TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/31 W272 2213190-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.05.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

31.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z3
AsylG-DV 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W272 2213190-3/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Alois BRAUNSTEIN, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA LECHENAUER & SWOZIL, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.11.2020, Zl. XXXX zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. wird stattgegeben.

II. In Erledigung der Entscheidung werden die Spruchpunkte III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der dem volljährigen Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.07.2003 zu Zahl 03 14.021-BAT zuerkannte Status des Asylberechtigten wurde dem Beschwerdeführer mit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2018 gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 unter gleichzeitiger Feststellung, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt, aberkannt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG 2005 erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.).

Der angeführte Bescheid vom 23.11.20218 wurde dem damals im Verfahren nicht vertretenen Beschwerdeführer am 30.11.2018 durch Hinterlegung rechtswirksam zugestellt.

2. Mit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 21.12.2018 per Telefax übermittelten Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter Beschwerde gegen den oben dargestellten Bescheid.

3. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 17.01.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

4. Mit Schreiben des BVwG vom 22.01.2019 wurde dem bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers die nach Ansicht des BVwG verspätete Einbringung der gegenständlichen Beschwerde vorgehalten und diesem die Möglichkeit gewährt, hierzu binnen zweiwöchiger Frist eine Stellungnahme abzugeben.

Mit Eingabe vom 07.02.2019 teilte der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers mit, dass der Bescheid am 30.11.2018 hinterlegt worden sei und der Beschwerdeführer einen

Hinterlegungszettel erhalten hätte. Der Beschwerdeführer sei zur Post gegangen, um das Schreiben abzuholen, habe jedoch seinen Konventionsreisepass nicht bei sich gehabt, da er diesen zuhause verlegt hätte, eine Abholung unter Vorlage seiner E-Card sei vom Postangestellten nicht akzeptiert worden. Als der Beschwerdeführer seinen Pass nach einigen Tagen am 14.12.2018 gefunden hätte, sei dieser sofort zur Post gegangen und hätte seinen Bescheid abgeholt. Er habe dann am 18.12.2018 einen Termin bei der ihm zugewiesenen Rechtsberatungsorganisation erhalten. Anzumerken sei, dass der Bescheid schon am 14.12.2018 in Rechtskraft erwachsen wäre, weshalb die Beschwerde nicht innerhalb der Frist eingebracht werden habe können. Aus dem genannten Grund ersuchte der Beschwerdeführer die Zweitbehörde darum, sein Verfahren fortzuführen.

5. Mit Beschluss des BVwG vom 05.03.2019, W111 2213190-1/8E wurde die Beschwerde gemäß § 16 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 BFA-VG als verspätet zurückgewiesen.

6. Einem gestellten Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen den Beschluss vom 05.03.2019, W111 2213190-1/8E, wurde durch den VfGH vom 16.04.2019, E1323/2019-4 keine Folge gegeben.

7. Eine Behandlung der Beschwerde wurde durch den VfGH mit Beschluss vom 03.10.2019, E1323/2019-7 abgelehnt. Die Beschwerde wurde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

8 An den Verwaltungsgerichtshof wurde ein Antrag auf Verfahrenshilfe gestellt. Dieser wurde abgelehnt. Eine außerordentliche Revision wurde nicht erhoben.

9. Der Beschwerdeführer stellte am 07.06.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 24.06.2019 zur Beantwortung von insgesamt 38 näheren Fragen auf. Dazu nahm der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 08.07.2019 schriftlich Stellung und übermittelte dem Bundesamt mehrere Dokumente in Kopie, darunter den Mutter-Kind-Pass seiner Lebensgefährtin, wonach diese einen Sohn zum voraussichtlichen Geburtstermin 10.07.2019 erwarte.

10. Mit Bescheid vom 31.10.2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 07.06.2019 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurück. Begründend führte es aus, dass dem Beschwerdeführer gegenüber mit Bescheid vom 23.11.2018 bereits eine Rückkehrentscheidung erlassen worden sei und sich seit Eintritt der Rechtskraft dieses Bescheids am 05.03.2019 keine maßgeblichen Änderungen in Bezug auf sein Privat- und Familienleben ergeben hätten.

11. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer die gegenständliche Beschwerde, in welcher er im Wesentlichen darauf hinwies, dass die ihm im verwaltungsbehördlichen Verfahren eingeräumte Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zur Beurteilung der Intensität seiner privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet keinesfalls ausreichend sei. Er kenne seine nach islamischem Ritus geehelichte Frau bereits seit sehr langer Zeit und habe mit ihr ein vier Monate altes Kind. Die belangte Behörde habe das Familienleben des Beschwerdeführers – insbesondere mit seinem Kind – völlig unberücksichtigt gelassen.

12. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt am 07.01.2020 dem Bundesverwaltungsgericht vor.

13. Mit Erkenntnis des BVwG vom 16.01.2020, W237 2213190-2/2E, wurde der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 58 Abs. 10 AsylG 2005 stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Die Stattgabe der Beschwerde begründete das BVwG im Wesentlichen damit, dass gegen den BF mit Ablauf des 14.12.2018 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorlag. Die am 21.12.2018 verspätet erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 05.03.2019 dementsprechend zurück.

Bei der Antragstellung hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl daher zu prüfen, ob sich seit 14.12.2018 eine maßgebliche Veränderung im Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK ergab. Eine solche maßgebliche Änderung hat der BF mit der Geburt seines Sohnes im Sommer 2019 aufgezeigt. Hierbei führe der BF nunmehr ein Familienleben und bei Nichterteilung des Aufenthaltstitels sei zu beurteilen, ob das Kindeswohl beeinträchtigt wird. Die Behörde sei auf den Sohn und das Familienleben nicht eingegangen, daher sei der angefochtene Bescheid zu beheben.

14. Am 06.08.2020 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme vor dem BFA. Der BF gab im Wesentlichen an, dass er gesund sei und seit 2003 in Österreich lebe. Seine Mutter und seine Geschwister seien in Österreich aufhältig, sowie seine Frau und sein Sohn. Er sei traditionell verheiratet und wolle seine Frau standesamtlich heiraten, dies sei vorher nicht möglich gewesen, da sie erst am 09.07.2020 21 Jahre alt wird. Er habe mit seiner Frau einen Sohn, welcher am 11.07.2019 geboren sei. Er sei nicht in der Geburtsurkunde erfasst. Gegenwärtig dürfe er nicht arbeiten und kümmere sich mit seiner Frau um den Sohn. Seine Familie kümmere sich um seine finanziellen Mittel.

15. Mit Schreiben vom 07.09.2020 wurde der BF aufgefordert, dem BFA binnen einer Frist von 14 Tagen ab Erhalt des Schreibens einen authentischen und gültigen russischen Reisepass vorzulegen. Bei Nichterfüllung dieser gesetzlichen Verpflichtung (§58 Abs. 11 AsylG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV) ist gem. § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG der gegenständliche Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

16. Mit Eingab vom 23.09.2020 legte der BF die Kopie einer Geburtsurkunde vor, sowie den Antrag auf Heilung gem. § 4 AsylG-DV bezüglich eines gültigen Reisdokumentes im Original mit der Begründung, dass er sich seit dem 5 Lebensjahr in Österreich befinde und er einen Konventionsreisepass und eine Geburtsurkunde besessen habe, aber er über keinen Reisepass verfüge.

17. Mit Schreiben vom 24.09.2020 bestätigte das BFA den Eingang des Heilungsantrages. Es hielt jedoch fest, dass der BF dem Amt nicht glaubhaft machen konnte, dass Ihm die Beischaffung eines russischen Reisepasses nicht möglich sei. Er werde aufgefordert, einen russischen Reisepass vorzulegen oder alternativ ein authentisches Schreiben der russischen Vertretungsbehörde in Vorlage zu bringen, in welchem bestätigt werde, dass sie Reisepassausstellung aus nicht in seiner Sphäre liegenden Gründen verweigert werde. Als Frist werde drei Wochen festgehalten

18. Mit Schreiben vom 20.10.2020 wurde vorgebracht, dass der BF mehrfach versucht habe einen Reisepass zu beantragen, dies ihm aber in unerklärlicher Weise verweigert worden wäre und ihm auch keinerlei Bestätigung bzw. kein Grund der Weigerung der Ausstellung genannt worden wäre.

19. Mit gegenständlichen Bescheid vom 05.11.2020 wurde der Antrag auf Mängelheilung vom 21.09.2020 gem. § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG-DV 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 07.06.2019 wurde gem. § 58 Abs. 11 Z. 2 AsylG 2005 zurückgewiesen (Spruchpunkt II). Unter Spruchpunkt III wurde gem. § 10 Abs. 3 AsylG iVm 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 3 FPG erlassen und in Spruchpunkt IV. gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V.) und gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG wurde ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Begründet wurde die Entscheidung damit, dass der BF mit Frau XXXX , geboren am XXXX , welche über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ verfügt in einer Lebensgemeinschaft lebt. Der BF lebe mit dieser seit 02.07.2019 in einem gemeinsamen Haushalt. Ebenfalls leben in diesem Haushalt XXXX , hinsichtlich dessen im IZR kein Aufenthaltstitel erfasst ist, sowie die Mutter, Bruder und Schwester des BF. Aufgrund der Anzahl der Bewohner ist keine ortsübliche Unterkunft gegeben. Der BF geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, beziehe kein Einkommen und habe keine Ersparnisse, sowie keinen Anspruch auf gesetzlichen Unterhalt. Der BF verfüge über einwandfreie Deutschkenntnisse, habe die Schule und Lehre absolviert. Er sei fünfmal vorbestraft, gegenwärtig sei ein Strafverfahren anhängig und er sei wiederholt von der LPD Salzburg bestraft worden. Es bestehen soziale Kontakte in der österreichischen Gesellschaft. Ein gültiges Reisedokument sei nicht vorgelegt worden, ein Nachweis, dass eine Ausstellung nicht möglich wäre wurde nicht vorgebracht. Da die entsprechenden Urkunden nicht vorgelegt wurden, auch die Geburtsurkunde wurde nicht im Original vorgelegt, war der auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen. Aufgrund der strafrechtlichen Verurteilungen ist auch unter Berücksichtigung des Kindeswohles, wobei das Einreiseverbot nur drei Jahre dauert und der Lebensgefährtin und dem Sohn es möglich ist den BF im Herkunftsstaat zu besuchen oder mit ihm Unterkunft zu nehmen. Sowie auch unter Berücksichtigung seiner Familienangehörigen in Österreich, seiner Ausbildung, Deutschkenntnisse, soziale Kontakte, das öffentliche Interesse an der Rückkehr größer als das Privatinteresse des BF. Es zeigt sich auch aufgrund seiner Vielzahl an Verwaltungsstrafen, dass der BF nicht gewillt ist ein rechtstreues Leben zu führen. Dass der BF die russische oder tschetschenische Sprache nicht spreche, sei eine Schutzbehauptung, da er dies auch im Aberkennungsverfahren so angegeben habe. Der BF habe bedingt nachgesehene Freiheitsstrafen von über sechs Monaten erhalten und es ist daher indiziert, dass er gem. § 53 Abs. 3 FPG eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Die Tathandlungen sind erst vor kurzem gesetzt worden, sodass ein erheblicher Charaktermangel bestehe. Es sei auch noch die Mittellosigkeit und die zitierten Verwaltungsstrafen zu berücksichtigen, wenngleich die einen geringfügigen Einfluss auf die Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes haben. Die Dauer von drei Jahren reiche aus. Nach Ablauf des Einreisverbotes habe der BF die Möglichkeit bei Erfüllung der Voraussetzungen des NAG, neuerlich in Österreich einzureisen um hier einen Wohnsitz zu begründen und ein straffreies Leben.

20. Mit Schreiben eingelangt am 07.12.2020 erhob der BF durch seinen gewillkürten Rechtsvertreter Beschwerde. Vorgebracht wurde, dass der BF mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK führe. Der BF wohne auch noch mit seiner Mutter und Geschwistern und werde von diesen finanziell unterstützt. Der BF habe in Österreich den Beruf des Bodenlegers gelernt, welches ein Mangelberuf darstelle. Der BF habe keinen Reisepass, es bestehe für ihn aber auch keine Passpflicht, weshalb die Zurückweisung des Antrages auf einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 nicht rechtskonform war. Ein Einreisverbot ist nicht zwingend mit einer Rückkehrentscheidung zu erlassen, auch habe die Behörde, eine zu treffende Gefährdungsprognose vermissen lassen. Auch ist gegen den BF aufgrund des langjährigen Aufenthaltes nur eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn eine hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bestehen würde. Dies sei nur dann der Fall, wenn ein unbefristetes oder mindestens zehnjähriges Einreiseverbot vorliegen würde. Die Behörde hat mit der Erlassung eines dreijährigen Einreiseverbotes konkludent bestätigt, dass keine entsprechende Gefährdung vorliege.

21. Am 22.04.2021 erfolgte eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist ein russischer Staatsangehöriger, dem im Juli 2003 im Wege der Erstreckung Asyl gewährt wurde. Er lebte seither durchgehend in Österreich und wuchs hier auf.

1.2. Nach mehrfachen strafgerichtlichen Verurteilungen erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 23.11.2018 den Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation fest, bemaß die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen und erließ ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot.

Dieser Bescheid wurde an der Zustelladresse des Beschwerdeführers am 30.11.2018 hinterlegt. Der Beschwerdeführer erhob am 21.12.2018 eine Beschwerde, die das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 05.03.2019 als verspätet zurückwies.

1.3. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner nach islamischem Ritus geehelichten Lebensgefährtin, seiner Mutter und zwei Geschwistern im gemeinsamen Haushalt. Die Lebensgefährtin verfügt über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, seine Mutter und die Geschwister sind asylberechtigt und haben einen Konventionsreisepass. Mit seiner Lebensgefährtin hat der Beschwerdeführer einen fast zweijährigen Sohn, der im Familienverband lebt.

1.4. Den am 07.06.2019 gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit dem angefochtenen Bescheid vom 31.10.2019 mit der Begründung zurück, dass sich seit Eintritt der Rechtskraft des Bescheids vom 23.11.2018 keine maßgeblichen Änderungen in Bezug auf das vom Beschwerdeführer entfaltete Privat- und Familienleben ergeben hätten. Diesem Bescheid ging keine persönliche Befragung des Beschwerdeführers voraus. Er legte seiner Stellungnahme vom 08.07.2019 eine Kopie des für seine Lebensgefährtin angelegten Mutter-Kind-Passes bei, in dem der 10.07.2019 als voraussichtlicher Geburtstermin des gemeinsamen Kindes vermerkt ist.

Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Das Bundesverwaltungsgericht begründete im Wesentlichen seine Entscheidung damit, dass in Bezug auf die letzte rechtskräftige Entscheidung über die Rückkehrentscheidung eine maßgebliche Änderung eingetreten ist. So wurde im Sommer 2019 ein Sohn geboren, der im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung zumindest drei Monate alt war. So liegt nunmehr ein Familienleben vor und sei außerdem aus Gründen des Art. 8 EMRK auch auf das Kindeswohl einzugehen, dies habe die Behörde unterlassen.

1.5. Mit gegenständlichen Bescheid vom 05.11.2020 wurde der Antrag auf Mängelheilung vom 21.09.2020 gem. § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG-DV 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 07.06.2019 wurde gem. § 58 Abs. 11 Z. 2 AsylG 2005 zurückgewiesen (Spruchpunkt II). Unter Spruchpunkt III wurde gem. § 10 Abs. 3 AsylG iVm 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 3 FPG erlassen und in Spruchpunkt IV. gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V.) und gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG wurde ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Begründet wurde die Entscheidung damit, dass der BF mit Frau XXXX , geboren am XXXX , welche über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ verfügt in einer Lebensgemeinschaft lebt. Der BF lebe mit dieser seit 02.07.2019 in einem gemeinsamen Haushalt. Ebenfalls leben in diesem Haushalt XXXX , hinsichtlich dessen im IZR kein Aufenthaltstitel erfasst ist, sowie die Mutter, Bruder und Schwester des BF. Aufgrund der Anzahl der Bewohner ist keine ortsübliche Unterkunft gegeben. Der BF geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, beziehe kein Einkommen und habe keine Ersparnisse, sowie keinen Anspruch auf gesetzlichen Unterhalt. Der BF verfüge über einwandfreie Deutschkenntnisse, habe die Schule und Lehre absolviert. Er sei fünfmal vorbestraft, gegenwärtig sei ein Strafverfahren anhängig und er sei wiederholt von der LPD Salzburg bestraft worden. Es bestehen soziale Kontakte in der österreichischen Gesellschaft. Ein gültiges Reisedokument sei nicht vorgelegt worden, ein Nachweis, dass eine Ausstellung nicht möglich wäre wurde nicht vorgebracht. Da die entsprechenden Urkunden nicht vorgelegt wurden, auch die Geburtsurkunde wurde nicht im Original vorgelegt, war der auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen. Aufgrund der strafrechtlichen Verurteilungen ist auch unter Berücksichtigung des Kindeswohles, wobei das Einreiseverbot nur drei Jahre dauert und der Lebensgefährtin und dem Sohn es möglich ist den BF im Herkunftsstaat zu besuchen oder mit ihm Unterkunft zu nehmen. Sowie auch unter Berücksichtigung seiner Familienangehörigen in Österreich, seiner Ausbildung, Deutschkenntnisse, soziale Kontakte, das öffentliche Interesse an der Rückkehr größer als das Privatinteresse des BF. Es zeigt sich auch aufgrund seiner Vielzahl an Verwaltungsstrafen, dass der BF nicht gewillt ist ein rechtstreues Leben zu führen. Dass der BF die russische oder tschetschenische Sprache nicht spreche, sei eine Schutzbehauptung, da er dies auch im Aberkennungsverfahren so angegeben habe. Der BF habe bedingt nachgesehene Freiheitsstrafen von über sechs Monaten erhalten und es ist daher indiziert, dass er gem. § 53 Abs. 3 FPG eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Die Tathandlungen sind erst vor kurzem gesetzt worden, sodass ein erheblicher Charaktermangel bestehe. Es sei auch noch die Mittellosigkeit und die zitierten Verwaltungsstrafen zu berücksichtigen, wenngleich die einen geringfügigen Einfluss auf die Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes haben. Die Dauer von drei Jahren reiche aus. Nach Ablauf des Einreisverbotes habe der BF die Möglichkeit bei Erfüllung der Voraussetzungen des NAG, neuerlich in Österreich einzureisen um hier einen Wohnsitz zu begründen und ein straffreies Leben.

1.6. Der Beschwerdeführer wurde am 06.09.1995 in Tschetschenien geboren. Er spricht die russische und tschetschenische Sprache. In Tschetschenien leben die Geschwister seiner Mutter, zu denen diese noch Kontakt hat, der BF jedoch nicht, sowie ein Bruder des Vaters. Der Beschwerdeführer ist gesund. Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. In der Russischen Föderation wurden mit Stand 24.05.2021 insgesamt 5,01 Mio Erkrankungen und 119 000 Todesfälle registriert. Die tägliche Infektionsrate liegt bei ca. 8.000 Neuinfizierte und 300 Todesfälle pro Tag. Gerechnet auf die Einwohnerzahl ist die Inzidenz mit Österreich vergleichbar auch die Todeszahlen sind nicht wesentlich höher. Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Russische Föderation eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde. Der BF würde in keine existenzgefährdende Notlage geraten. Er könnte seine Unterkunft erwerben und seinen Lebensunterhalt selbst besorgen.

1.7. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner nach islamischen Recht verheirateten Frau XXXX , seiner Mutter, einem Bruder und dessen Familie und seiner Schwester in einem gemeinsamen Haushalt. Mit ihm Haushalt lebt auch sein am 11.07.2019 geborener Sohn XXXX , um welchen sich der BF auch kümmert. Eine Schwester lebt verheiratet in Innsbruck.

Der Beschwerdeführer ist im Jahr 2003 in das Bundesgebiet eingereist. Er hat seit dem Jahr 2003 die Schule in Österreich besucht und drei Jahre Volksschule, 4 Jahre Hauptschule absolviert und den Lehrberuf als Bodenleger im Jahr 2016 abgeschlossen. Daneben absolvierte er noch weitere Kurse (Maschinenführerschein, Führerschein, Besonderheiten Kaschmir-Ziegenhaar usw.). Der BF ging in Österreich überwiegend einer Beschäftigung nach. So war er vom 15.11.2015 – 23.07.2018 Arbeiter, vom 17.09.2018 – 18.09.2018 Angestellter, 29.10.2018 – 08.11.2018 Arbeiter, vom 28.01.2019 – 18.04.2019 Arbeiter. Der BF hat soziale Kontakte im österreichischen Bundesgebiet. Der BF hat einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag. Der BF hat keinen russischen Reisepass vorgelegt und hat auch bei der Erlangung eines solchen nicht mitgewirkt:

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich fünfmal straffällig.

Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 25.05.2011, AZ 33 Hv 20/11f, wurde der BF wegen des Verbrechens des Einbruchs durch Diebstahls nach §§ 127, 129 Z 2 und 3 StGB schuldig gesprochen. Gem. § 13 JGG wurde der Strafausspruch unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit vorbehalten. Der BF hat am 01.11.2010 in bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einer unmündigen Person und einer weiteren Person, Bargeld in unbekannte Höhe weggenommen, indem sie eine mittels Eisenbügel gesicherten Zeitungskassa aufbrachen und anschließenden die Sperrvorrichtung aufbrachen. Weiters am 16.07.2010 in bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einer unmündigen Person und einer anderen Person 63 Kaugummis, eine Kette und einen Ring mit unbekannten Wert weggenommen haben, indem sie ein Behältnis durch Aufschmelzen der Kunststoffabdeckung mit einem Feuerzeug aufbrachen. Mildernd wurde gewertet, dass der BF ein umfassendes und reumütiges Geständnis ablegte, bisher unbescholten war und den Schaden großteils wiedergutmachte.

Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 05.02.2013, AZ 41 Hv 154/12x, wurde der BF wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat, unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen, verurteilt. Der BF hat am 08.06.2012 einer bekannten und weiteren unbekannten rumänischen Staatsangehörigen gefährlich mit zumindest der Zufügung einer Körperverletzung gefährlich bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er mehrere Schläge mit einer Aluminiumstange gegen die in der Halle der XXXX 7 befindlichen Tür gesetzt hat, wohinter die genannten Personen sich befanden. Bei dieser Tat waren auch andere Personen beteiligt, welche wegen des Vergehens der teils versuchten, teils vollendeten Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB verurteilt wurden. Der BF beging keine Körperverletzung. Bei den Strafzumessungsgründen wurde mildernd und erschwerend keine Umstände berücksichtigt.

Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 25.07.2013, AZ 41 Hv 87/13 w wurde der BF wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Begünstigung nach §§ 15 Abs. 1, 299 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen, verurteilt. Dem Urteil lag zugrunde, dass der BF am 18.04.2013 in Salzburg im Strafverfahren gegen eine andere Person als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache falsch aussagte, und zwar durch die Behauptung: „…Der Angeklagte war plötzlich weg…Ich persönlich konnte nicht beobachten, wie der Verletzte zu seiner Verletzung gekommen ist…Der Angeklagte hat mit der Verletzung nichts zu tun…“. Durch dieses Faktum angeführte Aussage die Person, welcher das Vergehen der schweren Körperverletzung, mithin eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen hatte, absichtlich der Verfolgung entzogen, wobei die Tat, aufgrund der übrigen – diese Person belastenden – Beweisergebnisse, beim Versuch geblieben ist.

Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 27.11.2014, AZ 30 Hv 123/14k wurden der BF wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen verurteilt. Der BF hat am 07.06.2014 in Salzburg an einer Schlägerei zwischen etwa 10 Personen tätlich teilgenommen, wobei diese Schlägerei eine schwere Körperverletzung einer Person, nämlich eine Nasenbeinfraktur mit der Notwendigkeit einer operativen Aufrichtung, eine Le Fort I Fraktur, eine Längsfraktur des harten Gaumens paramedian, eine Fraktur des Processus pterygoideus links und eine länger dauernde Bewusstlosigkeit verursacht wurde. Bei der Strafzumessung wurden das weitreichende Geständnis und das Alter unter 21 Jahren mildernd berücksichtigt sowie eine einschlägige Vorstrafe als erschwerend.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 14.05.2018, AZ 29 U 98/18z, wurden der BF wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 80 Tagessätzen zu je 14, -- verurteilt. Dem Urteil lag zugrunde, dass der BF einer anderen Person am 22.04.2017 eine Körperverletzung, durch das Versetzen von Faustschlägen, in Form von Rötungen, einer Schwellung in der linken Gesichtshälfte sowie Abschürfungen am rechten Ellbogen, zufügte. Weiters einer anderen Person durch einen Kniestoß ins Gesicht in Form einer blutenden Nase sowie einer Schwellung des linken Augenbereiches eine Körperverletzung und einer weiteren Person durch mehrere Schläge mit der flachen Hand in die linke Gesichtshälfte in Form von Schmerzen in diesem Bereich zufügte. Mildernd wurde die Provokation der anderen Personen gewertet, erschwerend die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen dreier Vergehen.

Der Beschwerdeführer erhielt folgende Strafverfügungen:

Am 05.08.2016 wurde durch die LPD Salzburg, wegen des Verstoßes nach § 4 Abs. 5 StVO, über den BF eine Geldstrafe in der Höhe von 250,00 € verhängt, da er am 02.07.2016 einen Parkschaden verursachte und nicht die nächste Polizeistelle aufsuchte, obwohl einander die Namen und Anschriften nicht nachgewiesen wurde.

Am 27.03.2018 wurde durch die LPD Salzburg, wegen des Verstoßes nach § 37 Abs. 1 FSG iVm § 29 Abs. 3 FSG über den BF eine Geldstrafe in der Höhe von 300,00 € verhängt, da er den entzogenen Führerschein am 01.03.2018 nicht unverzüglich den Behörden ablieferte.

Am 27.12.2018 wurde durch die LPD Salzburg, wegen des Verstoßes nach § 44 Abs. 4 KFG über den BF eine Geldstrafe in der Höhe von 250,00 € verhängt, da er am 18.12.2018 die entzogenen Kennzeichentafeln und den Zulassungsschein nicht unverzüglich der bescheiderlassenden Behörde zurückgestellt hat.

Am 06.05.2020 wurde durch die LPD Salzburg, wegen des Verstoßes nach § 99 Abs. 1b iVm § 5 Abs. 1 StVO und § 37 Abs. 1 iVm § 37 Abs. 3 Z. 1 FSG über den BF eine Geldstrafe in der Höhe von 1.980,00 € verhängt, da er am 08.02.2020, gegen 04:00 Uhr, ein Fahrzeug ohne gültiger Lenkberechtigung und mit einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,50mg/l gelenkt hat

Das Gericht geht von einer positiven Zukunftsprognose aus. Der BF wird finanziell von seiner Familie unterstützt und ist von diesen abhängig.

Die islamisch angetraute Frau des BF und Mutter des gemeinsamen Kindes wurde in Tschetschenien geboren und ist seit ihrem 4. Lebensjahr im Bundesgebiet. Ihre Eltern und Geschwister leben in Österreich. Sie hat hier die Schule besucht, spricht sehr gut Deutsch und hat den westlichen Lebensstil verinnerlicht. Sie hat einen österreichischen Freundeskreis. Sie verfügt über einen russischen Reisepass und einen österreichischen Aufenthaltstitel. Sie war nach der Schule geringfügig beim XXXX beschäftigt und bezieht derzeit Arbeitslosengeld. Eine Rückkehr für die angetraute Frau ist nicht zumutbar.

Zur Lage im Herkunftsstaat:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 2.2020c, vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 2.2020a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 2.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der [derzeitigen] Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt (GIZ 2.2020a). Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c).

Im Jänner 2020 kündigte Präsident Putin bei seiner Neujahrsrede Verfassungsänderungen an. Daraufhin trat die Regierung unter Ministerpräsident Medwedew zurück (Spiegel Online 15.1.2020). Kurz darauf wurde Putins Kandidat Michail Mischustin, der zehn Jahre lang Leiter der russischen Steuerbehörde war, von der Duma zum neuen Ministerpräsident gewählt (Spiegel Online 16.1.2020). Dmitrij Medwedew wird Vizevorsitzender im Sicherheitsrat. Die angestrebte Verfassungsänderung ist ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, bei dem es sich laut Putin um von der Gesellschaft geforderte Veränderungen handelt (Spiegel Online 15.1.2020). Das Volk wird über die Verfassungsänderungen abstimmen, um diese zu legitimieren (NZZ 19.3.2020), jedoch wird die Abstimmung aufgrund der Corona-Pandemie vom geplanten Termin im April nach hinten verschoben (ORF.at 25.3.2020). Vorgesehen ist nicht nur eine Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten. Putin soll nach einem Votum der Abgeordneten auch die Möglichkeit haben, sich noch einmal für maximal zwei Amtszeiten zu bewerben – er könnte also bei Wiederwahl bis 2036 im Amt bleiben. Nach bisheriger Verfassung könnte er 2024 nicht mehr antreten. Kritiker und Oppositionelle werfen Putin einen Staatsstreich vor. Das Verfassungsgericht hat den Änderungen bereits zugestimmt (NZZ 19.3.2020).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 2.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016, vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht infrage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 2.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 2.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Tschetschenien

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS (Islamischer Staat) kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Allgemeine Menschenrechtslage

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 2.2020a). Die Verfassung postuliert die Russischen Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland ist an folgende UN-Übereinkommen gebunden:

- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)

- Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)

- Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)

- Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)

- Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)

- Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.9.2012) (AA 13.2.2019).

Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 317 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat dabei fast alle Empfehlungen akzeptiert und nur wenige nicht berücksichtigt. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der EMRK. Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des EGMR um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert [Anm.: Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 13.2.2019). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 12.2019).

Die allgemeine Menschenrechtslage in Russland ist weiterhin durch nachhaltige Einschränkungen der Grundrechte sowie der unabhängigen Zivilgesellschaft gekennzeichnet. Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden, aber gleichzeitig steigt der öffentliche Aktivismus deutlich. Hinzu kommt, dass sich mehr und mehr Leute für wohltätige Projekte engagieren und freiwillige Arbeit leisten. Regionale zivile Kammern wurden zu einer wichtigen Plattform im Dialog zwischen der Zivilbevölkerung und dem Staat in Russlands Regionen (ÖB Moskau 12.2019). Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AI 22.2.2018, FH 4.3.2020). Der konsultative „Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte“ beim russischen Präsidenten übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 13.2.2019). Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur führen zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor verbreitet. Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wird weiter erschwert. Im Nordkaukasus kommt es immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen (AI 22.2.2018). Derzeit stehen insbesondere die LGBTI-Community in Tschetschenien sowie die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Russland unter Druck (ÖB Moskau 12.2019).

Die Annexion der Krim 2014 sowie das aus Moskauer Sicht erforderliche Eintreten für die Belange der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine haben zu einem starken Anstieg der patriotischen Gesinnung innerhalb der russischen Bevölkerung geführt. In den vergangenen Jahren gingen die Behörden jedoch verstärkt gegen radikale Nationalisten vor. Dementsprechend sank die öffentliche Aktivität derartiger Gruppen seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine deutlich, wie die NGO Sova bestätigt. Gestiegen ist auch die Anzahl von Verurteilungen gegen nationalistische bzw. neofaschistische Gruppierungen. Vor diesem Hintergrund berichtete die NGO Sova in den vergangenen Jahren auch über sinkende Zahlen rassistischer Übergriffe. Die meisten Vorfälle gab es, wie in den Vorjahren, in den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Migranten aus Zentralasien, dem Nordkaukasus und dunkelhäutige Personen sind üblicherweise das Hauptziel dieser Übergriffe. Im Vergleich zu den Jahren 2014-2017 ist gleichzeitig ein gewisser Anstieg der fremdenfeindlichen Stimmung zu vermerken, der auch im Zusammenhang mit sozialen Problemen (der Unzufriedenheit mit der Pensionsreform und sinkenden Reallöhnen) zu sehen ist. Wenngleich der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland seit 2013 weiterhin ausgesetzt bleibt, unterstützt die EU-Delegation in Moskau den Dialog mit NGOs, Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidigern aktiv (ÖB Moskau 12.2019).

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend „Aufständische“ und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet (ÖB Moskau 12.2019), und es werden von dort schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen (AI 22.2.2018).

Tschetschenien

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten (ÖB Moskau 12.2019). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien evakuiert werden. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 13.2.2019). Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird, und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. BAMF 11.2019).

2017 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019, vgl. HRW 17.1.2019), wo die Betroffenen gefoltert und einige sogar getötet wurden [vgl. Kapitel 19.4. Homosexuelle] (FH 4.2.2019). Die unabhängige Zeitung Nowaja Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angebliche außergerichtliche Tötung von über zwei Dutzend Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten, die nicht im Zusammenhang mit der Verfolgung von LGBTI-Personen stehen soll (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AI 22.2.2018). Seitens Amnesty International wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durch die russischen Behörden gefordert. Im Herbst 2017 besuchte das Komitee gegen Folter des Europarates neuerlich Tschetschenien und konsultierte dabei auch die russische Ombudsfrau für Menschenrechte. Ihre nachfolgende Aussage gegenüber den Medien, dass das Komitee keine Bestätigung außergerichtlicher Tötungen oder Folter gefunden habe, wurde vom Komitee unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der mit den russischen Behörden geführten Gespräche zurückgewiesen. Ungeachtet dessen setzten die lokalen Behörden NGO-Berichten zufolge 2018 und 2019 die Repressalien gegen Homosexuelle in Tschetschenien fort (ÖB Moskau 12.2019).

Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Caucasian Knot auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von der unabhängigen Tageszeitung Nowaja Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen Schwule berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Nowaja Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht (AI 22.2.2018). Im Februar 2020 wurde die bekannte Journalistin der Nowaja Gazeta, Jelena Milaschina und eine Menschenrechtsanwältin in Grosny von ca. 15 Frauen und Männern in ihrem Hotel angegriffen und verprügelt. Die Nowaja Gazeta verlangte eine Entschuldigung des Republiksoberhauptes von Tschetschenien. Die Union der russischen Journalisten und das Helsinki Komitee verurteilten diesen Vorfall aufs Schärfste. Auch die OSZE und die russische Menschenrechtsorganisation Komitee gegen Folter verlangen von den russischen Behörden eine Aufklärung des Vorfalls (Moscow Times 7.2.2020).

In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischer Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten (ÖB Moskau 12.2019). Der regierungskritische tschetschenische Blogger Tumso Abdurachmanow ist nach eigenen Angaben in seinem polnischen Exil von einem bewaffneten Angreifer attackiert worden. Es sei ihm gelungen, den Angreifer zu überwältigen. Menschenrechtsgruppen verurteilten den Angriff als "Mordversuch". Abdurachmanow betreibt bei YouTube einen Videokanal, der etwa 75.000 Abonnenten hat. In seinen Videos setzt er sich kritisch mit dem tschetschenischen Regionalpräsidenten Ramsan Kadyrow auseinander. Nach eigenen Angaben wurde er in Tschetschenien mit dem Tode bedroht, seit 2015 lebt er im Exil. Dies war nicht der erste Angriff auf einen Tschetschenen, der von Kadyrow als "störend" empfunden wird, erklärte die russische Menschenrechtsorganisation Memorial. In den meisten Fällen würden die Ermordungen oder Mordversuche von "aus Tschetschenien entsandten Auftragsmördern" in Moskau oder anderen russischen Regionen, aber auch in der Ukraine oder anderen europäischen Ländern ausgeführt. 2019 hatte die Ermordung eines Georgiers mit tschetschenischen Wurzeln im Berliner Tiergarten Aufsehen erregt. Das Opfer soll im sogenannten zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft haben. Laut Bundesanwaltschaft wurde der 40-Jährige von russischen Behörden als "Terrorist" eingestuft und verfolgt. Ein dringend tatverdächtiger russischer Staatsangehöriger sitzt in Untersuchungshaft (AFP 27.2.2020). Anfang 2020 wurde ein anderer politischer Blogger aus Tschetschenien tot in einem Hotel in Frankreich aufgefunden. Imran Aliev (44) habe eine Kopfverletzung erlitten. Nach einem Bericht des kaukasischen Internetportals Kawkaski Usel hatte der Blogger sich in seiner früheren Heimat unbeliebt gemacht. Bei Youtube hatte der Tschetschene unter dem Namen Mansur Staryj Ramsan Kadyrow und dessen Familie scharf kritisiert (Kleine Zeitung 3.2.2020).

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 13.2.2019).

Bewegungsfreiheit

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 13.3.2019). In einigen Fällen schränkten die Behörden diese jedoch ein. Die meisten Russen können jederzeit ins Ausland reisen, aber ca. vier Millionen Mitarbeiter, die mit dem Militär- und Sicherheitsdienst verbunden sind, wurden nach den im Jahr 2014 erlassenen Regeln vom Auslandsreiseverkehr ausgeschlossen (US DOS 11.3.2020, vgl. FH 4.3.2020).

Tschetschenen steht, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.], das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (AA 13.2.2019). Einige regionale B

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten