TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/14 W228 2233896-1

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Veröffentlicht am 14.10.2021
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Entscheidungsdatum

14.10.2021

Norm

ASVG §101
AVG §69
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W228 2233896-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Mag. XXXX , Arbeiterkammer Wien, gegen den Bescheid der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Wien, vom 06.07.2020, AZ: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit Bescheid der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (in der Folge: AUVA) vom 25.10.2017 wurde der Unfall von XXXX (in der Folge: Beschwerdeführerin) vom 26.07.2017, den sie als Dienstnehmerin erlitten hat, als Arbeitsunfall anerkannt.

Mit Bescheid der AUVA vom 30.05.2018 wurde der Beschwerdeführerin eine vorläufige Versehrtenrente von 20% der Vollrente ab 16.11.2017 gewährt.

Mit Bescheid der AUVA vom 05.06.2019 wurde der Beschwerdeführerin die, für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 26.07.2017 zuerkannte, vorläufige Versehrtenrente ab 01.08.2019 entzogen. Begründend wurde ausgeführt, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im entschädigungspflichtigen Ausmaß nicht vorliege.

Gegen diesen Bescheid vom 05.06.2019 wurde kein Rechtsmittel eingebracht und wurde der Bescheid daher rechtskräftig.

Am 25.10.2019 hat die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde ein mit 21.10.2019 datiertes Schreiben, betitelt „Wiederaufnahmeverfahren der Versehrtenrente“, eingebracht. Darin führte sie aus, dass Umstände vorliegen würden, die bei ihrer letzten Untersuchung keine Berücksichtigung gefunden hätten. Sie leide seit ihrem Unfall an regelmäßig auftretenden Kopfschmerzen. Am 14.10.2019 habe Dr. XXXX , Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, die Diagnose eines Cervicalsyndroms, ausgelöst durch den Schlüsselbeinbruch, den sie im Zuge des Arbeitsunfalles erlitten habe, festgestellt. Sie ersuche daher, ihr die Versehrtenrente - auch rückwirkend für die letzten Monate seit der Entziehung – wieder zuzusprechen.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 06.07.2020 hat die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom 25.10.2019 auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt. Begründend wurde ausgeführt, dass der Antrag sowie der Befundbericht von Dr. XXXX vom 14.10.2019 sowie das fachärztliche Gutachten von Dr. XXXX vom 23.01.2020 keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervorgebracht hätten, die einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Das Cervicalsyndrom sei nicht auf den Unfall vom 26.07.2017 zurückzuführen.

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz der Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin vom 21.07.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend wurde ausgeführt, dass es nach Einbringung des Wiederaufnahmeantrages am 23.01.2020 zu einer Untersuchung durch Dr. XXXX gekommen sei. Die Ladung zu einer neurologischen Untersuchung habe trotz Ankündigung im Schreiben vom 10.01.2020 nicht stattgefunden. Das Cervicalsyndrom sei sehr wohl auf den Arbeitsunfall vom 26.07.2017 zurückzuführen.

Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 11.08.2020 vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 08.03.2021 der Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin das Beschwerdevorlageschreiben der AUVA übermittelt.

Am 25.03.2021 übermittelte die Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin einen mit 22.03.2015 datierten vorbereitenden Schriftsatz an das Bundesverwaltungsgericht, in welchem im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass die Diagnose „Cervicalsysndrom“ erstmals im Befundbericht von Dr. XXXX vom 14.10.2019, sohin erst nach Bescheidausfertigung und nach bereits verstrichener Rechtsmittelfrist, gestellt worden sei und daher eine Änderung des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts vorliege. Das Vorliegen des Cervicalsyndroms stelle somit eine neue Tatsache bzw. einen neuen Beweis dar, welche(r) der Beschwerdeführerin bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist unbekannt gewesen sei. Zur Beurteilung, ob diese neue Tatsache zu einem im Hauptinhalt des Spruchs anderslautenden Bescheid geführt hätten, sei die Bestellung eines Sachverständigen der Neurologie notwendig.

Am 06.04.2021 langte eine mit 02.04.2021 datierte Replik der belangten Behörde beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Bescheid der AUVA vom 05.06.2019, mit welchem der Beschwerdeführerin die, für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 26.07.2017 zuerkannte, vorläufige Versehrtenrente ab 01.08.2019 entzogen wurde, ist rechtskräftig.

Mit der Eingabe der Beschwerdeführerin vom 25.10.2019 hat die Beschwerdeführerin einen Antrag nach § 101 ASVG zur Wiederherstellung des gesetzlichen Zustandes betreffend ihre Versehrtenrente und nicht – wie von der Beschwerdeführerin als solcher bezeichnet – einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt.

Die belangte Behörde hat mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 06.07.2020 eine Entscheidung nach § 69 AVG getroffen.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der belangten Behörde sowie des Bundesverwaltungsgerichts.

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage und ist unstrittig. Es handelt sich um eine reine Beurteilung einer Rechtsfrage.

3. Rechtliche Beurteilung:

§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Nach § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind. Im gegenständlichen Fall wurde in der Beschwerde die Entscheidung durch einen Senat beantragt; dieser Antrag wurde im vorbereitenden Schriftsatz vom 22.03.2021 mangels Vorliegen einer der in § 414 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG genannten Tatbestände zurückgezogen. Gegenständlich liegt daher Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 101 ASVG ist, wenn sich nachträglich ergibt, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.

Im gegenständlichen Verfahren liegt nach Ansicht des Gerichts mit der Eingabe der Beschwerdeführerin vom 25.10.2019 ein Antrag nach § 101 ASVG und nicht – wie von der Beschwerdeführerin als solcher bezeichnet – ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vor. Dieses am 25.10.2019 bei der belangten Behörde eingelangte Schreiben der Beschwerdeführerin (betitelt „Wideraufnahmeverfahren der Versehrtenrente“) ist nach Auffassung des Gerichts als Antrag nach § 101 ASVG zu werten; bei allfälligen Zweifeln wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, mit einer Nachfrage den Parteiwillen zu klären.

Sache des Verfahrens war somit die Frage, ob die Voraussetzungen des § 101 ASVG vorliegen.

Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid nicht über den verfahrensgegenständlichen Antrag nach § 101 ASVG abgesprochen, sondern über einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Dieses Thema war aber nicht Gegenstand des Begehrens der Beschwerdeführerin.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

Es hat eine Entscheidung über den Antrag nach § 101 ASVG zu ergehen (vgl. dazu auch Beschluss des VwGH 24.11.2014, Ra 2014/08/0006).

Auf Folgendes ist noch hinzuweisen:

Nach Fellinger in SV-Komm § 101 ASVG Rz1 und 2 existiert im Bereich des ASVG eine spezielle Regelung betreffend Wiederaufnahme (§101 ASVG). Zweck der Bestimmung des § 101 ASVG ist es, dass mit Rücksicht auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der Versicherungsleistung der den wirklichen Verhältnissen entsprechende Zustand hergestellt werden soll. Damit wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die Herstellung des gesetzlichen Zustands jederzeit, ungehemmt durch formelle Bedenken und daher auch ohne die strengen Voraussetzungen des Wiederaufnahmeverfahrens nach § 69 AVG möglich sein soll (VwGH 2002/08/0270, SVSlg 48.147 = VwSlg 16.065 A). § 101 ASVG bietet jedoch keine Handhabe dafür, jede Fehleinschätzung im Tatsachenbereich, insbesondere auch die Beweiswürdigung im Nachhinein neuerlich aufzurollen (VwGH 2002/98/0096, zuletzt Erk vom 13.09.2017, Ra 2016/08/0174). Die Korrektur rechtskräftiger Bescheide, also die Durchbrechung ihrer materiellen Rechtskraft, darf nur zugunsten des Versicherten erfolgen. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens zum Nachteil des Versicherten ist hingegen nur nach den Grundsätzen des § 69 AVG zulässig. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin den Bescheid der AUVA vom 05.06.2019 unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ließ, steht einer Anwendung des § 101 nicht entgegen (VwGH 99/08/0110, SVSlg 45.107).

Voraussetzung für die Herstellung des gesetzlichen Zustands ist ein durch rechtskräftigen Bescheid abgeschlossenes Verwaltungsverfahren. Dieser Umstand ist durch den rechtskräftigen Bescheid vom 05.06.2019 erfüllt.

Die belangte Behörde hat in ihrem Bescheid vom 05.06.2019 zwar keinen konkreten Sachverhalt festgestellt, auch nicht angegeben, auf welche Beweismittel sie sich stützt und wie sie diese in einer Beweiswürdigung wertet; es wurde lediglich die rechtliche Würdigung aufgenommen. Es erweist sich daher auf den ersten Blick schwierig, einen Irrtum in den Sachverhaltsfeststellungen auszumachen.

Die Frage eines wesentlichen Irrtums wird aber wohl unter Heranziehung der, der Entscheidung über den Entzug der Versehrtenrente zugrundeliegenden, Beweismittel und Sachverhaltsannahmen, die zum Entzug der Versehrtenrente geführt haben, zu prüfen sein.

Der Hinweis im jeweiligen Betreff auf § 101 ASVG, sowohl im Beschwerdevorlageschreiben vom 10.08.2020 als auch in der Stellungnahme vom 02.04.2021, ersetzt nicht eine rechtskonforme Entscheidung in der Sache "Wiederherstellung des gesetzlichen Zustandes".

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Antragsbegehren Antragstellung Irrtum Parteiwille Versehrtenrente Wiederaufnahmeantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W228.2233896.1.00

Im RIS seit

09.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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