bis spätestens 31. März 2020 aufgetragen:

„Zu Pkt. 4

Seitens einer befugten Person ist die Standsicherheit der nördlichen Mauer

des Nebengebäudes zu prüfen und dies ist mit einer Bestätigung, welche

von einer befugten Person auszustellen ist, der Baubehörde vorzulegen.

Zu Pkt. 5 und 6

Seitens einer befugten Person ist zu prüfen, ob die noch vorhandenen

Mauern bzw. Decken nördlich des Nebengebäudes, ehemaliger Stall und

der ehemalige Viehstall, entsprechend der erforderlichen Statik bzw.

entsprechend der NÖ BauO 2014 sanierbar sind.“

Die Zustellung der einzigen Ausfertigung dieses Bescheides per RSb wurde verfügt an „A/B“ an deren gemeinsamer Adresse „***, ***“. Die persönliche Übernahme des Schriftstückes am 27. Juni 2019 durch Herrn A wurde durch dessen Unterschrift auf dem Rückschein bestätigt.

Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten (in der Folge: belangte Behörde) vom 9. April 2020, Zl. ***, wurden die Beschwerdeführer aufgefordert, die ihnen mit dem Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 25. Juni 2019, AZ.: ***, aufgetragenen aber bisher noch nicht erfüllten Instandsetzungsmaßnahmen beim Nebengebäude auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück zu erbringen. Zur Erfüllung dieser Verpflichtungen wurde nochmals eine Frist von drei Monaten, beginnend mit
1. Mai 2020, eingeräumt. Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung wurde die Durchführung einer Ersatzvornahme durch die belangte Behörde auf Gefahr und Kosten der Beschwerdeführer angedroht. Beiden Beschwerdeführern wurde dieses Schreiben nachweislich am 15. April 2020 zugestellt.

Mit einem weiteren Schreiben der belangten Behörde vom 15. September 2020, Zl. ***, wurde den Beschwerdeführer mitgeteilt, dass die ihnen eingeräumte Erfüllungsfrist mittlerweile abgelaufen sei. Die Punkte 4, 5 und 6 des Bescheides des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 25. Juni 2019, AZ.: ***, seien laut Information der Baubehörde jedoch weiterhin unerledigt.

Im Zuge einer Vorsprache bei der belangten Behörde am 13. Oktober 2020 sagte Herr A zu, die geforderten Nachweise der Standsicherheit der nördlichen Mauer bzw. der Sanierungsfähigkeit des Nebengebäudes binnen 2 Wochen vorzulegen.

Mit Schreiben vom 22. Februar 2021, nachweislich zugestellt am 24. Februar 2021, wurde den Beschwerdeführern mitgeteilt, dass bisher keine Unterlagen über die Erfüllung der aushaftenden Aufträge vorgelegt worden seien.

Mit Bescheid vom 21. Juni 2021 ordnete die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten nunmehr die mit dem Schreiben der belangten Behörde vom 9. April 2020, Zl. ***, bereits angedrohte Ersatzvornahme hinsichtlich der noch unerfüllten Aufträge des Bescheides des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 25. Juni 2019, AZ.: ***, zu den Punkten 4, 5 und 6 dieses Bescheides an.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 21. Juni 2021 wurde seitens der belangten Behörde den Beschwerdeführern hinsichtlich der angedrohten Ersatzvornahme auch die Zahlung einer Vorauszahlung für die Kosten der Ersatzvornahme im Betrag von € 2.580,- vorgeschrieben.

Je eine Ausfertigung dieses Bescheides wurde an jeden der beiden Beschwerdeführer nachweislich per RSb am 24. Juni 2021 zugestellt.

Dagegen richtet sich die nunmehrige, fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 17. Juli 2021. Beantragt wurde die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

2. Rechtsgrundlagen:

2.1. Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG:

§ 27. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, (…) auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.2. Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 – VVG:

§ 4. (1) Wenn der zu einer Arbeits- oder Naturalleistung Verpflichtete dieser Pflicht gar nicht oder nicht vollständig oder nicht zur gehörigen Zeit nachgekommen ist, so kann die mangelnde Leistung nach vorheriger Androhung auf Gefahr und Kosten des Verpflichteten bewerkstelligt werden.

(2) Die Vollstreckungsbehörde kann in einem solchen Fall dem Verpflichteten die Vorauszahlung der Kosten gegen nachträgliche Verrechnung auftragen. Der Auftrag zur Vorauszahlung ist vollstreckbar.

2.3. Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG:

§ 25a. (1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

(…)

3. Würdigung:

3.1. Zu Spruchpunkt 1:

Gemäß § 1 Abs. 1 Z 2 lit. b VVG obliegt den Bezirksverwaltungsbehörden die Vollstreckung der von Gemeindebehörden erlassenen Bescheide auf Ersuchen dieser Behörden.

Gemäß § 4 VVG kann dem zu einer Arbeits- oder Naturalleistung Verpflichteten die Vorauszahlung der Kosten gegen nachträgliche Verrechnung aufgetragen werden, sofern dieser gar nicht oder nicht vollständig oder nicht zur gehörigen Zeit der Verpflichtung nachgekommen ist.

Entscheidend für die Rechtmäßigkeit der Kostenvorschreibung ist, dass die Ersatzvornahme im Titelbescheid ihre Deckung findet.

Im Verfahren betreffend Anordnung der Ersatzvornahme (durch Vollstreckungsverfügung) eines rechtskräftigen Verpflichtungsbescheides sowie im Verfahren betreffend Vorschreibung der Kosten dieser Vollstreckungsmaßnahme (durch verfahrensrechtlichen Bescheid) kommt die (nochmalige) Überprüfung der im Verpflichtungsbescheid verfügten Maßnahmen nicht in Betracht (VwGH 88/05/0141, 95/08/0106 u.a.). Ein in Rechtskraft erwachsener Bescheid ist - die erforderliche Bestimmtheit des Leistungsbefehls vorausgesetzt - taugliche Grundlage eines Vollstreckungsverfahrens. Im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens kann die Frage der Rechtmäßigkeit des in Rechtskraft erwachsenen Titelbescheides nicht mehr aufgeworfen werden (VwGH Ro 2014/05/0041).

Einwendungen gegen den Titelbescheid können im Vollstreckungsverfahren nicht mehr vorgebracht werden (VwGH 2013/05/0175).

Im gegenständlichen Fall wurde die Vollstreckung angeordnet und eine Vorauszahlung der Vollstreckungskosten vorgeschrieben aufgrund des Bescheides des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 25. Juni 2019, AZ.: ***. Von der Rechtskraft dieses Titelbescheides ist die belangte Behörde ausgegangen.

Obwohl im Titelverfahren unterlaufene Rechtswidrigkeiten im Vollstreckungsverfahren nicht mehr bekämpft werden können, liegt dennoch ein Vollstreckungshindernis vor, wenn ein Mangel zugleich eine ordnungsgemäße Zustellung des Titelbescheides verhinderte (vgl. VwGH 94/06/0191, 94/05/0015). Dies deshalb, weil in einem solchen Fall der Titelbescheid dem Verpflichteten gegenüber nicht wirksam werden konnte.

Der Titelbescheid wurde von der Baubehörde an beide Beschwerdeführer adressiert.

Die Zustellung der einzigen Ausfertigung dieses Bescheides per RSb wurde verfügt an „A/B“ an deren gemeinsamer Adresse „***, ***“. Die persönliche Übernahme des Schriftstückes am 27. Juni 2019 durch Herrn A wurde durch dessen Unterschrift auf dem Rückschein bestätigt.

Insofern die beiden Beschwerdeführer gemeinsam Miteigentümer der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft bzw. der vom Bauauftrag betroffenen Gebäude sind, war die Baubehörde im vorliegenden Fall auch berechtigt, gegen beide nunmehrigen Beschwerdeführer einen einheitlichen Bescheid zu erlassen. Deren gemeinsame Anführung als materielle Adressaten des Bauauftrages erschiene diesfalls unbedenklich.

Wenn ein Schriftstück inhaltlich für mehrere Personen bestimmt ist, muss es jedem von ihnen zugestellt werden (VwGH 88/04/0077; 84/17/0037).

Ergeht ein inhaltlich einheitlicher Bescheid, so kann der Bescheid nur jedem Adressaten gegenüber einzeln mit der Zustellung einer eigenen Ausfertigung an diesen in Wirksamkeit treten.

Zur wirksamen Erlassung des Titelbescheides durch Zustellung gegenüber beiden Beschwerdeführern wäre es daher erforderlich gewesen, abweichend von der materiellen Adressierung an beide Beschwerdeführer die Zustellung je einer Bescheidausfertigung an jeden von ihnen zu verfügen und durchzuführen.

