TE Bvwg Beschluss 2021/5/21 W196 2242259-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.05.2021
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Entscheidungsdatum

21.05.2021

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W196 2242259-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2021, Zahl 252267909-210581712, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die BBU GmbH, beschlossen:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 in Verbindung mit § 22 BFA-VG rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Erstes Verfahren (in Rechtskraft erwachsen):

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit und moslemischen Glaubens stellte am 18.03.2003 seinen ersten Asylantrag.

Als Fluchtgrund brachte er anlässlich seiner Einvernahme am 03.11.2003 vor, wegen seiner beiden namentlich genannten Cousins, welche Freiheitskämpfer gewesen seien, im März 2003 gemeinsam mit einem anderen Cousin von russischen Soldaten in Grozny verhört und nach aktiven Freiheitskämpfern befragt worden zu sein. Nach 4 Tagen seien sie für 25.000.- Rubel von seiner Tante freigekauft worden, worauf sie beide nach Inguschetien geflüchtet seien. Er selbst habe nie an Kampfhandlungen teilgenommen. Der russische Geheimdienst FSB und der tschetschenische OMON hätten grundsätzlich Interesse an ihm. Sein Onkel sei von dieser ermordet worden. Er sei nur dies einzige Mal mit russischen Behörden in Kontakt gekommen. Außerdem habe er Anfang April 2003 eine Einberufung erhalten, welcher er nicht Folge geleistet habe. Alle Familienmitglieder von Kämpfern hätten Verfolgung zu befürchten.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.11.2003 wurde sein Antrag gemäß § 7 AsylG (hinsichtlich Asyl) abgewiesen (Spruchpunkt I.) und festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 AsylG nicht zulässig sei und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 Abs. 1 iVm Abs. 3 AsylG erteilt. Die dagegen erhobene Berufung habe er am 07.04.2004 zurückgezogen, sodass diese Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.03.2012 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt und der Beschwerdeführer in die Russische Föderation ausgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs am 12.04.2012 in Rechtskraft. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 30.05.2012, Zl. D10 249.102-2/2012/3E als verspätet zurückgewiesen.

Bereits davor wurde der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 01.04.2004 wegen §§ 15, 127, 130, 131 (1.Fall) StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines BG vom 12.08.2005 wurde er wegen §§ 15. 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 28.11.2006 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15, 127, 130 (1.Satz 1.Fall) StGB, §§ 15, 105/1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 30.11.2011 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15, 127, 130 1.Satz 1.Fall StGB, § 15 § 105(1) StGB, § 50(1) Z3 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 02.05.2017 eines BG wurde er wegen §§ 15, 127 StGB zu einer weiteren Freiheitsstrafe von 4 Monaten bedingt verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 04.12.2017 wurde der Beschwerdeführer (nach der Aberkennung des subsidiären Schutzes) erneut wegen §§ 15, 127 StGB, §§ 15, 105(1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 17.04.2018 wurde er abermals wegen §§ 15, 127, 130 (1) StGB, § 105 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.

Der Beschwerdeführer befand sich(zuletzt) vom 27.02.2018 bis 24.Juli 2020 in Strafhaft.

2. Rückkehrentscheidung samt 10-jährigem Einreiseverbot

Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 16.07.2020 in der JA gab er auf Befragen an, neben Russisch auch Deutsch zu sprechen, seine Muttersprache sei Tschetschenisch. Er sei „suchtgiftkrank“ und befinde sich seit etwa 5 Jahren im Substitutionsprogramm, sonst sei er gesund. Die genauen Gründe für seinen Antrag habe er dort angeführt. Er könne nicht zurück nach Russland, weil sein Leben dort gefährdet sei. Sein Vater sei 1995 während des Tschetschenienkrieges verstorben so wie sein Großvater. Er habe zwei Geschwister, einen Bruder, der in Belgien lebe, und eine Schwester, welche in Frankreich sei. Die Großeltern seien bereits verstorben. Er selbst sei 2003 nach Österreich gekommen, sei ledig und kinderlos und habe davor in XXXX gewohnt. Er habe dort die Grundschule 10 Jahre besucht und mit Matura abgeschlossen. Studiert habe er kriegsbedingt nicht. Er habe ein eigenes Auto besessen. Militärdienst habe er nicht geleistet. Dokumente habe er nicht, aber seine Geburtsurkunde müsse im Akt aufliegen. In Österreich habe er lediglich während seiner Inhaftierung gearbeitet, als Gärtner und in der Wäscherei. Dabei habe er etwa 900 Euro verdient. Er würde gerne arbeiten, die Caritas werde ihn unterstützen. Er habe weder Verwandte noch Familie in Österreich. Er könne nicht nach Russland zurückkehren, weil er dort als Untergrundkämpfer während des Krieges gekämpft habe. Sein Leben sei dort bedroht, er werde seit 2003 von den Behörden gesucht. Er könne nicht zurück, solange Kadyrov und seine Leute an der Macht seien. Er werde alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, um seine Abschiebung zu verhindern. Zum Vorhalt, dass wegen seiner mehrmaligen Verurteilungen eine Rückkehrentscheidung samt 10-jährigem Einreiseverbot gegen ihn geplant sei, gab er an, dies zu akzeptieren, wenn es so Gesetz sei. Zur Sicherung der Rückkehr sei ferner beabsichtigt, Schubhaft gegen ihn zu verhängen. Dagegen brachte er vor, kein Schwerverbrecher zu sein und seine Strafe breits verbüßt zu haben. Er wolle nicht in Schubhaft, weil er nicht nach Russland zurückkehren könne, im Fall seiner Freilassung könne er in einer Integrationswohnung unterkommen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2020 wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und seine Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation für zulässig erklärt sowie ein auf 10 Jahre befristetes Einreiseverbot gegen ihn erlassen. Dieser Bescheid erwuchs am 25.08.2020 in Rechtskraft.

3. Gegenständliches Verfahren

Am 09.04.2021 stellte der Beschwerdeführer anlässlich einer polizeilichen Amtshandlung (Personenkontrolle) einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er konnte keine Identitätsdokumente vorweisen und verfügte lediglich über eine Obdachlosenmeldung im Bundesgebiet.

Im Rahmen seiner Erstbefragung am selben Tag brachte er vor, gesund zu sein und der Einvernahme ohne Probleme folgen zu können. Den erneuten Asylantrag stelle er, weil er nicht nach Hause fahren könne, er werde gesucht. Alle männlichen Mitglieder seiner Familie würden von Kadyrov und dem russischen Geheimdienst gesucht. Sein Bruder sei letztes Jahr nach Tschetschenien gefahren und seither verschollen. Obwohl dieser unter falschem Namen gereist sei, hätte man ihn gefunden. Seine gesamte männliche Familie sei in Europa verstreut. Im Fall der Rückkehr befürchte er sofort vom Geheimdienst verhaftet und an die Sicherheitskräfte Kadyrovs übergeben zu werden und zu verschwinden. Die Leute von Kadyrov und dem russischen Geheimdienst hätten ihnen gesagt, dass sie sie erschießen würden, wenn sie nochmal in Russland angetroffen würden. Seit 2003 habe sich daran nichts geändert. Ihre Frauen würden sie anrufen und ihnen sagen, dass sie nicht zurückkommen sollten.

Anlässlich der Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am selben Tag zwecks Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung wurde ihm vorgehalten, dass gegen ihn mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.07.2020 eine Rückkehrentscheidung samt einem auf 10 Jahre gültigen Einreiseverbot erlassen sowie ein bis 22.04.2021 gültiges Heimreisezertifikat für ihn von der Behörde erwirkt wurde. Im Rahmen des Parteiengehörs brachte der Beschwerdeführer dazu vor, dass er nicht nach Russland zurückkehren könne, da er dort gekämpft habe und befürchte, dort gefangen zu werden. Er sei nicht ausgereist, weil er Angst habe. In Österreich lebe ein Onkel, seine Mutter lebe in Russland, ein Bruder in Belgien und einer in Deutschland. Er selbst habe das Bundesgebiet seit 2003 nicht mehr verlassen. Bis 2018 habe er 700.- € Mindestsicherung bezogen, im Gefängnis gearbeitet und sei nach seiner Haftentlassung von seinem Onkel und seiner Familie finanziell unterstützt worden. Er sie obdachlos gemeldet, bei der Suchthilfe XXXX . Es wurde ihm zur Kenntnis gebracht, dass er infolge seiner Mittellosigkeit sowie Obdachlosigkeit sowie seines unrechtmäßigen Aufenthalts in Österreich zur Sicherung seiner Abschiebung in Schubhaft genommen werde. Der Beschwerdeführer erkundigte sich, ob es denn keine Duldung gebe. Nach dem Hinweis auf das bestehende Einreiseverbot wollte er einen neuen Asylantrag stellen, weil er zu Hause gesucht und bei einer Rückkehr von Kadyrov und seinen Leuten umgebracht werde.

Mit Verfahrensanordnung vom 20.04.2021 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 und § 15a AsylG 2005 über die beabsichtigte Zurückweisung seines Folgeantrages wegen entschiedener Sache, die Nichtgeltung der Zwanzigtagesfrist sowie die ihn treffende Meldeverpflichtung belehrt.

Am 04.05.2021 wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines Rechtsberaters und eines Dolmetschers im PAZ vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Auf Befragen brachte er vor, derzeit in Substitutionstherapie zu sein, sich jedoch psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die gestellten Fragen zu beantworten. In Österreich lebe sein Onkel und zwei Cousins, seine Schwester lebe in Frankreich und in Deutschland würden noch zwei Cousins leben. Nach seinen Gründen für den neuerlichen Asylantrag befragt, brachte er vor, er könne nicht nach Hause abgeschoben werden, weil seine gesamte Familie in Russland und in Tschetschenien durch die Behörden verfolgt werde und weiteres, dass er gerade eine Substitutionstherapie durchmache. Weiters gab er an, dass sein bis 2020 in Belgien aufhältiger Bruder nach Hause zurückgekehrt und jetzt spurlos verschwunden sei. Man habe ihm eine Amnestie versprochen. In Russland würden sich seine Mutter, seine sechs Tanten und zehn Cousinen aufhalten. Auf Nachfrage gab er an, dass sich nichts verändert habe, sie würden noch immer alle verfolgt, alle Männer aus ihrer Familie seien 2001/2002 auf eine „schwarze Liste“ gesetzt worden. Auf die Frage, ob er dafür jemals Beweise gehabt habe, gab er an, dass es solche ja nicht gebe. Diese gebe es im Internet, Namen und Geburtsdaten. Seit 2003 sei ihm bekannt, dass diese Liste im Internet einsehbar sei, damals seien sie weggelaufen. Er habe die Liste auch selbst gesehen. Auf die Frage, warum er dies bisher nicht angegeben habe, brachte er vor, dies auch im Erstverfahren gesagt zu haben, dass seine Familie verfolgt werde – über das Internet habe er nichts gesagt. Er habe gedacht, dass die österreichischen Behörden Bescheid wüssten. Die ganze Welt wisse von der Existenz solcher Listen, von Journalisten bis zu NGO’s. Zur Frage, in welcher Form ihm 2021 Verfolgung drohe, gab er an, dass im Fall der Rückkehr eines seiner Verwandten diese von russischen Spezialeinheiten überprüft würden. Diese hätten Listen, dann werde das an tschetschenische Spezialeinheiten weitergeleitet und die eingereisten Personen würden dann spurlos verschwinden. Dabei würde es sich um ehemalige Freiheitskämpfer handeln. Heute würden sie Terroristen genannt und man bezeichne das heute als Terrorismusbekämpfung. Jeder der früher irgendetwas mit dem Militär oder solchen Kämpfen zu tun gehabt habe, werde als Terrorist gekennzeichnet. Im Grunde gehe es um die Ergebnisse, je mehr dieser Menschen verschwinden würden, desto besser sei es. Den Höheren müssten Ergebnisse geliefert werden. Auf die Frage, wann zuletzt so etwas geschehen sei, gab er an, dass sein Onkel 2003 verschwunden sei, sein Bruder im vergangenen Jahr. Dieser habe sich vor seiner Rückkehr erkundigt und erfahren, dass er vom Verdacht des Terrorismus am wenigsten betroffen sei. Nachdem er tatsächlich zurückgekehrt sei, hätten Spezialeinheiten ihn befragt, seitdem sei er verschwunden. Diese Informationen habe der Beschwerdeführer für Geld erhalten. Seine Verwandten hätten einen Oberst des FSB dafür bestochen. Zum Vorhalt, dass es unschlüssig sei, dass seine Verwandten seine Verfolger bestechen würden, gab er an, dass es verschiedene Einheiten gebe und alle korrupt seien. Gegen Geld könne man sehr viele Informationen erhalten. Sein Bruder sei während des Gefängnisaufenthaltes des Beschwerdeführers ausgereist, weshalb er darüber keine Informationen habe. Er habe davon nach seiner Entlassung im Juli 2020 erfahren. Zur mehrfach wiederholten Frage, wieso er dann erst im April 2021 einen neuen Asylantrag gestellt habe, gab er schließlich an, dass er vom Rechtsberater und Mitarbeitern der Caritas immer wieder gehört habe, dass er auf Asyl keine Chance hätte, aber im Fall einer Abschiebung einen Asylantrag stellen könne. Auf die Frage nach Gründen, die gegen eine Abschiebung sprechen würden, gab er an, dass es keinen Sinn habe, hieretwas anzugeben, man würde ihm ohnehin nicht glauben. Zu den Länderberichten gab er an, dass Russland eine Diktatur sei. Wichtig sei für ihn, dass er die Therapie hier beenden könne, denn dort gebe es keine, nur den Schlagstock. Seitens der Rechtsberatung wurde eine Anfrage an die Staatendokumentation zur Verfügbarkeit einer Substitutionstherapie im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers beantragt. Dem vorgelegten Schriftsatz der Drogenberatungsstelle XXXX vom 23.04.2021 ist zu entnehmen, dass beim Beschwerdeführer eine Benzodiazepinabhängigkeit F13.2 und eine Opiatabhängigkeit in Substitution F11.22 beseht und aktuell versucht werde, seine Medikation (Levo-Mehasan 15 mg, Anxiolit 50 mg Tbl, Zoldem Ftbl. 10 mg) zu reduzieren.

Sodann wurde durch mündliche Verkündung am 04.05.2021 ein Bescheid erlassen, womit der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG 2005 gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben wurde. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges wurde im Wesentlichen festgestellt, dass die Identität des Beschwerdeführers geklärt sei und er abgesehen von einer Benzodiazephin – und Opiatabhängigkeit, weswegen er sich seit 5 Jahren in Substitutionstherapie befinde, an keiner schweren körperlichen oder geistigen Erkrankung leide, welche bei einer Abschiebung in die Russische Föderation eine unzumutbare Verschlechterung erfahren würde. Er verfüge über keine Aufenthaltsberechtigung in Österreich. Zur Covid-19 –Pandemie wurde ausgeführt, dass ältere Personen und Personen mit Vorerkrankungen wie zB Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck zur Risikogruppe zählen würden. Sein erstes Asylverfahren sei am 12.04.2012 rechtskräftig abgeschlossen worden, wobei alle bis zur Entscheidung relevanten Sachverhalte berücksichtigt worden seien. Sein damaliges Vorbringen sei als nicht glaubhaft erachtet worden. Das Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sei am 25.08.2020 rechtskräftig abgeschlossen worden. Im gegenständlichen Verfahren habe er keine neuen Sachverhalte vorgebracht. Eine Verletzung seiner Rechte im Sinne des Art 3 EMRK im Fall einer Abschiebung habe nicht festgestellt werden können; auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in sein Privat- und Familienleben. Nach Feststellungen zur Lage im Herkunftsland wurde beweiswürdigend ausgeführt, dass nach einer Recherche bei der Staatendokumentation das Gesundheitssystem in Russland zugänglich sei und Drogenersatzprogramme existieren. Zu seinen Fluchtgründen wurde ausgeführt, dass die behauptetermaßen unverändert fortbestehenden Fluchtgründe schon im ersten Verfahren als nicht glaubhaft erachtet worden waren. Sein neues Vorbringen, über das Verschwinden seines Bruders im Frühjahr 2020, wovon er im August 2020 erfahren habe, habe er erst anlässlich seiner drohenden Abschiebung im April 2021, also verspätet geltend gemacht, weshalb es nicht als glaubhaft erachtet werde, zumal dies auch nicht der allgemeinen Lebenserfahrung entspreche. Mangels ersichtlichem glaubhaften Kern sei die Zurückweisung seines Folgeantrages beabsichtigt. Die Lage im Herkunftsstaat sei seit der letzten Entscheidung über den ersten Antrag im Wesentlichen unverändert. Der maßgebliche Sachverhalt sei seither ebenfalls unverändert. Es drohe ihm im Zusammenhang mit seinem Vorbringen dort auch keine Verletzung im Sinne des § 12 a Abs. 2 Z 3 AsylG 2005. Sein zweiter Asylantrag sei voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Seine Angaben zu seinen familiären Verhältnissen würden der Entscheidung als glaubhaft zu Grunde gelegt. Er sei alleine ins österreichische Bundesgebiet eingereist. Rechtlich wurde dargelegt, dass im Fall des Beschwerdeführers ein Folgeantrag vorliege. Das Vorverfahren sei am 12.04.2012 rechtskräftig abgeschlossen worden, das Verfahren zur aufenthaltsbeendenden Maßnahme am 25.08.2020. Die gegen ihn ausgesprochene Rückkehrentscheidung sei nach wie vor gegen ihn aufrecht. Er verfüge über kein anderes Aufenthaltsrecht und sein zweiter Asylantrag sei voraussichtlich zurückzuweisen, weil er kein neues Vorbringen erstattet und sich auf die bisherigen Gründe bezogen habe und sein Vorbringen auch nicht glaubwürdig sei. Auch die allgemeine Lage im Herkunftsstaat habe sich nicht entscheidungsrelevant geändert. Schließlich sei auch sein Gesundheitszustand im Wesentlichen unverändert. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Abschiebeschutzes seien also gegeben.

Die Verwaltungsakten langten am 07.05.2021 bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichts ein. Am selben Tag bevollmächtigte der Beschwerdeführer die BBU GmbH mit seiner Vertretung.

Mit „Beschwerdeergänzung“ vom selben Tag brachte der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers geltend, dass der Sachverhalt insofern eine Änderung erfahren habe, als dessen Bruder aus Belgien in die Russische Föderation zurückgekehrt und verschwunden sei, da allen männlichen Mitgliedern seiner Familie auf Grund der Verbindung der Familie zum Widerstand in den Tschetschenienkriegen Verfolgung durch die russischen und tschetschenischen Behörden drohe. Die Behörde habe diesem Vorbringen keinen glaubhaften Kern zugebilligt, weil der Beschwerdeführer erst anlässlich seiner bevorstehenden Abschiebung einen weiteren Asylantrag gestellt habe. Diesbezüglich sei die Verfahrens-RL Art. 10 Abs.1 (RL 2013/32/EU) beachtlich, wonach Anträge nicht allein wegen verspäteter Antragstellung abgelehnt werden dürfen. Hiezu brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, vergeblich auf eine Rechtsberatung gewartet zu haben bzw. dass einem Rechtsmittel von dieser keine Erfolgschancen beigemessen wurden. Daher sei der Schluss, dass das gegenständliche Vorbringen allein wegen der verspäteten Antragstellung als unglaubwürdig zu werten sei, nicht zulässig. Auch der Vorwurf fehlender Details gehe ins Leere, da er eingehend den Vorgang der Bestechung eines Behördenorgans durch seine Familie geschildert habe. Es könne daher nicht von der Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens ausgegangen werden. Auch habe sich die Situation im Herkunftsstaat nach den Ausführungen der Behörde nicht entscheidungswesentlich verändert. Jedoch enthalte das herangezogene Länderinformationsblatt zur Frage, ob Widerstandskämpfer der Tschetschenienkriege und deren Familienangehörige aktuell einer Verfolgung in der Russischen Föderation bzw. in Tschetschenien ausgesetzt seien, keine ausreichenden Feststellungen. Aus dem LIB sei ersichtlich, dass es nach wie vor zu massiven Menschenrechtsverletzungen sowohl durch das tschetschenische Regime als auch durch russische Behörden komme. Der Bericht der ÖB Moskau, wonach von einer Verfolgung von Teilnehmern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges heute nicht mehr auszugehen sei, sei nicht zutreffend. Dies werde aus einem ACCORD-Bericht vom 23.03.2020 deutlich. Gerade in den letzten Jahren habe es viele gezielte Attentate auch auf ehemalige Widerstandskämpfer - auch außerhalb der Russischen Föderation gegeben. Auch in einem weiteren Bericht vom 31.01.2020 werde sehr wohl von einem realen Risiko gesprochen, welchem ehemalige Rebellen und deren Angehörige ausgesetzt sind. Danach seien Amnestien vorwiegend in den frühen 2000er Jahren ausgesprochen worden, danach jedoch nicht mehr. Personen ohne genutztes Versöhnungsangebot seine im Fall der Rückkehr einer großen Gefahr ausgesetzt. Das Vorbringen des Beschwerdeführers über das Verschwinden seines Bruders auf Grund der Involvierung seiner Familie in die Tschetschenienkriege nach seiner Rückkehr durch den FSB stehe im Einklang mit der Berichtslage. Auch vor diesem Hintergrund sei ihm ein glaubhafter Kern nicht abzusprechen. Zum Vorliegen entschiedener Sache zu § 8 AsylG 2005 sei dem Antrag auf eine Anfrage an die Staatendokumentation über die Verfügbarkeit der notwendigen Medikamente bislang nicht entsprochen worden. Da bei Aberkennung des subsidiären Schutzes davon ausgegangen worden sei, dass der Beschwerdeführer völlig gesund sei, habe sich (nunmehr) eine relevante Sachverhaltsänderung ergeben. Gemäß der Judikatur des EGMR vom 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, droht eine Verletzung von Art. 3 EMRK dann, wenn eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat oder des fehelenden Zugangs zu so einer Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. Der Betroffene muss dabei tatsächlichen Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Gerade bei einer Opiatabhängigkeit müsse aber bei einer Subsitutionsbehandlung auf eine durchgehende ärztliche, aber auch soziale und psychologische Überwachung geachtet werden. Dies treffe insbesondere auf den Wechsel der Medikation zu, wobei zu berücksichtigen sei, dass Methadon in der Russischen Föderation nicht verfügbar sei. Ein unbegleiteter Abbruch (der Behandlung) könne schwerwiegende Folgen haben. Die Behörde habe sich bei ihrer Feststellung, dass in der Russischen Föderation ein Drogeneratzprogramm existiere offenbar einzig auf eine Anfragebeantwortung von MedCOI bezogen, aber diese nicht ins Verfahren eingebracht. Sie sei überdies bereits über zwei Jahre alt. Im LIB werde nicht im Einzelnen beschrieben, welche Medikamente verfügbar seien. Die Behörde habe damit ihre Ermittlungspflicht nicht erfüllt. Nach der Judikatur des VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0105, müsse nämlich sichergestellt werden, dass der Betroffene effektiven Zugang zur notwendigen Behandlung habe. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die notwendige Behandlung nicht erhalten würde und daher erheblichen Leiden auf Grund von Entzugserscheinungen ausgesetzt wäre. Die offizielle Drogenpolitik des russischen Staates fokussiere nur auf die Bestrafung von Drogenkonsum, anstatt Drogenabhängigkeit als Krankheit zu betrachten. Betroffenen bleibe die illegale Beschaffung der notwendigen Medikamente über das Internet als einzige Option und die Gefahr früher oder später wieder verhaftet zu werden. Entsprechende englischsprachige Berichte wurden zitiert bzw. dem Schriftsatz angeschlossen. Die Nichtdurchführung einer entsprechenden Anfrage (an die Staatendokumentation) stelle daher einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Es könne keinesfalls von einem im Hinblick auf subsidiären Schutz unveränderten Sachverhalt ausgegangen werden und drohe dem Beschwerdeführer bei einer Abschiebung in die Russische Föderation zweifellos eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Verfahrensgang wird wie unter Punkt I. dargestellt festgestellt.

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist ein männlicher Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und islamischen Glaubens. Er spricht Deutsch, aber auch Russisch sowieTschetschenisch als Muttersprache. Seine Identität steht fest.

