TE Dok 2021/11/29 2020-0.768.107

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Veröffentlicht am 29.11.2021
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Norm

BDG 1979 §44 Abs1, §91 Abs1, §118 Abs1 Z2, §126 Abs2

Schlagworte

Gerichtsvollzieher, Vollzugsgebühren, Weisung

Text

Die Bundesdisziplinarbehörde, Senat 30, hat durch MR Mag. Franz Higatsberger-Urbanek, MA als Vorsitzenden sowie LStA Mag. Gerhard Nogratnig, LL.M. und ADir HR Gerhard Scheucher als nebenberufliche Mitglieder in der Disziplinarsache gegen NN, Gerichtsvollzieher des Oberlandesgerichtes XY, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29. November 2021 beschlossen:

I. NN ist schuldig, er hat von Mai bis August 2020 in XY als Gerichtsvollzieher des Oberlandesgerichtes XY mit Vollzugsgebiet XY

in 15 Fällen entgegen der Weisung vom 3. August 2018, im Falle eines Antrages auf Einstellung oder Aufschiebung der Exekution durch den betreibenden Gläubiger, noch bevor es zu Vollzugshandlungen kommt, den Akt dem Gericht mit dem Einlaufstück vorzulegen, wobei für den Gerichtsvollzieher kein Anspruch auf Vergütungen oder Fahrkosten entsteht, Vergütungen und Fahrtkosten nach Einlangen des Antrages auf Einstellung der Exekution verrechnet und dadurch zu Unrecht Vergütungen und Fahrtkosten nach den Bestimmungen des Vollzugsgebührengesetzes in der Höhe von gesamt € 187,58 verzeichnet.

NN hat dadurch gegen

das in § 44 Abs 1 BDG 1979 normierte Gebot, seine Vorgesetzten zu unterstützen und ihre Weisungen, soweit verfassungsgesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zu befolgen,

schuldhaft verstoßen und damit Dienstpflichtverletzungen gemäß § 91 Abs 1 BDG 1979 begangen.

Über NN wird deswegen gemäß § 126 Abs 2 iVm § 92 Abs 1 Z 2 BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe von EUR 1.000,00 (eintausend) verhängt.

II. Demgegenüber wird NN vom Vorwurf, er habe

in 39 Fällen inhaltlich unrichtige Vollzugsberichte verfasst, indem er angab, dass die Pfändung mangels pfändbarer Gegenstände unterblieben ist, obwohl die verpflichtete Partei verzogen und ein Vollzugsversuch damit gar nicht möglich war, und dadurch zu Unrecht Vergütungen nach den Bestimmungen des Vollzugsgebührengesetzes in der Höhe von gesamt € 50,70 verzeichnet

gemäß § 126 Abs 2 iVm § 118 Abs 1 Z 2 BDG 1979 im Zweifel freigesprochen.

Kosten des Disziplinarverfahrens iSd § 117 Abs 2 BDG 1979 sind nicht angefallen.

Begründung:

Feststellungen

1. Zur Person

NN steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis und ist als Gerichtsvollzieher beim Oberlandesgericht XY tätig. Es wurde ihm das Vollzugsgebiet XY zugewiesen. Er hat weder finanzielle Verbindlichkeiten noch Sorge- oder Unterhaltspflichten. Sein Monatsnettoeinkommen beträgt ca. EUR 2.800,- bis 3.000,-.

2. Disziplinaranzeige

Am 17. November 2020 erstattete der Präsident des Oberlandesgerichtes XY als Dienstbehörde gemäß § 110 Abs 1 Z 2 BDG 1979 eine Disziplinaranzeige gegen NN, in der ihm die im Spruch angeführten Vorwürfe zur Last gelegt wurden.

3. Einleitungsbeschluss

Mit Bescheid der Bundesdisziplinarbehörde vom 11. Jänner 2021, GZ: 2020-0.768.107-3, wurde dazu die Einleitung des Disziplinarverfahrens gemäß § 123 Abs 1 BDG 1979 verfügt.

4. Strafanzeige

Am 23. Februar 2021 teilte die Dienstbehörde mit, dass die Staatsanwaltschaft XY zu AZ 7 St 314/20g wegen des den Gegenstand der Disziplinaranzeige bildenden Sachverhalts gegen NN ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes des Verbrechens des Amtsmissbrauchs nach § 302 Abs. 1 StGB führt.

Am 16. August 2021 teilte die Dienstbehörde dazu mit, dass die Staatsanwaltschaft XY das zu AZ 7 St 314/20g geführte Ermittlungsverfahren gegen NN wegen des Verdachtes des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt hat.

5. Mündliche Verhandlung

Am 29. November 2021 fand die mündliche Verhandlung vor der Bundesdisziplinarbehörde dazu statt. Der Beschuldigte, der mit seinem Verteidiger daran auf eigenen Wunsch über Videokonferenz teilnahm (§ 3 Abs 2 Z 1 COVID-19-VwBG), bekannte sich dabei nicht schuldig und verantwortete sich im Wesentlichen im Sinne seiner Beschuldigtenvernehmung vom 24.03.2021 im Strafverfahren (ON 9).

Zu I. verantwortete er sich dahingehend, es gebe in jedem dieser Akten vor Einlangen des Einstellungsantrages eine oder mehrere Vollzugshandlungen (meistens Pfändungen). Die Auflistung in der Disziplinaranzeige sei zudem unrichtig, weil in der Spalte „Datum Einstellungsbeschlusses“ das Datum des Einstellungsantrages angeführt sei. Mit der gleichzeitigen Protokollierung von Einstellung und Zahlung habe er erst nach einer Schulung (im Mai 2019) begonnen, bei der vom Vortragenden die Frage, ob eine Einstellung ein Zahlungsnachweis sei, mit „Ja, wenn der Einstellung eine Zahlung zugrunde liegt.“ beantwortet worden sei. Ein bis 4. Mai 2019 gültiger Erlass (Durchführungserlass zum VWGebG und zur EO-Novelle 1995) habe ebenfalls die Einstellung als Zahlungsnachweis geregelt. Die Weisung vom 3. August 2018 sei ihm nicht mehr erinnerlich gewesen, regele jedoch das Vorgehen bei Einlangen einer Einstellung noch bevor es zu Vollzugshandlungen gekommen ist, und treffe seiner Ansicht nach daher auf diese Fälle nicht zu. Die Akten 2 E 2746/19t, 2 E 886/19p und 2 E 2415/19s, bei denen es um vergleichbare Sachverhalte gehe, seien bereits im Jänner und Februar 2020 von der Vorgesetzten (LEG) geprüft und nicht beanstandet worden.

Zu II. verantwortete er sich dahingehend, er habe zweifelsfrei abklären wollen, ob der Verpflichtete pfändbares Vermögen zurückgelassen hat (was zwar selten, aber doch schon mehrmals vorgekommen sei). Nur wenn zweifelsfrei abgeklärt werden konnte, dass kein pfändbares Vermögen zurückgelassen wurde, habe er zusätzlich „mangels pfändbarer Gegenstände“ im Bericht angeführt. Die Abklärung sei meist durch Befragen der angetroffenen Personen sowie durch Nachschau am Abstellplatz oder der Garage und mittels Blick durch das Fenster bei ebenerdigen Wohnungen erfolgt. Nach einer Stellungnahme des Exekutionsrichters Dr. NN sei diese Vorgehensweise zweckmäßig und werde dem Vollzugsauftrag auch besser gerecht; soweit überblickbar widerspreche dies auch keinen gesetzlichen Vorgaben. Die Zuständigkeit für die Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Vollzugshandlungen obliege zudem den Organen der Rechtsprechung. Im Überprüfungszeitraum habe es 85 Fälle gegeben, bei denen die verpflichtete Partei verzogen war, wobei in 44 Fällen nicht feststellbar gewesen sei, ob pfändbares Vermögen zurückgelassen wurde. Dieselbe Vorgehensweise sei von der Dienstbehörde im Verfahren 2 E 575/20d geprüft und nach der Disziplinaranzeige für in Ordnung befunden worden. Auch die Verfahren 2 E 574/20g bis 2 E 576/20a sowie 2 E 3224/17h seien von der Vorgesetzten (LEG) im Mai und Juni 2020 geprüft, jedoch nicht beanstandet worden.

Zu I. wird festgestellt, dass der Beschuldigte in den im Einleitungsbeschluss angeführten gesamt 15 Verfahren den Einstellungsantrag als Zahlungsnachweis gewertet und daraus einen Anspruch auf Vergütungen und Fahrtkosten nach dem Vollzugsgebührengesetz in der Höhe von gesamt EUR 187,58 abgeleitet und verzeichnet hat.

Zu II. kann nicht festgestellt werden, dass der Beschuldigte in den aufgelisteten 39 Fällen inhaltlich unrichtige Vollzugsberichte verfasst hat, indem er angab, dass die Pfändung mangels pfändbarer Gegenstände unterblieben ist, obwohl die verpflichtete Partei verzogen war.

Beweiswürdigung

Die Feststellungen zur Person gründen sich auf die übereinstimmenden Angaben in der Disziplinaranzeige und der Beschuldigtenvernehmung, die Feststellungen zum Sachverhalt auf die Disziplinaranzeige und den Einleitungsbeschluss sowie die Verantwortung des Beschuldigten in der mündlichen Verhandlung.

Zu I. ergeben sich die Feststellungen zweifelsfrei aus der Aktenlage und der Verantwortung des Beschuldigten. Die schriftliche Weisung, deren Zugang der Beschuldigte auch nicht bestreitet, hält eindeutig fest, dass ein Einstellungsantrag nicht als Zahlungsnachweis, der einen Vergütungsanspruch begründet, gewertet werden darf.

Zu II. ergeben sich die Feststellungen ebenfalls zweifelsfrei aus der Aktenlage und der Verantwortung des Beschuldigten. Danach hat die Dienstbehörde im Verfahren 2 E 575/20d den Vergütungsanspruch anerkannt, weil sich der Beschuldigte in der Wohnung der ehemaligen Lebensgefährtin des Verpflichteten umgesehen und dabei keine pfändbaren Gegenstände vorgefunden hatte. Damit geht sie offenbar selbst davon aus, dass ein Vollzugsversuch nicht unmöglich ist, wenn die verpflichtete Partei verzogen ist. Auch in den übrigen stichprobenartig überprüften Einzelfällen ist der Dienstbehörde der Nachweis, der Beschuldigte habe nicht ausreichend geprüft, ob pfändbare Gegenstände zurückgelassen wurden, nicht gelungen. Das ergibt sich zu den Verfahren 102 E 663/20f und 2 E 1952/18a schon aus dem Bericht, wonach der Beschuldigten entsprechende Erhebungen durch eine Befragung der Vermieterin bzw. des Nachmieters getätigt hat. Zum Verfahren 2 E 3224/17h konnte keine Partei angetroffen werden, weshalb der Verantwortung des Beschuldigten, er habe diese Nachmieterin beim Vollzugsversuch ebenfalls dazu befragt, nicht wiederlegbar ist. Zu den ungeprüften Einzelfällen kann eine unzureichende Überprüfung ebenfalls nicht angenommen werden.

Rechtliche Beurteilung

§ 44 Abs 1 BDG 1979 lautet:

Dienstpflichten gegenüber Vorgesetzten

§ 44. (1) Der Beamte hat seine Vorgesetzten zu unterstützen und ihre Weisungen, soweit verfassungsgesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zu befolgen. Vorgesetzter ist jeder Organwalter, der mit der Dienst- oder Fachaufsicht über den Beamten betraut ist.

Der Beschuldigte hat zu I. dadurch, dass er entgegen der Weisung vom 3. August 2018 einen Einstellungsantrag als Zahlungsnachweis, der einen Anspruch auf Vollzugsgebühren auslöst, gewertet hat, gegen diese Dienstpflicht verstoßen. Die Behauptung, in einer Schulung sei seine Vorgehensweise vom Vortragenden als zulässig betrachtet worden, ist jedenfalls nicht geeignet, die Nichtbefolgung einer anderslautenden Weisung zu rechtfertigen, zumal sogar rechtswidrige Weisungen grundsätzlich zu befolgen sind (vgl Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten4, S. 220 mwN). Auch ein beachtlicher Rechtsirrtum kann hier ausgeschlossen werden, weil aufgrund der Weisung erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Vorgehensweise beim Beschuldigten aufkommen hätten müssen, die eine Erkundigungspflicht auslösen und einem beachtlichen Rechtsirrtum regelmäßig entgegenstehen (vgl Höpfel in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 9 Rz 14).

Gemäß § 93 Abs 1 BDG 1979 ist die Schwere der Dienstpflichtverletzung das Maß für die Höhe der Strafe. Bei Beurteilung des Gewichts der Dienstpflichtverletzung sind die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Dabei ist jedoch darauf Rücksicht zu nehmen, inwieweit die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten. Die nach dem Strafgesetzbuch für die Strafbemessung maßgebenden Gründe sind dem Sinne nach zu berücksichtigen. Weiters ist auf die persönlichen Verhältnisse und die wirtschafte Leistungsfähigkeit des Beamten Bedacht zu nehmen.

Nach den Ergebnissen des Disziplinarverfahrens ist bei dem NN zur Last liegenden Disziplinarvergehen weder von geringer Schuld noch von unbedeutenden Folgen der Tat auszugehen.

Die Schwere der Dienstpflichtverletzung ergibt sich daraus, dass der Beschuldigte entgegen einer schriftlichen Weisung in insgesamt 15 Fällen zu Unrecht Vergütungen und Fahrtkosten verzeichnete.

Schon aus generalpräventiven Gründen ist daher eine spürbare Sanktion geboten, zumal es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt, sondern österreichweit immer wieder Fälle auftreten, in denen Vollzugsgebühren zu Unrecht beansprucht werden und dem daher entgegenzuwirken ist.

Auch in spezialpräventiver Hinsicht bedarf es der Verhängung einer Disziplinarstrafe, um den Beschuldigten vor der künftigen Begehung von Dienstpflichtverletzungen abzuhalten.

Bei der Strafbemessung waren die Anzahl der Einzelfälle als erschwerend sowie die disziplinäre Unbescholtenheit und die Schadenswiedergutmachung als mildernd zu werten.

Vor diesem Hintergrund kann spezial- und generalpräventiv mit der Disziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe von EUR 1.000,00 das Auslangen gefunden werden.

Die persönlichen Verhältnisse und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beschuldigten stehen der Verhängung einer Geldbuße in der angeführten Höhe nicht entgegen.

Zu II. bleibt - mangels einer expliziten gegenteiligen Weisung - festzuhalten, dass ein Vollzugsversuch bei verzogenen verpflichteten Parteien nicht generell unmöglich ist. Davon geht die Dienstbehörde offenbar selbst aus, wenn sie das in einem überprüften Fall auch anerkennt. Ein Nachweis, dass der Beschuldigte in den vorgeworfenen Einzelfällen nicht ausreichend geprüft hätte, ob pfändbare Gegenstände zurückgelassen wurden, ist mit der für einen Schuldspruch erforderlichen Sicherheit nicht feststellbar gewesen, weshalb dazu im Zweifel ein Freispruch zu fällen war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 117 BDG 1979.

Zuletzt aktualisiert am

15.12.2021
Quelle: Disziplinarkommissionen, Disziplinaroberkommission, Berufungskommission Dok, https://www.ris.bka.gv.at/Dok
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