TE Vwgh Erkenntnis 1999/11/17 99/08/0110

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Veröffentlicht am 17.11.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §101;
AVG §68 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram und Dr. Anton Ehm, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12/9, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 17. Juni 1999, Zl. 122.162/1-7/99, betreffend Feststellung von Sonderbeiträgen und rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG (mitbeteiligte Partei: J in W, vertreten durch Dr. Erwin Bajic und Dr. Peter Zach, Rechtsanwälte in 8600 Bruck an der Mur, Mittergasse 28), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren des Mitbeteiligten wird abgewiesen.

Begründung

Der Mitbeteiligte stand ab 1. April 1984 als Hubschrauberpilot in einem Beschäftigungsverhältnis zur Firma Air-Cargo, Erste OÖ Helikopter Transport Ges.m.b.H.. Am 7. März 1985 erlitt er als Hubschrauberpilot einen Arbeitsunfall. Die Beschwerdeführerin gewährte dem Mitbeteiligten für die Folgen dieses Unfalles mit Bescheid vom 8. Jänner 1986 eine vorläufige Versehrtenrente; gleichzeitig wurde als Bemessungsgrundlage gemäß § 179 Abs. 1 ASVG der Betrag von S 310.978,-- festgestellt. Dieser Bemessungsgrundlage wurden die allgemeinen Beitragsgrundlagen vom 1. April 1984 bis 31. März 1985 zugrundegelegt und zwar für April 1984 ein Entgelt von S 18.060,--, für die übrigen Monate ein solches im Ausmaß der Höchstbeitragsgrundlage, sohin für 1984 monatlich S 24.000,-- und für 1985 monatlich S 24.600,--. Sonderbeiträge wurden für die Sonderzahlungen im Jahre 1984 im Ausmaß von zweimal je S 13.559,--, sohin insgesamt S 27.118,-- berücksichtigt.

Mit Bescheid vom 27. Jänner 1987 gewährte die Beschwerdeführerin dem Mitbeteiligten für die Folgen dieses Unfalles eine Dauerrente zuzüglich einer Zusatzrente; als Bemessungsgrundlage galt der mit Bescheid vom 8. Jänner 1986 festgestellte Betrag von S 310.978,--. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Am 22. Jänner 1986 brachte der Mitbeteiligte gegen seinen ehemaligen Dienstgeber eine Klage auf nichtausgezahlte Entgeltdifferenzen ein. Er forderte nach mehreren Klagsausdehnungen und einer Klagseinschränkung letztlich S 789.087,-- brutto und zwar an Flugminutenzulage 1984 S 261.690,--, Flugminutenzulage 1985 S 1.620,--, Überstunden 1984/85 S 75.853,--, Erfolgsbeteiligung für 11,5 Monate S 137.500,--, Urlaubsentschädigung S 239.667,-- und Krankenentgelt S 72.757,--. In diesem Verfahren wurde am 23. April 1987 ein Vergleich geschlossen, in dem sich der Dienstgeber zur Zahlung eines Entgeltbetrages von S 350.000,-- netto sowie eines Kostenanteiles von S 30.000,-- verpflichtete.

Am 28. Oktober 1993 langte bei der Beschwerdeführerin das Schreiben des Mitbeteiligten vom 24. Oktober 1993 ein. Darin führte der Mitbeteiligte aus, er habe bei seinem letzten Arbeitgeber ab Juni 1984 immer über S 45.000,-- monatlich verdient. Mit Hilfe seines Rechtsanwaltes habe er für die neun Monate 1984 bis zu seinem Unfall am 7. März 1985 eine Nachzahlung in der Höhe von S 380.000,-- vor dem ASG Wels erstritten. Bei seinem vorherigen Arbeitgeber habe er für den Zeitraum 1984 auch noch eine Nachzahlung von S 80.000,-- aufgrund eines Vergleiches vor dem ASG Innsbruck erhalten. Die Bemessungsgrundlage für die Versehrtenrente könne daher nicht stimmen. Er beantrage daher

1.

"Neufeststellung der Bemessungsgrundlage

2.

Berechnung der Gesamt-Differenz zwischen der ausbezahlten und der seit Beginn zustehenden Versehrtenrente und

3.

diese Differenz als Einmalbetrag auszuzahlen",

allenfalls die Zahlen als Basis für eine Schadenersatzforderung gegen den letzten Dienstgeber zur Verfügung zu stellen.

Mit Schreiben vom 15. November 1993 ersuchte daraufhin die Beschwerdeführerin den Mitbeteiligten, Vergleichsausfertigungen des Arbeits- und Sozialgerichtes Innsbruck betreffend den Zeitraum 1984 und des Arbeits- und Sozialgerichtes Wels betreffend den Zeitraum 1985 zur Einsicht zu übermitteln.

Der Mitbeteiligte antwortete mit Schreiben vom 26. Dezember 1993. Darin teilte er mit, beim Verfahren vor dem "OLG Innsbruck", AZ 45 Cga 12/87, sei es um seine Ansprüche gegen den vorherigen Dienstgeber anlässlich seines Ausscheidens im Frühjahr 1984 gegangen. Für den Lohnzahlungszeitraum Februar 1984 habe er zusätzlich zu dem der Sozialversicherung unterliegenden und von der Beschwerdeführerin berücksichtigten Einkommen eine Summe von S 50.000,-- netto erhalten. Im Verfahren vor dem ASG Wels sei es um seine ausständigen Lohnansprüche für den Zeitraum April 1984 bis März 1985 gegangen. Für diesen Zeitraum habe er netto S 380.000,-- zusätzlich zum laufend ausbezahltem Gehalt erhalten. Da er nur mehr die Aktenzahlen der Gerichtsverfahren kenne, erteile er der Beschwerdeführerin Vollmacht, selbst in diese Akten Einsicht zu nehmen.

Nach einem weiteren Schriftwechsel teilte die Beschwerdeführerin dem Mitbeteiligten mit Schreiben vom 30. Mai 1995 mit, dass die mit Vergleich vor dem Kreisgericht Wels als Arbeits- und Sozialgericht vereinbarte Entgeltnachzahlung nicht automatisch eine Erhöhung der allgemeinen Beitragsgrundlagen nach sich ziehe. Nach Mitteilung der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse sei im Bemessungszeitraum keine Änderung der allgemeinen Beitragsgrundlagen festgestellt bzw. die im Vergleich vereinbarte Entgeltnachzahlung in den Beitragsgrundlagen für 1984 bis 1986 nicht berücksichtigt worden. Da die Klärung dieser Vorfrage für die Entscheidung im Verfahren vor der Beschwerdeführerin, eine eventuelle Neuberechnung der Bemessungsgrundlage durchzuführen, unbedingt erforderlich sei, ersuche die Beschwerdeführerin den Mitbeteiligten, bei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse eine rechtskräftige Entscheidung zu bewirken. Bis zum Vorliegen dieser Entscheidung setze die Beschwerdeführerin das Verfahren gemäß § 38 AVG aus.

Hierauf beantragte der Mitbeteiligte mit Schreiben vom 5. Juni 1995, gerichtet an die Wiener Gebietskrankenkasse "zur Weiterleitung an die zuständige Gebietskrankenkasse", die bescheidmäßige Feststellung der Beitragsgrundlagen für den Lohnzahlungszeitraum 1. April 1984 bis 7. März 1985. In diesem Schreiben führte er u.a. unter Hinweis auf seinen am 7. März 1985 erlittenen Arbeitsunfall aus, er habe Streit über den ausständigen Lohn mit seinem letzten Arbeitgeber gehabt. In seinen an den Arbeitgeber gestellten Forderungen seien auch Sonderzahlungen und der Leistungsanteil für den Monat April enthalten gewesen. Für den genannten Lohnzahlungszeitraum habe er eine Nachzahlung von netto S 350.000,-- erhalten. Er habe sohin mit allen Beiträgen und allen Sonderzahlungen voll die Jahreshöchstbeitragsgrundlage überschritten.

Am 26. März 1996 erhob der Mitbeteiligte beim Arbeits- und Sozialgericht Wien Säumnisklage gegen die Beschwerdeführerin mit dem Begehren, festzustellen, dass die der Bemessungsgrundlage zugrundeliegende Beitragsgrundlage im maßgeblichen Zeitraum S 344.400,-- betragen habe und die Beschwerdeführerin zur Zahlung der auf dieser Grundlage erhöhten Versehrtenrente zu verpflichten. Nachdem der im Rechtsmittelweg angerufene Oberste Gerichtshof in seinem Beschluss vom 19. Mai 1998, 10 Ob S 357/97 s, u. a. ausführte, dass für die Säumnisklage der Rechtsweg unzulässig sei, wurde die Säumnisklage vom Arbeits- und Sozialgericht Wien mit Beschluss vom 12. Juni 1998 zurückgewiesen.

Der Mitbeteiligte wandte sich mit Schreiben vom 18. März 1997 an den Landeshauptmann von Oberösterreich "als Aufsichtsorgan der OÖ GKK". Darin führte er u.a. aus, der Landeshauptmann möge aufgrund der vorgelegten Dokumente feststellen, dass die den Leistungen der Sozialversicherung zugrundeliegende Bemessungsgrundlage im Jahr 1984/85 vor dem Arbeitsunfall die damalige Höchstbemessungsgrundlage von S 344.400,-- erreicht habe und die falsche Berechnung ihm nicht zur Last falle. Alleine die vor Gericht erstrittene Nachzahlung von S 350.000,-- netto an restlichem Lohn für seine Tätigkeit vom 1. April 1984 bis 7. März 1985 indiziere dies. Er beantrage die Anwendung des § 101 ASVG und Herstellung des gesetzlichen Zustandes ab Beginn der Leistung.

Mit Schreiben vom 5. Dezember 1998 wandte sich der Mitbeteiligte schließlich an den Bundesminister für Arbeit und Soziales "als Aufsichtsbehörde der Sozialversicherung und des Landeshauptmannes". Darin führte er aus, er habe am 24. Oktober 1993 an die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Neufeststellung der Bemessungsgrundlage gestellt und am 18. März 1997 beim Landeshauptmann Oberösterreich den Übergang der Entscheidungspflicht geltend gemacht. Er habe die Feststellung der Bemessungsgrundlage vor dem Arbeitsunfall in der Höhe von S 344.400,-- sowie die Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG begehrt. Nachdem er auch vom Landeshauptmann innerhalb der sechs Monate des § 73 AVG nichts gehört habe, mache er den Übergang der Entscheidungspflicht geltend.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde im Spruchpunkt 1 gemäß § 66 Abs. 4 AVG, § 410 Abs. 2 ASVG i.V.m. § 73 AVG fest, dass für den Mitbeteiligten hinsichtlich seiner Beschäftigung als Hubschrauberpilot beim Dienstgeber Air-Cargo, Erste OÖ Helikopter Transport Ges.m.b.H. im Zeitraum vom 1. April 1984 bis 31. März 1985 für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge unter Berücksichtigung des arbeitsgerichtlichen Vergleiches vom 23. April 1987 allgemeine Beitragsgrundlagen im Gesamtausmaß von S 289.800,-- (Höchstbeitragsgrundlage 1984 für neun Monate von S 216.000,-- und Höchstbeitragsgrundlage für 1985 für drei Monate von S 73.800,--) und Sonderzahlungen im Gesamtausmaß von S 60.300,-- festzustellen seien. Mit Spruchpunkt 2. wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG im Falle der Zuerkennung einer Versehrtenrente, soweit sich der bekämpfte Bescheid auf Festsetzung der Bemessungsgrundlage gemäß § 179 ASVG beziehe, gemäß § 66 Abs. 4 AVG, § 410 Abs. 2 ASVG i.V.m. § 73 Abs. 2 AVG Folge gegeben und in Abänderung des angefochtenen Bescheides festgestellt, dass der Bescheid der Beschwerdeführerin vom 8. Jänner "1998" (richtig: 1986) gemäß § 101 ASVG behoben und der Beschwerdeführerin aufgetragen werde, einen entsprechenden Leistungsbescheid zu erlassen.

In der Begründung dieses Bescheides stellte die belangte Behörde zunächst den Verfahrensgang dar und zitierte danach auszugsweise die in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen. Sodann wurde ausgeführt, dass weder die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse noch der Landeshauptmann von Oberösterreich innerhalb der sechsmonatigen Entscheidungsfrist einen Bescheid erlassen habe. Es habe von beiden Entscheidungsträgern kein Grund genannt werden können, der ein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung ausschließen würde. Auch im Verfahren zur Neufestsetzung der Bemessungsgrundlage vor der Beschwerdeführerin könne davon ausgegangen werden, dass ein überwiegendes Verschulden am Nichtzustandekommen einer förmlichen Entscheidung vorliege. Es sei weder ein Bescheid in der Sache erlassen worden, obwohl die Neufeststellung der Beitragsgrundlagen unter Heranziehung des § 101 ASVG als Vorfrage im Sinn des § 38 AVG möglich gewesen wäre, noch sei das Verfahren bis zur Entscheidung der zuständigen Behörde (Oberösterreichische Gebietskrankenkasse) mit Bescheid unterbrochen worden. Die Zuständigkeit zur Entscheidung sei daher aufgrund der Devolutionsanträge des Mitbeteiligten an die belangte Behörde übergegangen.

Weiters führte die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides - soweit für die Erledigung der Beschwerde von Bedeutung - aus, der Mitbeteiligte habe laut Dienstvertrag ein monatliches Grundgehalt in Höhe von S 18.000,-- erzielt. Für die Beitragsverrechnung habe sein Dienstgeber im April 1984 ein Entgelt von S 18.000,-- und für die Monate Mai bis Dezember 1984 S 192.000,-- (für jeden Monat die Höchstbeitragsgrundlage von S 24.000,--) gemeldet. Auch für die Monate Jänner bis einschließlich März 1985 sei ein Entgelt im Ausmaß der Höchstbeitragsgrundlage von monatlich S 24.600,-- gemeldet worden. Sonderzahlungen seien 1984 für Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld von insgesamt S 27.118,-- und für das gesamte Jahr 1985 im Ausmaß von S 36.160,-- bekannt gegeben worden und zwar im Juli 1985 S 18.080,-- und im November 1985 S 18.080,--.

Aus den vorgelegten Versicherungs- und Verwaltungsakten, dem Akt des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien sowie den Angaben des Mitbeteiligten im Zusammenhang mit den von ihm vorgelegten Unterlagen gehe hervor, dass sowohl Piloten im Allgemeinen als auch dem Mitbeteiligten selbst höhere Sonderzahlungen zugestanden seien, als von seinem Dienstgeber bekannt gegeben und den Bescheiden der Beschwerdeführerin bei Feststellung der Bemessungsgrundlage zugrundegelegt worden seien. Dies gehe auch daraus hervor, dass sich der Dienstgeber im gerichtlichen Vergleich zu einer Nachzahlung von S 350.000,-- verpflichtet habe. Eine nachträgliche Absprache mit dem Dienstgeber zur Erzielung von höheren Leistungen aus der Unfallversicherung sei schon deswegen auszuschließen, weil der Mitbeteiligte sämtliche Ansprüche erst auf gerichtlichem Wege habe einklagen müssen und darüber hinaus der Mitbeteiligte versuche, seinem ehemaligen Dienstgeber nachzuweisen, dass diesen ein Verschulden am Arbeitsunfall treffe. Laut dem im arbeitsgerichtlichen Verfahren abgeschlossenen Vergleich habe der Mitbeteiligte S 350.000,-- netto an restlichem Lohn erhalten. Von diesem Vergleichsbetrag entfalle daher auf die - in der eingangs dargestellten Höhe - geltend gemachten Ansprüche der Betrag von S 116.073,-- auf die Flugminutenzulagen 1984, S 719,-- auf die Flugminutenzulagen 1985, S 33.645,-- auf die Überstunden 1984/1985, S 60.988,-- als Erfolgsbeteiligung für 11,5 Monate, S 106.304,-- auf die Urlaubsentschädigung und S 32.271,-- auf das Krankenentgelt. Nur die Vergleichsbeträge für die Flugminutenzulagen, das Überstundenentgelt und die Erfolgsbeteiligung könnten die Beitragsgrundlage erhöhen, soweit nicht ohnehin bereits die Höchstbeitragszulage gemeldet worden bzw. zur Beitragsverrechnung herangezogen worden sei. Zu beachten sei, dass die Erfolgsbeteiligungen jährlich wiederkehrend zu gewähren gewesen seien, sodass es sich bei diesen Zuwendungen um Sonderzahlungen im Sinn des § 49 Abs. 2 ASVG handle. Für die Beitragsverrechnung seien die allgemeinen Beitragsgrundlagen für den Zeitraum vom 1. Mai 1984 bis 31. März 1985 jedenfalls schon vor dem Vergleich im Ausmaß der Höchstbeitragsgrundlagen zur Pflichtversicherung gemeldet gewesen. Nicht im Höchstbeitragsgrundlagenausmaß seien die allgemeine Beitragsgrundlage für den Monat April 1984 und die Sonderzahlungen für die Jahre 1984 und 1985 gemeldet gewesen. Nur hinsichtlich dieser komme unter Berücksichtigung des Vergleiches bei Nichtvorliegen der Beitragsverjährung eine Beitragsgrundlagenerhöhung in Betracht. Für April 1984 sei dem gemeldeten Entgelt von S 18.000,-- das sich aus dem Vergleich ergebende monatliche Überstundenentgelt von S 2.926,-- und die Flugminutenzulage von S 12.897,-- hinzuzuzählen, sodass sich eine Beitragsgrundlage von S 33.823,-- ergebe, die im Ausmaß der Höchstbeitragsgrundlage von S 24.000,-- zu berücksichtigen sei.

Den für 1984 gemeldeten Sonderzahlungen im Ausmaß von S 27.118,-- sei die auf den Zeitraum 1. April bis 31. Dezember 1984 entfallende Erfolgsbeteiligung von S 47.727,-- hinzuzuzählen, sodass jedenfalls die Höchstbeitragsgrundlage von jährlich S 48.000,-- überschritten werde. Den für 1985 gemeldeten Sonderzahlungen von S 36.160,-- sei die Erfolgsbeteiligung für die Zeit vom 1. Jänner bis 6. März 1985 im Ausmaß von S 13.258,-- hinzuzuzählen, sodass sich ein Betrag von S 49.418,-- errechne, wobei jedoch die Höchstbeitragsgrundlage jährlich S 49.200,-- betrage.

Für die Zeit vom 1. April bis 31. Dezember 1984 seien sohin die allgemeinen Beitragsgrundlagen aus den monatlichen Höchstbeitragsgrundlagen, also mit S 216.000,--, zu bilden gewesen. Für den Zeitraum 1. Jänner bis 31. März 1985 sei ebenfalls hinsichtlich der allgemeinen Beitragsgrundlagen von der monatlichen Höchstbeitragsgrundlage, daher von insgesamt S 73.800,--, auszugehen. An Sonderzahlungen seien für das Jahr 1984 S 48.000,-- und für das Jahr 1985 S 12.300,-- (S 49.200,-- : 12 x 3) zu berücksichtigen.

Es sei von einem wesentlichen Irrtum über die Beitragsgrundlagen bei der Feststellung der Bemessungsgrundlagen für die Unfallrente des Mitbeteiligten auszugehen. Das Verfahren habe ergeben, dass der letzte Dienstgeber des Mitbeteiligten der Gebietskrankenkasse niedrigere und damit unrichtige Entgelte gemeldet habe, als tatsächlich ausbezahlt worden seien. Es liege ein wesentlicher Sachverhaltsirrtum vor, weil bei Berücksichtigung des tatsächlichen Entgelts die Bemessungsgrundlage nach § 179 ASVG nicht wie bisher S 310.978,--, sondern S 350.100,-- betragen würde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird. Auch der Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift und beantragte die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin macht - sich ausschließlich gegen Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides wendend - unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend, der Mitbeteiligte hätte mittels Klage gegen den Gewährungsbescheid vom 27. Jänner 1987 vorgehen oder später einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellen können. Diese Versäumnisse müsse sich der Mitbeteiligte anrechnen lassen. Die Bestimmung des § 101 ASVG könne nicht so weit gehen, dass sämtliche gesetzlichen Fristen überhaupt negiert werden können.

Mit diesem Vorbringen kann die Beschwerdeführerin keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzeigen:

Die belangte Behörde hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es Zweck der Bestimmung des § 101 ASVG ist, dass mit Rücksicht auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der Versicherungsleistung der den wirklichen Verhältnissen entsprechende Zustand hergestellt werden soll. Damit wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die Herstellung des gesetzlichen Zustandes jederzeit ungehemmt durch formelle Bedenken, daher auch ohne die strengen Voraussetzungen des Wiederaufnahmsverfahrens nach § 69 AVG möglich sein soll. Der Umstand, dass der Mitbeteiligte den Rentenbescheid unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ließ und er auch in der Folge keinen Wiederaufnahmsantrag stellte, steht einer rückwirkenden Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG nicht entgegen. Diese Bestimmung stellt ja gerade eine Durchbrechung der Rechtskraft ohne die strengen Voraussetzungen des § 69 AVG dar (vgl. außer dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom 15. September 1986, Zl. 85/08/0192, etwa das Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 98/08/0002).

Der Mitbeteiligte hat mit seinem - oben wiedergegebenen - Schreiben vom 24. Oktober 1993 durch das Begehren auf "Neufeststellung der Bemessungsgrundlage" der Sache nach einen Antrag auf Richtigstellung der Rentenbescheide der Beschwerdeführerin gestellt und dies durch den gleichzeitig gestellten Nachzahlungsantrag noch bekräftigt. Ein Antrag im Sinne des § 101 ASVG, hinsichtlich dessen die Beschwerdeführerin und in der Folge auch der Landeshauptmann säumig geworden ist, wurde vom Mitbeteiligten eingebracht, weshalb die Zuständigkeit der belangten Behörde, auch über einen Antrag nach § 101 ASVG abzusprechen, zu bejahen ist.

Die belangte Behörde hat zutreffend erkannt, dass die Voraussetzungen des § 101 ASVG erfüllt werden müssen, wonach infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht eine Geldleistung abgelehnt, entzogen, eingestellt oder zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde. Der belangten Behörde ist zu folgen, dass ein Sachverhaltsirrtum vorliegt. Die Beschwerdeführerin ist nicht von dem tatsächlich vereinbarten und erzielten Entgelt des Mitbeteiligten im Bemessungszeitraum ausgegangen, sondern von einem vom Dienstgeber des Mitbeteiligten unrichtig gemeldeten Entgelt. Da die Beschwerdeführerin das vom Dienstgeber des Mitbeteiligten unrichtig gemeldete Entgelt des Mitbeteiligten ihrer Bescheiderlassung zugrundelegte, ist auch ihr der Irrtum über das tatsächliche Entgelt zuzurechnen.

Das Verfahren nach § 101 ASVG ist ein vom (weiteren) Rentenverfahren zu unterscheidendes Verfahren. Wird im Spruch eines Bescheides nach § 101 nur ausgesprochen, dass in der Leistungssache selbst nach § 101 ASVG vorzugehen ist, dann sind die Gründe, welche diesem Bescheid beigegeben sind, für den Versicherungsträger nur insoweit bindend, als die Tatsache des Irrtums oder Versehens feststeht, sowie, dass sich dieser Irrtum oder dieses Versehen ab Leistungsbeginn des richtigzustellenden Verfahrens zum Nachteil der Partei in dem in der Begründung beschriebenen Sinne ausgewirkt haben. Soweit der Irrtum sich nur auf die Leistungshöhe ausgewirkt hat, ist damit zwar bindend ausgesprochen, dass die seinerzeitige Leistung aus den im Bescheid genannten Gründen zu niedrig gewesen ist und daher zu erhöhen ist. In welchem Umfang eine Erhöhung schlussendlich einzutreten hat, bleibt - aufgrund der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25. Juni 1994, K I-5/93 beschriebenen Aufgabenteilung zwischen den Verwaltungsbehörden und den Gerichten in Verfahren dieser Art - dem neuen Leistungsbescheid vorbehalten.

Die angefochtene Entscheidung bindet daher nur insoweit die Beschwerdeführerin bei Erlassung eines neuen Rentenbescheides, als ihr darin eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage bindend auferlegt wird, mit anderen Worten als die Feststellungen und die Rechtsauffassung der belangten Behörde nicht weggedacht werden können, ohne dass nicht auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 101 ASVG in Frage stünde. Die Beschwerdeführerin ist hingegen im fortgesetzten Leistungsverfahren nicht auch an die in der Begründung des angefochtenen Bescheides vertretene Rechtsauffassung der belangten Behörde gebunden, insoweit sie nicht notwendige Grundlage ihres Bescheides ist, hier also an die Auffassung der Behörde, die Bemessungsgrundlage sei im Ausmaß von S 39.122,-- (allgemeine Beitragsgrundlage für April 1984 von S 5.940,-- (Differenz zw. berücksichtigte S 18.060,-- und Höchstbeitragsgrundlage von S 24.000,--), Sonderzahlungen 1984 um S 20.882,-- (Differenz zw. Höchstbeitragsgrundlage S 48.000,-- und angenommener Grundlage von S 27.118,--) sowie um Sonderzahlungen 1985 von S 12.300,--) zu erhöhen.

Da aber die Beschwerdeführerin ohnehin zugesteht, dass die Bemessungsgrundlage zumindest um S 27.122,-- (nämlich Sonderzahlungen 1985 S 12.300,--, Sonderzahlungen 1984 S 8.882,-- (Differenz zw. zugestandenen S 36.000,-- und tatsächlich berücksichtigten S 27.118,--) sowie S 5.940,-- als weitere Beitragsgrundlage für die allgemeinen Beiträge für April 1984 (Differenz zw. angenommener Beitragsgrundlage und Höchstbeitragsgrundlage) zu niedrig festgestellt wurde, räumt sie selbst ein, dass die Rentenleistung seinerzeit als Auswirkung des (objektiven, von der Beschwerdeführerin nicht verschuldeten) Irrtums zu niedrig festgesetzt worden ist. Die belangte Behörde hat daher gestützt auf § 101 ASVG zu Recht ausgesprochen, dass ein neuer Rentenbescheid bzw. neue Rentenbescheide mit einer jedenfalls höheren als der bisherigen Leistung zu erlassen sind. In welchem Ausmaß die neue Rente die bisherige übersteigt, wird erst im fortgesetzten Leistungsverfahren (im Streitfall: im sozialgerichtlichen Verfahren vor den ordentlichen Gerichten) zu entscheiden sein, und zwar ohne Bindung an die seinerzeitigen Gewährungsbescheide, aber auch ohne Bindung an die Begründung des angefochtenen Bescheides, soweit diese über das für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 101 ASVG Unerlässliche hinausgeht.

Die Beschwerdeführerin wurde daher dadurch, dass die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides - nach Ansicht der Beschwerdeführerin zu Unrecht - von einer Erhöhung der Bemessungsgrundlage von S 39.122,-- und nicht bloß von einer solchen im Ausmaß von S 27.122,-- ausgegangen ist, nicht in ihren Rechten verletzt.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die angesprochenen Stempelgebühren waren zufolge der sachlichen Abgabenfreiheit dem Mitbeteiligten nicht zuzuerkennen.

Wien, am 17. November 1999

Schlagworte

Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999080110.X00

Im RIS seit

27.08.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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