TE Vwgh Erkenntnis 2021/10/20 Ro 2021/13/0007

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Veröffentlicht am 20.10.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

BAO §22
EStG 1972 §18 Abs1 Z4
KStG 1988 §8 Abs4 Z2
KStG 1988 §8 Abs4 Z2 litc
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der R GmbH in W, vertreten durch die Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Parkring 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 28. Jänner 2021, Zl. RV/7100762/2020, betreffend Feststellungsbescheid Gruppenträger 2017 und Körperschaftsteuer Gruppe 2017, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Im Bericht über das Ergebnis einer Außenprüfung vom 6. Februar 2018 wurde u.a. ausgeführt, die Revisionswerberin sei im August 2008 - damals unter einem anderen Namen - von W gegründet worden. Im Dezember 2013 seien 99% der Anteile auf R übergegangen, die restlichen Anteile an M (die Anteile würden zum Teil treuhändig gehalten). Bis Ende 2013 sei die Geschäftsführung bei W gelegen; im Dezember 2013 sei R zum Geschäftsführer bestellt worden. Ebenfalls im Dezember 2013 habe die Revisionswerberin alle Anteile an der C GmbH erworben; diese werde als Tochterunternehmen weitergeführt. Mit dem Jahr 2014 sei eine Unternehmensgruppe gegründet worden, die Revisionswerberin sei Gruppenträgerin, die C GmbH Gruppenmitglied. Bis zum Verkauf habe folgende Struktur bestanden: Die Revisionswerberin habe der C GmbH und der W OG (persönlich haftender Gesellschafter u.a. W) Räumlichkeiten und medizinische Geräte zur Verfügung gestellt. Die C GmbH sowie die W OG seien operativ im Bereich Röntgen und Computertomographie tätig gewesen. Mit dem Verkauf Ende 2013 sei eine Umstrukturierung in der Weise erfolgt, dass die W OG in die Revisionswerberin eingebracht worden sei; die C GmbH sei nunmehr ein Tochterunternehmen der Revisionswerberin. Es lägen - wie sodann näher begründet wird - die Voraussetzungen eines Mantelkaufs (§ 8 Abs. 4 Z 2 lit. c KStG 1988) vor. Anstatt der Ausübung einer vermögensverwaltenden Tätigkeit werde nunmehr eine Ordination betrieben; der Ordinationsbetrieb selbst entspreche auch nicht mehr dem bisherigen Ordinationsbetrieb (die bisher bestehenden Verträge mit Sozialversicherungsträgern seien - mit Ausnahme eines kleineren Trägers - nicht übernommen worden). Die bisherige Vermietung habe sich stark vermindert und sei im Verhältnis zum Gesamtumsatz nunmehr von untergeordneter Bedeutung. Aufgrund der Beurteilung des Gesamtbildes sei keine Identität des Steuerpflichtigen mehr gegeben. Der Verlustabzug betreffend Verluste, die vor der Strukturänderung entstanden seien, stehe nicht mehr zu.

2        Mit Bescheiden vom 18. Februar 2019 stellte das Finanzamt das Einkommen des Gruppenträgers 2017 fest und setzte die Körperschaftsteuer Gruppe 2017 fest; das Finanzamt folgte dabei der Ansicht der Außenprüfung.

3        Die Revisionswerberin erhob gegen diese Bescheide Beschwerde. Darin wurde die Berücksichtigung der in der Abgabenerklärung angeführten Verlustvorträge begehrt. Ein Grund für die Nichtanerkennung der aus den Jahren vor 2013 stammenden Verlustvorträge bestehe nicht, da die Voraussetzungen für die Anwendung des § 8 Abs. 4 Z 2 lit. c KStG 1988 nicht gegeben seien. Die wirtschaftliche Identität sei - wie sodann näher dargelegt wurde - nach dem Gesamtbild der Verhältnisse gleichgeblieben.

4        Mit Beschwerdevorentscheidungen vom 21. November 2019 wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.

5        Die Revisionswerberin beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

7        Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin (damals unter anderem Namen) sei im Jahr 2008 von W gegründet worden; W habe sämtliche Geschäftsanteile dieser GmbH gehalten. Mit 18. Dezember 2013 seien 99% der Anteile auf R übergegangen, am 19. Dezember 2013 sei der restliche Anteil auf M übertragen worden. Der Unternehmensgegenstand vor dem Verkauf der Geschäftsanteile habe größtenteils aus vermögensverwaltenden Tätigkeiten bestanden, insbesondere der Vermietung von Wirtschaftsgütern. Der tatsächliche Geschäftsgegenstand vor Veräußerung der Anteile sei dadurch erfüllt worden, dass Räumlichkeiten und medizinische Geräte der C GmbH und der W OG zur Verfügung gestellt worden seien. Diese beiden Unternehmen hätten die medizinischen Leistungen operativ erbracht. Nach Veräußerung der Geschäftsanteile sei der Gesellschaftsvertrag neu gefasst worden. Unternehmensgegenstand sei nunmehr insbesondere die Ausübung von Tätigkeiten im Rahmen der Berufsbefugnis einer Gruppenpraxis für Radiologie. Die Revisionswerberin führe seit 2014 die medizinischen Leistungen selbst durch. Die W OG sei in die Revisionswerberin eingebracht worden; mit der C GmbH (seit 31. Dezember 2013 zu 100% eine Tochter der Revisionswerberin) bestehe eine Unternehmensgruppe gemäß § 9 KStG 1988.

8        Zu den Elementen des Mantelkaufes führte das Bundesfinanzgericht aus, bis zum 31. Dezember 2013 habe W als Geschäftsführer der Revisionswerberin fungiert, ab 1. Jänner 2014 sei R deren Geschäftsführer (organisatorische Änderung). Im Dezember 2013 seien alle Geschäftsanteile der Revisionswerberin veräußert worden (gesellschaftliche Änderungen).

9        Der tatsächliche Unternehmensgegenstand der Revisionswerberin sei vor 2014 eine vermögensverwaltende Tätigkeit gewesen (Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten und medizinischer Ausrüstung). Ab 2014 werde die Revisionswerberin selbst operativ im medizinischen Bereich tätig. Damit einhergehend seien Mitarbeiter eingestellt worden, die - im Hinblick auf die Vermögensverwaltung - zuvor nicht notwendig gewesen seien. Vor der Neustrukturierung habe die Revisionswerberin jährliche Gesamteinnahmen von rund 220.000 € lukriert; diesen Einnahmen seien hohe Ausgaben (Abschreibungen auf Sachanlagen; sonstige betriebliche Aufwendungen) gegenüber gestanden, weshalb bei der Revisionswerberin Verlustvorträge in Höhe von ca. 850.000 € vorhanden seien. Ab dem Jahr 2014 hätten die jährlichen Einnahmen ca. 1,5 Mio. € betragen. Diese Einnahmen seien hauptsächlich auf den Röntgenbetrieb zurückzuführen. Der Vermietungsumsatz sei auf rund 40.000 € pro Jahr zurückgegangen. Damit habe sich der Vermietungsanteil vom Gesamtumsatz von 100% auf 2,7% reduziert; flächenbezogen habe sich die Vermietung von 100% auf 20% verringert. Eine vermögensverwaltende Tätigkeit sei auf eine operative Tätigkeit umgestellt worden.

10       Die organisatorischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Änderungen seien innerhalb weniger Wochen erfolgt; es sei ein planmäßiger Zusammenhang zwischen den einzelnen Änderungen zu erkennen.

11       Der Zweck der Mantelkaufregelung in § 8 Abs. 4 Z 2 lit. c KStG 1988 bestehe darin, rechtsgeschäftliche Verlustverwertungen außerhalb wirtschaftlich begründbarer Fälle zu unterbinden. Voraussetzung für die Versagung des Verlustabzuges sei, dass es zwischen dem Zeitpunkt des Entstehens eines Verlusts und dem Zeitpunkt des Verlustabzugs zu einem Verlust der wirtschaftlichen Identität der Körperschaft gekommen sei. Die wirtschaftliche Identität gehe verloren, wenn wesentliche Änderungen der wirtschaftlichen und der organisatorischen Struktur mit wesentlichen Änderungen der Gesellschafterstruktur einhergehen.

12       Änderungen der organisatorischen Struktur lägen vor, da die Geschäftsführung der Revisionswerberin vollständig getauscht worden sei. Auch eine wesentliche Änderung der Gesellschafterstruktur sei gegeben (Wechsel von 100% des stimmberechtigten Kapitals).

13       Strittig sei vor allem, ob eine Änderung der wirtschaftlichen Struktur eingetreten sei. Es liege ein Bruch der wirtschaftlichen Identität der Revisionswerberin vor, weil sich der Unternehmensgegenstand wesentlich geändert habe. Die Vermietung von Räumlichkeiten und Maschinen sei mit dem eigenen operativen Betrieb einer Ordination, selbst unter Verwendung des gleichen Vermögens nicht vergleichbar. Dass die Revisionswerberin nach Veräußerung weiterhin Vermietungstätigkeiten vornehme, vermöge dieses Ergebnis nicht zu ändern. Die Vermietungstätigkeit sei von 100% des Umsatzes auf unter 3% des Umsatzes verringert worden; auch flächenmäßig sei die Vermietung von 100% auf 20% reduziert worden. Damit liege eine wesentliche Änderung des tatsächlichen Unternehmensgegenstandes vor. Auf eine hinreichend große Erhöhung des Vermögens komme es dabei nicht an. Es sei daher auch das Tatbestandsmerkmal der Änderung der wirtschaftlichen Struktur erfüllt.

14       Da vor dem Beginn der Strukturänderungen der Revisionswerberin bei dieser keine Arbeitskräfte vorhanden gewesen seien, könne auch der Ausnahmetatbestand des § 8 Abs. 4 Z 2 lit. c vorletzter Satz KStG 1988 nicht greifen.

15       Die bis zum Zeitpunkt der Veräußerung angehäuften Verluste seien daher nicht abzugsfähig.

16       Da - soweit ersichtlich - für das vorliegend strittige Tatbestandsmerkmal der wirtschaftlichen Änderung in der vorliegenden Konstellation Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle, sei die ordentliche Revision zulässig.

17       Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die (ordentliche) Revision. Zur Zulässigkeit der Revision wird ausgeführt, die Frage, ob in wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine wirtschaftliche Strukturänderung vorliege, sei eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung; dazu fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

18       Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

19       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

20       Die Revision ist - entgegen dem Vorbringen des Finanzamts - zulässig, aber nicht begründet.

21       § 8 Abs. 4 KStG 1988 lautet (im Streitjahr idF BGBl. I Nr. 28/2017, auszugsweise):

„Folgende Ausgaben sind bei der Ermittlung des Einkommens als Sonderausgaben abzuziehen, soweit sie nicht Betriebsausgaben oder Werbungskosten darstellen:

[...]

2.   Der Verlustabzug im Sinne des § 18 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes 1988 nach Maßgabe folgender Bestimmungen:

     [...]

c)   Der Verlustabzug steht ab jenem Zeitpunkt nicht mehr zu, ab dem die Identität des Steuerpflichtigen infolge einer wesentlichen Änderung der organisatorischen und wirtschaftlichen Struktur im Zusammenhang mit einer wesentlichen Änderung der Gesellschafterstruktur auf entgeltlicher Grundlage nach dem Gesamtbild der Verhältnisse wirtschaftlich nicht mehr gegeben ist (Mantelkauf). Dies gilt nicht, wenn diese Änderungen zum Zwecke der Sanierung des Steuerpflichtigen mit dem Ziel der Erhaltung eines wesentlichen Teiles betrieblicher Arbeitsplätze erfolgen. Verluste sind jedenfalls insoweit abzugsfähig, als infolge der Änderung der wirtschaftlichen Struktur bis zum Ende des Wirtschaftsjahres der Änderung stille Reserven steuerwirksam aufgedeckt werden.“

22       Diese Einschränkung des Verlustabzugs im Hinblick auf den „Mantelkauf“ wurde - im Wesentlichen - mit dem Körperschaftsteuergesetz 1988 (Stammfassung, BGBl. Nr. 401; damals noch § 8 Abs. 4 Z 3 KStG 1988) normiert. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (622 BlgNR 17. GP 18; damals als Z 2; Änderung zu Z 3 erfolgte im Finanzausschuss, vgl. 674 BlgNR 17. GP 2) wurde dazu ausgeführt:

„Eine gesetzliche Regelung des sogenannten Mantelkaufes in § 8 Abs. 4 Z 2 erweist sich aus ordnungspolitischen Gesichtspunkten als geboten. Der Verwaltungsgerichtshof mußte mangels einer gesetzlichen Regelung der behördlichen Auffassung über den Untergang des Verlustvortragsrechtes bei Verlust der wirtschaftlichen Identität entgegentreten und den Verlustvortrag als höchstpersönliches Recht der zivilrechtlich unveränderten Körperschaft in einem Fall bestätigen, in dem sämtliche Gesellschafter einer vermögenslosen Gesellschaft wechselten und Name, Sitz, Zweck und Betriebsgegenstand geändert wurden. Das Abgabenrecht muß aber als Wirtschaftsrecht Bestrebungen entgegentreten können, Verluste zum Gegenstand von Erwerbsvorgängen zu machen. Die Regelung schafft daher für Extremfälle, in denen eine vollkommene Strukturänderung einer Körperschaft mit einer Veränderung der Eigentümerstellung auf entgeltlicher Grundlage im Zusammenhang steht, eine Rechtsgrundlage zur Versagung des Verlustvortragsrechtes bei der zivilrechtlich ident bleibenden Körperschaft. Ihr liegt damit ein der Regelung des Überganges des Verlustvortragsrechtes bei Verschmelzungen im Strukturverbesserungsgesetz vergleichbares Motiv zugrunde.

Das Verlustvortragsrecht soll allerdings im Sanierungsfall nicht verloren gehen. Voraussetzung ist, daß die wesentliche Strukturänderung der Körperschaft in Verbindung mit dem wesentlichen Gesellschafterwechsel der Sanierung der Körperschaft zum Zwecke der Erhaltung eines wesentlichen Teiles betrieblicher Arbeitsplätze dient. Eine Sanierung wird daher nur dann anzunehmen sein, wenn eine sanierungsbedürftige Betriebsstruktur vorhanden ist. Ob in der Folge die Betriebsstruktur erhalten bleibt oder eine neue Betriebsstruktur zur Erhaltung der Arbeitsplätze geschaffen wird, ist unbeachtlich. Ist die Betriebsstruktur vor dem Wechsel bereits untergegangen, wird ein Sanierungsfall nicht angenommen werden können.“

23       Der letzte Satz in § 8 Abs. 4 Z 2 lit. c KStG 1988 wurde mit dem Bundesgesetz, mit dem u.a. abgabenrechtliche Maßnahmen bei der Umgründung von Unternehmen getroffen wurden, BGBl. Nr. 699/1991, angefügt (damals in § 8 Abs. 4 Z 3 KStG 1988). Hiezu wurde in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ausgeführt:

„Der Mantelkauftatbestand des § 8 Abs. 4 Z 3 soll durch eine ergänzende Aussage punktuell entschärft werden. Der Wegfall des Verlustvortragsrechtes im Jahr des Mantelkaufes führt in jenen Fällen zu Härten, in denen die wirtschaftliche Strukturänderung zu einer Gewinnverwirklichung führt. Es soll daher jener Teil der Verlustvorträge steuerwirksam bleiben, der dem Abdecken der in diesem Jahr durch die wirtschaftliche Strukturänderung steuerpflichtig aufgedeckten stillen Reserven dient.

Beispiel: A erwirbt im Jahr 1992 alle Anteile einer operativ tätigen GesmbH, wird Geschäftsführer und veranlaßt die Veräußerung des verlusterzeugenden Betriebes nach Kündigung des Personals. Die Verlustvorträge in Höhe von 1 Million Schilling sind ab 1992 grundsätzlich nicht mehr abzugsfähig. Der steuerpflichtige Gewinn beträgt 520 000 S, darin ist der Veräußerungsgewinn mit 500 000 S enthalten. Dieser wäre nach § 8 Abs. 4 Z 3 vor der Novellierung körperschaftsteuerpflichtig. Auf Grund der Novellierung entsteht insoweit keine Steuerpflicht, als in Höhe des Veräußerungsgewinnes der Sonderausgabenabzug zusteht. Der Restgewinn von 20 000 S unterliegt der Besteuerung.“

24       Nach der in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Stammfassung des Körperschaftsteuergesetzes 1988 angesprochenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stand der Verlustabzug (damals nach § 18 Abs. 1 Z 4 EStG 1972) einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auch bei Vorliegen eines sogenannten Mantelkaufes (Erwerb von allen oder fast allen Anteilen an einer GmbH, deren Unternehmen praktisch nicht mehr betrieben wird) zu, selbst wenn eine vollkommene Änderung der GmbH in ihrem sachlichen und personellen Substrat eingetreten war (vgl. VwGH 4.6.1986, 84/13/0251, VwSlg. 6126/F). Die Identität der GmbH wird durch den Wechsel ihrer Gesellschafter ebensowenig berührt wie durch eine Änderung des Gegenstandes ihres Unternehmens, ihrer Firma, ihres Sitzes im Inland oder durch den Wechsel der Geschäftsführer (vgl. VwGH 22.9.1987, 87/14/0063). Allenfalls konnte ein Missbrauch im Sinne des § 22 BAO eine Berücksichtigung der Verluste hindern (vgl. VwGH 2.8.2000, 98/13/0152; vgl. hingegen zu einer Verschmelzung VwGH 13.9.1988, 87/14/0128).

25       Zur Rechtslage nach dem KStG 1988 entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der gesetzliche Mantelkauftatbestand die Rechtsfolge des Unterganges des Verlustvortragsrechtes mit einer gesamthaften wesentlichen Änderung der Strukturen der Körperschaft innerhalb eines überschaubar kurzen Zeitraumes in Verbindung bringt. Voraussetzung für die Versagung des Verlustabzuges ist, dass es zwischen dem Zeitpunkt des Entstehens eines Verlustes und dem Zeitpunkt des Verlustabzuges zu einem Verlust der wirtschaftlichen Identität der Körperschaft gekommen ist. Die wirtschaftliche Identität geht verloren, wenn wesentliche Änderungen der wirtschaftlichen und der organisatorischen Struktur mit wesentlichen Änderungen der Gesellschafterstruktur einhergehen (vgl. VwGH 26.7.2005, 2001/14/0135).

26       Dass der Kauf der Gesellschaftsanteile ausschließlich zum Zweck des Erwerbs von Verlustabzügen erfolgt sei, ist keine Tatbestandsvoraussetzung des § 8 Abs. 4 Z 2 KStG 1988; die Versagung des Verlustabzuges bedarf auch nicht der Feststellung einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung (vgl. neuerlich VwGH 2001/14/0135).

27       Im Revisionsfall steht nicht in Streit, dass im vorliegenden Fall eine wesentliche Änderung der organisatorischen Struktur im Zusammenhang mit einer wesentlichen Änderung der Gesellschafterstruktur auf entgeltlicher Grundlage gegeben ist und der Ausnahmetatbestand der Sanierung nicht gegeben ist. Strittig ist ausschließlich, ob auch eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Struktur eingetreten ist, sodass nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die Identität des Steuerpflichtigen wirtschaftlich nicht mehr gegeben ist (vgl. dazu VwGH 26.7.2006, 2004/14/0151).

28       Das Tatbestandselement der Änderung der wirtschaftlichen Struktur betrifft die wirtschaftliche Tätigkeit der Körperschaft. Um einen Mantelkauf annehmen zu können, muss sich diese in wesentlichem Umfang ändern. Eine Änderung der wirtschaftlichen Struktur setzt grundsätzlich einen Wechsel oder eine wesentliche Erweiterung des Unternehmensgegenstandes voraus (vgl. neuerlich VwGH 26.7.2006, 2004/14/0151; zu Beispielen aus der Rechtsprechung vgl. VwGH 26.7.2005, 2001/14/0135; 22.12.2005, 2002/15/0079; 18.12.2008, 2007/15/0090; 13.9.2017, Ro 2015/13/0007).

29       Im vorliegenden Fall kam es durch „Einbringung“ der W OG in die Revisionswerberin (nach den in den Akten befindlichen Urkunden: Sacheinlage des Anteils des W an der W OG und sodann Anwachsung gemäß § 142 UGB) zum Übergang des Gesellschaftsvermögens (des Betriebes) der W OG auf die Revisionswerberin. Dies bewirkte, dass die Revisionswerberin das bei ihr bereits zuvor vorhandene Betriebsvermögen, das u.a. an die W OG vermietet worden war, nunmehr selbst operativ nutzte. Das Betriebsvermögen der Revisionswerberin änderte sich durch diese Vorgänge nicht wesentlich. Es liegt aber eine wesentliche Änderung des Unternehmensgegenstandes vor. Bisher diente das Betriebsvermögen ausschließlich der Vermögensverwaltung (Vermietung an operativ tätige Gesellschaften); nunmehr wird dieses Betriebsvermögen aber großteils selbst operativ genutzt. Für die operative Nutzung wurde bei der Revisionswerberin Personal eingestellt; die Umsätze wurden erheblich ausgeweitet.

30       Damit ist es zu einer wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Struktur der Revisionswerberin gekommen. In Zusammenhalt mit den unstrittigen Änderungen der organisatorischen Struktur und der Gesellschafterstruktur ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die (frühere) Identität des Steuerpflichtigen nicht mehr gegeben.

31       Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

32       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Oktober 2021

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021130007.J00

Im RIS seit

17.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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