TE Vwgh Erkenntnis 2021/10/28 Ra 2020/19/0317

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.10.2021
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §6
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des S P, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 21, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. April 2020, W233 2227092-1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, stellte am 10. November 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 19. März 2015 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten zu.

2        Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14. Februar 2017 wurde der Revisionswerber rechtskräftig wegen des Verbrechens der versuchten absichtlich schweren Körperverletzung gemäß § 15 und § 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten (ein Teil von 16 Monaten bedingt nachgesehen unter einer Probezeit von drei Jahren) verurteilt.

3        In einem Aktenvermerk vom 8. März 2017 hielt das BFA fest, dass auf Grund der einmaligen Verurteilung des Revisionswerbers und des zu geringen Strafmaßes von einem Aberkennungsverfahren vorerst Abstand genommen werde.

4        Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 19. September 2017 wurde der Revisionswerber rechtskräftig wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß § 269 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten (ein Teil von sechs Monaten bedingt nachgesehen unter einer Probezeit von drei Jahren) verurteilt.

5        Es folgte mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 4. Mai 2018 eine rechtskräftige Verurteilung des Revisionswerbers wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 und § 84 Abs. 5 Z 2 StGB zu einer Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB von fünf Monaten.

6        Darüber hinaus wurden über den Revisionswerber Verwaltungsstrafen in Höhe von € 800,- bzw. € 370,-verhängt, weil er sich im September 2019 als Lenker eines Fahrzeuges weigerte, seine Atemluft auf Alkoholgehalt hin untersuchen zu lassen, bzw. er ein Fahrzeug lenkte, ohne im Besitz der entsprechenden Lenkerberechtigung zu sein.

7        Mit Bescheid vom 28. November 2019 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab und stellte fest, dass ihm keine Flüchtlingseigenschaft mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Dem Revisionswerber wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und auch kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gewährt (Spruchpunkt III.). Das BFA erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Zudem verhängte es ein Einreiseverbot in Höhe von zehn Jahren (Spruchpunkt VI.) und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen fest (Spruchpunkt VII.).

Das BFA begründete die Aberkennung des Status des Asylberechtigten sowie die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen mit den erfolgten Verurteilungen des Revisionswerbers. Dieser stelle eine Gefahr für die Gemeinschaft dar, weil er wegen schwerer Verbrechen rechtskräftig verurteilt worden und seine Einstellung gegenüber dem Staat und der Gemeinschaft der in diesem Staat bzw. in der EU lebenden Personen geeignet sei, das ordentliche und sichere Zusammenleben der Gemeinschaft zu gefährden. Es könne nicht festgestellt werden, dass er in seinem Herkunftsstaat einem realen Risiko unterworfen wäre, einer Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Gefahr ausgesetzt oder einer dem 6. oder 13. Zusatzprotokoll widersprechenden Behandlung unterworfen zu sein, zumal ihm in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Der Revisionswerber habe im Bundesgebiet einen Bruder, zu diesem bestehe jedoch kein Abhängigkeitsverhältnis. Er sei in seinem Herkunftsstaat aufgewachsen und dort sozialisiert worden. Eine verfestigte soziale und berufliche Integration (in Österreich) liege nicht vor.

8        In der fristgerecht erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, dass er kein „subjektiv schweres Verbrechen“ begangen habe. Die Gefährdungsprognose des BFA sei zudem unschlüssig, zumal es zahlreiche Umstände außer Acht gelassen habe, die gegen eine vom Revisionswerber künftig ausgehende Gefahr sprechen würden. Der Revisionswerber sei zudem in Österreich bestens integriert. Entgegen der Ansicht des BFA könne er im Fall einer Rückführung in den Herkunftsstaat weder mit der Unterstützung durch seine Familie noch durch andere Angehörige der Volksgruppe der Paschtunen rechnen. Das BFA habe ihn dazu nie einvernommen. Der Revisionswerber verwies auf ergänzendes Beweismaterial und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

9        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis V. als unbegründet ab, legte die Frist für die freiwillige Ausreise bis zum 21. Mai 2020 fest, setzte die Dauer des Einreiseverbotes auf sieben Jahre herab und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

In der Begründung führte das BVwG aus, die durch den Revisionswerber begangenen Verbrechen der versuchten absichtlich schweren Körperverletzung gemäß § 15 und § 87 Abs. 1 StGB sowie der schweren Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 und § 84 Abs. 5 Z 2 StGB seien - der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes folgend - nicht grundsätzlich vom Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ ausgeschlossen. Der Verwaltungsgerichtshof habe zum Ausdruck gebracht, dass auch im Fall einer Vielzahl einschlägiger rechtskräftiger Verurteilungen und insofern verhängter, beträchtlicher und überwiegend unbedingter Freiheitsstrafen, verwirklichte Delikte in einer Gesamtbetrachtung als „besonders schwere Verbrechen“ qualifiziert werden könnten. Im vorliegenden Fall könne auf Grund der Beschreibung der Tatumstände in den jeweiligen Urteilen jedenfalls davon ausgegangen werden, dass es sich um die geforderten „besonders schweren Verbrechen“ handle, weil alle Verurteilungen des Revisionswerbers eindeutig zeigen würden, dass der Revisionswerber, vor allem dann, wenn er als Teil einer Gruppe unterwegs sei, über ein hohes Gewaltpotential verfüge. Die Verurteilung wegen versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung sei erfolgt, weil der Revisionswerber dem Opfer einen Tritt versetzt, mit einer Glasflasche auf den Kopf geschlagen und anschließend mit einer zweiten Person mit den Fäusten und Füßen heftig gegen den Kopf und Körper des Opfers geschlagen habe. Die zweite Verurteilung wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt sei erfolgt, weil der Revisionswerber einen Exekutivbeamten mit Gewalt - indem er sich mit einer ruckartigen Bewegung aus dessen Festhaltegriff gelöst und gleichzeitig mit der Hand auf dessen Oberarm geschlagen habe - an einer Amtshandlung, nämlich einer Kontrolle nach dem Suchtmittelgesetz und der Identitätsfeststellung, gehindert habe. Anlass für die dritte Verurteilung sei der Umstand gewesen, dass der Revisionswerber mit drei Mittätern einer Person in verabredeter Vereinbarung Schläge ins Gesicht versetzt und mit einem Holzstock auf sie eingestochen habe.

Alle Verurteilungen würden daher auf derselben schädlichen Neigung, nämlich dem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, beruhen, wobei bei der zweiten Verurteilung noch der Angriff auf die Staatsgewalt hinzukomme.

Das gesamte im Bundesgebiet gesetzte Verhalten des Revisionswerbers lasse keine positive Zukunftsprognose zu. Sein Verhalten gegenüber dem Staat und der Gemeinschaft würde deutlich aufzeigen, dass er nicht gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften, insbesondere jene betreffend den Schutz der körperlichen Unversehrtheit und den Schutz von staatlichen Organen, zu respektieren. Das ergebe sich schon daraus, dass sich der Revisionswerber trotz der über ihn verhängten Freiheitsstrafe infolge seiner Verurteilung wegen absichtlich schwerer Körperverletzung nicht von der wiederholten Begehung weiterer, auf derselben schädlichen Neigung beruhender Taten habe abhalten lassen. Angesichts der hohen kriminellen Energie des Revisionswerbers sei auch in Zukunft nicht damit zu rechnen, dass er sich wohlverhalten und nicht abermals straffällig in Erscheinung treten werde, weshalb er für die Gemeinschaft in Österreich auch in Zukunft eine Gefahr darstelle. Seine Gefährlichkeit werde noch zusätzlich durch sein jüngst nach seiner letzten strafrechtlichen Verurteilung gesetztes verwaltungsstrafrechtliches relevantes Verhalten im Straßenverkehr untermauert.

Im Rahmen der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Ausschlussgrund nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vorzunehmenden Güterabwägung gehe das BVwG davon aus, dass der Revisionswerber keinen internationalen Schutz benötige, weil ihm eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat zur Verfügung stehe.

10       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorbringt, das BVwG weiche bei der Beurteilung des „besonders schweren Verbrechens“ und der negativen Zukunftsprognose von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ab. Die durch den Revisionswerber verübten Straftaten seien zwar objektiv als Verbrechen zu werten, würden subjektiv aber nicht an den Unrechtsgehalt eines „besonders schweren Verbrechens“ heranreichen. Die Verurteilung zu 16 Monaten bedingter Freiheitsstrafe und der Vollzug mittels elektronisch überwachtem Hausarrest würden dafürsprechen, dass erhebliche Milderungsgründe ins Treffen geführt hätten werden können. Auch hinsichtlich der negativen Zukunftsprognose des BVwG bleibe festzuhalten, dass mit einer Verwaltungsstrafe kein besonders schweres Verbrechen verübt werden könne und die konkrete Verweigerung eines Alkoholtests keine Gefahr für die Allgemeinheit impliziere.

