TE Bvwg Beschluss 2021/5/6 W200 2242216-1

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Veröffentlicht am 06.05.2021
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Entscheidungsdatum

06.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §19 Abs2
AsylG 2005 §24
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch


W200 2242216-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHERZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch: BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle Ost (EASt-Ost) vom 16.04.2021, Zl. 1266147108-201261891, zu Recht beschlossen:

A)       Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 68 Abs 1 AVG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Erstverfahren:

Am 10.07.2020 stellte der afghanische BF seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, legal mit seinem Reisepass in den Iran gegangen zu sein. Von dort sei er über die Türkei nach Griechenland, wo er erstmals Behördenkontakt gehabt hätte. Nach drei Monaten sei er über Serbien, Bosnien und Kroatien nach Österreich gereist, ohne in den durchreisten Ländern um Asyl angesucht zu haben.

Für die Reise habe er € 10.000, -- bezahlt, wofür ein Grundstück verkauft wurde und sich sein Vater Geld ausgeborgt hätte.

Seine Familie hätte viele Feinde in Afghanistan, sein Bruder sei getötet, die Familie bedroht worden. Er wisse nicht von wem. Diese wären schon vor seiner Zeit da gewesen. Sie hätten auch zu ihm gesagt, dass sie ihn umbringen würden. Zu einer Organisation gehörten sie nicht, er wisse nicht, warum sie das tun. Es gebe Fotos vom toten Bruder und einen Krankenhausschein, dass er ermordet wurde.

Einer Ladung vom 20.07.2020 zur Einvernahme beim BFA, EAST-West für den 01.08.2020 leistete der BF nicht Folge. Am 21.07.2020 wurde der BF wegen unbekannten Aufenthaltes abgemeldet.

Mit Bescheid vom 02.08.2020 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 10.07.2020 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Der Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

Zur Person des BF wurden von der belangten Behörde ausgeführt, dass die Identität nicht festgestellt werden konnte. Er sei Afghane aus der Provinz Nangarhar, Paschtune und Moslem, arbeitsfähig und habe bereits im Herkunftsstaat gearbeitet, ledig und kinderlos, habe keine lebensbedrohlichen Krankheiten und nehme keine Medikamente ein.

Zu den Gründen für das Verlassen Afghanistans wurde festgestellt, dass er seinen Antrag auf internationalen Schutz damit begründet hätte, dass bereits vor seiner Geburt unbekannte Personen seine Familie bedrohten, wobei auch bereits sein Bruder getötet worden sei. Diese Personen gehörten jedoch keiner Organisation an, mehr wisse er nicht.

Er sei im Heimatstaat weder vorbestraft, noch bestünden aktuell Fahndungsmaßnahmen gegen ihn. Er sei weder politisch tätig, noch Mitglied einer politischen Partei gewesen. Er hätte weder aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch auf Grund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe Probleme in Afghanistan.

Auch aus den sonstigen Umständen hätte eine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen einer politischen Überzeugung nicht festgestellt werden können.

Zu seiner Situation im Fall einer Rückkehr stellte das BFA fest, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keiner Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sei.

Es konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass er im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan dort einer realen Gefahr der Verletzung von Art 2, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Es liege in seinem Fall eine relevante Gefährdungslage in Bezug auf Ihre unmittelbare Heimatprovinz Nangarhar – nicht aber Afghanistan allgemein – vor. So verbrachte er die letzten 1 bis 1,5 Jahre vor seiner Ausreise in Kabul. Die Sicherheitslage in Kabul/Mazar-e Sharif/Herat sei hingegen ausreichend sicher.

Er habe im Herkunftsstaat bereits als Verkäufer bei einem Bauunternehmen gearbeitet und sei selbsterhaltungsfähig.

Es hätte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden können, dass er im Falle der Rückkehr nach Afghanistan dort einer realen Gefahr des Todes, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Bestrafung oder Behandlung oder der Gefahr der Folter ausgesetzt sei bzw. sein Leben auf sonstige Weise gefährdet wäre.

Der Bescheid wurde im Akt hinterlegt und ist in Rechtskraft erwachsen.

Folgeverfahren:

Am 03.08.2020 stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz in Frankreich. Am 15.12.2020 wurde der BF von Frankreich nach Österreich überstellt.

Im Rahmen der Erstbefragung am 15.12.2020 gab er an, dass sich nichts geändert hätte. Seine alten Fluchtgründe bleiben aufrecht. Im Fall einer Rückkehr werde er von den Taliban getötet.

Im Rahmen der Einvernahme am 26.01.2021 gab er an die Entscheidung nicht abgewartet zu haben, da ihm „Dublin“ nicht bekannt gewesen sei. Zwei Brüder, zwei Schwestern und die Eltern seien noch in Afghanistan, er pflege mindestens dreimal/Woche Kontakt. Sie hätten gemeinsam früher in einem kleinen Haus in XXXX gelebt, nunmehr würden alle im Zentrum von Jalalabad in Angst und Schrecken leben.

Sein ältester Bruder sei von den Taliban aufgefordert worden, diesen finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, das hätte er nicht getan und sei ca. vor einem Jahr getötet worden. Auf den Vorhalt, dass er im Rahmen der Erstbefragung im Erstverfahren noch nicht gewusst hätte, wer den Bruder getötet hätte, antwortete er, dass er noch in Österreich alles erfahren hätte, als er hergekommen sei.

Sein getöteter Bruder habe eine Autowerkstatt in Afghanistan betrieben und er selbst habe dort gearbeitet. Als sein Bruder getötet worden sei, hätte ein Mitarbeiter die Werkstatt übernommen.

In Österreich habe er einen Asylwerber als Freund, der Asylwerber, der mit ihm in Frankreich war. Er hätte keine Deutschprüfung absolviert.

Seine alten Fluchtgründe seien noch immer voll aufrecht, er hätte auch Beweise (über das Geschäft, Arbeitsvertrag, Foto des Leichnams meines Bruders).

Nach dem sein Bruder entführt und getötet worden wäre, sei er auch ins Visier der Taliban gekommen – er hätte finanzielle Hilfe leisten sollen, sonst passiere ihm dasselbe wie seinem Bruder. Aus Angst habe er die Werkstatt an einen Mitarbeiter verkauft, Geld geborgt und sei nach Europa, damit ihm nicht das Gleiche passiert.

Vor ca. eineinhalb Jahren hätten sie einen an seinen Bruder gerichteten Brief von den Taliban bekommen, dass er mitkämpfen soll und finanzielle Mittel zur Verfügung stellen solle. Sein Vater hätte den Brief nicht ernst genommen, aber dann sei sein Bruder getötet worden.

Nach dem Grund für den neuen Antrag befragt, gab er an, dass Neuigkeiten seien, dass er auch bedroht werde, als er den Brief bekommen hätte, sei er geflüchtet. Sobald er zurückkehre, werde er getötet.

Sein Vater sagte, er habe versucht Briefe von der Regierung zu bekommen. Die könnten aber nicht alle schützen. Es gebe Briefe, dass die Regierung es ablehne, ihm zu helfen.

Er sei schriftlich bedroht worden. Er hätte auch einen Brief bekommen - eine Weile nach dem Tod des Bruders. Als die Werkstatt nach dem Tod des Bruders wieder aufgemacht wurde, hätten sie auch einen Drohbrief mit seinem Namen bekommen. Er sei damals noch dort gewesen, hätte es aber nicht gewusst. Das hätte er erst erfahren, nachdem er weggeschickt worden sei und schon in Europa war. Persönlich sei er durch die Taliban nicht bedroht worden.

Seine Eltern seien älter und hätten keine Probleme. Seine Brüder seien jünger. Nach seiner Ausreise sei niemand von der Familie von den Taliban aufgesucht worden. Die Familie lebe beim Onkel mütterlicherseits in der Hauptstadt und dort bestehe für sie keine Gefahr.

Befragt, was sich seit Rechtskraft des Vorverfahrens vom September 2020 geändert hätte, antwortete er, die Bestätigung von der Kriminalistik zum Tod des Bruders, Drohbriefe und Hilfeersuchen an die Regierung.

Er könne in Jalalabad nicht leben, da seine Eltern Angst hätten, dass die Taliban ihn finden könnten. Er sei doch persönlich bedroht und vorgeladen worden. Wann genau, wisse er nicht – nach dem Mord an seinem Bruder und nachdem sie das Geschäft wieder aufgemacht hätten: Zuerst hätte es einen Brief an seinen Bruder gegeben, nach der Tötung des Bruders hätte er einen Brief erhalten, dass ihn dasselbe Schicksal ereile.

Den Brief hätte sein Vater vor der Haustür gefunden, ihm aber nicht gezeigt. Erst als er hier gewesen sei, hätte er ihm das gesagt.

Im Rahmen einer neuerlichen Einvernahme nach Vorlage von Beweismitteln am 25.02.2021 zeigte der BF auf seinem Handy ein Foto seines Passes (geb. XXXX , ausgestellt am 27.06.2019, gültig bis 27.06.2024, Nanghahar.) Der BF wurde aufgefordert die Seite auszudrucken und der Behörde vorzulegen.

Weiters gestaltete sich die Einvernahme wie folgt:

„LA:    Sie sagten in Ihrer Erstbefragung des Erstantrages vom 10.07.2020, dass Sie in Österreich bleiben wollen, weil Sie gehört hätten, dass es hier besser wäre, als überall. Was hat dann Ihre Meinung geändert, dass Sie sich dem Verfahren entzogen und die Betreuungsstelle unerlaubt verlassen haben und nach Frankreich weiterreisten?

VP:      Nicht nur, dass ich in Österreich Freunde habe als auch in Frankreich. Ich habe gehört, dass man in Frankreich schneller Asyl bekommt, ich bin jung und wollte nicht so lange warten.

LA:      Sie haben diverse Beweismittel per Mail am 04.02.2021 bei der Behörde eingebracht. Woher haben Sie die Originale (bei EV vorgelegt) bekommen?

VP:      Ein Cousin vs. hat mir das geschickt, gefragt habe ich das Originalkuvert nicht mehr.

LA:      Aus welchem Grund war der Cousin in Besitz dieser Unterlagen?

VP:      Mein Vater war nicht in der Lage das zu schicken, weil er älter ist. Deswegen habe ich den Cousin gebeten die Originale zu holen und zu schicken.

LA:     Worum handelt es sich dabei? (Originale bei EV vorgelegt)

VP:     Tazkira von mir und meinem getöteten Bruder XXXX , 4 Fotos meines Bruders XXXX , Todesanzeige des Bruders, 2 Drohbriefe der Taliban (einmal an mich und einmal an meinen Bruder), zwei Ladungen der Taliban (einmal an mich, einmal an den Bruder), (Anm. alle vier Schriftstücke der Taliban ohne Datum), Ansuchen um Hilfe bei den Behörden (Dolm. sieht es ein: es steht, dass Bruder getötet wurde und auch, dass er auch bedroht werde, Ansuchen des Vaters, kein Datum des Einlangens oder der Weiterleitung ersichtlich), Bewilligung eine Autowerkstatt zu betreiben (Dolm. rechnet Datum um, Ausstellung 16.06.2017) (Dolm merkt an, dass in den Drohbriefen und Ladungen gleiche Handschrift ist)

LA:      Was steht in den Ladungen der Taliban an den Bruder?

VP:      Ich bin Analphabet, ich kann nicht lesen.

LA:      Sie gingen aber 6 Jahre in die Grundschule?

VP.      In Afghanistan ist es nicht so einfach, dass man bis zur 6. Klasse lesen kann.

LA:      Erzählen Sie mir wie der Bruder bedroht wurde im Ablauf?

VP:      Zuerst bekam er eine Ladung von den Taliban, dass er mitkämpfen solle und finanziell Hilfe leisten solle, dann bekam er einen Drohbrief. Gefragt kam der Drohbrief ca. 1,5 Monate später.

LA:      Wissen Sie was da drinnen stand?

VP:      Ich kann nicht lesen und schreiben, ich fragte den Vater. Dieser sagte mir, dass die Taliban den Bruder aufgefordert hatten mitzukämpfen und finanziell zu helfen und auch Fahrzeuge zur Verfügung stellen solle. Das hat er nicht getan und wurde getötet.

LA:      Wann und wie wurde er getötet?

VP:      Das weiß ich nicht genau.

LA:      Wie lange vor Ihrer Ausreise?

VP.      Ca. 8 oder 10 Monate vor meiner Ausreise, ich bin mir nicht sicher. Gefragt habe ich Afghanistan im Sommer 2019 verlassen.

LA:      Wie kam Ihr Bruder ums Leben?

VP:      Zuerst wussten wir nicht, weil er fast 24 Stunden verschwunden war, er wurde von nächster Nähe erschossen.

LA:      Wie wurde er gefunden?

VP:      Alle aus der Familie versuchten herauszufinden wo er sei, wir befragte auch die Behörde. Er wurde dann im Spital gefunden, da war er schon tot.

LA:      Wissen Sie wer ihn dahin brachte?

VP.      Eine Polizeistreife hat seine Leiche in einem unbewohnten Gebiet gefunden, dies hießt XXXX . Die Polizei brachte ihn ins Spital.

LA:      Auf der Todesanzeige steht, dass Ihr Bruder von den Taliban getötet wurde, mit AK 47?

VP.      Wahrscheinlich haben die das untersucht. Die Behörde wollte wissen, vom wem er getötet worden sein könnte. Da wir Drohbriefe hatten konnten wir das beweisen, außerdem hatten wir sonst keine anderen Feinde als die Taliban.

AW ist genervt und aufbrausend.: Warum stellen Sie soviele Fragen?

LA:      Sie sagten bei Ihrem Erstantrag im Juli 2020, dass Sie viele Feinde in Afghanistan gehabt hätten, erklären Sie mir das bitte näher.

VP:      Damals als ich einvernommen wurde, war ich durstig und habe es gar nicht richtig mitbekommen.

LA:      Sie sagten auch, dass Sie nicht wüssten, von wem Sie bedroht würden und wer den Bruder getötet hätte, was meinen Sie dazu?

VP:      Ich war müde und traurig.

LA:      Sie erwähnten die Taliban mit keinem Wort, warum nicht?

VP:      Ich wusste damals nicht, dass man die Einzelheiten erzählen muss.

LA:      Die Feinde wären schon vor Ihrer Geburt dagewesen, was meinen Sie damit?

VP:      Nein, wir hatten keine Feinde und haben keine Feinde.

LA:      Das heißt, dass Ihre Familie schon vor Ihrer Geburt bedroht worden war. Wer genau wurde von wem bedroht und auf welche Weise?

VP:      Das habe ich nie erwähnt. Wenn sie mir nicht glauben und den Dokumente nicht glauben, dann lehnen Sie mich ab, dass ich das Land verlassen kann.

LA:      Schildern Sie mir bitte in welcher Weise Sie in Afghanistan bedroht wurden?

VP:      Die Ladung und der Drohbrief ergingen an den Vater, ich wusste davon nichts. Beide wurden in den Hof geschmissen, wann weiß ich nicht, aber es war nach dem Tod des Bruders. Gefragt sagte der Vater nichts zu mir, dass ich keine Angst bekomme, vielleicht deshalb.

LA:      Wann erfuhren Sie davon?

VP.      Erst als ich hierherkam, habe ich den Vater angerufen und er sagte mir, dass er mich wegen der Drohungen weggeschickt hat.

LA:      Ab wann haben Sie persönlich mitbekommen, dass die Familie bedroht wird?

VP:      Erst als ich hierherkam, sah ich, dass die Familie bedroht ist.

LA:      Dass Ihr Bruder getötet wurde, das sahen Sie nicht als Bedrohung?

VP:      Wir dachten alle, dass das erledigt ist.

LA:      Aber Ihr Vater wusste doch von den Drohungen an Sie?

VP.      Die Familie dachte, weil der ältere Sohn getötet wurde, hätten die Taliban schon ihre Rache und haben dann normal weitergelebt.

LA:    Sie hätten, laut EB vom 10.07.2020 zu Ihnen gesagt, dass sie Sie umbringen werden. Wen meinen Sie damit und wie lief das ab?

VP:      Ich weiß es nicht.

LA:      Wie kommen Sie dann zu dieser Aussage?

VP:      Ich wusste das damals noch nicht, ich rief von hier erst den Vater an. Ich war hungrig, durstig und krank. Gefragt stimmen meine gesamten Angaben in der Erstbefragung nicht. (Dol. wird gebeten die EB kurz vorzulesen)

LA:      Was sagen Sie jetzt dazu?

VP:      Ich war müde und erschöpft, ich wusste nicht was ich erzähle.

LA:      Bitte erzählen Sie mir Ihre gesamte Fluchtgeschichte vom Beginn bis zu Ihrer Ausreise.

VP:      Nachdem mein Bruder getötet wurde, dachten mein Vater und ich, dass das eine Rache nur mit dem Bruder war. Ich ging ganz normal in die Werkstatt und habe weitergearbeitet. Eines Tages sagte der Vater: Verkaufe das Geschäft und bleibe zu Hause. Ich habe das gemacht, dann sagte der Vater, ich solle nach Europa flüchten. Erst als ich hier ankam, fragte ich den Vater. Er sagte, genau dasselbe, dass der Bruder bedroht wurde, gab es auch an dich, deshalb habe ich dich nach Europa geschickt. Ich fragte nach Dokumenten und Beweisen und das wurde mir geschickt.

LA:      Sie selbst fragten den Vater nicht, warum Sie nach Europa gehen sollen?

VP:      Nein, er sagte, ich schicke dich nach Europa, also geh.

LA.      Wann genau haben Sie beschlossen Ihr Heimatland zu verlassen?

VP:      Ich gar nicht, mein Vater hat das beschlossen, wann weiß ich nicht.

LA:      Wurden Sie jemals persönlich bedroht durch die Taliban?

VP.      Nein. Gefragt gab es nie ein persönliches Zusammentreffen. Vor kurzem wurde mein Vater angehalten durch die Taliban und fragten wo ich bin. Jetzt hat der Vater nochmal die Adresse geändert, noch leben sie bei meinem Onkel ms. Aber dort wurden Sie auch bedroht, ich weiß nicht wohin sie siedeln werden.

PAUSE VON 10 MINUTEN 10:50-11:00

LA:      Nach dem Tod Ihres Bruders, laut Urkunde am XXXX , wie haben Sie dann weitergelebt, nachdem Sie wussten, dass er von den Taliban getötet worden war?

VP:      Nach der Trauer (40 Tage) ging ich normal zur Arbeit in die Werkstatt. Vielleicht 10 oder 15 Tage habe ich gearbeitet, dann sagte der Vater ich solle das Geschäft verkaufen, ich blieb 2 oder 3 Monate zu Hause. Dann kamen die Drohbriefe und dann flüchtete ich.

LA:      An wen verkauften Sie denn das Geschäft?

VP:      Es war eine riesige Anlage mit verschiedenen Werkstätten. Das Nachbargeschäft übernahm unser Geschäft.

LA:      Wie finanzierten Sie den Schlepper?

VP:      Mein Vater hat von seinem Vater ein Grundstück geerbt, das verkaufte er und er hat etwas geliehen und mich dann nach Europa geschickt.

LA:      Wie lange dauerte es die finanziellen Mittel zu beschaffen, es handelt sich laut Erstantrag um immerhin ungefähr 10000 Euro?

VP:      10 oder 15 Tage brauchte er, um das Grundstück zu verkaufen, das Geschäft auch verkauft und geliehen.

LA:      Sie sagten im Erstantrag, „mein Bruder hat denen immer das Geld gegeben“, wie meinen Sie das?

VP:      Das Geld für die Schleppung wurde übergeben. Mein jüngerer Bruder XXXX hat es immer an die Kontaktperson weitergegeben, als ich schon unterwegs war.

LA:      Wollten Sie von Ihrem Vater nicht wissen, warum Sie das Geschäft verkaufen und zu Hause bleiben sollen?

VP.      Nein, das ist mein Vater, ich mache, was er sagt:

LA.      Trotzdem kann ich nach dem Grund fragen?

VP:      Ich dachte mir, vielleicht, weil mein Bruder getötet wurde oder weil ich alleine das Geschäft nicht führen kann.“

Mit Bescheid vom 16.04.2021 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 03.08.2020 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, dem BF ein Aufenthaltstitel besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), und ihm gemäß § 55 Absatz 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V. ).

Begründend wurde im Bescheid ausgeführt, dass er sich im gegenständlichen Verfahrensgang in der Erstbefragung vom 15.12.2020 nun darauf beziehe, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht bleiben würden. Es hätte sich nichts geändert. Bei seiner Rückkehr würde er von den Taliban getötet werden.

Die Gelegenheit, dass er im Rahmen eines Parteiengehörs seinen Fluchtgrund näher ausführe und für die zu entscheidende Behörde nachvollziehbar schildern zu könne, hätte er im Erstverfahren nicht wahrgenommen. Er sei bereits wenige Tage nach seiner Antragstellung, ab 21.07.2020, unbekannten Aufenthaltes und habe dadurch seine Mitwirkungspflicht auf das Gröbste verletzt.

Er konnte oder wollte offensichtlich seine Gründe, weswegen er Afghanistan verlassen hätte, nicht präzisieren, womit sich der Sachverhalt als ausreichend geklärt darstellte. Er habe angegeben, dass er im Erstverfahren einen Fehler gemacht hätte, indem er sich durch die Weiterreise nach Frankreich dem Verfahren entzogen habe.

Nach weiterer Beweiswürdigung hielt die belangte Behörde zusammengefasst fest, dass sein wie im Erstverfahren gleichlautendes Vorbringen unglaubhaft sei, nachdem sich dieses als lediglich auf Behauptungen gestützt darstelle. Sein Vorbringen komme im gegenständlichen Verfahren hinsichtlich der aktuell vorgebrachten Rückkehrbefürchtungen auch kein glaubhafter Kern zu.

Er habe im gegenständlichen Verfahren keine neuen, glaubhaften Fluchtgründe vorgebracht und die nun dargestellten Angaben waren zu keinem Zeitpunkt genügend substantiiert, um diese als asylrelevant oder als glaubhaft zu bezeichnen, oder um darin einen neuen Sachverhalt zu erkennen.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Der afghanische aus der Provinz Nangarhar stammende BF führt den im Spruch genannten Namen, gehört der Volksgruppe der Paschtunen und dem sunnitischen Islam an, spricht Paschtu als Muttersprache.

1.2.    Der BF stellte am 10.07.2020 in Österreich seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Nach der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag verließ der BF bald das Bundesgebiet (ab 21.07.2020 war er unbekannten Aufenthalts) und reiste nach Frankreich. Es erfolgte keine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

1.3.    Mit Bescheid vom 02.08.2020 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 10.07.2020 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Der Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

1.4.    Am 03.08.2020 stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz in Frankreich. Am 15.12.2020 wurde der BF von Frankreich nach Österreich überstellt.

1.5.    Mit Bescheid vom 16.04.2021 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 03.08.2020 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), und ihm gemäß § 55 Absatz 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V. ).

2. Beweiswürdigung:

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

Die Feststellungen zu 1.1. ergeben sich aus der Einvernahme beim BFA am 26.01.2021, die Feststellungen zu 1.2. bis 1.5. ergeben sich aus dem Akt des BFA.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

Infolge des in § 17 VwGVG normierten Ausschlusses der Anwendbarkeit des 4. Hauptstücks des AVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welcher auch die in § 68 Abs. 1 AVG normierte Zurückweisung wegen entschiedener Sache umfasst, kommt eine unmittelbare Zurückweisung einer Angelegenheit aufgrund der genannten Bestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren über Bescheidbeschwerden zur Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung von § 68 AVG in Bescheiden durch die Verwaltungsbehörde berufen ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K10.; vgl. auch VfSlg. 19.882/2014). Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit zunächst die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

§ 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG 2014 enthält selbst keine Anordnung, wie über eine Beschwerde zu entscheiden ist, sondern knüpft lediglich - im Hinblick auf die im Asylverfahren geltende Unterteilung in das Zulassungsverfahren und zugelassene Verfahren - an die Stattgebung einer gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren erhobenen Beschwerde an und sieht als Rechtsfolge einer solchen Stattgebung die Zulassung des Verfahrens vor. Dabei nahm der Gesetzgeber unverkennbar - und wie sich nicht zuletzt auch aus den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum FNG-Anpassungsgesetz (RV 2144 BlgNR 24. GP S. 14) zu § 21 Abs. 3 BFA-VG ergibt auf eine - bezogen auf den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens - vom VwG nach § 28 VwGVG 2014 getroffene Sachentscheidung Bezug. Eine solche liegt etwa dann vor, wenn das VwG zum Ergebnis gelangt, entgegen der Ansicht der Verwaltungsbehörde stelle sich anhand des (allenfalls nach ergänzenden Ermittlungen) festgestellten Sachverhaltes eine Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz als nicht dem Gesetz entsprechend dar. Bei einer solcherart die behördliche Antragszurückweisung aufhebenden Entscheidung handelt es sich aus verfahrensrechtlicher Sicht um eine gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG 2014 in Form eines Erkenntnisses zu treffende Entscheidung. (VwGH E vom 05.10.2016, Ra 2016/19/0208)

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

Vorweg ist festzuhalten, dass der BF im Erstverfahren nur einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen wurde. Eine Einvernahme durch das BFA – wie in § 19 Abs. 2 AsylG vorgesehen – erfolgt nicht, da sich der BF nach Frankreich abgesetzt hatte. In diesem Zusammenhang ist auch dem BFA zuzustimmen, dass der BF seine Mitwirkungspflicht auf das Gröbste vernachlässigt hat.

Dennoch sieht das AsylG für einen derartigen Fall eine andere als vom BFA gewählte rechtliche Vorgangsweise vor, nämlich konkret ein Vorgehen gemäß § 24 AsylG:

§ 24. (1) Ein Asylwerber entzieht sich dem Asylverfahren, wenn

1.       dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht sein Aufenthaltsort wegen Verletzung seiner Mitwirkungspflichten gemäß § 13 Abs. 2 BFA-VG, §§ 15 oder 15a weder bekannt noch sonst durch das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht leicht feststellbar ist oder

2.       er das Bundesgebiet freiwillig verlässt, und das Verfahren nicht als gegenstandslos abzulegen ist (§ 25 Abs. 1) oder

3.       er trotz Aufforderung zu den ihm vom Bundesamt im Zulassungsverfahren gesetzten Terminen nicht kommt.

(2) Asylverfahren sind einzustellen, wenn sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen hat (Abs. 1) und eine Entscheidung ohne eine allenfalls weitere Einvernahme oder Verhandlung nicht erfolgen kann. (…).

Gemäß § 24 Abs. 2 AsylG hat eine Einstellung zu erfolgen, wenn eine Entscheidung ohne eine weitere Einvernahme nicht erfolgen kann. Genau dies ist im Erstverfahren der Fall gewesen. Es wurde zu Unrecht eine Sachentscheidung getroffen, nämlich ohne dass die belangte Behörde jemals den Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt hat bzw. ihn gehört hat.

Die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dient jedoch „insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen.“.

Insofern liegt nunmehr der rechtskräftige Bescheid vom 02.08.2020 vor, dessen Feststellungen, die alleine auf der kurzen Niederschrift der Erstbefragung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes basieren und welche sich nicht auf die näheren Fluchtgründe bezieht, kein ausreichendes Substrat als Vergleichsmöglichkeit zum Folgeverfahren bietet.

Die Beurteilung der verfahrenswesentlichen Frage, ob es sich im gegenständlichen Folgeverfahren beim Vorbringen um ein bereits behandeltes und damit präkludiertes Vorbringen handelt, ist dem BVwG nicht möglich.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass der Behandlung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegensteht, weshalb der angefochtene Bescheid in den Spruchpunkten I. und II. zu beheben war. Da die Spruchpunkte III. bis VI. die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz voraussetzten, waren auch diese bereits aus diesem Grund zu beheben.

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.

Schlagworte

Asylverfahren Bescheidbehebung Einvernahme Folgeantrag Mitwirkungspflicht Prozesshindernis der entschiedenen Sache Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung behoben Verfahrensentziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W200.2242216.1.00

Im RIS seit

10.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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