TE Vfgh Erkenntnis 2021/6/23 E1702/2021 ua

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Veröffentlicht am 23.06.2021
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gerichtsakt
StGG Art2, Art5
EMRK 1. ZP Art1
EpidemieG 1950 §24, §32
COVID-19-MaßnahmenG §2
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 98/2020 §2
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte wegen Nichtgewährung eines Verdienstentgangs nach dem EpidemieG 1950 an Energieversorger und -netzbetreiber auf Grund Umsatzeinbußen infolge von Betretungsverboten nach einer COVID-19-MaßnahmenV; kein Vorliegen einer Verkehrsbeschränkung wegen Bestehens einer Ausnahmeregelung vom Betretungsverbot für "berufliche Zwecke"

Spruch

Die beschwerdeführenden Gesellschaften sind durch die angefochtenen Erkenntnisse weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerden und Vorverfahren

1.1. Mit Schriftsätzen vom 14. August 2020 stellte die zu E1702/2021, zu E1731/2021, zu E1732/2021 und zu E1733/2021 beschwerdeführende Gesellschaft, ein Energieversorgungsunternehmen, bei den Bezirkshauptmannschaften Amstetten, Gänserndorf, Scheibbs und Korneuburg Anträge auf Vergütung des Verdienstentgangs gemäß §32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) und begründete diese jeweils damit, dass die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020 (im Folgenden kurz: COVID-19-Maßnahmenverordnung-98), an die Allgemeinheit gerichtete Ausgangs- und Betretungsverbote und damit Verkehrsbeschränkungen iSv §32 Abs1 Z7 EpiG verfügt habe, die einen Verdienstentgang der beschwerdeführenden Gesellschaft zur Folge gehabt hätten.

1.2. Ebenfalls mit Schriftsatz vom 14. August 2020 stellte die zu E1704/2021 beschwerdeführende Gesellschaft, ein Energienetzbetreiber, bei der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten einen Antrag auf Vergütung des Verdienstentgangs gemäß §32 EpiG und begründete diesen damit, dass die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020 (COVID-19-Maßnahmenverordnung-98), an die Allgemeinheit gerichtete Ausgangs- und Betretungsverbote und damit Verkehrsbeschränkungen iSv §32 Abs1 Z7 EpiG verfügt habe, die einen Verdienstentgang der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Folge gehabt hätten.

2. Die angerufenen Bezirkshauptmannschaften gaben diesen Anträgen keine Folge. Die dagegen jeweils erhobenen Beschwerden wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit den nunmehr in Beschwerde gezogenen Erkenntnissen als unbegründet ab und begründete dies unter anderem damit, dass die COVID-19-Maßnahmenverordnung-98 keine Verkehrsbeschränkungen nach §24 EpiG verfügt habe.

3. Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten, im Wesentlichen gleichlautenden Beschwerden, in denen die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG, Art2 StGG) und auf Unversehrtheit des Eigentums (Art1 des 1. ZPEMRK) sowie die Verletzung in Rechten infolge Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§32 Abs1 Z7 EpiG idF BGBl 702/1974) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse begehrt wird.

3.1. Zunächst bringen die beschwerdeführenden Gesellschaften vor, die COVID-19-Maßnahmenverordnung-98 habe umfangreiche Ausgangsbeschränkungen und Betretungsverbote verfügt. Diese hätten "praktisch zum Erliegen von großen Teilen der österreichischen Wirtschaft" geführt. Dadurch sei es zu einem massiven Einbruch der Nachfrage nach den Energieversorgungs- bzw Netzdienstleistungen der beschwerdeführenden Energieunternehmen gekommen, woraus sich ein jeweils näher bezifferter Verdienstentgang ergeben habe.

3.2. Ihre Beschwerdegründe führen die beschwerdeführenden Gesellschaften gleichlautend wie folgt aus (ohne die Hervorhebungen und Fußnoten im Original):

"6.1. Verletzung des Gleichheitssatzes

Das LVwG NÖ wies unseren Antrag auf Vergütung des Verdienstentgangs mit der Begründung ab, dass die Verordnung BGBl II Nr 98/2020 auf Grundlage des COVID-19-MG erlassen worden sei. Aus diesem Grund gelange das Entschädigungsregime des EpidemieG nach Ansicht des LVwG NÖ nicht zur Anwendung, zumal nur explizit auf Grundlage des EpidemieG verfügte Maßnahmen Entschädigungsansprüche nach EpidemieG begründen würden. Die Verordnung BGBl II Nr 98/2020 sei demgegenüber auf Grundlage des COVID-19-MG erlassen worden und begründe daher keine Anwendbarkeit des EpidemieG. Seine Rechtsansicht untermauert das LVwG NÖ mit einem Hinweis auf ein zu Betriebsschließungen (§20 EpidemieG) ergangenes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs. Dort vertrat der VwGH die Ansicht, dass §4 Abs3 COVID-19-MG, wonach die Bestimmungen des EpidemieG unberührt bleiben weder den Inhalt noch den Anwendungsbereich des EpidemieG verändert. Folglich würden die unter dem COVID-19-MG verfügten Betriebsschließungen bzw Betriebsbeschränkungen keinen Entschädigungsanspruch nach EpidemieG begründen (VwGH vom 24.02.2021, Ra 2021/03/0018).

Dabei übersieht das LVwG NÖ, dass die zu Betriebsschließungen ergangene Judikatur für unseren Fall nicht einschlägig ist. Das vom LVwG NÖ zitierte VwGH-Erkenntnis setzt sich nur mit Betriebsschließungen und nicht auch mit Verkehrsbeschränkungen auseinander. Die mit Verordnung BGBl II Nr 96/2020 angeordneten Betriebsschließungen sind mit den Verkehrsbeschränkungen der BGBl II Nr 98/2020 nicht vergleichbar, zumal nur in Bezug auf Betriebsschließungen (§1 COVID-19-MG) die Bestimmungen des EpidemieG verdrängt wurden (vgl §4 Abs2 COVID-19-MG). In Bezug auf Verkehrsbeschränkungen gem §2 COVID-19-MG blieben die Bestimmungen des EpidemieG uneingeschränkt aufrecht (vgl §4 Abs3 COVID-19-MG). Eine §4 Abs2 COVID-19-MG entsprechende Ausschlussbestimmung gibt es in Bezug auf Verkehrsbeschränkungen nicht, sodass ein Entschädigungsanspruch nach §32 AbsI Z7 EpidemieG auch nach Einführung des COVID-19-MG und einer darauf gestützten Verordnung BGBl II Nr 98/2020 weiter Bestand hatte.

Die Nichtanwendbarkeit des Entschädigungsregimes des EpidemieG wäre aus den nachstehenden Gründen verfassungswidrig:

Mit Hilfe von Verkehrsbeschränkungen für Bewohner bestimmter Ortschaften trifft §24 EpidemieG Vorkehrungen zur Verhütung und Bekämpfung bestimmter Krankheiten. Zu diesen zählen auch Infektionen mit dem COVID-19-Virus. Dieses Ziel entspricht jenem des §2 COVID-19-MG. Auch die Form der zur Zielerreichung erforderlichen Maßnahmen ist identisch. Sowohl §24 EpidemieG als auch §2 COVID-19-MG ermächtigen zu Verkehrsbeschränkungen. Damit sind unter den beiden Regelwerken gesetzten Maßnahmen auch weitgehend wirkungsgleich.

§32 Abs1 Z7 EpidemieG idgF normiert eine Vergütung für die Vermögensnachteile, die einer natürlichen oder juristischen Person durch die Behinderung ihres Erwerbs entstanden sind, wenn und soweit diese in einer Ortschaft berufstätig ist, über welche Verkehrsbeschränkungen gemäß §24 EpidemieG verhängt worden sind. Das LVwG NÖ argumentiert, dass der Tatbestand des §32 Abs1 Z7 EpidemieG ungeachtet der im Laufe der COVID-19-Krise zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 neu entwickelten Rechtsinstrumente nicht erweitert wurde, sondern weiterhin ausschließlich auf die Maßnahmen des §24 EpidemieG abstellt. Folglich wären durch Verkehrsbeschränkungen bedingte Vermögensnachteile nur dann vollständig zu entschädigen, wenn die entsprechenden Maßnahmen auf Grundlage des §24 EpidemieG ergehen. Verkehrsbeschränkende Maßnahmen des COVID-19-MG würden hingegen nach Ansicht des LVwG NÖ keinen Vergütungsanspruch gemäß §32 Abs1 Z7 EpidemieG begründen. Diese Ansicht des LVwG NÖ hätte aber zur Folge, dass in Bezug auf einen Verdienstentgang, der aus den verkehrsbeschränkenden Maßnahmen des COVID-19-MG resultiert, kein Anspruch auf Vergütung besteht, sondern anstelle dieses Anspruchs lediglich die den Entschädigungen des EpidemieG der Höhe nach nicht vergleichbaren Unterstützungsleistungen des alternativen Maßnahmen- und Rettungspakets zustehen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass auf diese Unterstützungsleistungen - anders als bei den Entschädigungsansprüchen nach EpidemieG - kein Rechtsanspruch besteht. Außerdem sind öffentliche Unternehmen wie jenes der ********************* [bzw ************] von den Unterstützungsleistungen weitgehend ausgeschlossen. Sie würden daher im Fall von Verkehrsbeschränkungen gem COVID-19-MG keine finanzielle Unterstützung oder Kompensation erhalten, während der Verdienstentgang bei den inhaltlich weitgehend identischen Verkehrsbeschränkungen des §24 EpidemieG vollständig vergütet werden würde. Eine solche gesetzliche Entschädigungssystematik, die nicht nach Rechtseingriff und Wirkung, sondern ausschließlich danach unterscheidet, ob eine Verkehrsbeschränkung nach EpidemieG oder nach COVID-19-MG verordnet wurde, ließe sich aber mit dem verfassungsgesetzlichen Gleichheitssatz des Art7 B-VG und Art2 StGG nicht vereinbaren. Das LVwG NÖ unterstellt somit §§32 Abs1 Z7 EpidemieG einen gleichheitswidrigen Inhalt und verletzt uns damit in unserem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht.