11       Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12       Die Revision ist zulässig. Sie erweist sich aus den folgenden Erwägungen auch als begründet.

13       Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 vorliegt.

§ 6 AsylG 2005 (samt Überschrift) lautet:

Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

§ 6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn

1.   und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

2.   einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;

3.   aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder

4.   er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt.“

14       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss (erstens) ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür (zweitens) rechtskräftig verurteilt worden, (drittens) gemeingefährlich sein und (viertens) müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen (vgl. etwa VwGH 15.4.2020, Ra 2020/19/0003, mwN).

15       Unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ im Sinn von § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 fallen nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen, wobei es sich dabei um eine demonstrative und daher keineswegs abschließende Aufzählung von Delikten in Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 GFK handelt (vgl. erneut VwGH Ra 2020/19/0003, mwN).

16       Das im vorliegenden Fall herangezogene Verbrechen der versuchten absichtlich schweren Körperverletzung (§ 15 und § 87 Abs. 1 StGB) und der schweren Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 und § 84 Abs. 5 Z 2 StGB) sind daher grundsätzlich vom Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ nicht ausgeschlossen.

17       Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, kommt es bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, nicht allein auf die Strafdrohung an. So genügt es demnach nicht, wenn ein abstrakt als „schwer“ einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen, wobei unter anderem auf Milderungsgründe Bedacht zu nehmen ist. Bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen und sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2018/19/0522, mwN).

18       Das BVwG hat eine konkrete fallbezogene Prüfung der vom Revisionswerber verübten Verbrechen, auf Grund derer er einerseits zu einer teilweise bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 24 Monaten und andererseits zu einer fünfmonatigen unbedingten Zusatzstrafe rechtskräftig verurteilt wurde, vorgenommen und insbesondere die im vorliegenden Fall relevanten Tatumstände, nämlich die massiven Formen von Gewalt durch Einschlagen mit einer Glasflasche auf den Kopf eines Opfers sowie Einstechen auf ein Opfer mit einem Holzstock nach Versetzung von Schlägen ins Gesicht in Verabredung mit drei Mittätern, berücksichtigt und auch auf vom Landesgericht für Strafsachen Graz jeweils herangezogene Milderungsgründe Bedacht genommen.

Dass das BVwG bei der Beurteilung, wonach im vorliegenden Fall ein besonders schweres Verbrechen im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vorliege, von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, ist daher nicht erkennbar.

19       Damit rückt fallbezogen die Frage einer vom Revisionswerber ausgehenden Gefährlichkeit in das Blickfeld.

20       Der Verwaltungsgerichtshof hat - auch in Zusammenhang mit einer Beurteilung nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 - bereits darauf hingewiesen, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Gefährdungsprognose im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wird, keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG darstellt (vgl. VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0531, mwN).

Im vorliegenden Fall kann allerdings nicht davon gesprochen werden, dass die vom BVwG vorgenommene Gefährdungsprognose auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt wäre. Das BVwG hat nämlich nicht nachvollziehbar begründet, weshalb es trotz Feststellung der Umstände, wonach der Revisionswerber seit dem 4. April 2018 (also zum Zeitpunkt der Entscheidung mehr als zwei Jahre) strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten sei, er in der mündlichen Verhandlung Reue gezeigt habe und sein Bewährungshelfer von merkbaren positiven Veränderungen gesprochen habe, dennoch davon ausging, dass der Revisionswerber auch in Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Entgegen der Ansicht des BVwG kann nämlich nicht angenommen werden, dass diese für eine positive Veränderung des Revisionswerbers sprechenden Umstände schon dadurch vollkommen entkräftet würden, dass der Revisionswerber sowohl die Tat des Widerstandes gegen die Staatsgewalt als auch die Tat der schweren Körperverletzung zu einem Zeitpunkt begangen habe, als er bereits „unter der Aufsicht“ eines Bewährungshelfers gestanden habe, und er nach der letzten strafrechtlichen Verurteilung eine Verwaltungsstrafe wegen „gravierender verwaltungsrechtlicher Missachtung der für eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr erlassenen Vorschriften“ erhalten habe.

21       Da das BVwG die nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 gebotene Prognoseentscheidung nicht ausreichend begründet und daher nicht in gesetzmäßiger Weise durchgeführt hat, ist seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

22       Das angefochtene Erkenntnis war daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

23       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190317.L01

Im RIS seit

29.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten