TE Lvwg Erkenntnis 2021/8/10 LVwG-S-722/001-2021

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Veröffentlicht am 10.08.2021
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Entscheidungsdatum

10.08.2021

Norm

StVO 1960 §19 Abs6
StVO 1960 §19 Abs7

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Hollerer als Einzelrichter über die Beschwerde von Frau A, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Horn vom 18.02.2021, Zl. ***, wegen Bestrafung nach der Straßenverkehrsordnung (StVO 1960) zu Recht:

1.   Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.   Für das Beschwerdeverfahren ist ein Kostenbeitrag in

der Höhe von 14 Euro zu entrichten.

3.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den

Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§§ 50 und 52 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG

§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG

Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Straferkenntnis, Beschwerde

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft vom 18.02.2021, Zl. ***, wird Frau A für schuldig befunden, dass sie am 20.02.2020, 12:33 Uhr, in ***, ***, als wartepflichtige Fahrzeuglenkerin eines nach dem Kennzeichen bestimmten Kraftfahrzeuges (Wartepflichtgrund: Fahrzeuge im fließenden Verkehr haben den Vorrang gegenüber Fahrzeugen, die von Parkplätzen kommen) durch Einbiegen (Rückwärtsfahren) in die *** einen vorrangberechtigten Fahrzeuglenker, der die *** in Fahrtrichtung *** befuhr, zum unvermittelten Bremsen des Fahrzeuges genötigt hat.

Wegen Übertretung nach § 19 Abs. 6 und 7 StVO wurde gemäß § 99 Abs. 3 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe von 70 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 32 Stunden) verhängt.

Gemäß § 64 Abs. 2 VStG wurden 10 Euro als Kostenbeitrag für das verwaltungsbehördliche Verfahren vorgeschrieben.

Die belangte Behörde hat das Straferkenntnis auf die Anzeige der Polizeiinspektion *** und das durchgeführte Ermittlungsverfahren gestützt.

In der dagegen eingebrachten Beschwerde wird im Wesentlichen ausgeführt, die Verwaltungsübertretung der Beschwerdeführerin weder ein subjektiver noch in objektiver Hinsicht vorgeworfen werden könne. Der Tatvorwurf, dass der Fahrzeuglenker zum unvermittelten Bremsen seines Fahrzeuges genötigt worden sei lasse sich aus dem Straferkenntnis nicht entnehmen. Die Verwaltungsübertretung könne nur vorgeworfen werden, wenn sich aus dem Straferkenntnis Umstände ergeben, dass der Vorrangberechtigte nicht nur zu einer durch bloßes Wegnehmen vom Gas zu erreichenden Ermäßigung seiner Geschwindigkeit verhalten wurde. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann hier von einem Verstoß des Wartepflichtigen gegen § 19 Abs. 7 StVO nicht gesprochen werden, wenn der Vorrangberechtigte durch das in die Vorrangstraße einfahrende Fahrzeug während der ganzen Phase des Einbiegens, lediglich zu einem durch bloßes Wegnehmen von Gas zu erreichenden Ermäßigung seiner Geschwindigkeit verhalten werde.

Eine Verletzung des § 19 Abs. 7 StVO setze voraus, dass sich die beteiligten Fahrzeuge im Zeitpunkt der Einleitung des unvermittelten Bremsmanövers durch den Vorrangberechtigten bereits in einer solchen geringen Entfernung voneinander befinden, dass das Bremsen bzw. das Ablenken des Fahrzeuges zur Vermeidung eines Unfalles erforderlich ist.

1.   Zum Verwaltungsbehördlichen Verfahren:

Aus dem Abschlussbericht der Polizeiinspektion *** vom 27.3.2020 über einen Verkehrsunfall am 20.02.2020, 12:33 Uhr, in ***, ***, geht hervor, dass Frau A mit dem Fahrzeug Mitsubishi Outlander mit dem Kennzeichen *** vom Parkplatz in der *** rückwärts herausfuhr. Herr C als Lenker des Fahrzeuges der Marke Mercedes Benz GLK 220 mit dem Kennzeichen *** fuhr in der *** Richtung ***. Hier dürfte Frau A beim Rückwärtsfahren Herrn C übersehen haben und kam es zur Kollision. Frau A erlitt eine leichte Prellung der Halswirbelsäule und Herr C eine leichte Prellung der rechten Hand.

Frau A gab sinngemäß an:

„Ich fuhr an der Unfallörtlichkeit rückwärts aus dem Parkplatz (***) heraus. Ich befand mich schon mit meinem gesamten Fahrzeug auf der Fahrbahn und wollte schon nach vorne, in Richtung ***, wegfahren. Hier ist mir plötzlich der andere Lenker in das Heck meines Fahrzeuges gefahren.“

Herr C gab sinngemäß an:

„Ich fuhr mit meinem Fahrzeug in der *** in Richtung ***. Plötzlich fuhr ein Fahrzeug rückwärts aus einem Parkplatz heraus. Ich konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und kollidierte mit dem Fahrzeug. Bei meinem Fahrzeug löste sich der Fahrer- und Beifahrerairbag aus.“

Gegen die von der Bezirkshauptmannschaft Horn vom 22.06.2020, Zl. ***, erlassene Strafverfügung wurde Einspruch erhoben.

Der rechtsfreundliche Vertreter der Einspruchswerberin hat ausgeführt, dass im Verfahren vor dem Bezirksgericht *** zur GZ *** am 15.10.2020 eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung an Ort und Stelle stattgefunden habe.

Der beigezogene Sachverständige habe im Gutachten im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Unfallgegner weder eine überhöhte Geschwindigkeit noch eine Reaktionsverspätung nachgewiesen werden könne. Ungeachtet dieses Verfahrensergebnisses sei die Beschuldigte jedoch der Ansicht, dass ihr die angelastete Verwaltungsübertretung weder in subjektiver noch in objektiver Hinsicht vorgeworfen werden könne.

Fotos von der Unfallörtlichkeit und der Fahrzeuge wurden über Aufforderung der belangten Behörde vorgelegt.

Mit dem nunmehr bekämpften Straferkenntnis vom 18.02.2021 wurde der Einspruch abgewiesen.

2.   Zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren:

Von der belangten Behörde wurde die Verwaltungsstrafakte übermittelt. Diese besteht im Wesentlichen aus dem Unfallbericht der Polizeiinspektion *** vom 27.03.2020, den Einspruchsangaben der Beschwerdeführerin und den beigebrachten Unterlagen des Sachverständigen.

Im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wurde Einsicht in die beim Bezirksgericht *** zur Zl. *** geführten Verfahrensakte genommen. Demnach wurde am 15.10.2020 an Ort und Stelle eine Verhandlung durchgeführt. Die Beschwerdeführerin war erstbeklagte Partei und der zweitbeteiligte Fahrzeuglenker und Zulassungsbesitzer des Mercedes mit dem Kennzeichen *** war klagende Partei. Der beigezogene Sachverständige hat nach der Befundaufnahme folgendes Gutachten erstattet, wobei auf die aufgenommenen Fotos der Polizei und Orthofotos (Google Maps und Google Street View) Bezug genommen wurde.

„Geht man von der Erstberührung der Fahrzeuge aus, dann hat der Kläger vor der Kollision eine Fahrlinienänderung nach links durchgeführt, deshalb auch die Schrägstellung des PKW Mercedes zur Fahrbahnlängsachse nach dem Zurückrollen in die Endstellung. Das Beklagtenfahrzeug wurde durch den Anstoß an die steife Zone der Anhängekupplung um die Hochachse im Uhrzeigersinn in die Endstellung verdreht. Beim Klagsfahrzeug wurden die Airbags ausgelöst. Beim Beklagtenfahrzeug ist die Anhängekupplung massiv verschoben. Das Energiepotential in der Stoßstange muss daher vor allem ausgehend vom Klagsfahrzeug doch höher gewesen sein. Die Geschwindigkeit des PKW Mercedes der klagenden Partei ist zum Stoßzeitpunkt in einem Bereich von 30 bis 35 km/h einzugrenzen. Dieser Bereich steht mit dem Beschädigungsbild in keinem Widerspruch. Bei der heutigen Verhandlung hat der Kläger angegeben, dass seine Geschwindigkeit in der Annäherung an die spätere Kollision jedenfalls unter 50 km/h gewesen ist. Bei einer höheren Kollisionsgeschwindigkeit wäre es zu einer stärkeren Verdrehung des PKW Mitsubishi gekommen und der PKW Mercedes erst nach der Anstoßposition nach dem Abschleudern des PKW der Erstbeklagten zum Stillstand gekommen. Wird der Bewegungsablauf in einer Einfachsimulation eingegrenzt, ist bei einer Position rund 24 m vor dem Anstoß eine Geschwindigkeit von 40 km/h unterstellt. Bei dieser Position beginnt auch die Erstbeklagte mit dem Rückwärtsfahren aus der Parklücke. Im Hinblick auf die Sichtverhältnisse, durch die heute auch von der Erstbeklagten angegebenen weiteren parkenden Fahrzeuge in Richtung Süden, wird eine geringe Geschwindigkeit von etwa 5 km/h im Zuge der Rückwärtsfahrt unterstellt. Bei einer Position rund 14 m vor dem Anstoß ist offenbar für den Kläger das ausparkende Fahrzeug auffällig und wird eine Reaktion gesetzt. Nachzuvollziehen ist die Reaktion mit Auslenken nach links im Hinblick auf die spätere Schrägstellung des Fahrzeuges in der Endstellung. Es könnte auch die angegebene Bremsung noch wirksam geworden sein oder eine gewisse Geschwindigkeitsreduzierung ist durch die Gaswegnahme erfolgt. Die Zeitspanne vom Beginn des Zurückschiebens durch die Erstbeklagte bis zur Kollision ist rund 5,5 Sekunden, wenn, wie angegeben, eine langsame Rückwärtsfahrt unterstellt wird. Natürlich ist die Geschwindigkeit in der Rückwärtsfahrt von dieser tatsächlichen Geschwindigkeit im Zuge des Ausfahrens aus der Parklücke abhängig. Rechnerisch hat der Kläger die Reaktion gesetzt, als das Beklagtenfahrzeug eine Wegstrecke von rund 1,5 m zurückgefahren ist. Fahrtechnisch lässt sich eine Reaktionsverspätung im Hinblick auf die nachvollziehbare wirksame Auslenkung nach links nicht nachweisen. Der Anhalteweg aus 40 km/h setzt sich aus dem Vorbremsweg für die Reaktion und das Wirksamwerden der Bremsen und dem Bremsweg zusammen. Der Sekundenweg bei 40 km/h ist 11,1 m, bei einer mittleren Verzögerung von 7,5 m/sec2 auf einer trockenen Fahrbahn ist der Bremsweg 8,2 m bis zum Stillstand. Der Anhalteweg ist bei der üblichen Vorbremszeit von einer Sekunde 19,3 m als Rechenwert. Bei der dokumentierten Endstellung des Fahrzeuges der beklagten Partei sind die Vorderräder relativ stark nach rechts eingeschlagen. Wenn die Erstbeklagte im vorbereitenden Schriftsatz u.a. angegeben hat, dass nach dem Ausparkvorgang in der Stillstandposition der erste Gang eingelegt wurde, um in Richtung stadtauswärts weiterzufahren, dann ist dieser Vorgang aus der dokumentierten Position mit den nach rechts eingeschlagenen Rädern fahrtechnisch nicht möglich. Bei der heutigen Verhandlung hat die Erstbeklagte bei einer Fahrprobe gezeigt, dass sie mit dem Fahrzeug bereits zur Gänze auf der Fahrbahn gewesen ist und eben, wie geschildert, bereits im Stillstand war, den ersten. Getriebegang eingelegt hat und dann wegfahren wollte, als es zur Kollision mit dem Klagsfahrzeug gekommen ist. Diese gezeigte Position lässt sich mit dem Geschehen nicht in Einklang bringen. Es ist fahrtechnisch nicht möglich, dass das Fahrzeug aus dieser Position wieder in die Parkfläche, so wie die Radaufstandspunkte markieren, zurückgeschleudert wurde. Außerdem wäre dann bei dieser Fahrzeugstellung, so wie sie die Erstbeklagte gezeigt hat, der Anstoß nicht auf der Hinterseite, also auf der Heckseite und der Anhängekupplung erfolgt, sondern etwa auf der rechten Heckseite des Fahrzeuges. Ein weiteres Auslenken wäre im Hinblick auf die parkenden Fahrzeuge auf der linken Fahrbahnseite der *** für den Kläger nicht möglich gewesen. Hätte er soweit ausgelenkt, dass eben die Beschädigungszone erreicht worden wäre, dann wäre das Fahrzeug jedenfalls in die auf der linken Seite befindliche Parkfläche abgekommen. Auf den Lichtbildern der Polizei sind zum Unfallszeitpunkt Fahrzeuge abgestellt gewesen. Die gezeigte Fahrzeugstellung durch die Erstbeklagte ist jedenfalls mit dem Geschehen nicht in Einklang zu bringen. Die Zusammenfassung des Gutachtens ist so vorzunehmen, dass nach den vorliegenden Anknüpfungspunkten und dem Ergebnis der heutigen Verhandlung an Ort und Stelle der Bewegungsablauf nach den Angaben des Klägers in keinem Widerspruch mit dem Geschehen ist. Die Annäherungsgeschwindigkeit war in einem Bereich von 40 km/h nach dem Auffälligwerden des Beklagtenfahrzeuges. Im Zuge der Rückwärtsfahrt aus der Parkfläche hat der Kläger eine nachvollziehbare Reaktion mit einer Auslenkung nach links durchgeführt. Eine Geschwindigkeit über 50 km/h ist technisch auszuschließen. Ob eine Geschwindigkeit im Bereich von 40 km/h für diesen Bereich relativ überhöht gewesen ist, ist rechtlich zu beurteilen. Die Erstbeklagte ist mit ihrem PKW aus einer Parklücke vor dem Haus *** in Rückwärtsfahrt rausgefahren. Die Sicht auf die Annäherungsrichtung des Klagsfahrzeuges war durch ebenfalls parkende Fahrzeuge wesentlich eingeschränkt, wie auch bei der heutigen Verhandlung an Ort und Stelle festgestellt und dokumentiert wurde. Im Zuge des Ausfahrens ist es zur Kollision gekommen. Fahrtechnisch hätte die Erstbeklagte bei der dokumentierten Unfallendstellung nicht in die beabsichtigte Fahrtrichtung wegfahren können. Der Ausparkvorgang war noch nicht abgeschlossen.“

Auf Befragung gab der Sachverständige ergänzend an: „Die Position des Beklagtenfahrzeuges ragte rund 1,5 m mit der Heckseite in die Fahrbahn der ***. Bei einer Vollbremsung aus dieser Position wäre das Anhalten vor der Querungslinie des Beklagtenfahrzeuges nicht möglich gewesen, da der Anhalteweg bei einer Vollbremsung bei 19,3 m als Rechenwert, also rund 20 m sich ergibt. Hätte der Kläger keine Auslenkung nach links durchgeführt, wäre die Kollisionsposition bei der rechten Heckseite des Fahrzeuges gewesen. Die Geschwindigkeit wäre bei einer Vollbremsung und nicht Auslenkung nach links etwa im Bereich von 30 km/h gewesen, wobei eben der Anstoß dann an die rechte Heckseite an die Karosserie und nicht an die Anhängerkupplung erfolgt wäre. Das Fahrzeug wäre bei dieser Geschwindigkeit ebenfalls um die Hochachse verdreht worden. Es wäre nur der relativ harte Stoß, der durch die Kollision mit der Anhängerkupplung erfolgt ist, ausgeblieben. Rechnerisch wäre eine Geschwindigkeit von rund 33 km/h als Rechenwert erforderlich gewesen, um das Fahrzeug durch eine Vollbremsung vor der Querungslinie des Beklagtenfahrzeuges anhalten zu können.“

Mit Urteil vom gleichen Tag wurde dem Kläger die Klagsforderung zugesprochen. Die Gegenforderungen der Beklagten wurden abgewiesen. In der Urteilsausfertigung vom 15.10.2020, Zl. ***, wird ausgeführt, dass der Kläger seinen PKW Mercedes in der *** stadtauswärts mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h lenkte. Die Erstbeklagte hatte das Beklagtenfahrzeug auf den Parkplätzen, die sich am rechten Fahrbahnrand vor dem Haus Nr. *** befinden und senkrecht zur Fahrbahnlinksachse verlaufen, abgestellt und zwar auf dem Behindertenparkplatz unmittelbar vor dem Hauseingang. Die Erstbeklagte fuhr im Rückwärtsgang mit langsamer Geschwindigkeit aus der Parklücke heraus, wobei ihre Sicht auf die Annäherungsrichtung des Klagsfahrzeuges durch parkende Fahrzeuge wesentlich eingeschränkt war. Sie übersah dabei das herannahende Klagsfahrzeug. Der Kläger nahm das zurückschiebende Beklagtenfahrzeug rund 14 m vor dem späteren Anstoß wahr und reagierte, als es rund 1,5 m zurückgefahren war, durch Bremsung bzw. Gaswegnahme und Auslenken nach links. Dennoch war ihm eine Vermeidung des Unfalles nicht möglich und es kam zum Zusammenstoß des PKW Mercedes mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 35 km/h und dem zurückschiebenden Beklagtenfahrzeug mit einer Geschwindigkeit von ca. 5 km/h. Der Kläger reagierte prompt. Bei einer Geschwindigkeit von 40 km/h beträgt der Anhalteweg bei 1 Sekunde Vorbremsweg und einer Verzögerung von 7,5 m/sec2 19,3 m. Eine überhöhte Geschwindigkeit ist dem Kläger nicht nachzuweisen, ebenso liegt keine verspätete Reaktion oder ein Aufmerksamkeitsfehler vor. Bei schrittweisem Zurückschieben und einer entsprechenden Beachtung des Fließverkehrs wäre der Erstbeklagten ein Stehenbleiben möglich gewesen und für sie der Unfall vermeidbar gewesen.

Das Bezirksgericht *** hat das Alleinverschulden an dem Verkehrsunfall bei der Erstbeklagten gesehen, weil ihr ein Verstoß gegen § 19 Abs 6 StVO anzulasten ist. Nach dieser Gesetzesstelle haben Fahrzeuge im Fließverkehr Vorrang gegenüber Fahrzeug die u.a. von Parkplätzen kommen. Der Kläger befand sich im Fließverkehr, die Erstbeklagte hat ohne entsprechende Beachtung des Fließverkehrs vom Parkplatz zurückgeschoben, wodurch es zum Unfall kam. Sie hat damit den Vorrang des Klägers verletzt.

3.   Festgestellter Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin hat am 20.02.2020, 12.33 Uhr, in ***, ***, den PKW der Marke Mitsubishi Outlander mit dem Kennzeichen *** durch Rückwärtsfahren ausgeparkt. Herr C ist mit seinem PKW der Marke Mercedes Benz GLK mit dem Kennzeichen *** in der *** in Richtung *** gefahren. Auf Höhe des Hauses *** kam es zur Kollision. Die *** weist in Fahrtrichtung *** auf der rechten Seite Schrägparkplätze auf, die im rechten Winkel zur Fahrbahn verlaufen. Fünf Parkplätze, die sich bis zum Hauseingang *** befinden, erstrecken sich auf einer Länge von 16,1 m. Der direkt beim Hauseingang *** befindliche Parkplatz ist ein Behindertenparkplatz, den die Beschwerdeführerin benutzt hat. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich ebenfalls Parkflächen für parallel zum Fahrbahnrand parkende Fahrzeuge auf einer Länge von 14,3 m. Die *** weist in diesem Bereich eine für den Fahrzeugverkehr verfügbare Fahrbahnbreite von 6,3 m auf. Es ist eine Fahrbahn mit Gegenverkehr, wo die Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet von 50 km/h erlaubt ist.

Die angeführten Längenmaße sind aus den verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Unterlagen entnommen worden.

4.   Beweisaufnahme und Beweiswürdigung:

Vom erkennenden Gericht wurde Einsicht in die Verwaltungsstrafakte der belangten Behörde genommen. Es wurde Einsicht in die Akte des Bezirksgerichtes *** genommen. Das Zivilgerichtsverfahren ist abgeschlossen.

Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin am 20.02.2020, 12:33 Uhr, das Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen *** vom Behindertenparkplatz in der *** ausgeparkt hat. Rechtsseitig von ihrem Fahrzeug befanden sich ebenfalls parkende Fahrzeuge. Das zweitbeteiligte Fahrzeug ist in der *** in Richtung *** gefahren und befand sich sohin auf dem ersten, den schrägparkenden Fahrzeugen nächstgelegenen Fahrstreifen. An den Angaben des zweitbeteiligten Fahrzeuglenkers gegenüber der Polizei und im Zuge des gerichtlichen Verfahrens bestehen keine Bedenken. Demnach hat er die im Ort erlaubte Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten und konnte vom Sachverständigen auch keine verspätete Reaktion oder mangelnde Aufmerksamkeit festgestellt werden.

Demgegenüber konnte der Verantwortung der Beschwerdeführerin, wonach sie bereits vollständig ausgeparkt und für die Weiterfahrt den ersten Gang eingelegt hatte, nicht gefolgt werden. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass auf Grund der von der Polizei angefertigten Fotos und Markierungen über die Endstellung der Fahrzeuge der Lenkereinschlag in Richtung Behindertenparkplatz gegeben war und das Fahrzeug durch den Anstoß in diese Richtung geschleudert wurde. Die über die schräg parkenden Fahrzeuge hinausragende Länge des Fahrzeuges der Beschwerdeführerin wurde mit 1,5 m angegeben.

Seitens des erkennenden Gerichtes besteht keine Veranlassung an den Ausführungen des Sachverständigen zu zweifeln. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin hat selbst ausgeführt, dass dem Unfallgegner weder eine überhöhte Geschwindigkeit noch eine Reaktionsverspätung nachgewiesen werden kann. Die Ausführungen des Gutachters haben auch Eingang in das Urteil des Bezirksgerichtes *** gefunden. Der Unfall wäre sohin durch bloßes Gaswegnehmen oder durch eine Vollbremsung nicht vermeidbar gewesen, zumal die Entfernung zum zweitbeteiligten Fahrzeug bei Beginn des Ausparkmanövers zu gering war.

5.   Rechtsgrundlagen:

Straßenverkehrsordnung 1960:

§ 19. (6) Fahrzeuge im fließenden Verkehr haben den Vorrang gegenüber Fahrzeugen, die von Nebenfahrbahnen, von Fußgängerzonen, von Wohnstraßen, von Haus- oder Grundstücksausfahrten, von Garagen, von Parkplätzen, von Tankstellen, von Feldwegen oder dgl. kommen.

(7) Wer keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), darf durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen.

Verwaltungsstrafgesetz 1991:

§ 5. (1) Wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, genügt zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

(1a) Abs. 1 zweiter Satz gilt nicht, wenn die Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von über 50 000 Euro bedroht ist.

(2) Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwidergehandelt hat, entschuldigt nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte.

§ 19. (1) Grundlage für die Bemessung der Strafe sind die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat.

(2) Im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz:

§ 38. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG in Verwaltungsstrafsachen die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG, BGBl. Nr. 52/1991, mit Ausnahme des 5. Abschnittes des II. Teiles, und des Finanzstrafgesetzes – FinStrG, BGBl. Nr. 129/1958, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

6.   Rechtliche Beurteilung:

Im fließenden Verkehr befindet sich ein Fahrzeug, dass weder hält noch parkt. Fahrzeuge im Fließverkehr haben auch gegenüber Fahrzeugen den Vorrang, die zwar nicht von Parkplätzen kommen, wohl aber vom Halten oder Parken überhaupt in den fließenden Verkehr eingeordnet werden (OGH vom 15.04.1982, ZVR 1983/302).

Der § 19 Abs. 6 StVO stellt eine Ausnahme von der Grundregel des Rechtsvorranges gemäß § 19 Abs. 1 StVO dar. Die Vorschriften des § 19 Abs. 6 und 7 StVO sind sohin auch das Einordnen in den Fließverkehr aus einer Parkposition am Straßenrand anzuwenden. Der vorbeiflutende Verkehr genießt gegenüber einem am Straßenrand abgestellten Fahrzeug den Vorrang nach § 19 Abs. 6 StVO (OGH vom 03.09.1981, ZVR 1982/157). Unbestritten ist, dass es sich bei der *** um eine Straße mit öffentlichem Verkehr handelt und diese sohin von jedermann unter den gleichen Bedingungen benutzt werden kann.

Für das erkennende Gericht ist auch erwiesen, dass die Beschwerdeführerin mit dem von ihr gelenkten Fahrzeug vom Behindertenparkplatz in der *** wegfahren und sich in den Fließverkehr einordnen wollte. Herr C hat den rechten Fahrstreifen der *** in Richtung *** benutzt. Er befand sich sohin im Fließverkehr und war gemäß § 19 Abs. 6 StVO 1960 vorrangberechtigt. Die Beschwerdeführerin ist im Rückwärtsgang aus der Parklücke herausgefahren, wobei sie die nötige Sorgfalt vermissen hat lassen, zumal ein Fahrzeug im Fließverkehr nicht nur zum Bremsen und Ablenken genötigt wurde, sondern es zu einem Verkehrsunfall gekommen ist.

Für die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 19 Abs. 7 StVO reicht ein Nötigen zum Abbremsen oder Auslenken und hat der zweitbeteiligte Fahrzeuglenker tatsächlich diese Handlungen gesetzt. Dennoch kam es zu dem Verkehrsunfall. Die Ursache für das Abbremsen und Auslenken des anderen Fahrzeuges war das Fahrmanöver der Beschwerdeführerin. Die der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Verwaltungsübertretung ist sohin als erwiesen anzunehmen.

Zum Verschulden wird ausgeführt, dass für die Verwirklichung des der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Tatbestands Fahrlässigkeit ausreichend ist. Die Vorrangbestimmung des § 19 StVO gehören zu den wesentlichen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung. Ein vorrangberechtigter Fahrzeuglenker kann nach ständiger Judikatur der Höchstgerichte darauf vertrauen, dass Fahrzeuglenker die sich nicht im Vorrang befinden, den Vorrang des Vorrangberechtigten beachten. Das Ausparkmanöver im Ortgebiet auf einer Fahrbahn mit Gegenverkehr stellt ein nicht ungefährliches Fahrmanöver dar, sodass auch vom jeweiligen Fahrzeuglenker eine erhöhte Sorgfalt zu erwarten ist. Durch rechtsseitig vom Fahrzeug der Beschwerdeführerin abgestellte Fahrzeuge, war die Sicht in Richtung des ankommenden zweitbeteiligten Fahrzeuges beeinträchtigt. Jedoch ist hierzu auszuführen, dass die Beschwerdeführerin ein Fahrzeug mit erhöhter Sitzposition – SUV – gelenkt hat und somit eine bessere Übersicht über die Verkehrssituation haben musste bzw. auch durch die Fenster der parkenden Fahrzeuge hindurchblicken und sohin den Fließverkehr beobachten konnte. Die erforderliche Aufmerksamkeit hat die Beschwerdeführerin unterlassen und einen vorrangberechtigten Fahrzeuglenker zum Abbremsen und Auslenken genötigt. Da der Beschwerdeführerin ein vorwerfbares Fehlverhalten anzulasten ist, ist ihrer Beschwerde ein Erfolg zu versagen und spruchgemäß zu entscheiden.

Gemäß § 52 VwGVG sind 20 % der Geldstrafe als Kostenbeitrag für das Beschwerdeverfahren vorzuschreiben.

Gemäß § 54b Abs. 1 VStG sind der Strafbetrag und die Verfahrenskosten innerhalb von zwei Wochen ab ab Zustellung dieses Erkenntnisses zu bezahlen.

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß

§ 44 VwGVG abgesehen werden, weil im angefochtenen Erkenntnis keine 500 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt worden ist und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat.

Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist unzulässig, weil sie nicht

von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der eine grundsätzliche Bedeutung im

Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommt.

Schlagworte

Verkehrsrecht; Straßenverkehr; Verwaltungsstrafe; Vorrang; Wartepflicht; Parken;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.S.722.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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