TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/30 I421 2240864-1

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Veröffentlicht am 30.03.2021
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Entscheidungsdatum

30.03.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I421 2240864-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. RUMÄNIEN, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Tirol (BFA-T) vom 02.03.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid hat die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer (BF) ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunk I), keinen Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II) und einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III).

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesveraltungsgericht erhoben. Die belangte Behörde hat Beschwerden und Behördenakt mit Schriftsatz an das Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und langte der Akt in der zuständigen Abteilung beim Bundesverwaltungsgericht Außenstelle Innsbruck am 30.03.2021 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige BF ist rumänischer Staatsangehöriger, dessen Identität feststeht. Er ist nicht im Besitz einer Anmeldebescheinigung.

Er ist seit 28.01.2020 in Österreich aufhältig, wobei er zu keinem Zeitpunkt einer Erwerbstätigkeit nachging, abgesehen von seinem Haftaufenthalt war der BF im Bundesgebiet mit einer Obdachlosenmeldung melderechtlich erfasst. Seit dem 16.02.2021 befand sich der BF in Auslieferungshaft auf Grund eines europäischen Haftbefehls in der Justizanstalt XXXX . Mittlerweile ist der BF mit seiner Zustimmung an Deutschland am 12.03.2021 ausgeliefert (AS 233ff).

Der Strafregisterauszug der Republik Österreich weist zur Person des BF keine Verurteilung auf.

Es liegen mehrere polizeiliche Abschlussberichte vor, die den Beschwerdeführer als Tatverdächtigen bezüglich Eigentumsdelikten nennen. Der Beschwerdeführer hat sich bislang nicht geständig verantwortet, ausgenommen eines Ladendiebstahls (AS 5).

Aus der ECRIS Abfrage (AS 149 ff und 185ff) bezüglich des BF ergibt sich, dass der Beschwerdeführer in Deutschland über Jahre durch Straftaten in Erscheinung getreten ist, vornehmlich wegen Vermögensdelikten (Diebstahl), strafgerichtlich mehrfach verurteilt wurde und auch in Strafhaft war. Der europäische Haftbefehl wurde gegen den Beschwerdeführer wegen Diebstahls ausgestellt.

In Österreich steht der BF unter Verdacht mehrere Diebstähle und mehrere Einbruchdiebstähle begangen zu habe.

Das aktuelle Strafregister des Beschwerdeführers weist keine Verurteilung aus.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Verfahrensgang

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

2.2. Zum Sachverhalt:

Die Feststellungen basieren ebenfalls auf dem unbestrittenen Akteninhalt, dem Europäischen Haftbefehl und den Angaben des BF in seiner Beschuldigteneinvernahme sowie den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Strafregister sowie einem Sozialversicherungsdatenauszug.

Durch die Vorlage des Personalausweises (AS 109), welcher als Kopie dem Verwaltungsakt der belangten Behörde beigelegt ist, geht eindeutig die Identität und Staatsangehörigkeit des BF hervor. In einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister wird ersichtlich, dass der BF über keine Anmeldebescheinigung verfügt.

Der Umstand, dass der BF seit 28.01.2020 im Bundesgebiet aufhältig ist, ergibt sich aus dem Zentralen Melderegister. Dass der BF im Bundesgebiet zu keinem Zeitpunkt einer Erwerbstätigkeit nachging und auch abgesehen von seinem Haftaufenthalt in der Justizanstalt Innsbruck melderechtlich in Österreich nur mit einer Obdachlosenmeldung erfasst war, ist einem Sozialversicherungsdatenauszug sowie dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister zur Person des BF zu entnehmen.

Dass der BF in Deutschland strafgerichtlich verurteilt worden ist, ergibt sich aus dem Haftbefehl und der EKRIS-Abfrage.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 2 Abs 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt. Gemäß § 2 Abs 4 Z 8 FPG gilt als EWR-Bürger ein Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Aufgrund der rumänischen Staatsangehörigkeit ist der BF EWR-Bürger und folglich Fremder iSd. soeben angeführten Bestimmungen.

Zu A)

3.1.    Zur Verhängung eines fünfjährigen Aufenthaltsverbots (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1   Rechtslage

Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG idgF lautet:

§ 67 (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet wie folgt:

§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs 4 aufgehoben durch Art 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

3.1.2.  Anwendung der Rechtslage auf den vorliegenden Fall

Entsprechend § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, wobei das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Nach der Rechtsprechung ist bei der Erstellung von Gefährdungsprognosen das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und in Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FrPolG 2005 zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dessen Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne Weiteres die erforderliche Gefährdungsprognose begründen können (vgl. VwGH 12.11.2019, Ra 2019/21/0305) (VwGH 27.04.2020, Ra 2019/21/0367). Dabei hat das VwG von Amts wegen – wenn auch unter Mitwirkung des Fremden – den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln und festzustellen (vgl. VwGH 19.1.2017, Ra 2016/08/0173; VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, VwSlg. 18886 A) (VwGH 26.11.2020, Ra 2020/21/0104).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten und verantwortet sich zu den vorliegenden Anzeigen nicht –ausgenommen eines Ladendiebstahls- geständig.

Der erkennende Richter hat daher auf Grundlage der Unschuldsvermutung davon auszugehen, dass nicht erwiesen ist, ob der Beschwerdeführer in Österreich Straftaten begangen hat.

Daraus folgt, dass kein persönliches Verhalten des Beschwerdeführers festgestellt werden kann, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Damit liegt aber die Voraussetzung zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots gem. § 67 Abs 1 FPG nicht vor.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und der bekämpfte Bescheid gänzlich ersatzlos zu beheben.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf der oben in der rechtlichen Beurteilung angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs.

Schlagworte

Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben aufschiebende Wirkung Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Interessenabwägung Kassation Ladendiebstahl öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Persönlichkeitsstruktur Privat- und Familienleben private Interessen Unbescholtenheit Unschuldvermutung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I421.2240864.1.00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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