Da eine einzige Ausfertigung eines Bescheides nicht für zwei Adressaten bestimmt sein kann, vermochte die formelle Adressierung der Erledigung des Bürgermeisters an beide Beschwerdeführer allenfalls für einen von ihnen Wirksamkeit zu entfalten.

Zur wirksamen Zustellung des Bescheides gegenüber beiden wäre es erforderlich gewesen, die Zustellung je einer Ausfertigung an jeden der beiden Bescheidadressaten zu verfügen (VwGH 94/17/0320). Im gegenständlichen Fall wurde die Zustellung einer einzigen Ausfertigung an beide Beschwerdeführer (an „A/B“) verfügt.

Das Zustellgesetz sieht die formelle Adressierung einer Sendung an verschiedene Adressaten nicht vor (vgl. § 13 Abs.1 Zustellgesetz: „Die Sendung ist dem Empfänger … zuzustellen.“), doch hindert eine derartige Vorgangsweise noch nicht von Haus aus die Wirksamkeit der Zustellung an eine der in der Anschrift genannten Personen (VwGH 91/06/0090, 94/04/0206; 94/17/0320).

Wie sich aus der bloß alternativen Wirksamkeit einer Zustellverfügung mit mehreren Empfängern (Kuvertadressaten) ergibt, erfolgt eine wirksame Zustellung nur gegenüber jenem der beiden Kuvertadressaten, dem das Schriftstück als Erstem tatsächlich zukommt. Nur dieser Vorgang ist einem Verhalten der Behörde zurechenbar. Eine Weitergabe der einzigen Bescheidausfertigung an den zweiten Kuvertadressaten vermag diesem gegenüber eine Zustellung nicht zu bewirken.

Seitens der Behörde wurde eine nachweisliche Zustellung der einzigen Bescheidausfertigung an zwei Empfänger bzw. Kuvertadressaten verfügt. Es ist auch unzweifelhaft, dass beide Beschwerdeführer die einzige Bescheidausfertigung tatsächlich erhalten haben. Der Umstand, dass jemand in den Besitz einer Ausfertigung eines Bescheides kommt, ist jedoch von einer formellen Zustellung und damit wirksamen Erlassung des Bescheides zu unterscheiden.

Die Zustellung eines an zwei an derselben Adresse wohnhafte Personen adressierten Bescheides an einen der beiden muss dann als wirksam angesehen werden, wenn einer der beiden die Sendung persönlich als Empfänger übernommen hat.

Ein an mehr als eine Person gerichtetes Schriftstück gilt nur an die Person zugestellt, die es übernommen hat (VwGH 92/17/0084; 89/07/0077). Es liegt keine ordnungsgemäße Zustellung vor, wenn im Falle des Vorhandenseins mehrerer Parteien, die behördliche Erledigung in einer gemeinsamen Sendung an diese Parteien adressiert war (VwGH 96/06/0218; 91/06/0243; 91/06/0194).

Für eine ordnungsgemäße Zustellung ist auch bei Ehegatten die Zustellung mittels zweier Sendungen erforderlich. Eine Sendung (Rückscheinbrief), die an beide Ehegatten adressiert ist und von einem Ehegatten übernommen wird, kann für den anderen Ehegatten nicht als Ersatzzustellung wirksam sein (VwGH 2013/05/0003; 93/06/0002).

Seitens der Baubehörde wurde eine nachweisliche Zustellung der einzigen Bescheidausfertigung verfügt, dokumentiert ist die persönliche Übernahme des Schriftstückes durch Herrn A am 27. Juni 2021. Gegenüber von Herrn A als Adressaten des Bauauftrages bzw. Titelbescheides wurde damit die Zustellung der einzigen Ausfertigung auch wirksam vollzogen.

Es ist wohl unzweifelhaft, dass diese einzige Ausfertigung auch an Frau B weitergegeben wurde und diese die einzige Bescheidausfertigung auch tatsächlich erhalten hat. Der Umstand, dass jemand in den Besitz einer Ausfertigung eines Bescheides kommt, ist jedoch von einer formellen Zustellung und damit wirksamen Erlassung des Bescheides zu unterscheiden. Die Weitergabe der einzigen Bescheidausfertigung an die weitere Bescheidadressatin vermochte dieser gegenüber eine Zustellung nicht mehr zu bewirken.

Eine Heilung des Zustellmangels gemäß § 7 Zustellgesetz bezüglich der Zustellung der Sendung an den anderen Adressaten scheidet aus, da die Sendung schon einem der darin (in der Zustellverfügung) genannten Adressaten zugekommen ist (VwGH 94/17/0320, in dem die Möglichkeit der Heilung einer ursprünglich nicht wirksamen Zustellung angenommen wird, wobei aber diese Heilung bei einem einzigen Schriftstück nur einem der Adressaten gegenüber eintreten kann; in gleicher Weise kommt eine Heilung dem zweiten Empfänger gegenüber nicht in Betracht, wenn die Zustellung bereits durch die Übernahme der Sendung durch einen der Adressaten als Empfänger diesem gegenüber wirksam geworden ist).

Eine Weitergabe der einzigen Bescheidausfertigung durch Herrn A, dem diese Ausfertigung laut der von ihm unterschriebenen Empfangsbestätigung zuerst zugekommen ist, an Frau B vermag dieser gegenüber eine Zustellung nicht mehr zu bewirken. Daraus folgt, dass die Zustellung des Titelbescheides durch persönliche Ausfolgung der einzigen Bescheidausfertigung an Herrn A (laut Übernahmebestätigung) nur gegenüber diesem, nicht jedoch gegenüber Frau B wirksam wurde.

Dies bedeutet, dass der Titelbescheid, der Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 25. Juni 2019, AZ.: ***, mangels wirksamer Zustellung gegenüber der Frau B bisher nicht erlassen worden ist.

Rechtskräftig ist der Titelbescheid der Baubehörde bisher nur gegenüber Herrn A.

Grundsätzlich trifft die Ausführungs- und Erhaltungspflicht eines Bauwerks den Eigentümer des Bauwerks. Im Fall des Miteigentums trifft eine solche (unteilbare) Verpflichtung jeden Miteigentümer solidarisch. Die Vollstreckung eines baupolizeilichen Auftrages kommt daher im Fall von Miteigentum nur dann in Betracht, wenn sich der Auftrag an alle Miteigentümer richtet, was aber nicht bedeutet, dass der Auftrag auch in einem einheitlichen Bescheid gegen alle Miteigentümer erlassen werden muss. Der Auftrag kann rechtens auch an einzelne Miteigentümer ergehen, kann in diesem Fall aber nicht vollstreckt werden, ehe er nicht gegenüber allen Miteigentümern rechtskräftig ist (vgl. VwGH Ra 2017/06/0154, 95/06/0132, 96/06/0182).

Die Vollstreckung eines Bauauftrags hinsichtlich einer im Miteigentum stehenden Liegenschaft kommt erst dann in Betracht, wenn der Auftrag gegenüber allen Miteigentümern rechtskräftig ist (VwGH Ra 2017/06/0154). Die formelle Rechtskraft im Sinne der Unanfechtbarkeit eines Bescheides kann nämlich subjektiv different sein, d.h. sie kann im Mehrparteienverfahren gegenüber einer Partei eingetreten sein, einer anderen gegenüber aber (noch) nicht (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger Verwaltungsverfahrensrecht11 (2019) Rz 457), weil im Mehrparteienverfahren die Erlassung des Bescheides den einzelnen Parteien gegenüber zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgen kann; der Eintritt der formellen Rechtskraft ist demnach bei einem Bescheid, der an mehrere Parteien ergeht, für jede Partei gesondert zu beurteilen (vgl Hengstschläger/Leeb AVG § 68 Rz 7 rdb.at).

Da der Titelbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 25. Juni 2019, AZ.: ***, noch nicht gegenüber sämtlichen Miteigentümern der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft in Rechtskraft erwachsen ist, kommt eine Vollstreckung dieses Bauauftrages auch (noch) nicht in Betracht.

Mangels Vollstreckbarkeit des Bauauftrages können auch Kosten für Vollstreckungsmaßnahmen nicht rechtmäßig vorgeschrieben werden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 24 VwGVG unter Entfall der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Einerseits steht bereits auf Grund der Aktenlage fest, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist und andererseits sind im Ergebnis ausschließlich Rechtsfragen zu beurteilen, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist (VwGH 2012/05/0029, 2012/03/0038).

4. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abweicht und eine gesicherte und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt.

Schlagworte

Bau- und Raumordnungsrecht; baubehördlicher Auftrag; Ersatzvornahme; Verfahrensrecht; Vollstreckungsverfahren; Zustellung; Empfänger; Wirksamkeit;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.1247.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.12.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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