Tatsächlich ist das EpidemieG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die nach §2 COVID-19-MG angeordneten Verkehrsbeschränkungen einen Entschädigungsanspruch nach §32 Abs1 Z7 EpidemieG begründen:

Gemäß §24 EpidemieG können für die Bewohner von Epidemiegebieten Verkehrsbeschränkungen sowie Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden. Die Ausgestaltung der Verkehrsbeschränkungen ist gesetzlich nicht näher präzisiert und daher auslegungsbedürftig. Im Wege der Interpretation erweisen sich die Verkehrsbeschränkungen des EpidemieG als sehr weitgehende und umfassende Maßnahmen, die sämtliche Einschränkungen der Freizügigkeit der Person inkludieren. Dieser weite Begriff schließt damit jede Form von Betretungsverboten und Ausgangsbeschränkungen ein. Vor diesem Hintergrund sind daher auch die Betretungsverbote des §2 COVID-19-MG als Verkehrsbeschränkungen iSd §24 EpidemieG zu qualifizieren. Aufgrund der 'Maßnahmenidentität' ist festzustellen, dass mit den Verkehrsbeschränkungen des §2 COVID-19-MG die im EpidemieG schon lange bestehende gesetzliche Grundlage für die Verfügung von Verkehrsbeschränkungen dupliziert wurde. Dies lässt sich in Bezug auf die betriebsbeschränkenden Maßnahmen, die bereits Gegenstand höchstgerichtlicher Rechtsprechung waren, nicht sagen: Da die Maßnahmen des §20 EpidemieG von jenen des §1 COVID-19-MG divergieren, ist die zum Verhältnis zwischen §1 COVID-19-MG und §20 EpidemieG ergangene Judikatur auf verkehrsbeschränkende Maßnahmen nicht übertragbar.

Der VfGH stellte dennoch zwischen den verkehrsbeschränkenden Maßnahmen des EpidemieG und den Betriebsschließungen insoweit einen Konnex her, als der Anwendungsbereich des §24 EpidemieG unter Hinweis auf die Ausführungen zu §20 EpidemieG im Erkenntnis 14.07.2020, G202/2020-20, V408/2020-20 RZ 120 auf die Fälle kleinräumiger Verkehrsbeschränkungen begrenzt sein soll (VfGH-Beschluss E3544/2020-8 vom 26.11.2020). Im zitierten Erkenntnis führt der VfGH aus, dass der Gesetzgeber des EpidemieG von einer lokal begrenzten Epidemie ausgegangen war. Diese pauschale Annahme trifft aber nicht auf das gesamte EpidemieG zu und steht mit der Systematik sowie der Entstehungsgeschichte des Gesetzes im Widerspruch. Erstens ist es nicht denkbar, dass ein aus der Zeiten der Monarchie stammendes Gesetz keine Vorkehrungen für die Vorbeugung ansteckender Krankheiten vorsah, die der damaligen Größe des Staatsgebiets gerecht und für dieses adäquat wären. Es ist außerdem kaum vorstellbar, dass trotz der Komplexität der österreichischen Rechtsordnung bis vor kurzem keine Regelungen zur Bekämpfung von Pandemien existierten. Dies auch vor dem Hintergrund, dass das EpidemieG explizit in Hinblick auf drohende Pandemien novelliert wurde: Mit der Novelle 2006 (BGBl I Nr 114/2006) wurde die Verordnungsermächtigung des §24 EpidemieG auf alle anzeigepflichtigen Krankheiten ausgedehnt und zwar unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Möglichkeit der Verordnung von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen für den Fall einer (Influenza-)Pandemie. Es kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass der Gesetzgeber §24 EpidemieG schon immer und insbesondere auch in jüngerer Vergangenheit als Ermächtigung für die Verfügung von nicht nur klein-, sondern auch großräumigen Verkehrsbeschränkungen verstanden wissen wollte, zumal gerade die mit der Novelle 2006 adressierte Influenza-Pandemie überregionale bis hin zu bundesweiten Maßnahmen erfordert.

[…]

Aus dem Umstand, dass die Betriebsschließungen des §20 EpidemieG möglicherweise die Eigenheit des COVID-19-Virus nicht vollständig berücksichtigen und gerade diese Maßnahme zur Bekämpfung einer Pandemie zu kleinteilig und ungeeignet ist, darf nicht zwangsläufig die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie nicht auf Grundlage des EpidemieG ergehen können.

Nach Ansicht des VfGH erstreckt sich die Wirkung der Verkehrsbeschränkungen des §24 EpidemieG nicht auf alle Rechtsunterworfene, was wohl auch damit zu begründen ist, dass sich die Maßnahmen des §24 EpidemieG auf die Bewohner bestimmter Ortschaften beziehen. Nichts anderes hatte jedoch §2 COV1D-19-MG zum Gegenstand, der auf bestimmte Orte abstellte. Demnach ermächtigte §2 COVID-19-MG zur Anordnung von Betretungsverboten hinsichtlich bestimmter Orte, wie insbesondere regional begrenzte Gebiete wie Ortsgebiete oder Gemeinden., Dadurch wird es aber offenkundig, dass auf Grundlage des §2 COVID-19-MG und §24 EpidemieG weitgehend identische und wirkungsgleiche Maßnahmen ergehen konnten. Auch nach §2 COVID-19-MG waren regionale Anordnungen von Bezirksverwaltungsbehörden möglich. Vor diesem Hintergrund ist das vom VfGH dargelegte Argument der Kleinräumigkeit von Verkehrsbeschränkungen als Rechtfertigung für das (Nicht-)Bestehen der Entschädigungspflicht gemäß EpidemieG auf Verkehrsbeschränkungen des §2 COVID-19-MG nicht übertragbar, wenn man diese 'Kleinräumigkeit' unbedingt als eine geografische Größe verstehen will. Dieses Verständnis ist zudem nicht zwingend. Die Qualifizierung der Maßnahmen des §.24 EpidemieG als kleinräumige Verkehrsbeschränkungen könnte genauso gut im Hinblick auf den (beschränkten) Adressatenkreis der wirtschaftlich betroffenen Erwerbstätigen erfolgen: Die vom VfGH getroffene Feststellung zur Kleinräumigkeit von Verkehrsbeschränkungen des §24 EpidemieG wurde im Zuge des Vergleichs dieser Maßnahme mit jener des §25 EpidemieG betreffend Verkehrsbeschränkungen mit Auslandsbezug getroffen. Diese erfolgen entschädigungslos, was nach Ansicht des VfGH damit zu rechtfertigen ist, dass die besagten Maßnahmen 'alle' und somit die gesamte Bevölkerung betreffen. Diese Eigenschaft kann den Verkehrsbeschränkungen nicht unterstellt werden und zwar weder jenen nach §24 EpidemieG noch jenen nach §2 COVID-19-MG. Der Adressatenkreis der von den Verkehrsbeschränkungen betroffenen Erwerbstätigen zeigt sich am besten im Rahmen eines Vergleichs zum breiten Adressatenkreis der betriebsbeschränkenden Maßnahmen des COVID-19-MG, die zugleich den Anwendungsbereich des §2 COVID-19-MG bestimmen. Wie der VfGH im Erkenntnis G202/2020-20, V408/2020-20, in Rz 105 ausdrücklich feststellte, umfasste der Anwendungsbereich der auf Grundlage des §1 COVID-19-MG erlassenen Verordnung nahezu alle Handels- und Dienstleistungsunternehmen und damit fast alle Wirtschaftszweige. In diesem Sinne sind die Verkehrsbeschränkungen des §2 COVID-19-MG als Auffangtatbestand zu sehen, die zwangsläufig, selbst bei bundesweiter Anordnung, einen weit kleineren Adressatenkreis der benachteiligten Erwerbstätigen haben. Auch dieser Umstand begründet die Notwendigkeit der Anwendbarkeit des Entschädigungsregime[s] des EpidemieG auf die verkehrsbeschränkenden Maßnahmen des COVID-19-MG, sollte man behaupten, dass dieses aus budgetären Gründen nur bei epidemiologischen Ausbrüchen kleineren Ausmaßes zur Anwendung gelangen soll. Gerade die Rechtfertigung der Differenzierung bei den Vergütungsansprüchen mit dem Ziel der Schonung des Staatshaushalts ist dann nicht vertretbar, wenn der Kreis der Anspruchsberechtigten aufgrund der Eigenart der Maßnahme von vornherein überschaubar ist. Daraus folgt, dass die verkehrsbeschränkenden Maßnahmen des EpidemieG und des COVID-19-MG nicht nur qualitativ (Art der Maßnahmen), sondern auch quantitativ (Kreis der betroffenen Erwerbstätigen) identisch und wirkungsgleich sind. Diese Ansicht ist auch mit der Rechtsprechung des VfGH vereinbar, wenn dieser im Erkenntnis vom 14.07.2020, V363/2020-25, in Rz 45, die Verordnungsermächtigung des §2 COVID-19-MG als eine lex specialis gegenüber §24 EpidemieG ansieht. Die Grundvoraussetzung zur Anwendung der Derogationsregel lex specialis derogat legi generali ist nämlich die Übereinstimmung der Anwendungsbereiche und damit der von den Bestimmungen erfassten Sachverhalte. Wäre §2 COVID-19-MG ausschließlich auf Pandemien und §24 EpidemieG lediglich auf lokale Epidemien anwendbar, könnte §2 COVID-19-MG mangels Vergleichbarkeit der Anwendungsbereiche keine lex specialis zu §24 EpidemieG bilden.

An dieser Stelle erlauben wir uns aber die Ansicht, dass §2 COVID-19-MG eine lex specialis zu §24 EpidemieG bildet, insoweit zu hinterfragen, als das EpidemieG in zeitlicher Hinsicht sowie im Hinblick auf den Umfang der vom Gesetz erfassten Krankheiten zwar einen sehr viel weiteren Anwendungsbereich aufweist. Da es sich aber bei Verkehrsbeschränkungen germ §2 COVID-19-MG und §24 EpidemieG um weitgehend identische Maßnahmen mit der gleichen Zielsetzung handelt, liegt aus unserer Sicht kein auflösungsbedürftiger Normenkonflikt vor, sodass es zu keiner Derogation entsprechend der Regel /ex specialis derogat legi generell kommt. Darüber hinaus bildet diese Regel nur eine Auslegungsmethode, bei deren Anwendung der Wille des Normsetzers zu berücksichtigen ist und deren Ergebnisse mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut im Einklang stehen müssen. Diesen Willen hat der Gesetzgeber des COVID-19-MG auch unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, indem er in §4 Abs3 COVID-19-MG explizit anordnete, dass die Bestimmungen des EpidemieG unberührt bleiben sollen. Die Bestimmung des §4 Abs3 COVID-19-MG kann nur dahingehend verstanden werden, dass die Rechtsgrundlage für die Anordnung von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen durch §2 COVID-19-MG dupliziert wurde. Insbesondere wurde mit COVID-19-MG kein neues Ordnungssystem zur Bekämpfung der Corona-Krise geschaften, das die Regelungen des EpidemieG vollständig ersetzt und damit eine isolierte Beurteilung der systemzugehörigen Maßnahmen erlauben würde. Die punktuellen Maßnahmen des COVID-19-MG im Zusammengang mit der Anordnung des §4 Abs3 COVID-19-MG beweisen gerade das Gegenteil. Es ist daher für den Bereich der Verkehrsbeschränkungen von einem Nebeneinander von zwei Systemen auszugehen.

Vor diesem Hintergrund wäre bei der Beurteilung von Entschädigungsansprüchen eine Differenzierung zwischen Maßnahmen nach §24 EpidemieG einerseits und Maßnahmen nach §2 COVID-19-MG andererseits nicht zu rechtfertigen und aufgrund des damit einhergehenden Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig. §§32 Abs1 Z7 EpidemieG ist daher verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass nicht nur ausdrücklich auf §24 EpidemieG gestützte Verkehrsbeschränkungen, sondern auch die nach Verordnung BGBl II Nr 98/2020 (insb §1, wonach das Betreten öffentlicher Orte grundsätzlich generell verboten ist) angeordneten Verkehrsbeschränkungen einen Entschädigungsanspruch nach §32 Abs1 Z7 EpidemieG begründen. Diese Auslegung findet aufgrund von §4 Abs3 COVID-19-MG Deckung im Gesetz, zumal diese Bestimmung für den Bereich der Verkehrsbeschränkungen gem §2 COVID-19-MG die uneingeschränkte Anwendbarkeit des EpidemieG ausdrücklich normiert.

Vor diesem Hintergrund unterstellt das LVwG NÖ §§32 Abs1 Z7 iVm 24 EpidemieG einen verfassungswidrigen Inhalt, wenn es unseren Antrag auf Vergütung des Verdienstentgangs mit der Begründung ablehnt, dass auf §2 COVID-19-MG gestützte Verkehrsbeschränkungen allgemein keinen Entschädigungsanspruch nach §32 Epi-demieG begründen.

6.2      Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes

Sollte der VfGH die Ansicht des LVwG NÖ teilen, wonach ein Entschädigungsanspruch nach §32 Abs1 Z7 EpidemieG zu verneinen ist, sind wir in unserem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz aufgrund der Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich §32 Abs1 Z7 EpidemieG BGBl Nr 186/1950 idF BGBl Nr 702/1974, verletzt. Dies ist mit den unter Pkt 6.1 oben stehenden Ausführungen zum Gebot der verfassungskonformen Auslegung sowie mit den nachstehenden Argumenten zu begründen:

Der Gleichheitssatz des Art7 B-VG und Art2 StGG ordnet an, dass alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind, womit eine Ungleichbehandlung von Gleichem verboten wird. Das bedeutet, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, andere als sachlich begründbare Differenzierungen zwischen den Normadressaten zu schaffen. Die gesetzlichen Differenzierungen können ihre Begründung in den Unterschieden im Tatsächlichen haben. Für die Sachlichkeit einer Differenzierung zwischen unterschiedlichen Sachverhalten gilt jedoch kein konstanter Maßstab. Diese orientiert sich vielmehr an den aktuell gegebenen Verhältnissen und erfordert, dass die Rechtsordnung den sich ändernden Umständen folgt. Gesetze müssen daher, um dem Gleichheitssatz zu entsprechen, nicht nur im Zeitpunkt ihrer Erlassung, sondern jederzeit sachgerecht sein. Daraus folgt, dass ein anfangs verfassungskonformes Gesetz im Laufe der Zeit gleichheitswidrig werden kann.

Würde der Rechtsansicht des LVwG NÖ gefolgt werden, wonach nur dann Entschädigungsleistungen gemäß EpidemieG zu tragen kommen, wenn die anspruchsbegründenden Maßnahmen ausdrücklich (und ausschließlich) gemäß §24 EpidemieG erlassen wurden, wäre §32 Abs1 Z7 EpidemieG gleichheitswidrig. Denn im Unterschied zum ursprünglichen Ordnungsregime des EpidemieG, welches nur Maßnahmen und Entschädigungsleistungen gemäß EpidemieG kannte, wurde das österreichische Recht zur Bekämpfung von Pandemien nun um das neue (parallele) Ordnungsregime des COVID-19-MG und die dort vorgesehene Rechtsgrundlage zur Anordnung von Verkehrsbeschränkungen erweitert, ohne dass dies - durch eine entsprechende Novellierung des EpidemieG - in §32 Abs1 Z7 EpidemieG entsprechend Berücksichtigung gefunden hätte. Dieser Fehler des Gesetzgebers hat zur Folge, dass für Maßnahmen, die sowohl im Hinblick auf ihre Zielsetzung als auch im Hinblick auf ihre Wirkung für die Normadressaten gleich sind, unterschiedliche Entschädigungsregeln gelten, einzig und allein abhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage diese Maßnahmen angeordnet wurden. Für die nach §2 COVID-19-MG angeordneten Verkehrsbeschränkungen sind ausschließlich die im Vergleich zum EpidemieG deutlich geringeren Entschädigungsleistungen des alternativen Maßnahmenpakets der Regierung vorgesehen. Wie in Pkt […] gezeigt, können wir nicht einmal diese alternativen Leistungen in Anspruch nehmen, weil wir als öffentliches Unternehmen vom alternativen Maßnahmenpaket ausgeschlossen sind. Damit bilden aber die Maßnahmen der Verordnung BGBl II Nr 98/2020 (insb §1, wonach das Betreten öffentlicher Orte grundsätzlich generell verboten ist) offenkundig eine - im Lichte des VfGH-Erkenntnisses G202/2020, V408/2020 - 'isolierte' Maßnahme, die für unser Unternehmen schwere finanzielle Verluste zur Folge hatte, für die aber gleichzeitig keine Möglichkeit auf Entschädigung vorgesehen ist. Die Verfassungswidrigkeit ist im - seit dem Inkrafttreten des COVID-19-MG unveränderten - Paragraphenverweis des §32 Abs1 Z7 EpidemieG auf §24 leg cit zu sehen, der die Anwendung des Entschädigungsregimes des EpidemieG auf die beschwerdegegenständlichen Verkehrsbeschränkungen auszuschließen scheint und damit in Bezug auf den Entschädigungsanspruch betroffener Unternehmen unsachlich zwischen gleichartigen Maßnahmen differenziert. Die Unsachlichkeit der Regelung ist offenkundig: Die von Verkehrsbeschränkungen gemäß §24 EpidemieG betroffenen (öffentlichen) Unternehmen haben einen Anspruch auf volle Vergütung ihres Verdienstentgangs, während (öffentliche) Unternehmen, die von Verkehrsbeschränkungen gemäß §2 COVID-19-MG betroffen sind, keine Vergütung ihres Verdienstentgangs erhalten und nicht einmal Leistungen aus dem vom Gesetzgeber ersatzweise geschaffenen Hilfsmaßnahmen- und Rettungspaket beziehen können.

Unbestritten kann der Gesetzgeber die geltende Rechtslage ändern und neue Ordnungssysteme schaffen. In Bezug auf die obigen Ausführungen ist nicht davon auszugehen, dass das COVID-19-MG ein isoliertes Ordnungssystem bildet. Sollte man jedoch der Ansicht sein, dass der Gesetzgeber zwecks Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-Pandemie entschädigungslose Maßnahmen einführen wollte, deren Folgen ausschließlich mit den Leistungen des alternativen Rettungspaktes auszugleichen wären, ist zu bedenken, dass ungeachtet des gesetzgeberischen Spielraums die neuen Ordnungen dem Gleichheitssatz zu entsprechen haben und diesbezüglich mit ähnlichen Ordnungen zu vergleichen sind. Sollte zudem - entgegen unserer Ansicht - hinsichtlich der Verkehrsbeschränkungen des COVID-19-MG die Regel lex specialis derogat legi generali zur Anwendung gelangen, blieben die entschädigungslosen Verkehrsbeschränkungen des COVID-19-MG trotzdem gleichheitswidrig, weil das EpidemieG bei den vergleichbaren verkehrsbeschränkenden Maßnahmen für vergleichbare Krankheitserreger eine volle Entschädigung zuspricht.

6.3      Verstoß gegen das Eigentumsrecht

Eine verfassungskonforme Auslegung der Entschädigungsbestimmungen iSd Gleichheitssatzes führt dazu, dass uns ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Entschädigung des Verdienstentgangs gem §32 EpidemieG zusteht. Der VfGH hat aus Art1 1. ZProtMRK eine Garantie für Vermögenswerte öffentlich-rechtliche Ansprüche abgeleitet, wozu zweifellos Ansprüche gemäß §32 EpidemieG zählen. Der Gesetzgeber kann zwar angesichts des in Art1 1. ZPEMRK enthaltenen Gesetzesvorbehalts Eigentumsbeschränkungen verfügen, ein derartiger Gesetzesvorbehalt kann aber weder in §2 COVID-19-MG, noch in Verordnung 98/2020 erblickt werden. Vielmehr bleiben die Bestimmungen des EpidemieG gem §4 Abs3 COVID-19-MG unberührt. Ein Ausschluss vom Entschädigungsregime wäre darüber hinaus im konkreten Fall ohnehin unverhältnismäßig, weil wir - wie unter Punkt […] ausgeführt - vom alternativen Maßnahmen- und Rettungspaket ausgeschlossen sind.

Das LVwG NÖ hat folglich das Gesetz auf denkunmögliche Weise angewendet, indem es die Auffassung vertritt, dass §32 EpidemieG nur auf Verkehrsbeschränkungen anzuwenden ist, die formaljuristisch gemäß §24 EpidemieG erlassen wurden. Es unterstellt dadurch §32 EpidemieG einen verfassungswidrigen Inhalt, der uns in unserem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums gem Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK verletzt."

II. Rechtslage:

1. §24 und §32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, idF BGBl 702/1974 (§32) und BGBl I 114/2006 (§24) lauteten wie folgt:

"Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften.

§24. Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, hat die Bezirksverwaltungsbehörde für die Bewohner von Epidemiegebieten Verkehrbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden.

[…]

Vergütung für den Verdienstentgang.

§32. (1) Natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes ist wegen der durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile dann eine Vergütung zu leisten, wenn und soweit

1. sie gemäß §§7 oder 17 abgesondert worden sind, oder

2. ihnen die Abgabe von Lebensmitteln gemäß §11 untersagt worden ist, oder

3. ihnen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gemäß §17 untersagt worden ist, oder

4. sie in einem gemäß §20 im Betrieb beschränkten oder geschlossenen Unternehmen beschäftigt sind, oder

5. sie ein Unternehmen betreiben, das gemäß §20 in seinem Betrieb beschränkt oder gesperrt worden ist, oder

6. sie in Wohnungen oder Gebäuden wohnen, deren Räumung gemäß §22 angeordnet worden ist, oder

7. sie in einer Ortschaft wohnen oder berufstätig sind, über welche Verkehrsbeschränkungen gemäß §24 verhängt worden sind,

und dadurch ein Verdienstentgang eingetreten ist.

(2) Die Vergütung ist für jeden Tag zu leisten, der von der in Abs1 genannten behördlichen Verfügung umfaßt ist.

(3) Die Vergütung für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist nach dem regelmäßigen Entgelt im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes, BGBl Nr 399/1974, zu bemessen. Die Arbeitgeber haben ihnen den gebührenden Vergütungsbetrag an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen. Der Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund geht mit dem Zeitpunkt der Auszahlung auf den Arbeitgeber über. Der für die Zeit der Erwerbsbehinderung vom Arbeitgeber zu entrichtende Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung und der Zuschlag gemäß §21 des Bauarbeiterurlaubsgesetzes 1972, BGBl Nr 414, ist vom Bund zu ersetzen.

(4) Für selbständig erwerbstätige Personen und Unternehmungen ist die Entschädigung nach dem vergleichbaren fortgeschriebenen wirtschaftlichen Einkommen zu bemessen.

(5) Auf den gebührenden Vergütungsbetrag sind Beträge anzurechnen, die dem Vergütungsberechtigten wegen einer solchen Erwerbsbehinderung nach sonstigen Vorschriften oder Vereinbarungen sowie aus einer anderweitigen während der Zeit der Erwerbsbehinderung aufgenommenen Erwerbstätigkeit zukommen."

2. §1, §2 und §4 COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I 12/2020, idF BGBl I 23/2020 lauteten:

"Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen sowie Arbeitsorte

§1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitsorte im Sinne des §2 Abs3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen Betriebsstätten oder Arbeitsorte betreten werden dürfen.

Betreten von bestimmten Orten

§2. Beim Auftreten von COVID-19 kann durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Die Verordnung ist

1. vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt,

2. vom Landeshauptmann zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Landesgebiet erstreckt, oder

3. von der Bezirksverwaltungsbehörde zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf den politischen Bezirk oder Teile desselben erstreckt.

Das Betretungsverbot kann sich auf bestimmte Zeiten beschränken. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen jene bestimmten Orte betreten werden dürfen.

[…]

Inkrafttreten

§4. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.

(1a) Abs2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 16/2020 tritt rückwirkend mit 16. März 2020 in Kraft.

(2) Hat der Bundesminister gemäß §1 eine Verordnung erlassen, gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, betreffend die Schließung von Betriebsstätten im Rahmen des Anwendungsbereichs dieser Verordnung nicht zur Anwendung.

(3) Die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 bleiben unberührt.

(4) Verordnungen auf Grund dieses Bundesgesetzes können vor seinem Inkrafttreten erlassen werden, dürfen jedoch nicht vor diesem in Kraft treten.

(5) §§1, 2 und §2a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 23/2020 treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft."

3. Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020, lautete wie folgt:

"Auf Grund von §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, wird verordnet:

§1. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist das Betreten öffentlicher Orte verboten.

§2. Ausgenommen vom Verbot gemäß §1 sind Betretungen,

1. die zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum erforderlich sind;

2. die zur Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen dienen;

3. die zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der Deckung des Bedarfs zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann;

4. die für berufliche Zwecke erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann;

5. wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten.

§3. Die Benützung von Massenbeförderungsmitteln ist nur für Betretungen gemäß §2 Z1 bis 4 zulässig, wobei bei der Benützung ein Abstand von mindestens einem Meter gegenüber anderen Personen einzuhalten ist.

§4. Im Fall der Kontrolle durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind die Gründe, warum eine Betretung gemäß §2 zulässig ist, glaubhaft zu machen.

§5. Diese Verordnung tritt mit 16. März 2020 in Kraft und mit Ablauf des 22. März 2020 außer Kraft."

Nach Novellierungen durch BGBl II 107/2020, BGBl II 108/2020, BGBl II 148/2020 und BGBl II 162/2020 trat die COVID-19-Maßnahmenverordnung-98 mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft (§13 Abs2 Z2 COVID-19-Lockerungsverordnung). Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 14. Juli 2020, V363/2020, festgestellt, dass unter anderem §1 der COVID-19-Maßnahmenverordnung-98 gesetzwidrig war, und ausgesprochen, dass die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind (siehe die Kundmachung in BGBl II 351/2020).

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

1. Die – zulässigen – Beschwerden sind nicht begründet:

2. Der beschwerdeführende Energieversorger und der beschwerdeführende Energienetzbetreiber begehren Vergütung nach §32 Abs1 Z7 EpiG für Umsatzeinbußen, die sie in Folge der durch die COVID-19-Maßnahmenverordnung-98 verfügten Verbote des Betretens öffentlicher Orte erlitten haben; diese Verbote seien eine Verkehrsbeschränkung iSv §24 EpiG iVm §32 Abs1 Z7 EpiG.

3. §24 EpiG idF BGBl I 114/2006 hat zu Verkehrsbeschränkungen für "Bewohner von Epidemiegebieten" ermächtigt. §32 Abs1 Z7 EpiG idF BGBl 702/1974 sah die Vergütung des Verdienstentganges für Personen vor, die in "einer Ortschaft wohnen oder berufstätig sind, über welche Verkehrsbeschränkungen gemäß §24 [EpiG] verhängt worden sind", wenn "dadurch" ein Verdienstentgang eingetreten ist. Der Verfassungsgerichtshof hegt vor dem Hintergrund der Beschwerdefälle keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §32 Abs1 Z7 EpiG idF BGBl 702/1974.

4. Die COVID-19-Maßnahmenverordnung-98 hatte schon deshalb keine Verkehrsbeschränkung iSd §32 Abs1 Z7 EpiG zum Gegenstand, weil §2 Z4 der Verordnung "berufliche Zwecke" vom Verbot des Betretens öffentlicher Orte ausgenommen hat.

5. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat daher die beschwerdeführenden Gesellschaften, indem es deren, gestützt auf §32 Abs1 Z7 iVm §24 EpiG iVm der COVID-19-Maßnahmenverordnung-98 geltend gemachte Vergütungsansprüche verneint hat, weder in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art7 B-VG, Art2 StGG) bzw auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 des 1. ZPEMRK) noch in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten noch in Rechten infolge Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt.

IV. Ergebnis

1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

2. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die beschwerdeführenden Gesellschaften in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurden. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurden.

3. Die Beschwerden sind daher abzuweisen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

COVID (Corona), Eigentumsbeschränkung, Recht auf Freizügigkeit, Einkünfte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E1702.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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