TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/12 W124 2240197-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.02.2021
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Entscheidungsdatum

12.02.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §33 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W124 2240197-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 33 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 und § 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein indischer Staatsangehöriger, stellte laut polizeilicher Meldung am XXXX am Flughafen Wien-Schwechat im Rahmen der Einreisekontrolle einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am XXXX erfolgte seine niederschriftliche Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, im Rahmen welcher er zu seiner Person angab, er stamme aus einem Dorf im Distrikt XXXX im indischen Bundesstaat Punjab. Er gehöre der Volksgruppe der Punjabi an und bekenne sich zur Religionsgemeinschaft der Sikhs. Seine Erstsprache sei Punjabi. Er habe zwölf Jahre die Schule besucht und habe zuletzt als Landwirt gearbeitet. Im Herkunftsstaat würden noch seine Eltern sowie sein Bruder leben.

Den Entschluss zur Ausreise habe er gemeinsam mit seinem nunmehr mitgereisten Cousin vor fünf Jahren gefasst. Vor fünf Jahren hätten sie ihr Heimatdorf verlassen und seien in die Stadt XXXX verzogen. Den Herkunftsstaat hätten sie am XXXX legal verlassen und seien über Katar nach XXXX , Republik Moldau, gereist, wo sie acht bis neun Monate gelebt hätten. Am XXXX oder am XXXX seien sie nach Istanbul gereist und hätten von dort aus ihre Reise am XXXX nach Österreich fortgesetzt.

Zu seinem Fluchtgrund gab der BF zu Protokoll, sein Vater sei der Vorsitzende des Zusammenschlusses der Landwirte. Als Landwirte hätten sie in Indien keine Rechte. Er selbst habe in XXXX studiert. Sein Vater, seine Mutter und sein Bruder seien verfolgt worden, weshalb sie ihm geraten hätten, nicht mehr nach Indien zurückzukehren. In Indien seien seiner Familie die Grundstücke weggenommen worden bzw. sei sie enteignet worden. Sein Vater sei verhaftet worden, weil er für ihre Rechte bzw. die Rechte der Landwirte gekämpft habe. Aufgrund der Verhaftung seines Vaters habe er Angst, im Fall der Rückkehr ebenso festgenommen zu werden. In der Republik Moldau hätte er nicht länger bleiben können, da sein Studium beendet gewesen sei. Nunmehr wolle er sich in Österreich eine Existenz aufbauen. Im Fall der Rückkehr werde er verhaftet, eingesperrt und vielleicht ermordet.

3. Am XXXX erfolgte die Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) unter Beiziehung eines Dolmetschers sowie in Anwesenheit einer Rechtsberaterin. Der BF gab eingangs an, er sei gesund und befinde sich weder in ärztlicher noch in medikamentöser Behandlung. Ferner sei er arbeitsfähig und könne als Landwirt arbeiten.

Über Dokumente oder sonstige Beweismittel verfüge er nicht. Sein Reisepass sei weggeschmissen worden.

Zu seiner Person führte er an, er stamme aus einem Dorf, welches 50 bis 60 km von Amritsar entfernt sei. Den Herkunftsstaat hätten sie (gemeint wohl der BF und sein mitgereister Cousin) in der Nacht vom XXXX auf den XXXX verlassen, um in der Republik Moldau die Sprache zu studieren. Auf Nachfrage, ob er den Herkunftsstaat ausschließlich zum Studieren einer Sprache verlassen habe, führte er an, es habe bereits am XXXX Ausschreitungen im Ort gegeben und sie hätten die Genehmigung für einen dreijährigen Kurs erhalten, hätten diesen aber nicht mehr bezahlen können. Es habe bereits Festnahmen zu dieser Zeit gegeben. Auf Nachfrage, ob es damals eine konkrete Bedrohung gegeben habe, antwortete er, als sie ausgereist seien, habe es bereits Ausschreitungen gegeben. Seine Ausreise habe er ohne einen Schlepper bewerkstelligt. Das Geld sei von der Landwirtschaft gekommen. Es seien 1,5 Millionen Rupien gewesen.

Zur Reiseroute führte er an, sie seien in der Republik Moldau gewesen und hätten sich ein Transitvisum für Deutschland besorgt. Dann seien sie nach Dubai geflogen. Dort hätten sie den Anruf bekommen, dass sein Vater und sein Bruder festgenommen worden seien. Daraufhin hätten sie sich ein Visum für die Türkei besorgt und seien drei Tage dort gewesen. Am XXXX seien sie in Österreich angekommen. Auf Nachfrage, warum er vor der Polizei den Aufenthalt in Dubai nicht erwähnt habe, führte er an, er habe dies gesagt. Ein deutsches Visum habe er besorgt, da sie nach Indien zurückkehren hätten wollen.

In Indien habe er gemeinsam mit seinem Vater als Landwirt gearbeitet. Die Regierung habe ihnen keine Rechte gegeben. Mit dieser Tätigkeit habe er gleich nach Abschluss der 12. Schulstufe begonnen. In der Republik Moldau seien die Gebühren für den Sprachkurs so hoch gewesen, dass er nach Indien zurückkehren habe wollen. Er habe nicht zahlen können, weswegen der Aufenthalt beendet worden sei.

Der BF sei ledig und habe keine Kinder. Im Herkunftsstaat würden noch die Eltern, sein Bruder sowie sein Großvater väterlicherseits leben. Seine Angehörigen würden von der Landwirtschaft leben. Der letzte Wohnort des BF im Herkunftsstaat sei XXXX gewesen. Vor fünf Jahren habe er sein Dorf verlassen und sei dort hingezogen.

Befragt, ob er aufgrund seiner Volksgruppe oder Religionszugehörigkeit jemals Probleme im Herkunftsstaat gehabt habe, antwortete der BF, sie hätten deswegen nicht so sehr Probleme gehabt, als wegen der Ausschreitungen, weil sie Khalistan gefordert hätten. Auf Nachfrage, welche Probleme es ganz konkret gegeben habe, antworte er, es habe Ausschreitungen gegeben.

Zum letzten Kontakt mit seiner Familie führte er an, er habe mit seinem Bruder gesprochen, als er das Visum am „ XXXX “ beantragt habe. In Dubai habe er erfahren, dass sein Vater festgenommen worden sei, während sein Bruder fliehen habe können. Am Telefon habe ihm sein Bruder gesagt, falls der BF zurückkehre, werde er erschossen oder festgenommen werden. Ferner habe ihm sein Bruder erklärt, er selbst würde in zwei Tagen auch festgenommen. Dies sei tatsächlich eingetreten. Der BF sei dann mit diesem Visum „von Dubai über die Türkei“ gekommen. Auf weitere Nachfrage, wer angerufen worden sei und wann der Anruf genau stattgefunden habe, antwortete der BF, am „ XXXX “. seien die Ausschreitungen passiert, sein Bruder habe ihn angerufen. Dann hätten sie zwei Tage nicht miteinander gesprochen - erst wieder am dritten Tag, als sein Bruder im Gefängnis gewesen sei.

Zur Frage, ob der BF im Herkunftsstaat jemals politisch tätig gewesen sei, führte er an, sein Vater sei Vorsitzender der „ XXXX “. Der BF sei selbst nicht Mitglied, habe seinen Vater zu den Tätigkeiten aber manchmal begleitet. Persönlich habe er nie Probleme mit den Behörden oder der Polizei des Herkunftsstaates gehabt.

Dezidiert zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF aus, sein Vater sei Vorsitzender der „ XXXX “. Die Regierung gebe ihnen keine Rechte und sein Name sei bereits im Gefängnis neben dem Namen seines Vaters und seines Bruders aufgelistet. Sobald er zurückkehre, werde er verhaftet. Mehr könne er dazu nicht angeben, allerdings würden die Hindus die Sikhs nicht gutheißen und würden Khalistan nicht zulassen. Befragt, ob dies alle Fluchtgründe gewesen seien, antwortete der BF, dies sei alles. Sonstige Vorfälle habe es nicht gegeben.

Auf weitere Nachfrage führte er an, sein Vater sei am XXXX verhaftet worden, als die Ausschreitungen passiert seien. Der Grund sei gewesen, dass er für die Rechte gekämpft habe und sie das nicht zulassen hätten wollen. Den letzten Kontakt zu seinem Vater habe er am XXXX in der Republik Moldau gehabt.

Auf Vorhalt, dass er die Verhaftung seines Bruders in der Erstbefragung nicht erwähnt habe, erwiderte der BF, er habe dies gesagt.

Zu den Bauernprotesten in Indien gab der BF an, dass sie für ihre landwirtschaftlichen Erträge keine entsprechenden Quoten erhalten würden und die Regierung Khalistan nicht zulasse. Der Vorsitzende ihrer Gemeinschaft werde ins Gefängnis gebracht. Die Hindus würden die Sikhs belästigen, weshalb er sich in Indien auch die Haare schneiden habe lassen. Seit zwei bis drei Jahren würden die Proteste laufen und es werde langsam immer mehr. Auf die Frage, wie viele Personen verhaftet worden seien, führte der BF an, es seien zumindest ganz viele Leute gewesen. Die Gemeinden würden jeweils aus vier Dörfern bestehen.

Der BF sei auch persönlich bedroht worden. Als er mit seinem Vater „dorthin“ gegangen sei, hätten ihn die Leute bedroht. Befragt, wer konkret ihn bedroht habe und wann der Vorfall gewesen sei, antwortete der BF, die Regierung habe ihm gedroht, dass er verfolgt werde, wenn er mit seinem Vater zusammenbleibe. Dies sei vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat gewesen. Auf Nachfrage, was er sonst noch dazu angeben könne, antwortete der BF, die Leute würden Polizisten schicken, um „sie“ festnehmen zu lassen. Mehr könne er dazu nicht angeben.

Sprecher der Bauernproteste seien sein Vater und eine Person namens „ XXXX “ gewesen. Dann habe es noch XXXX und XXXX gegeben. Letzterer sei jetzt festgenommen worden. Auf Vorhalt von Auszügen aus dem Länderinformationsblatt, wonach sich die politische Opposition in Indien frei betätigen könne und die landesweite Bewegungsfreiheit gewährt sei, führte der BF an, sie würden Leute verhaften. In Indien könne nie jemand in Frieden leben.

Zu seinen Rückkehrbefürchtungen gab der BF an, er habe Angst, festgenommen oder getötet zu werden. Bisher seien zumindest 275 Personen durch diese Ausschreitungen „erledigt“ worden. Diese Information beziehe er aus dem Internet bzw. von „YouTube“.

Abschließend wurde dem BF vorgehalten, dass seinem Vorbringen keine Glaubwürdigkeit zukomme, er bisher ohne Probleme im Herkunftsstaat leben habe können und davon auszugehen sei, dass ihm dies auch künftig möglich sei. Folglich werde beabsichtigt, seinen Antrag gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 abzuweisen. Der BF bezog hierzu keine Stellung.

4. Mit Schreiben vom XXXX wurde das UNHCR-Büro Österreich um Erteilung der Zustimmung zur Abweisung des Antrags des BF auf internationalen Schutz gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ersucht.

5. Mit Schreiben vom XXXX teilte der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Büro Österreich, mit, dass die Zustimmung gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 hiermit erteilt werde, da das Vorbringen in Einklang mit Beschluss Nr. 30 des UNHCR-Exekutivkomitees als offensichtlich unbegründet eingestuft werden könne.

6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 iVm § 3 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt stellte im Wesentlichen fest, der BF sei indischer Staatsangehöriger und gehöre der Volksgruppe der Punjabi sowie der Religionsgemeinschaft der Sikhs an. Seine Erstsprache sei Punjabi. Er habe zwölf Jahre die Schule besucht, sei arbeitsfähig und habe in der Landwirtschaft seines Vaters mitgearbeitet. In der Republik Moldau habe er für die Dauer von sechs Monaten einen Sprachkurs für die Sprache Rumänisch absolviert. Der BF sei ledig und habe keine Kinder. Zudem sei er gesund und leide an keiner Immunschwäche. Im Herkunftsstaat würden seine Eltern sowie sein Bruder leben. Seine Familienangehörigen hätten die Kosten für seine Ausreise in Höhe von circa 1,5 Millionen Indische Rupien übernommen. Das Fluchtvorbringen des BF werde nicht als glaubhaft erachtet. Ferner habe auch nicht von Amts wegen festgestellt werden können, dass dem BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung drohe. Die elementare Grundversorgung in Indien sei gewährleistet. Der BF verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte sowie Unterstützungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat. Bisher sei er als Landwirt tätig gewesen und sei nicht davon auszugehen, dass er in Indien in eine existenzbedrohende Notlage geraten werde. Im Falle einer Rückkehr nach Indien bestehe keine Gefahr einer Verletzung seiner in Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder in den Protokollen Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention gewährleisteten Rechte. Für ihn als Zivilperson bestehe auch keine Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts. Über Anknüpfungspunkte in Österreich verfüge er im Übrigen nicht. Auf den Seiten 20 bis 64 des angefochtenen Bescheids wurden Feststellungen zur allgemeinen Lage in Indien getroffen.

Beweiswürdigend wurde zusammengefasst ausgeführt, die Feststellungen zu der Staatsangehörigkeit, der Religionszugehörigkeit, der Volksgruppenzugehörigkeit, zu den Sprachkenntnissen, seinem familiären Umfeld, der Schulbildung und der Berufstätigkeit des BF würden auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben beruhen. Die Feststellung zum Gesundheitszustand stütze sich auf die Angaben des BF in der Einvernahme vor dem Bundesamt sowie auf das Ergebnis der bei ihm durchgeführten ärztlichen Untersuchungen. Hinweise, dass er an einer Immunschwäche oder Vorerkrankungen leide, seien nicht hervorgekommen.

Das Fluchtvorbringen des BF erweise sich als vollkommen unsubstantiiert, widersprüchlich sowie unplausibel. Ferner würden sich seine Angaben auf eine vage Rahmengeschichte beschränken und seien im Laufe des Verfahrens gesteigert worden.

Der BF habe im Rahmen der Erstbefragung ausgeführt, dass er den Herkunftsstaat am XXXX verlassen habe, um in der Republik Moldau zu studieren. Weiter habe er angegeben, dass er sich die Studiengebühren dort nicht mehr leisten habe können, weswegen er zu Jahresbeginn 2021 in seinen Herkunftsstaat zurückkehren habe wollen. Erst während der Heimreise nach Indien habe er die Nachricht erhalten, dass sein Vater als Vorsitzender der „ XXXX “ von der Polizei festgenommen worden sei und auch der BF gesucht werde. Deshalb habe er gemeinsam mit seinem mitgereisten Cousin beschlossen, nach Österreich zu reisen und einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.

In der Einvernahme vor dem Bundesamt habe er sein Vorbringen gesteigert, indem er angeführt habe, dass es bereits am XXXX „Ausschreitungen im Ort gegeben habe“. Eine persönliche Verfolgung habe er in diesem Zusammenhang nicht erwähnt.

In weiterer Folge habe er unsubstantiiert ausgeführt, dass sein Vater Vorsitzender der „ XXXX sei und er selbst von „der Regierung“ bedroht werde, wenn er mit seinem Vater zusammenbleiben würde. Auf Nachfrage habe er dazu nichts Näheres angeben können. Sein Vorbringen beschränke sich sohin auf Gemeinplätze. Eine individuelle Verfolgung, welche bereits vor seiner Ausreise im Jahr 2020 stattgefunden habe, habe er nicht darlegen können.

Sein Vorbringen sei in der Einvernahme vor dem Bundesamt auch insoweit gesteigert worden, als der BF vorgebracht habe, dass sein Bruder inzwischen festgenommen worden sei und der BF auch als Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Sikhs Probleme habe. In Bezug auf diese Verfolgung habe er jedoch lediglich allgemein angegeben, er fordere „Khalistan“ und habe es aufgrund dieser Forderung Ausschreitungen gegeben. Der BF habe jedoch die behaupteten Ausschreitungen nicht schildern können. Auch die Länderinformationen betreffend Indien würden den Rückschluss nicht zulassen, dass für den BF im Herkunftsstaat die Gefahr einer Verfolgung aus religiösen Gründen bestehe.

Weiter sei darauf hinzuweisen, dass der BF explizit angeführt habe, nicht politisch tätig gewesen zu sein, keiner politischen Partei angehört zu haben und auch selbst niemals persönliche Probleme mit den Behörden oder der Polizei gehabt zu haben.

Der BF habe sich nicht bemüht, sein Fluchtvorbringen nachvollziehbar darzulegen. Völlig offen sei geblieben, wo und unter welchen Umständen der Vater sowie der Bruder des BF festgenommen worden seien. Weshalb aufgrund dieser Festnahmen der BF Probleme habe, lasse sich seinem Vorbringen ebenso wenig entnehmen. Wäre der BF tatsächlich durch die Polizei in Indien bedroht, so wären dahingehend substantiierte und nachvollziehbare Angaben zu erwarten gewesen. Der BF habe jedoch zu keinem Zeitpunkt konkrete sowie detaillierte Angaben machen können.

Auch sein Vorbringen zu den Telefonaten mit seinem Bruder sei nicht schlüssig. Ferner sei nicht nachvollziehbar, weshalb er diese Gespräche in der Erstbefragung nicht erwähnt habe.

In einer Gesamtschau sei sein Fluchtvorbringen nicht glaubhaft. Vor diesem Hintergrund sei überdies davon auszugehen, dass er im Fall der Rückkehr in seinen Heimatort von seiner Familie unterstützt werde, zumal diese auch seine Ausreise aus dem Herkunftsstaat finanziert habe.

Andere asylrelevante Gründe hätten nicht festgestellt werden können und habe der BF auch nicht aufgrund der Stellung des verfahrensgegenständlichen Antrags im Herkunftsstaat mit Schwierigkeiten zu rechnen.

Der BF werde im Übrigen nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten, da er bisher erwerbstätig gewesen sei und überdies ein junger, gesunder Mann sei, der Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft habe. Er sei in Indien sozialisiert worden und verfüge dort über Unterstützungsmöglichkeiten. Aus den Länderfeststellungen gehe zudem hervor, dass in Indien die Grundversorgung gewährleistet sei und Erwerbsmöglichkeiten bestünden.

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen des BF zu seinen Fluchtgründen nicht glaubhaft sei. Ein begründeter Hinweis iSd § 33 Abs. 1 AsylG 2005, dass dem BF der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen wäre, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Der Hochkommissär der Vereinten Nationen sei von der beabsichtigten Entscheidung informiert worden und habe seine Zustimmung zur Abweisung des Antrags gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt. Zu Spruchpunkt II. wurde zusammengefasst ausgeführt, unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation in Indien habe sich eine Gefahr im Sinne der Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nicht ergeben. Für den BF bestehe als Zivilperson nicht die Gefahr einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes. Ebenso wenig werde er im Fall der Rückkehr in eine wirtschaftliche Notlage geraten. Im gesamten Ermittlungsverfahren sei kein begründeter Hinweis hervorgekommen, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei. Abschließend wurde neuerlich auf die Zustimmung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen zur Abweisung des gegenständlichen Antrags verwiesen. Abschließend wurde zu Spruchpunkt III. festgehalten, dass § 57 AsylG 2005 einen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetze, während sich der BF im Sondertransit des Flughafens Wien-Schwechat befinde und seine Einreise nicht gestattet worden sei. Da er sich nicht im Bundesgebiet aufhalte, könne ihm sohin keine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt werden. Gemäß § 33 Abs. 5 AsylG sei im Flughafenverfahren im Übrigen über aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach dem 8. Hauptstück des FPG nicht abzusprechen.

7. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

8. Mit der am XXXX fristgerecht eingebrachten Beschwerde wurde der verfahrensgegenständliche Bescheid vollinhaltlich wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Begründend wurde nach Darstellung des Sachverhalts und des Verfahrensgangs im Wesentlichen ausgeführt, die Behörde habe ihre amtswegige Ermittlungspflicht nach § 18 Abs. 1 AsylG 2005 verletzt, da sie sich nicht näher mit dem Themenkomplex der staatlichen Verfolgung in Zusammenhang mit den Bauernprotesten auseinandergesetzt habe. Die belangte Behörde habe keine Länderberichte erhoben, welche sich konkret auf die Situation des BF beziehen. Verwiesen wurde in diesem Zusammenhang auf einen Artikel aus „The Guardian“ mit dem Titel „Farmers‘ protests in India: why have new laws caused anger?“, welcher sich mit den anhaltenden Bauernprotesten gegen drei im September neu erlassene Agrargesetze und den Maßnahmen, mit der die indische Regierung gegen die Befürworter der Demonstrationen vorgehe, auseinandersetze. Im Februar 2021 habe Amnesty International die indische Regierung dazu aufgerufen, ihr gewaltsames Vorgehen gegen Demonstranten, Bauernführer und Journalisten inmitten der laufenden landesweiten Demonstrationen einzustellen und unverzüglich damit aufzuhören, gewaltsam gegen die Demonstrationen vorzugehen. In der Folge wurden verschiedene Medienberichte zur Thematik der Bauernproteste in Indien auszugsweise wiedergegeben.

In Bezug auf die Beweiswürdigung wurde moniert, dass der BF von der Verfolgung seiner Familie telefonisch erfahren habe und daher nicht in der Lage gewesen sei, die Begebenheiten im Detail zu schildern. Zwischenzeitlich könne der BF seine Familie über die Telefonnummer, über welche bisher kommuniziert worden sei, nicht mehr erreichen. Ihm sei es daher nicht gelungen, weitere Informationen oder Beweismittel betreffend sein Fluchtvorbringen zu beschaffen. Die belangte Behörde hätte weitere Ermittlungen durchführen müssen, um die Plausibilität des Vorbringens des BF überprüfen zu können. Konkret wären Ermittlungen betreffend die allgemeine Lage in der Herkunftsregion des BF in Zusammenhang mit der dortigen individuellen Situation anzustellen gewesen. Überdies habe die Behörde den Grundsatz der Objektivität und Unparteilichkeit nicht beachtet, hätten doch für den BF günstige Umstände in gleichem Maß berücksichtigt werden müssen wie ungünstige Umstände. Rechtlich wurden zunächst die allgemeinen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten dargelegt. Weiter wurde ausgeführt, dass gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 AsylG eine Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz nur dann zulässig sei, wenn sich kein begründeter Hinweis finde, dass dem Asylwerber der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wäre, und das Vorbringen zur Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspreche. Da in Indien tatsächlich Bauernproteste stattfänden, die indischen Behörden korrupt seien und die Gefängnisse überlastet seien, könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Fluchtvorbringen des BF offensichtlich nicht den Tatsachen entspreche. Das Asylverfahren sei daher zuzulassen und das Fluchtvorbringen des BF in einem inhaltlichen Verfahren einer genaueren Überprüfung zu unterziehen. In Bezug auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wurde auf die Missstände im Justizwesen sowie die Haftbedingungen in Indien hingewiesen und weiter moniert, dass die Länderfeststellungen zwar im angefochtenen Bescheid wiedergegeben, bei der Entscheidungsfindung aber nicht berücksichtigt worden seien. Die Sicherheitslage in Indien sei unsicher, instabil und beunruhigend. Eine Prüfung des Vorliegens eines effizienten Schutzes im Herkunftsstaat habe nicht stattgefunden. Im Fall der Rückkehr drohe dem BF eine Verletzung seiner in Art. 2 EMRK oder Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte.

9. Die Beschwerdevorlage langte am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF

Der BF, ein indischer Staatsangehöriger, stammt aus der indischen Provinz Punjab und gehört der Volksgruppe der Punjabi sowie der Religionsgemeinschaft der Sikhs an. Seine Erstsprache ist Punjabi. Er hat bis zu seinem 23. Lebensjahr in Indien gelebt, hat dort zwölf Jahre die Schule besucht und Berufserfahrung als Landwirt gesammelt. Ferner ist der BF ledig, gesund und arbeitsfähig. Ihn treffen keine Obsorgeverpflichtungen. Seine Eltern sowie sein Bruder leben unbehelligt im Herkunftsstaat.

1.2. Zum Verfahren

Am XXXX stellte der BF im Zuge der Einreisekontrolle am Flughafen Wien-Schwechat vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Schreiben vom XXXX wurde vom UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR mitgeteilt, dass hiermit die Zustimmung zur Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz vom XXXX gemäß § 33 Abs. 2 AsylG erteilt wird.

1.3. Zu den Flucht- und Verfolgungsgründen

Es steht nicht fest, dass der Vater des BF Vorsitzender des Zusammenschlusses der Landwirte bzw. der „ XXXX “ ist und dem BF sowie seinen übrigen Familienmitgliedern im Herkunftsstaat aufgrund der Beteiligung seines Vaters an den Bauernprotesten die reale Gefahr einer Verfolgung droht.

Dem BF droht im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sikhs.

Ferner steht nicht fest, dass der BF in Indien in anderer Weise aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt wird oder eine diesbezügliche Gefahr besteht.

Es steht nicht fest, dass der BF im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien in seinem Recht auf Leben gefährdet wird, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wird oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Der BF wird im Fall der Rückkehr nach Indien in keine existenzbedrohende Notlage geraten.

1.4 Zur allgemeinen Situation in Indien

COVID-19

Letzte Änderung: 22.10.2020

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten. Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit SARS-CoV-2 registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Sorge bereitet die zunehmende Ausbreitung von COVID-19-Infektionen in Kleinstädten und ländlichen Gebieten, wo der Zugang zur medizinische Versorgung teilweise nur rudimentär oder gar nicht vorhanden ist (WKO 10.2020). Durch die COVID-Krise können Schätzungen zu Folge bis zu 200 Mio. in die absolute Armut gedrängt werden. Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten, wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Pandemie und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).

[…]

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 06.11.2020

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 8.2020a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 7.2020). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 7.2020).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 7.2020) und der und im von separatistischen Gruppen bedrohten Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 7.2020, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (SATP 8.10.2020). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 4.3.2020). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 4.3.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. 2020 wurden bis zum 1.11. insgesamt 511 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 1.11.2020).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Indien und Pakistan

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 12.2019; vgl. BBC 23.1.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten „Line of Control (LoC)“ haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).

Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 12.2019). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 12.2019). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14.2.2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).

Indien und China

Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Zusammenstöße entlang der „Line of Actual Control (LAC)“, der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin forderten am 15.6.2020 in den ersten Vorfällen seit 45 Jahren mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in den letzten Monaten gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr als 3.400 Kilometer langen Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 7.2020).

Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020). Bestimmender Faktor des indischen Verhältnisses zu China ist das immer wieder auch in Rivalität mündende Neben- und Miteinander zweier alter Kulturen, die heute die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Welt sind. Das bilaterale Verhältnis ist von einem signifikanten Ungleichgewicht zu Gunsten Chinas gekennzeichnet (BICC 7.2020).

Indien und Bangladesch

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 8.2020a). Darüber hinaus bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 7.2020).

Indien und Sri Lanka

Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis, das durch den mittlerweile beendeten Bürgerkrieg auf Sri Lanka zwischen der tamilischen Minderheit und singhalesischen Mehrheit stark beeinflusst wurde. Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 8.2020a).

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Punjab

Letzte Änderung: 23.10.2020

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 9.2020).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Es gibt Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die aufständische Bewegung in Punjab wiederzubeleben. Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden Kämpfer der Babbar Khalsa International (BKI), einer militanten Sikh-Organisation in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert, BKI hat angeblich ein gemeinsames Büro mit der LeT im pakistanischen West-Punjab errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der aufständischen Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 9.2020). Im Punjab haben die Behörden besondere Befugnisse, ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 11.3.2020; vgl. BBC 20.10.2015).

Die Menschenrechtslage im Punjab stellt sich nicht anders als im übrigen Indien dar. Jüngste Berichte internationaler Menschenrechts-NGOs (Amnesty International, Human Rights Watch), aber auch jene des US State Department enthalten keine gesonderten Informationen zum Punjab (ÖB 9.2020).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in Punjab, Uttar Pradesh und Haryana weiterhin ein Problem dar (USDOS 11.3.2020).

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.). Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden. Auch stellen die Sikhs 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 9.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 25 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2017 wurden 8 Personen durch Terrorakte getötet, 2018 waren es 3 Todesopfer und im Jahr 2019 wurden durch terroristische Gewalt 2 Todesopfer registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen]. Per 13.10.2020 wurden für Beobachtungszeitraum 2020 keine Opfer von verübten Terrorakten aufgezeichnet (SATP 13.10.2020).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 9.2020).

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Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 05.11.2020

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 7.2020) und untersteht den Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiven Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 7.2020).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 7.2020; vgl. FH 4.3.2020). Es gab zwar Ermittlungen und Verfolgungen von Einzelfällen, aber eine unzureichende Durchsetzung wie auch ein Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten tragen zu einer geringen Effizienz bei (USDOS 11.3.2020). Es mangelt nach wie vor an Verantwortlichkeit für Misshandlung durch die Polizei und an der Durchsetzung von Polizeireformen (HRW 14.1.2020).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die „Beschützerin der Nation“, aber nur im militärischen Sinne (BICC 7.2020). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 23.9.2020; vgl. BICC 7.2020). Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte, vor allem bei internen Konflikten eingesetzt, so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 7.2020).

Den Sicherheitskräften, sowohl der Polizei, den paramilitärischen Einheiten als auch dem Militär, werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes nachgesagt (BICC 7.2020).

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der „Armed Forces Special Powers Act“ (AFSPA) zur Aufrechterhaltung von „Recht und Ordnung“ herangezogen (USDOS 11.3.2020). Das Gesetz gibt den Sicherheitskräften in „Unruhegebieten“ weitgehende Befugnisse zum Gebrauch von Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl (AA 23.9.2020; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020). Das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (Unlawful Activities Prevention Act, UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen im Zusammenhang mit Aufständen oder Terrorismus festzuhalten (USDOS 11.3.2020). Den Sicherheitskräften wird weitgehende Immunität gewährt (AA 23.9.2020; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020).

Im Juli 2016 ließ das Oberste Gericht in einem Zwischenurteil zum AFSPA in Manipur erste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erkennen. Der Schutz der Menschenrechte sei auch unter den Regelungen des AFSPA unbedingt zu gewährleisten. Das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz wurde im April 2018 für den Bundesstaat Meghalaya aufgehoben, im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf acht Polizeidistrikte beschränkt und ist seit April 2019 in drei weiteren Polizeidistrikten von Arunachal Pradesh teilweise aufgehoben. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, Nagaland sowie in Teilen von Manipur. Für den Bundesstaat Jammu & Kashmir existiert eine eigene Fassung (AA 23.9.2020).

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sogenannten Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 23.9.2020). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als „Black Cat“ bekannt, die Rashtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze - die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Die sogenannten Assam Rifles sind zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten - die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) werden als Indo-Tibetische Grenzpolizei, die Küstenwache und die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force zum Werkschutz der Staatsbetriebe verantwortlich (ÖB 9.2020). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 23.9.2020).

Die Grenzspezialkräfte („Special Frontier Force") unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten im Grenzgebiet zu China eingesetzt werden. Sie agieren im Rahmen der Geheimdienste, des sogenannten Aufklärungsbüros ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und dem Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing“ - Auslandsgeheimdienst) (War Heros of India, 15.1.2017).

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Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 06.11.2020

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 23.9.2020). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 9.2020). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 23.9.2020). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 23.9.2020).

Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 11.3.2020).

Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 23.9.2020). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 23.9.2020). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niederer Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 7.2020). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in Regionen, in denen es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, sowohl der Polizei, den paramilitärischen Einheiten als auch dem Militär, werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen. Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.3.2020, ÖB 9.2020).

In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 11.3.2020).

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Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 05.11.2020

Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 23.9.2020), sieht einen säkularen Staat vor, fordert den Staat auf, alle Religionen unparteiisch zu behandeln und verbietet Diskriminierung auf religiöser Basis. Nationales und bundesstaatliches Recht gewähren die Religionsfreiheit jedoch unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral (USDOS 10.6.2020). Religionsfreiheit wird im Allgemeinen auch in der Praxis respektiert (FH 4.3.2020) und kaum eingeschränkt (AA 23.9.2020). Das friedliche Nebeneinander im multiethnischen und multireligiösen Indien ist zwar die Norm, allerdings sind in einigen Unionsstaaten religiöse Minderheiten immer wieder das Ziel fundamentalistischer Fanatiker, oft auch mit Unterstützung lokaler Politiker (ÖB 9.2020). Trotz des insgesamt friedlichen Zusammenlebens existieren zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften Spannungen, die in der Vergangenheit auch zu massiven Gewaltausbrüchen („riots“, Pogrome) führten (AA 23.9.2020). Im Jahr 2019 verschlechterten sich die Bedingungen für Religionsfreiheit weiter drastisch und religiöse Minderheiten werden zunehmend bedroht. Nach der Wiederwahl der Bharatiya Janata Party (BJP) im Mai nutzte die nationale Regierung ihre gestärkte parlamentarische Mehrheit, um auf nationaler Ebene die Religionsfreiheit einzuschränken. Besonders betroffen von diesen Maßnahmen sind Angehörige der Muslime (USCIRF 28.04.2020). Berichten zufolge kommt es zu religiös motivierten Diskriminierungen, Morden, Überfällen, Unruhen, Zwangskonversionen, Aktionen, die das Recht des Einzelnen auf Ausübung seiner religiösen Überzeugung einschränken sollen sowie zu Diskriminierung und Vandalismus (USDOS 10.6.2020). In den letzten Jahren häufen sich Berichte, wonach die Religionszugehörigkeit noch mehr als zuvor zu einem bestimmenden Identitätsmerkmal für den Einzelnen in der indischen Gesellschaft wird, wodurch Angehörige religiöser Minderheiten ein Gefühl des Ausgeschlossen-Werdens entwickeln (AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Die größten religiösen Gruppen, nach ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung bei der Volkszählung aus dem Jahr 2011, sind Hindus (79,8 Prozent), Muslime (14,2 Prozent), Christen (2,3 Prozent) und Sikhs (1,7 Prozent) (CIA 9.10.2020). Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Janais und Buddhisten gelten als gesetzlich anerkannte Minderheitengruppen unter den religiösen Gruppierungen (USDOS 10.6.2020). Das Gesetz legt fest, dass die Regierung die Existenz dieser religiösen Minderheiten schützt und Konditionen für die Förderung ihrer individuellen Identitäten begünstigt. Bundesstaatliche Regierungen sind dazu befugt, religiösen Gruppen gesetzlich den Status von Minderheiten zuzuerkennen (USDOS 10.6.2020).

Die Gesetzgebung in mehreren Staaten mit hinduistischer Mehrheit verbietet religiöse Konversion, die aus Zwang oder „Verlockung“ erfolgt, was sehr weit ausgelegt werden kann, um Personen, die missionarisch tätig sind, zu verfolgen. Manche Bundesstaaten fordern für Konversion eine Genehmigung der Regierung (FH 4.3.2020). Neun der 28 Bundesstaaten haben Gesetze, die religiöse Konversion einschränken: Arunachal Pradesh, Chhattisgarh, Gujarat, Himachal Pradesh, Jharkhand, Madhya Pradesh, Odisha, Rajasthan und Uttarakhand. Ein solches Gesetz in Rajasthan, das 2008 verabschiedet wurde, wurde 2017 von der Zentralregierung zurückgewiesen und ist nach wie vor nicht implementiert. Im August 2019 fügte die Legislative des Bundesstaates Himachal Pradesh "Nötigung" der Liste der Konversionsverbrechen hinzu, die auch Bekehrung durch „Betrug“, „Gewalt“ und „Anstiftung“ umfassen. Die Definition von „Verführung“ wurde erweitert und umfasst nun auch „das Angebot einer Versuchung“ (USDOS 10.6.2020).

Die Nationale Kommission für Minderheiten, welcher Vertreter der sechs ausgewiesenen religiösen Minderheiten und der Nationalen Menschenrechtskommission angehören, untersucht Vorwürfe von religiöser Diskriminierung. Das Ministerium für Minderheitenangelegenheiten ist auch befugt, Untersuchungen anzustellen. Diese Stellen verfügen jedoch über keine Durchsetzungsbefugnisse, sondern legen ihre gewonnenen Erkenntnisse zu Untersuchungen auf Grundlage schriftlicher Klagen durch Beschwerdeführer bei, welche strafrechtliche oder zivilrechtliche Verstöße geltend machen, und legen ihre Ergebnisse den Strafverfolgungsbehörden zur Stellungnahme vor. 18 der 28 Bundesstaaten des Landes und das National Capital Territory of Delhi verfügen über staatliche Minderheitenkommissionen, die auch Vorwürfe religiöser Diskriminierung untersuchen (USDOS 10.6.2020).

Gewalt gegen religiöse Minderheiten, wurde 2017 in Indien zu einer zunehmenden Bedrohung (HRW 18.1.2018), doch hat es die Regierung verabsäumt, Richtlinien des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung, wie auch der Untersuchung von Angriffen auf religiöse Minderheiten und andere gefährdete Gemeinschaften, welche häufig von BJP-Anhängern angeführt werden, umzusetzen (HRW 14.1.2020). 2019 hat es die Regierung verabsäumt, die Vorgaben des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung und Aufklärung von Übergriffen des in vielen Fällen von Bharatiya Janata Party (BJP)-Anhängern angeführten Mobs auf religiöse Minderheiten und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen umzusetzen (HRW 14.1.2020).

Personenstandsgesetze gelten nur für bestimmte Religionsgemeinschaften in Fragen der Ehe, Scheidung, Adoption und Vererbung. Das hinduistische, das christliche, das Parsi und das islamische Personenstandsgesetz sind rechtlich anerkannt und gerichtlich durchsetzbar (USDOS 10.6.2020).

Der Wahlsieg der Hindu-nationalistischen BJP im Jahr 2014 löste in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussion über das Spannungsfeld zwischen den Werten einer säkularen Verfassung und einer in Teilen zutiefst religiösen Bevölkerung aus; und ging auch mit der Zunahme eines strammen (Hindu-) Nationalismus einher. Den erneuten deutlichen Wahlsieg der BJP 2019 sehen einzelne Gruppen daher mit Sorge (AA 23.9.2020). Die Datenlage zur Entwicklung von Hassverbrechen in Indien in den letzten Jahren ist uneinheitlich und erschwert eine genaue Einordnung. Die Zahl stieg von insgesamt 701 Vorfällen (116 Tote, 2138 Verletzte) im Jahr 2010 zunächst auf 823 Vorfälle (133 Tote, 2269 Verletzte) 2013 an, um dann nach einem Rückgang 2014 wieder auf 822 Vorfälle (111 Tote, 2384 Verletzte) im Jahr 2017 anzusteigen. Seit 2018 hat die Regierung bislang keine Zahlen vorgelegt (AA 23.9.2020). Nach Angaben des Innenministeriums (MHA) fanden zwischen 2008 und 2017 7.484 Vorfälle gemeinschaftlicher Gewalt statt, bei denen mehr als 1.100 Menschen getötet wurden. Daten des Innenministeriums für 2018 bis 2019 liegen nicht vor, doch halten Vorfälle kommunaler Gewalt an (USDOS 10.6.2020).

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Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 22.10.2020

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 11.3.2020). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der „Naxaliten“ in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 23.9.2020).

Die Regierung lockerte Einschränkungen für ausländische Reisende in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Myanmar. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen (USDOS 11.3.2020).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009 hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt (AA 23.9.2020).

In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, sodass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten („high profile“ persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen („low profile“ people) (ÖB 9.2020).

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Meldewesen

Letzte Änderung: 05.11.2020

Noch gibt es in Indien kein nationales Melderegister bzw. Staatsbürgerschaftsregister (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Allerdings besteht für alle EinwohnerInnen (auch ausländische StaatsbürgerInnen) die freiwillige Möglichkeit, sich umfassend mittels Aadhaar (12-stellige, individuelle Nummer) registrieren zu lassen. Als Sicherheitsmaßnahme für die Registrierung dienen ein digitales Foto, Fingerabdrücke aller 10 Finger sowie ein Irisscan. Mittels Aadhaar ist es dann möglich, Sozialleistungen von der öffentlichen Hand zu erhalten. Auf Grund der umfangreichen Sicherheitsmaßnahen (Irisscan, Fingerabrücke) ist das System relativ fälschungssicher.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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