TE Vwgh Beschluss 2021/5/11 Ra 2020/21/0510

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.05.2021
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
20/09 Internationales Privatrecht
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §46a
IPRG §16 Abs1
IPRG §18
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der G U, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH, Dr. Wilfried Ludwig Weh, Mag. Stefan Harg, 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen 1. das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. August 2020, W171 2199067-1/6E, betreffend Festnahme, Anhaltung und Abschiebung, protokolliert zu Ra 2020/21/0510, und 2. das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. Juli 2020, L515 2016982-2/11E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Verlängerung einer Karte für Geduldete, protokolliert zu Ra 2020/21/0529 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht jeweils: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine im Dezember 1999 geborene Staatsangehörige Armeniens, beantragte gemeinsam mit ihren Eltern nach der Einreise in das Bundesgebiet am 28. April 2014 unter einer Aliasidentität die Gewährung von internationalem Schutz. Dieser Antrag wurde zuletzt im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 8. Mai 2015 vollinhaltlich, verbunden mit einer Rückkehrentscheidung und der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in die Republik Armenien, abgewiesen. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt.

2        In der Folge wurde der im Bundesgebiet verbliebenen Revisionswerberin, deren Identität von den Behörden Armeniens nicht festgestellt werden konnte, eine Karte für Geduldete mit der Gültigkeitsdauer vom 20. September 2016 bis zum 19. September 2017 ausgestellt.

3        Nachdem ihre wahre Identität bekannt geworden war und die Botschaft Armeniens für sie ein (vom 3. April bis zum 31. Juli 2018 gültiges) Heimreisezertifikat ausgestellt hatte, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 9. Mai 2018 ihren Antrag auf Verlängerung der Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs. 5 iVm Abs. 1 Z 3 FPG ab.

4        Schon am 8. Mai 2018 hatte das BFA gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG einen Festnahmeauftrag gegen die Revisionswerberin, der am 12. Mai 2018 vollstreckt wurde, erlassen. Mit Note vom 12. Mai 2018 teilte das BFA der Revisionswerberin gemäß § 58 Abs. 2 FPG mit, dass sie am 14. Mai 2018 um 12:00 Uhr abgeschoben werde. Die Abschiebung der Revisionswerberin nach Armenien wurde unstrittig am 14. Mai 2018 - dieser Ankündigung entsprechend - durchgeführt.

5        In der Folge erhob die Revisionswerberin (neuerlich unter ihrer Aliasidentität) Beschwerde einerseits gegen ihre Festnahme, Anhaltung (vom 12. bis zum 14. Mai 2018) und Abschiebung und andererseits gegen den Bescheid vom 9. Mai 2018 (Rn. 3).

6        Mit Erkenntnis vom 12. August 2020 wies das BVwG die erstgenannte Beschwerde vollumfänglich als unbegründet ab und verhielt die Revisionswerberin (auf Basis der Annahme einer Bekämpfung von zwei Verwaltungsakten) gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG zum Kostenersatz. Gemäß § 25a VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Begründend führte das BVwG aus, die Revisionswerberin sei in verschiedenen Grundversorgungsunterkünften gemeldet gewesen. Die letzte dieser Unterkünfte habe sie ohne Angabe von Gründen verlassen und sich am 12. April 2018 in einer Privatunterkunft in Tirol (bei ihrem Lebensgefährten) gemeldet. Am 12. Mai 2018 sei sie an dieser neuen Meldeadresse festgenommen worden und habe sich bis zu ihrer Abschiebung am 14. Mai 2018 in Verwaltungsverwahrungshaft befunden. Das Schreiben des BFA, mit dem sie über ihre bevorstehende Abschiebung informiert worden sei, habe sie am 12. Mai 2018 persönlich übernommen.

8        Das BVwG bejahte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG. Insbesondere seien keine Gründe ersichtlich, weshalb die im Jahr 2015 erlassene Rückkehrentscheidung „obsolet“ geworden sein sollte.

Die in § 46 Abs. 1 Z 2 und 3 FPG normierten Voraussetzungen für eine Abschiebung seien zu bejahen. Wenn die Revisionswerberin auch während eines Teils ihres jahrelangen Aufenthaltszeitraums minderjährig gewesen sei, habe sie doch nach Erlangung der Volljährigkeit keinerlei Anstalten unternommen, das Land zu verlassen. Vielmehr habe sie unter ihrer Aliasidentität einen Antrag auf Verlängerung der ihr ausgestellten Duldungskarte eingebracht und sei knapp einen Monat vor Durchführung der Abschiebung mit ihrem Lebensgefährten zusammengezogen. Die Lebensgemeinschaft sei erst kurz davor, also im Bewusstsein der prekären Aufenthaltssituation, eingegangen worden. Dass sie mit ihrem Lebensgefährten „traditionell vermählt“ sein sollte, könne nicht festgestellt werden. Sie sei evident nicht zu einer freiwilligen Rückkehr nach Armenien bereit gewesen. Es sei somit davon auszugehen, dass sie ihrer Ausreiseverpflichtung auch weiterhin nicht nachkommen werde.

9        Mit nach mündlicher Verhandlung ergangenem Erkenntnis vom 27. Juli 2020 wies das BVwG auch die gegen den Bescheid vom 9. Mai 2020 erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a VwGG sprach das BVwG wiederum aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

10       Begründend führte das BVwG insbesondere aus, es spreche nichts dagegen, dass die Republik Armenien bereit wäre, ein Ersatzreisedokument für die (neuerliche) Abschiebung der - wieder eingereisten - Revisionswerberin auszustellen. Mit der (in der Beschwerde) behaupteten Änderung ihrer familiären Verhältnisse durch das Eingehen einer Ehe „nach ausschließlich jezidischem Ritus“ sei sie darauf zu verweisen, dass die Form einer in Österreich erfolgten Eheschließung gemäß § 16 Abs. 1 IPRG nach inländischem Recht zu prüfen sei. Auf Grund des somit geltenden Grundsatzes der obligatorischen Zivilehe könne daher nicht von einer gültigen Eheschließung der Revisionswerberin mit ihrem Lebensgefährten ausgegangen werden. Primär sei in diesem Zusammenhang aber ohnehin auf den Grundsatz der Subsidiarität der Duldung sowie darauf zu verweisen, dass keine Hinweise dafür hervorgekommen seien, dass es der Revisionswerberin nicht möglich wäre, ihre privaten und familiären Bindungen im Fall von deren Schutzwürdigkeit durch eine Legalisierung des Aufenthalts im Rahmen anderer Rechtsinstitute herbeizuführen.

11       Gegen diese Erkenntnisse erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 7. Oktober 2020, E 2294-2295/2020, ablehnte und sie mit weiterem Beschluss vom 23. Oktober 2020 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

12       Die in der Folge ausgeführte Revision erweist sich als unzulässig.

13       Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

15       Insoweit macht die Revisionswerberin unter Hinweis darauf, ihren Lebensgefährten geheiratet und zwischenzeitig die Volljährigkeit erlangt zu haben, eine wesentliche Änderung der Sachlage gegenüber der im Jahr 2015 ergangenen Rückkehrentscheidung - die daher (so die Revision der Sache nach) nicht mehr wirksam gewesen sei - geltend.

16       Soweit sie in diesem Zusammenhang ausführt, ihren Lebensgefährten am 3. März 2018 in Imst nach armenischem Ritus geheiratet zu haben, wobei die Gültigkeit des Zustandekommens der Ehe gemäß § 18 IPRG nach armenischem Recht (als dem gemeinsamen Personalstatut der Ehepartner) zu beurteilen gewesen wäre, übersieht sie, dass diese Bestimmung lediglich die persönlichen Rechtswirkungen einer (gültig zustande gekommenen) Ehe betrifft.

Die Formerfordernisse einer Eheschließung in Österreich sind dagegen gemäß § 16 Abs. 1 IPRG nach inländischem Recht zu beurteilen (vgl. etwa VwGH 23.3.2010, 2006/18/0447, Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe, und OGH 25.3.2014, 10 ObS 16/14x, Punkt 1. der Begründung, mwN), weshalb bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses richtig nicht vom Eingehen einer Ehe auszugehen war.

17       Der Hinweis auf eine in Österreich am 12. November 2020 gültig abgeschlossene Zivilehe stellt schließlich eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbeachtliche Neuerung dar. Beide „Eheschließungen“ wären aber jedenfalls deshalb maßgeblich im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG relativiert, weil sie während unsicheren Aufenthalts erfolgten.

18       Auch dass die Revisionswerberin die Volljährigkeit (mit 15. Dezember 2017) erlangte, musste nicht zu der Beurteilung führen, die 2015 ergangene Rückkehrentscheidung sei wirkungslos geworden.

19       Wenn die Revisionswerberin in Bezug auf das insbesondere über ihre Abschiebung absprechende Erkenntnis vom 12. August 2020 weiter behauptet, ihr sei die Möglichkeit, freiwillig aus dem Bundesgebiet in den Herkunftsstaat auszureisen, „bewusst verweigert“ worden, so ist sie auf die Asylentscheidung zu verweisen, in deren Rahmen ihr ausdrücklich eine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt wurde (siehe Rn. 1). Dass sie demgegenüber - auch nach dem Eintritt ihrer Volljährigkeit - in Österreich verblieb, rechtfertigte grundsätzlich ihre Abschiebung. Von einem „Verstoß gegen die Rückführungsrichtlinie“, wie die Revisionswerberin meint, kann demgegenüber keine Rede sein.

20       Auch der vom BVwG im Erkenntnis vom 12. August 2020 vorgenommene Kostenzuspruch steht - entgegen der Revision - im Einklang mit der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 31.8.2017, Ro 2016/21/0014, Rn. 25 und 26, sowie VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0169, Rn. 7 bis 9).

21       In Bezug auf die Abweisung des Antrags auf Verlängerung der Gültigkeit einer Karte für Geduldete gemäß § 46a FPG (Erkenntnis des BVwG vom 27. Juli 2020) macht die Revisionswerberin noch geltend, es hätte die - erst am 12. August 2020 ergangene - Entscheidung über die Beschwerde gegen die Abschiebung abgewartet werden müssen. Auch hätte ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden dürfen, dass sie in Befolgung der gerichtlichen Ladung wieder nach Österreich eingereist sei. Inwieweit damit Gesichtspunkte angesprochen werden, die für einen der Duldungstatbestände des § 46a FPG von Bedeutung sein könnten, ist allerdings nicht ersichtlich.

22       Ebensowenig ersichtlich ist schließlich, wieso durch beide angefochtenen Erkenntnisse - wie die Revisionswerberin meint - die Unschuldsvermutung verletzt worden sein soll.

23       Insgesamt werden in der Revision somit keine Rechtsfragen dargestellt, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 11. Mai 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210510.L00

Im RIS seit

11.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten