TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/4 W220 2239957-1

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Veröffentlicht am 04.05.2021
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Entscheidungsdatum

04.05.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs2
B-VG Art130 Abs1 Z3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs7

Spruch


W220 2239957-1/5E
W220 2239958-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , und 2. XXXX , geb. XXXX , beide StA. Serbien, vertreten durch Dr. Gregor KLAMMER, Rechtsanwalt in 1160 Wien, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betreffend die am 13.05.2020 gestellten Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005, zu Recht:

A)

I. Den Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht wird gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG stattgegeben.

II. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG beauftragt, die versäumten Bescheide unter Zugrundelegung der im gegenständlichen Erkenntnis festgelegten Rechtsanschauung des Bundesverwaltungsgerichts binnen acht Wochen ab Zustellung zu erlassen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin ist serbische Staatsangehörige und Mutter der im XXXX 2018 in Österreich geborenen minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin, welche ebenfalls serbische Staatsangehörige ist (beide gemeinsam werden als Beschwerdeführer bezeichnet).

Im Dezember 2016 reiste die Erstbeschwerdeführerin nach Österreich ein und wurde zur Überprüfung ihres Aufenthaltes in Österreich am 31.08.2017 niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Dabei gab die Erstbeschwerdeführerin an, in Serbien geboren und im Dezember 2016 wegen ihres Ehemannes, einem in Österreich lebenden serbischen Staatsangehörigen, den sie am XXXX 2017 in Serbien geheiratet habe, nach Österreich gekommen zu sein.

Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin ist der Vater der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehemann sind zudem Eltern eines weiteren, im XXXX 2019 in Österreich geborenen und hier lebenden Sohnes, der ebenfalls serbischer Staatsangehöriger ist.

Am 03.10.2017 wurde der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und führte aus, dass er seine Ehefrau über Facebook kennengelernt habe und sie dann beschlossen hätten, zu heiraten und dass seine Ehefrau zu ihm komme. Sie hätten in Serbien geheiratet und seien einige Tage später zurück nach Österreich gereist, wo sie gemeinsam mit seinen Eltern in einer Wohnung leben würden. Sie hätten für die Erstbeschwerdeführerin einen Aufenthaltstitel beantragen wollen, aber nicht gewusst, dass es so schnell gehen müsse. Auch die Erstbeschwerdeführerin wurde am 03.10.2017 neuerlich niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und erklärte, nicht zu arbeiten und keine Kurse besucht zu haben; die Polizei habe ihren Reisepass abgenommen.

Mit Bescheid vom 19.10.2017 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG eine Rückkehrentscheidung gegen die Erstbeschwerdeführerin; in weiterer Folge reiste die Erstbeschwerdeführerin am 24.10.2017 unter Gewährung von Rückkehrhilfe aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Serbien aus.

Am 05.03.2019 stellte die Erstbeschwerdeführerin für sich selbst und für ihre im XXXX 2018 in Österreich geborene Tochter, die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin, Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nach dem NAG, welche mit Bescheiden des Landeshauptmannes von XXXX vom 12.08.2019, Zl.: MA35-9/3245310-01, abgewiesen wurden. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführer sich länger als den erlaubten sichtvermerkfreien Zeitraum im Bundesgebiet aufgehalten hätten, der Aufenthalt der Beschwerdeführer zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte und die Beschwerdeführer keinen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft vorgewiesen hätten; die Erstbeschwerdeführerin habe überdies kein Sprachdiplom auf dem Niveau mindestens A1 vorgelegt. Zwar bestünden durch den Aufenthalt des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vaters der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin sowie den Aufenthalt des Sohnes der Erstbeschwerdeführerin bzw. Bruders der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin familiäre Bindungen in Österreich; diese seien jedoch dadurch relativiert, dass die Beschwerdeführer nie über einen Aufenthaltstitel verfügt hätten. Eine Abwägung nach § 11 Abs. 3 NAG im Sinne des Art. 8 EMRK ergebe somit ein Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Einhaltung der fremdenrechtlichen Bestimmungen gegenüber den Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib im Bundesgebiet.

Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin verfügt in Österreich über einen bis 21.03.2023 gültigen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“; der minderjährige Sohn der Erstbeschwerdeführerin bzw. Bruder der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin verfügt in Österreich über einen bis 17.05.2021 gültigen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“.

Am 19.03.2020 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Erstbeschwerdeführerin mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme mit, dass in der Angelegenheit der beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung eine Beweisaufnahme stattgefunden habe und räumte Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme ein, welche die Erstbeschwerdeführerin mit Schreiben vom 31.03.2020 wahrnahm. Zusammengefasst brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, jeden dritten Monat gemeinsam mit der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin die Stadt XXXX und dabei ihren Ehemann und ihren minderjährigen Sohn zu verlassen, wie aus ihrem Reisepass ersichtlich sei; derzeit sei sie bis Juni in XXXX .

Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 13.05.2020 für selbst und für die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin die gegenständlichen Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin mit ihrem Ehemann verheiratet sei, der in Österreich geboren sei, hier sein gesamtes Leben verbracht habe und daueraufenthaltsberechtigt sei. Dem gemeinsamen, im XXXX 2019 geborenen Sohn der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes sei eine Rot-Weiß-Rot – Karte plus erteilt worden, während der gemeinsamen minderjährigen Tochter – der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin – der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes kein Aufenthaltstitel erteilt worden sei. Alle gemeinsam würden in der Wohnung der Schwiegereltern der Erstbeschwerdeführerin in Österreich leben. Die Erstbeschwerdeführerin habe sich sehr bemüht, Deutsch zu lernen, habe jedoch große Schwierigkeiten beim schriftlichen Teil. Sie würde sich in Zukunft bemühen, die vorgeschriebene Integrationsprüfung zu erfüllen; ihr Ziel sei es, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, sobald eine Kinderbetreuung möglich sei.

Am 16.11.2020 erhoben die Beschwerdeführer gleichlautende Säumnisbeschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer führen die im Kopf dieser Entscheidung ersichtlichen Personalien; beide sind serbische Staatsangehörige. Die Identitäten der Beschwerdeführer stehen fest. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Die Erstbeschwerdeführerin ist seit XXXX .2017 mit dem serbischen Staatsangehörigen XXXX , verheiratet; die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin ist die gemeinsame, in Österreich geborene Tochter der beiden. Die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehemann haben zudem ein weiteres gemeinsames Kind, nämlich den minderjährigen XXXX . Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin verfügt in Österreich über einen bis 21.03.2023 gültigen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“; der minderjährige Sohn der Erstbeschwerdeführerin bzw. Bruder der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin verfügt in Österreich über einen bis 17.05.2021 gültigen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“.

Die Erstbeschwerdeführerin reiste im Dezember 2016 nach Österreich ein, um bei ihrem Ehemann zu leben; infolge Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen die Erstbeschwerdeführerin, deren Kinder damals noch nicht geboren waren, mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2017 reiste die Erstbeschwerdeführerin am 24.10.2017 unter Gewährung von Rückkehrhilfe aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Serbien aus. Die Erstbeschwerdeführerin und – seit ihrer Geburt – die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin lebten in weiterer Folge abwechselnd in Österreich im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehemann bzw. Vater und ihrem minderjährigen Sohn bzw. Bruder und, mangels längerfristigen Aufenthaltsrechts in Österreich, in Serbien. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin lebt seit seiner Geburt in Österreich und geht in Österreich einer Erwerbstätigkeit nach; der minderjährige Sohn der Erstbeschwerdeführerin bzw. Bruder der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin lebt ebenfalls seit seiner Geburt in Österreich.

Am 05.03.2019 stellte die Erstbeschwerdeführerin für sich selbst und die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nach dem NAG, welche mit Bescheiden des Landeshauptmannes von XXXX vom 12.08.2019, Zl.: MA35-9/3245310-01, abgewiesen wurden.

Am 13.05.2020 (eingelangt beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) stellte die Erstbeschwerdeführerin für selbst und für die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin die gegenständlichen Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005.

Am 16.11.2020 erhoben die Beschwerdeführer Säumnisbeschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht. Mit Schreiben vom 19.02.2021, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 26.02.2021, legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht die Säumnisbeschwerden samt zugehörigen Verwaltungsakten vor.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war nicht durch schuldhaftes Verhalten der Beschwerdeführer oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den Identitäten, der Staatsangehörigkeit und den Familienverhältnissen der Beschwerdeführer ergeben sich aus dem mit den gegenständlichen Anträgen vorgelegten Reisepass der Erstbeschwerdeführerin und der Geburtsurkunde der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin.

Die Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister.

Die Feststellungen zum Familienstand, den Familienangehörigen und deren Aufenthaltsstatus und den Familienverhältnissen der Beschwerdeführer ergeben sich aus der mit den gegenständlichen Anträgen vorgelegten Geburtsurkunde der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin, dem Reisepass des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin, der Heiratsurkunde der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes und den Aufenthaltstiteln des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Sohnes der Erstbeschwerdeführerin bzw. Bruder der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin in Verbindung mit Einsichtnahmen in das Zentrale Fremdenregister.

Die Feststellungen zu den Aufenthaltsorten und den Lebensumständen der Beschwerdeführer ergeben sich aus den Verwaltungsakten der Beschwerdeführer, insbesondere den Einvernahmen der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes, der Stellungnahme der Erstbeschwerdeführerin vom 31.03.2020, einer Bestätigung der Anmeldung des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vaters der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin zur Sozialversicherung und einem Sozialversicherungsdatenauszug in Verbindung mit Einsichtnahmen in das Zentrale Melderegister und das Zentrale Fremdenregister.

Die Feststellungen zu den Anträgen der Beschwerdeführer nach dem NAG ergeben sich aus den in den Verwaltungsakten einliegenden Bescheiden des Landeshauptmannes von XXXX vom 12.08.2019.

Die Stellung der gegenständlichen Anträge ergibt sich aus den in den Verwaltungsakten einliegenden Anträgen selbst.

Die Erhebung von Säumnisbeschwerden ergibt sich ebenso wie die Vorlage der Säumnisbeschwerden samt zugehörigen Verwaltungsakten aus dem Akteninhalt.

Dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht durch schuldhaftes Verhalten der Beschwerdeführer oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war, ergibt sich aus dem E-Mail des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.03.2021, wonach die nicht erfolgte Erledigung aus internen Kommunikationsmängeln und Krankenständen resultiere.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A) I. –Verletzung der Entscheidungspflicht:

3.1.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG erkennen Verwaltungsgerichte über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde.

Gemäß § 73 Abs. 1 AVG sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8 AVG) ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen.

Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

Gemäß § 16 Abs. 1 VwGVG kann im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG die Behörde innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten den Bescheid erlassen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, ist das Verfahren einzustellen. Holt die Behörde den Bescheid nicht nach, hat sie gemäß § 16 Abs. 2 VwGVG dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

3.1.2. Im gegenständlichen Fall liegt Säumnis des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vor:

Mangels verfahrensrechtlicher Sondervorschriften richtet sich im gegenständlichen Fall die Entscheidungsfrist des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 73 Abs. 1 AVG.

Die gegenständlichen Anträge langten am 13.05.2020 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein. Die sechsmonatige Entscheidungsfrist des § 73 Abs. 1 AVG war daher zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerden am 16.11.2020 bereits verstrichen, weshalb sich aufgrund der Säumigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht als zulässig erweisen.

Zu prüfen bleibt, ob die Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl abzuweisen sind, weil die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zurückzuführen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in Fällen der Verletzung der Entscheidungspflicht zur Frage des überwiegenden Verschuldens der Behörde bereits festgehalten, dass der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 8 Abs. 1 VwGVG nicht im Sinn eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern „objektiv“ zu verstehen ist, als ein solches „Verschulden“ dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ein überwiegendes Verschulden der Behörde darin gesehen, dass diese die für die zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet (VwGH 22.06.2017, Ra 2017/20/0133; vgl. auch 24.05.2016, Ro 2016/01/0001, und 28.06.2016, Ra 2015/10/0107, jeweils mwN).

Wie festgestellt, war das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht durch schuldhaftes Verhalten der Beschwerdeführer oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl setzte nach Einlangen der gegenständlichen Anträge keine Ermittlungsschritte. Dass die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl genannten Kommunikationsmängel nicht vermeidbar gewesen wären und im Fall von – nicht näher dargelegten – Krankenständen keine geeigneten Maßnahmen hätten getroffen werden können, ist nicht ersichtlich und wurde Derartiges vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch nicht behauptet. Es kamen keine Anhaltspunkte hervor, wonach die Säumnis des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl nicht auf ein überwiegendes Verschulden dieser Verwaltungsbehörde zurückzuführen wäre. Auch deutet nichts darauf hin, dass die Erstbeschwerdeführerin nicht am Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgewirkt oder dieses gar verzögert hätte.

Im gegenständlichen Fall ist daher unbestrittener Weise davon auszugehen, dass seitens der belangten Behörde Säumnis im Sinne des § 73 Abs. 1 AVG vorliegt. Von der Möglichkeit der Nachholung des Bescheides gemäß § 16 VwGVG hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im gegenständlichen Fall keinen Gebrauch gemacht.

Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass eine festgestellte Säumnis gemäß § 73 Abs. 1 AVG nichts über eine (subjektive) Säumnis eines einzelnen Organwalters, etwa wegen der Anzahl zugeteilter Fälle in quantitativer Hinsicht oder eines Krankenstandes, aussagt, oder die Feststellung einer Säumnis gemäß § 73 AVG die Feststellung einer solchen subjektiven Säumnis darstellt. Viel mehr bedeutet Säumnis im Sinne des § 73 Abs. 1 AVG objektive Säumnis der belangten Behörde, losgelöst vom einzelnen Organwalter.

3.2. Zu A) II. – Auftrag zur Erlassung der versäumten Bescheide:

3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG kann im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.

In der vorliegenden Rechtssache macht das Bundesverwaltungsgericht von seiner Ermächtigung gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG Gebrauch und trägt der belangten Behörde auf, über die Anträge der Beschwerdeführer auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 zu entscheiden und die versäumten Bescheide unter der hier festgelegten Rechtsanschauung innerhalb einer Frist von acht Wochen nachzuholen.

3.2.2. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gemäß § 52 Abs. 3 FPG hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

Gemäß § 138 ABGB ist das Wohl des Kindes (Kindeswohl) in allen das minderjährige Kind betreffenden Angelegenheiten, insbesondere der Obsorge und der persönlichen Kontakte, als leitender Gesichtspunkt zu berücksichtigen und bestmöglich zu gewährleisten. § 138 ABGB dient auch im Bereich verwaltungsrechtlicher Entscheidungen, in denen auf das Kindeswohl Rücksicht zu nehmen ist, als Orientierungsmaßstab (vgl. VwGH vom 24.09.2019, Ra 2019/20/0274).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt eine Rückkehrentscheidung, die zwangsläufig zu einer Trennung eines Kleinkindes von Mutter oder Vater (die in Lebensgemeinschaft leben) führt, in jedem Fall eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls dar (VwGH 25.09.2018, Ra 2018/21/0108 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt darauf verwiesen, dass ein Kind grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen hat. Wird es durch die Rückkehrentscheidung gegen den Vater (bzw. im gegenständlichen Fall: die Mutter) gezwungen, ohne diesen aufzuwachsen, so bedarf diese Konsequenz einer besonderen Rechtfertigung (vgl. des Näheren VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn. 18, mwN, und VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0134, Rn. 20, sowie auf diese Erkenntnisse Bezug nehmend VwGH 16.7.2020, Ra 2020/18/0226, Rn. 8/9).

Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, es sei lebensfremd anzunehmen, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könne (vgl dazu etwa VfGH 26.02.2019, E3079/2018, mwN).

Unter Zugrundelegung der zitierten Rechtsausführungen wird in concreto zu prüfen sein, ob die Erteilung der beantragten Aufenthaltstiteln zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer geboten ist.

3.4. Zu B) – Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den jeweiligen Spruchteilen A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. 

Schlagworte

Aufenthaltstitel Organwalter Verletzung der Entscheidungspflicht Verschulden Voraussetzungen VwGH

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W220.2239957.1.00

Im RIS seit

17.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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