Der erste Asylantrag des Beschwerdeführers vom 03.11.2003 wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.11.2003 mangels konkret begründeter Furcht vor Verfolgung hinsichtlich Asyl abgewiesen, jedoch seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 AsylG auf Grund der allgemeinen Bürgerkriegssituation im Herkunftsstaat für nicht zulässig erklärt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Diese Entscheidung erwuchs mit 07.04.2004 in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer wurde wiederholt strafgerichtlich verurteilt und verbüßte im Bundesgebiet bereits mehrere Strafen.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.03.2012 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wegen der geänderten Situation im Herkunftsstaat von Amtes wegen wieder aberkannt und der völlig gesunde Beschwerdeführer in die Russische Föderation ausgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs am 12.04.2012 in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer verblieb dennoch im Bundesgebiet und wurde erneut mehrmals zu Haftstrafen verurteilt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2020 wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und seine Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation für zulässig erklärt sowie ein auf 10 Jahre befristetes Einreiseverbot gegen ihn erlassen. Dieser Bescheid erwuchs am 25.08.2020 in Rechtskraft.

Am 09.04.2021 wurde der Beschwerdeführer anlässlich einer Personenkontrolle im Bundesgebiet ohne Identitätsdokumente angetroffen, wobei er lediglich eine Obdachlosenmeldung seit 26.11.2020 vorweisen konnte, und sogleich erneut einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Dieser ist mangels glaubhaftem Kern voraussichtlich zurückzuweisen:

Es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer in den Tschetschenienkriegen selbst gekämpft hat und deswegen seit 2003 durchgehend von den föderalen Truppen bzw. russischen und tschetschenischen Behörden verfolgt wird. Er konnte nicht glaubhaft machen, dass und aus welchem Grund die männlichen Familienangehörigen seines Clans vom Geheimdienst verhaftet und an die tschetschenischen Sicherheitskräfte übergeben würden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sein im Jahr 2020 von Belgien in die Russische Föderation unter falschem Namen zurückgekehrter Bruder anlässlich seiner Rückkehr als ehemaliger Widerstandskämpfer festgenommen wurde.

Dass dem 32-jährigen Beschwerdeführer, welcher bisher keinen Wehrdienst geleistet hat, im Fall seiner Rückkehr eine Einberufung zum Wehrdienst in der Russischen Föderation droht, ist ebenfalls nicht glaubhaft.

Der Beschwerdeführer ist abgesehen von einer medikamentösen Substitutionstherapie gesund. Er leidet nicht an einer akut lebensbedrohlichen (schweren) Erkrankung, welche durch eine Überstellung in den Herkunftsstaat eine massive Verschlechterung erfahren würde.

Der 32-jährige und ledige Beschwerdeführer ist im Herkunftsstaat geboren, hat in XXXX seine Schulausbildung jedoch keine Berufsausbildung erhalten, ist mit den örtlichen Gegebenheiten und sozialen Gepflogenheiten vertraut und spricht zwei Landessprachen, eine davon auf muttersprachlichem Niveau. Seine Mutter, sechs Tanten und zahlreiche Cousinen leben noch in der Russischen Föderation. Sein Vater und die Großeltern sind bereits verstorben. Eine Schwester lebt in Frankreich. Der Aufenthaltsort seines bis 2020 in Belgien aufhältigen Bruders ist nicht bekannt. Ein weiterer Bruder lebt in Deutschland.

Der Beschwerdeführer war in Österreich nach illegaler Einreise von 2003 bis April 2012 als Asylwerber bzw. subsidiär Schutzberechtigter zum Aufenthalt im Bundesgebiet (vorläufig) berechtigt. Nach der rechtskräftigen Aberkennung des subsidiären Schutzes und entgegen seiner gleichzeitigen Ausweisung ist er weiterhin in Österreich geblieben. Er ist bereits mehrfach strafgerichtlich verurteilt worden. Deutschkenntnisse oder den Besuch von Deutschkursen hat er nicht belegt. Soziale Bindungen hat er nicht vorgebracht. Der Beschwerdeführer hat in Österreich hat bis auf die Zeit in der Strafhaft, wo er als Gärtner und in der Wäscherei eingesetzt war, keine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Bis 2018 hat er ausschließlich die staatliche Mindestsicherung bezogen. Der Beschwerdeführer nimmt seit 5 Jahren (also seit 2016) in Österreich eine Drogenersatztherapie in Anspruch und ist im Übrigen gesund. Er lebt in keiner familienähnlichen Beziehung. Seit seiner Entlassung aus der Strafhaft wird er von seiner Familie finanziell unterstützt und hofft auf eine Unterbringung in einer Integrationswohnung. In Österreich lebt ein Onkel des Beschwerdeführers samt Familie.

Mit mündlich verkündetem Bescheid des BFA vom 04.05.2021 wurde der faktische Abschiebeschutz des Beschwerdeführers gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufgehoben.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes seit rechtskräftiger Erledigung des vorhergehenden Antrages ergeben hätte, insbesondere auch nicht im Hinblick auf die Lage im Herkunftsstaat seit der Aberkennung des subsidiären Schutzes.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Russische Föderation aktuell eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohen würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes bestünde.

Im Übrigen wird das bereits im Verfahrensgang Ausgeführte der Entscheidung zugrunde gelegt.

Zur Situation im Herkunftsstaat:

Politische Lage

Letzte Änderung: 04.09.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischus- tin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zen- tristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global

Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online

9.9.2019) . Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer „smarten Abstimmung“ aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen - nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online

9.9.2019) .

Quellen:

•        AA-Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation - Politisches Portrait, https://www.ausw aertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710 , Zugriff 10.3.2020

•        CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https: //www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of- protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html , Zugriff 10.3.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 17.7.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 17.7.2020

•        Global Security (21.9.2016): Duma Election -18 September 2016, https://www.globalsecurity.org /military/world/russia/politics-2016.htm , Zugriff 10.3.2020

•        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kl einezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau , Zugriff 10.3.2020

•        MDR 16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nac hrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020

•        ORF - Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-556 03/, Zugriff 10.3.2020

•        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true , Zugriff

10.3.2020

•        Presse.at (19.3.2018): Putin: „Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen“, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst- sich-um-Machtzentrum-zusammen , Zugriff 10.3.2020

•        RIANowosti (23.9.2016): ^MK yTBepflun pe3ynbra™ BbiöopoB b rocgyMy, https://ria.ru/2016092 3/1477668197.html , Zugriff 10.3.2020

•        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://dersta ndard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

•        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-w ahl-putin-101.html , Zugriff 10.3.2020

•        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/ politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau , Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben - eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau

12.2019) .

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale" dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von In- guschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau

12.2019) . Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaer- tiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation- stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

•        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

•        NZZ - Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich- zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

•        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/lo- cal/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, htt- ps://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Dagestan

Letzte Änderung: 09.04.2020

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 13.1.2020). Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands (AA 13.2.2019, vgl. ÖB Moskau 12.2019).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien (SWP 4.2015) und wird nicht ganz so ausgeprägt kontrolliert wie in Tschetschenien (AA 13.2.2019). Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht automatischen Herrschaftsverhältnissen entgegen (SWP 4.2015). Die Bewohner Dagestans sind hinsichtlich persönlicher Freiheit besser gestellt, und auch die Menschenrechtslage ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien (AA 13.2.2019), obwohl auch in Dagestan mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einhergehen (AA 13.2.2019, vgl. SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew wurde das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien ausgehebelt. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden; im Nordkaukasus hatte er davon jedoch Abstand genommen. Wassiljew ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll (NZZ 12.2.2018).

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet, um die wirtschaftlich abgeschlagene und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängende NordkaukasusRepublik auszubeuten. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018, vgl. Standard.at 5.2.2018).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaer- tiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation- stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentati- on (13.1.2020): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen, htt- ps://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan- zeitachse-von-angriffen/, Zugriff 10.3.2020

•        Dekoder (24.5.2016): Nicht-System-Opposition, https://www.dekoder.org/de/gnose/nicht-system- opposition, Zugriff 10.3.2020

•        NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan: Moskau räumt im Nordkaukasus auf, https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-auf-ld.1356351, Zugriff

10.3.2020

•        ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff

10.3.2020

•        Standard.at (5.2.2018): Regierungsspitze in russischer Teilrepublik Dagestan festgenommen, https://www.derstandard.at/story/2000073692298/regierungsspitze-in-russischer-teilrepublik-da- gestan-festgenommen, Zugriff 10.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff

10.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.04.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien

hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff

19.3.2020

•        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufent- halt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

•        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutsch- landfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

•        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russ- land/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

•        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_- hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz", eine „Provinz Kaukasus", als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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