TE Bvwg Beschluss 2021/7/29 W240 2241382-2

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Veröffentlicht am 29.07.2021
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Entscheidungsdatum

29.07.2021

Norm

AsylG 2005 §2
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch


W240 2241382-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über den Antrag von XXXX , StA. Iran, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.04.2021, Zl. W240 2241382-1/3E, rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens beschlossen:

A)       Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (in der Folge auch BF), eine iranische Staatsangehörige, gelangte mit ihrem Ehemann und mit zwei minderjährigen Kindern im Dezember 2020 nach Österreich und stellte am 01.12.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) stellte am 09.12.2020 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (in der Folge: Dublin III-VO), gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Kroatien. Angeführt wurde im Antrag die EURODAC-Treffermeldung der Kategorie 1 (Asylantragstellung) in Kroatien und die behauptete Reiseroute.

Mit Schreiben vom 22.12.2020 stimmte die kroatische Dublin-Behörde der Rückübernahme aller Beschwerdeführer gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO ausdrücklich zu.

Mit Bescheiden des BFA vom 17.03.2021 wurden die Anträge der Beschwerdeführerin und ihrer Familie auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Kroatien für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführerin und ihre Familienangehörigen gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Kroatien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Die dagegen erhobene Beschwerde betreffend die BF und ihre Familienangehörigen wurde mit Entscheidung des BVwG vom 19.04.2021 zu W240 2241382-1/3E ua als unbegründet abgewiesen.

Mit Beschluss des VfGH vom 07.06.2021 E 1792-1793/2021-5 wurde die Behandlung der Beschwerde gegen die Entscheidung des BVwG vom 19.04.2021 abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Festgehalten wurde, dass sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, damit erübrige.

Dem BVwG wurde ein mit 08.07.2021 datierter Wiederaufnahmeantrag betreffend die BF übermittelt. Es wurde darin insbesondere ausgeführt, dass die kroatischen Behörden der Rückübernahme der BF und ihrer Familie am 22.12.2020 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zugestimmt hätten und eine Überstellung nicht erfolgt sei, weshalb die Zuständigkeit Kroatiens erloschen sei nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO. Beantragt wurde die Wiederaufnahme des Verfahrens, weil die Überstellungsfrist abgelaufen sei, zudem wurde auf den schlechten gesundheitlichen Zustand der BF verwiesen, diese sei am 16.06.2021 mit schweren Verletzungen ins AKH Wien eingeliefert worden, weil sie einen Suizidversuch unternommen habe. Es werde eine Verlegung in die psychiatrische Abteilung geplant, um den psychischen Zustand der BF zu stabilisieren. Aufgrund des besonderen Abhängigkeitsverhältnisses der BF zu ihrem in Österreich lebenden Bruder, welches nach dem rechtskräftigen BVwG Erkenntnis vom 19.04.2021 entstanden sei, liege ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor und werde in eventu ein Folgeantrag gestellt und beantragt, die BF und ihre minderjährigen Kinder zum inhaltlichen Verfahren zuzulassen. Beantragt wurde die Feststellung der Unzulässigkeit der Überstellung an sich wegen des Verstoßes gegen
Art. 3 und Art. 8 EMRK. Übermittelt wurden ärztliche Unterlagen betreffen die BF datiert mit 16.06.2021.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme:

Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn eine

Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

Abs. 3 leg. cit. lautet: Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des

Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

In der Regierungsvorlage zum  Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1-3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.

Auch der Verwaltungsgerichtshof sprach in seinem Beschluss vom 28.06.2016, Ra 2015/10/0136, aus, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet sind und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann.

Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.04.2021 rechtskräftig abgeschlossene vorangegangene Verfahren der Wiederaufnahmewerberin aufgrund der am 22.06.2021 nachträglich eingetretenen Zuständigkeit Österreichs wegen des Ablaufes der Überstellungsfrist wiederaufzunehmen.

Im Wiederaufnahmeantrag betreffend die BF wurde zu Recht ausgeführt, dass die kroatischen Behörden der Rückübernahme der BF und ihrer Familie am 22.12.2020 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zugestimmt hatten und wurde darauf verwiesen, dass eine Überstellung nicht erfolgt sei, weshalb die Zuständigkeit Kroatiens erloschen nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat – im gegenständlichen Fall Österreich - über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Derartiges ergibt sich nicht aus dem Akt betreffend die BF und es ist auch nicht ersichtlich, dass die BF überstellt wurde oder im Verfahren betreffend die BF jemals aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde.

Eine Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens kommt jedoch nur in Frage, wenn eine neue Tatsache oder Beweismittel hervorkommen sind, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Diesbezüglich ist auszuführen, dass eine Subsumtion unter diese Bestimmung in casu schon deshalb nicht angezeigt erscheint, da zum Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung des BVwG vom 19.04.2021, Zl. W240 2241382-1/3E, die Überstellungsfrist noch nicht abgelaufen war, somit zum Entscheidungszeitpunkt noch die Zuständigkeit Kroatiens gegeben war.

Zu prüfen ist dennoch, ob der geltend gemachte Wiederaufnahmegrund unter einen anderen in § 32 Abs. 1 Z. 1 bis 3 VwGVG vorgesehenen Tatbestand subsumiert werden könnte.

Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG nur auf solche Tatsachen, das heißt Geschehnisse im Seinsbereich (vgl. VwGH 15. 12. 1994, 93/09/0434; 4. 9. 2003, 2000/17/0024) oder Beweismittel, das heißt Mittel zur Herbeiführung eines Urteiles über Tatsachen (vgl. VwGH 16. 11. 2004, 2000/17/0022; 24. 4. 2007, 2005/11/0127), gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten.

Es muss sich also um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde ("nova reperta"), nicht aber um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel ("nova producta" bzw. "nova causa superveniens")

Neu entstandene Tatsachen (nova causa superveniens), also Änderungen des Sachverhalts nach Abschluss des Verfahrens, erübrigen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil in diesem Fall einem Antrag auf der Basis des geänderten Sachverhaltes die Rechtskraft des bereits erlassenen Bescheides nicht entgegensteht.

Im Wiederaufnahmeantrag wurde auch auf den – behaupteter Maßen – noch schlechteren Gesundheitszustand der BF verweisen, es wurden Unterlagen übermittelt, wonach die BF am 16.06.2021 mit schweren Verletzungen ins AKH Wien eingeliefert worden war, weil sie einen Suizidversuch unternommen hatte. Weiters wurde auf das besondere Abhängigkeitsverhältnis der BF zu ihrem in Österreich lebenden Bruder verwiesen, welches nach dem rechtskräftigen BVwG Erkenntnis vom 19.04.2021 entstanden sei. Es wird hiermit ebenfalls auf erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel ("nova producta" bzw. "nova causa superveniens") verwiesen.

Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung über einen Asylantrag eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen (vgl. dazu VwGH 17.02.2006, 2006/18/0031; 07.04.2000, 96/19/2240, 20.06.2001, 95/08/0036; 18.12.1996, 95/20/0672; 25. 11. 1994, 94/19/0145; 25.10.1994, 93/08/0123; 19.02.1992, 90/12/0224 u.a.).

Der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme war daher abzuweisen.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage als geklärt erschien und es sich bei der Einordnung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9), konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm. § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; VfGH 14.03.2012, U 466/11 ua.).

Hinsichtlich des Antrags, dem Wiedereinsetzungsantrag die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist darauf hinzuweisen, dass dem Antrag auf Wiederaufnahme (e contrario
§ 22, § 33 Abs. 4 VwGVG) weder ex lege eine aufschiebende Wirkung zukommt, noch kann sie über gesonderten Antrag zuerkannt werden (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 12).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder

Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

Beweismittel gesundheitliche Beeinträchtigung individuelle Verhältnisse mangelnder Anknüpfungspunkt Voraussetzungen Wiederaufnahmeantrag Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W240.2241382.2.00

Im RIS seit

15.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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