TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/12 W159 2216319-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.04.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

12.04.2021

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55

Spruch


W159 2216319-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.02.2019, 210582409/181194932, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.03.2021 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Republik Serbien, gelangte 1986 oder 1987 nach Österreich.

Die Beschwerdeführerin wurde mit Urteil des Bezirksgerichts (BG) XXXX vom 08.04.2016, XXXX , wegen §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Tagen unter Setzung einer Probefrist von drei Jahren verurteilt.

Die Beschwerdeführerin wurde mit Urteil des BG XXXX vom 02.11.2016, XXXX , wegen §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Wochen unter Setzung einer Probefrist von drei Jahren verurteilt.

Die Beschwerdeführerin wurde mit Urteil des Landesgerichts (LG) XXXX vom 10.10.2017, XXXX , wegen § 229 Abs. 1 StGB, (z.T. § 15 iVm) §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 130 Abs. 1 zweiter Fall, § 241e StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt, wobei ein Teil dieser Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten bedingt nachgesehen wurde. Die mit den obzitierten Verurteilungen gesetzten Probezeiten verlängerte das Gericht auf insgesamt fünf Jahre.

Die Beschwerdeführerin wurde mit Urteil des BG XXXX vom 15.09.2018, XXXX , wegen §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Am 26.01.2018 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, schon lange in Österreich zu leben. Sie lebe gemeinsam mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrem Sohn zusammen. Sie habe Österreich nicht verlassen, sie sei auch in den Zeiträumen, in denen sie über keine polizeiliche Meldung verfügt habe, in Österreich gewesen. Vor ihrer Einreise nach Österreich habe sie in Serbien gewohnt. Sie habe damals geheiratet, deshalb sei sie nach Österreich gekommen. Im Bundesgebiet hielten sich der Mann und die drei Kinder der Beschwerdeführerin auf. Zwei Kinder würden noch bei ihr leben, das dritte Kind lebe in Deutschland. In Serbien hielten sich die Eltern, ein Bruder und eine Schwester der Beschwerdeführerin auf.

Der Ehemann der Beschwerdeführerin arbeite als Chauffeur, er arbeite angemeldet. Die Beschwerdeführerin selbst habe zuletzt Sozialhilfe empfangen. Vor zehn Jahren habe sie in einer Reinigungsfirma gearbeitet. Dann sei sie erkrankt, sie habe Tumore an Brust und Schilddrüse gehabt. 2016 habe sie einen Tumor an der Gebärmutter gehabt. Momentan müsse sie Tabletten gegen Depressionen nehmen. Alle sechs Monate müsse sie zur Kontrolle.

Straffällig sei die Beschwerdeführerin geworden, weil sie Tabletten genommen habe, namentlich Schlaftabletten. Die Beschwerdeführerin habe sie von einem drogensüchtigen Mädchen gekauft. Als sie von den Problemen erfahren habe, habe sich die Beschwerdeführerin selbst aufgegeben. Mit ihrem Mann und ihren Kindern habe die Beschwerdeführerin deshalb Streitigkeiten. Sie sei deshalb in Behandlung. Die Beschwerdeführerin habe in Serbien keinerlei politische oder sonstige Probleme.

Mit Schreiben vom 12.12.2018 verständigte das BFA die Beschwerdeführerin vom Ergebnis der Beweisaufnahme, übermittelte ihr einen Auszug aus dem Länderinformationsblatt zu Serbien und setzte ihr eine zweiwöchige Frist ab Zustellung zur Stellungnahme.

Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid vom 15.02.2019 erließ das BFA gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt II.), setzte gemäß § 55 Abs. 1?3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführerin mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt III.) und erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.).

Rechtlich begründend führte das BFA aus, es sei iSd § 52 Abs. 4 Z 1 FPG nachträglich ein Versagungsgrund iSd § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eingetreten oder bekanntgeworden, die der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumsfreien Einreise entgegengestanden wäre. In Österreich würden der Ehemann und die Kinder der Beschwerdeführerin leben. Eine besondere Integration sei nicht gegeben. Die Beschwerdeführerin sei bereits fünfmal strafrechtlich verurteilt worden und sie begehe weiter Diebstähle. Aktuell sei Anklage gegen sie erhoben worden und sie befände sich in Haft. Die Gefahr, ihr Aufenthaltsrecht in Österreich zu verlieren, habe die Beschwerdeführerin nicht von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten. Im Hinblick auf ihr bisheriges Verhalten könne keine positive Zukunftsprognose erstellt werden. Nach Durchführung einer Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK führte das BFA aus, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässig sei.

Die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Serbien sei zulässig, weil die Tatbestände des § 50 Abs. 1?3 FPG einer solchen nicht entgegenstünden.

Gründe für das Verlängern der Frist für die freiwillige Ausreise seien nicht hervorgekommen.

§ 53 Abs. 3 Z 1 FPG sei im Falle der Beschwerdeführerin erfüllt. Sie sei seit 2011 bereits fünfmal aufgrund der gleichen schädlichen Neigung verurteilt worden und sie respektiere die österreichische Rechtsordnung nicht. Trotz legalen Aufenthaltes habe sie es nicht geschafft, sich dauerhaft zu integrieren und in Österreich Fuß zu fassen. Die Beschwerdeführerin stelle eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar und aufgrund ihres „gezeigten“ Verhaltens sei von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen. Die Gefahr, aufgrund ihrer Delinquenz ihr Aufenthaltsrecht zu verlieren, habe die Beschwerdeführerin nicht zu läutern vermocht und sie hätte dies „wohl“ bewusst in Kauf genommen. Daher könne keine positive Zukunftsprognose erstellt werden und es sei ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von sechs Jahren zu verhängen.

Dagegen erhob die – im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung durch Mag. Andreas Reichenbach, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Theobaldgasse 15/21, vertretene ? Beschwerdeführerin innerhalb offener Frist in vollem Umfang gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin macht sie soweit wesentlich geltend, nur aufgrund ihrer Medikamentenabhängigkeit strafrechtlich in Erscheinung getreten zu sein. Der Großteil der seitens der Beschwerdeführerin begangenen Straftaten sei im Versuchsstadium gescheitert und die Beschwerdeführerin habe das Unrecht der von ihr verübten Straftaten eingesehen und von ihr gehe nach einer erfolgreich absolvierten Therapie keine Gefahr mehr aus. Das BFA habe vom Erstellen einer (zutreffenden) Gefährdungsprognose Abstand genommen. Hinsichtlich der Verurteilungen der Beschwerdeführerin seien die Strafrahmen nicht ansatzweise ausgeschöpft worden und die verhängten Freiheitsstrafen seien fast zur Gänze bedingt nachgesehen worden. Zudem verfüge die Beschwerdeführerin in Österreich über ein intaktes Familienleben.

Die Beschwerde stellt die Anträge, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot aufzuheben, in eventu, den angefochtenen Bescheid beschlussmäßig aufzuheben und zur Verfahrensergänzung an das BFA zurückzuverweisen sowie die Dauer des Einreiseverbotes herabzusetzen.

Mit Schreiben vom 26.02.2020 erstattete die Beschwerdeführerin durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU) eine Stellungnahme und legte Urkunden vor.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 02.03.2021 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die serbische Sprache eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, zu der die Beschwerdeführerin mit einem Rechtsberater der BBU und ihrer Bewährungshelferin erschien. Das BFA hatte mit E-Mail vom 26.01.2021 die Abstandnahme von der Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung erklärt.

Dabei gab die Beschwerdeführerin an, zunächst mit einem Familienvisum, das mehrmals verlängert worden sei, nach Österreich gekommen zu sein. In der Folge habe sie eine rot-weiß-rot Karte erhalten, die dreimal verlängert worden sei. Asylantrag habe sie keinen gestellt. Die Beschwerdeführerin sei Analphabetin. Sie habe in Österreich als Putzfrau im Handel gearbeitet.

Der Ehemann der Beschwerdeführerin verfüge über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“, er habe wegen der COVID-19-Pandemie derzeit keine Arbeit, in der Vergangenheit habe er im Warenversand, als Zusteller und als Lkw-Fahrer gearbeitet.

In Österreich lebten die drei Kinder der Beschwerdeführerin und deren zehn Enkelkinder. Die Eltern und die Geschwister der Beschwerdeführerin lebten in Köln. Angehörige in Serbien habe die Beschwerdeführerin nicht mehr. Die Großmutter des Ehemannes habe in Serbien ein kleines Haus, sie würden aber in Österreich leben und die Beschwerdeführerin könne nicht dauerhaft dort wohnen.

Befragt, ob sie finanzielle Probleme habe, fragte die Beschwerdeführerin, wer diese momentan nicht habe. Was ihre Gesundheit betreffe sei die Beschwerdeführerin bereits sieben Mal operiert worden, an der Schilddrüse, an der Gebärmutter, an den Eierstöcken, sie habe einen gutartigen Tumor gehabt. Dieser sei entfernt worden und sei wieder gewachsen; sie habe abgenützte Knochen.

Die Beschwerdeführerin sei nicht mehr von Beruhigungsmitteln oder Psychopharmaka abhängig. Das sei ihr großes Problem gewesen. Sie gehe zum Arzt, um Injektionen zu erhalten. Die Beschwerdeführerin sei arbeitsfähig, sie gebe alles, damit sie arbeiten könne, sie sei den ganzen Tag mit dem Haushalt beschäftigt.

In Serbien habe die Beschwerdeführerin keine Probleme gehabt, sie habe aber dort niemanden mehr.

Zu ihrer Delinquenz gab die Beschwerdeführerin an, sie räume ein, straffällig geworden zu sein, das sei ein „Blödsinn“ gewesen. Sie sei in schlechten Kreisen gewesen. Ihre Taten seien nicht geplant gewesen, sie habe zu viele Tabletten genommen und nicht gewusst, was sie getan habe. Sie nehme bereits seit drei Jahren keine Medikamente mehr.

Die Beschwerdeführerin nehme regelmäßig Bewährungshilfe in Anspruch. Dies wurde von der anwesenden Bewährungshelferin bestätigt. Der Beschwerdeführerin werde regelmäßig Harn abgenommen, um festzustellen, ob die Abhängigkeit nach wie vor bestehe. Dies wurde von der anwesenden Bewährungshelferin bestätigt.

Eine Rückkehr nach Serbien wäre eine Katastrophe. Sie habe dort keine Familie und keine Wohnmöglichkeit. Es könne ihr niemand helfen. Ihre Familie sei in Österreich und brauche die Familie. In Österreich wolle die Beschwerdeführerin lesen und schreiben lernen.

Sie hinterließ einen durchaus bemühten und integrationswilligen Eindruck.

Mit Schreiben vom 17.03.2021 legte die Beschwerdeführerin durch die BBU Unterlagen vor, insbesondere einen positiven Bericht des Vereines p.a.s.s. über erfolgeiche Absovlierung einer Drogentherapie einschließlich eines aktuellen negativen Harnbefundes.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin gelangte schon 1986 oder 1987 nach Österreich lebt seitdem im Bundesgebiet. Sie ist Staatsangehörige der Republik Serbien und gehört der Volksgruppe der Roma an, ihre Identität steht fest. Sie wurde am XXXX in XXXX in Serbien geboren.

Die Beschwerdeführerin verfügte über einen Aufenthaltstitel „rot-weiß-rot Karte plus“, der ihr zuletzt im Jahr 2018 ausgestellt wurde.

Die Beschwerdeführerin besuchte keine Schule und sie ist Analphabetin.

Die Beschwerdeführerin war medikamentenabhängig. Nunmehr ist es ihr mithilfe eines Therapieprogramms gelungen, diese Medikamentenabhängigkeit zu überwinden. Sie hat zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen müssen und hat insgesamt eine angeschlagene Gesundheit.

Dir Beschwerdeführerin fand im Februar 2020 kurzfristig eine Anstellung als Reinigungskraft. Dieses Arbeitsverhältnis wurde mit Eintreten des ersten Lockdowns beendet.

Die Beschwerdeführerin hat keine Verwandten oder Bekannten mehr in Serbien und hat zu Serbien keinen Bezug. Sie hat seit 1986 oder 1987 in Österreich gelebt und hat sich lediglich für kurze Zeiträume in Serbien aufgehalten. Ihr Ehemann, ihre 3 Kinder und der Großteil der insgesamt 10 Enkelkinder leben in Österreich. Sie sind entweder bereits österr. Staatsbürger oder haben einen Daueraufenhtaltstitel. Sie führt mit ihnen ein Familienleben. Ihr Lebensmittelpunkt sowie ihr Verwandten- und Bekanntenkreis befinden sich ausschließlich in Österreich, ebenso wie ihr Betreuungsnetzwerk, auf das sie angewiesen ist.

Die Beschwerdeführerin wurde in Österreich viermal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt:

Mit Urteil des BG XXXX vom 08.04.2016, XXXX wurde die Beschwerdeführerin wegen §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Tagen unter Setzung einer Probefrist von drei Jahren verurteilt.

Mit Urteil des BG XXXX vom 02.11.2016, XXXX , wegen §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Wochen unter Setzung einer Probefrist von drei Jahren verurteilt.

Mit Urteil des LG XXXX vom 10.10.2017, XXXX , wurde die Beschwerdeführerin wegen § 229 Abs. 1 StGB, (z.T. § 15 iVm) §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 130 Abs. 1 zweiter Fall, § 241e StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt, wobei ein Teil dieser Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten bedingt nachgesehen wurde. Die mit den obzitierten Verurteilungen gesetzten Probezeiten verlängerte das Gericht auf insgesamt fünf Jahre.

Mit Urteil des BG XXXX vom 15.09.2018, XXXX , wurde die Beschwerdeführerin wegen §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Die Beschwerdeführerin bereut ihre Straftaten. Festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin diese Straftaten ausschließlich aufgrund ihrer Medikamentenabhängigkeit begangen hat und diese nunmehr unterstützt durch Bewährungshilfe überwunden hat.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie durch die Einsichtnahme in den Akt des BFA, in den bekämpften Bescheid, in die Beschwerde und in die vorgelegten Unterlagen. Ergänzend wurden Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister und der Grundversorgung zum vorliegenden Akt eingeholt.

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Identität und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin ergeben sich aus den im Verfahren von ihr vorgelegten Dokumenten und aus dem Akteninhalt. Ihre Identität konnte aufgrund mehrfach im Akt liegenden Reisepass- und Personalausweiskopien festgestellt werden.

Dass die Beschwerdeführerin über einen Aufenthaltstitel „rot-weiß-rot Karte plus“ verfügte, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister.

Dass die Beschwerdeführerin medikamentenabhängig war, stützt sich auf ihre Angaben in der Beschwerdeverhandlung und dies ergibt sich aus im Akt liegenden Berichten. Aus ihrem Vorbringen und auch aus den Angaben der Bewährungshelferin und Berichten der Bewährungshilfe ergibt sich auch, dass die Beschwerdeführerin ihre Medikamentenabhängigkeit nunmehr überwunden hat. Aus dem Bericht der Bewährungshilfe vom 23.02.2021 ergibt sich weiters, dass die Beschwerdeführerin im Februar 2020 versucht hat, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und dies durch den ersten Lockdown vereitelt wurde. Diese Angaben sind jedenfalls auch nicht unplausibel.

Dass die Beschwerdeführerin keine Verwandten mehr in Serbien hat und zu Serbien keinen nennenswerten Bezug hat, ist glaubhaft, ebenso, dass sie mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihren Enkelkindern ein Famlienleben führt. Dass der größte Teil ihres Verwandten- und Bekanntenkreises in Österreich ist, hat sie gleichbleibend angegeben und dies deckt sich mit vorgelegten Urkunden.

Die Feststellungen zur Delinquenz der Beschwerdeführerin ergeben sich aus den zum Akt genommenen strafgerichtlichen Verurteilungen. Dass die Beschwerdeführerin ihre Straftaten bereut und sie diese ausschließlich aufgrund ihrer Medikamentenabhängigkeit begangen hat, hat sie einerseits in der Beschwerdeverhandlung glaubhaft vermittelt. Andererseits deckt sich dies mit den Angaben der Bewährungshilfe und dem Umstand, dass die letzte von der Beschwerdeführerin begangene Straftat rund drei Jahre zurückliegt und sie sich seither wohl verhalten hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A:

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Rückkehrentscheidung):

Die Beschwerdeführerin ist als Staatsangehörige von Serbien Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

Gemäß § 52 Abs. 4 Z 1 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre.

Die Beschwerdeführerin weist unbestritten vier strafgerichtliche Verurteilungen im Bundesgebiet auf, allesamt aufgrund von Vermögensdelikten bzw. damit verbundenen Delikten. Beim von der Beschwerdeführerin gesetzten Gesamtverhalten handelt es sich jedenfalls um ein die öffentlichen Interessen schwerwiegend gefährdendes Fehlverhalten, wenn auch keine Gewaltdelikte vorliegen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Beschwerdeführerin trotz der zahlreichen Vorverurteilungen erneut straffällig wurde und die Straffälligkeit der Beschwerdeführerin nicht zuletzt auf deren Medikamentenabhängigkeit zurückzuführen ist, was an sich eine Rückfallgefährlichkeit zu begründen vermag.

Im vorliegenden Fall muss demgegenüber jedoch auch berücksichtigt werden, dass die Beschwerdeführerin ihre Medikamentenabhängigkeit überwunden hat. Die Beschwerdeführerin hat sich hinsichtlich ihrer Straftaten reuig gezeigt und es ist davon auszugehen, dass sie ihre Bewährungshilfe fortsetzen wird.

Abgesehen davon hat sich die Beschwerdeführerin nunmehr rund drei Jahre wohlverhalten.

Da der Lebensmittelpunkt der Beschwerdeführerin seit über 30 Jahren Österreich liegt und ihre gesamte Familie in Österreich aufhältig ist, greift die Rückkehrentscheidung massiv in ihr Privat- und Familienleben ein, sodass ihre Verhältnismäßigkeit unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 EMRK am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen ist. Nach § 9 Abs. 1 BFA-VG ist (u.a.) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung jedenfalls begründet abzusprechen, insbesondere im Hinblick darauf, ob sie auf Dauer unzulässig ist, also wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht verfügen, unzulässig wäre.

Auf die Straffälligkeit der Beschwerdeführerin wurde oben bereits eingegangen. In die vorzunehmende Interessenabwägung ist aber auch miteinzubeziehen, dass die Beschwerdeführerin seit über 30 Jahren in Österreich niedergelassen ist und sich lange Jahre rechtmäßig hier aufgehalten hat. Ihr gelang es zwar nicht nachhaltig, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Aufgrund ihrer nunmehr überwundenen Medikamentenabhängigkeit ist allerdings von einer Besserung der Integration auszugehen. Die Beschwerdeführerin hat sich um Arbeit bemüht und die COVID-19-Pandemie hat sie am nachhaltigen Integrieren in den Arbeitsmarkt gehindert. Sie ist trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit prinzipiell arbeitswillig. Sie hat hier ein Unterstützungsnetzwerk und ist in Bewährungshilfe, sodass die Beschwerdeführerin die Möglichkeit hat, wieder am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Die Beschwerdeführerin hat den weit überwiegenden Teil ihres Lebens in Österreich verbracht. Hier lebt der Großteil ihrer Familienangehörigen. In Österreich befinden sich auch der überwiegende Teil ihrer sonstigen privaten Beziehungen. Nach einem solch langen Aufenthaltszeitraum und dem Bestehen des Lebensmittelpunktes in Österreich ist, insbesondere auch aufgrund des Fehlens nennenswerter Bezugspunkte in Serbien jedenfalls von einer maßgeblichen Entwurzelung im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin auszugehen bzw. war die Beschwerdeführerin nie in Serbien verwurzelt.

Angesichts des von der Beschwerdeführerin gesetzten Verhaltens sowie ihrer Verurteilungen haben die Integrationsbemühungen der Beschwerdeführerin sowie ihre familiären und sozialen Bezüge eine gewisse Relativierung, aber jedenfalls keinen vollständigen Abbruch erfahren: Aufgrund des äußerst langen rechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin in Österreich, wo ihre Sozialkontakte bestehen und ihr Bewährungshilfe gewährt wird, hat sie ein erhebliches privates Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Die Rückkehrentscheidung greift daher – auch aufgrund der gelockerten Bindung zu ihrem Herkunftsstaat, in dem die Beschwerdeführerin nur als Kind niedergelassen war und wo sie keine nennenswerten Bezugspersonen hat – trotz der fehlenden Unbescholtenheit, der Wirkungslosigkeit strafgerichtlicher Sanktionen und der wiederholten Straffälligkeit unverhältnismäßig in ihre Rechte nach Art. 8 EMRK ein.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass der Verhinderung strafbaren Verhaltens, insbesondere im Hinblick auf Eigentumsdelikte, große Bedeutung zukommt, die Beschwerdeführerin wiederholt straffällig geworden ist und sie der serbischen Sprache nach wie vor mächtig ist. Trotz des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Vermögenskriminalität sowie am Schutz der öffentlichen Ordnung ist aber angesichts des intensiven Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin während ihres langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen sie Abstand zu nehmen.

Ihr privates Interesse an einem Verbleib überwiegt im gegenständlichen Fall, auch unter Bedachtnahme auf die wiederholten strafgerichtlichen Verurteilungen, unter besonderer Berücksichtigung des speziellen Einzelfalls und des positiven persönlichen Eindruckes gerade noch das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, insbesondere unter Berücksichtigung des bestehenden Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin iSd Art. 8 EMRK in Österreich und der glaubhaften Einsicht und Reue der Beschwerdeführerin unter Bedachtnahme auf die in Anspruch genommene Bewährungshilfe.

Demzufolge erweist sich der Ausspruch einer Rückkehrentscheidung als nicht zulässig, weshalb der gegenständlichen Beschwerde stattzugeben war und die Rückkehrentscheidung ersatzlos zu beheben war.

Sollte die Beschwerdeführerin neuerlich straffällig werden, wird das BFA die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes gegen sie neuerlich zu prüfen haben.

Zu den Spruchpunkten II. bis IV. des angefochtenen Bescheides:

Aufgrund der Aufhebung der vom BFA ausgesprochenen Rückkehrentscheidung fällt auch die Voraussetzung für einen Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung (§ 52 Abs. 9 FPG), die Festsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise (§ 55 FPG) und für die Verhängung eines Einreiseverbotes (§ 53 Abs. 1 FPG) weg, weshalb die entsprechenden Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides – im Zuge der Stattgabe der Beschwerde – ebenfalls aufzuheben waren.

Zu B ? Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Vielmehr handelt es sich um eine sachverhaltsbasierte Einzelfallentscheidung. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zwar teilweise zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer Aufenthaltstitel Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung Gesundheitszustand Interessenabwägung Privat- und Familienleben private Interessen Rot-Weiß-Rot-Karte plus Rückkehrentscheidung behoben soziale Verhältnisse Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Wohlverhalten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W159.2216319.1.00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten